Klosterneuburg (Niederösterreich)
Klosterneuburg/Donau ist heute eine Mittelstadt mit derzeit ca. 28.000 Einwohnern im SO des niederösterreichischen Bezirks Tulln (Kartenskizze 'Wien und Umgebung', aus: derstandard.at).
Klosterneuburg, Stich G.M.Vischer, um 1670 (aus: wikipedia.org, CCO)
Seit dem Ende des 13.Jahrhunderts waren in Klosterneuburg, einem wichtigen Handelsplatz an der Donau, Juden ansässig. Sie bildeten alsbald eine kleine Gemeinde und richteten wohl im Bereich der alten Burg eine Synagoge ein; ihre Wohnsitze befanden sich zumeist in der Unteren Stadt in Donaunähe. Die Klosterneuburger Juden, die vor allem Darlehensgeschäfte tätigten, unterstanden der Herrschaft des Herzogs von Österreich; ihm war eine „Judensteuer“ zu entrichten. Eine der finanzkräftigsten jüdischen Familien Niederösterreichs stammte aus Klosterneuburg: Die Familie David Steuss war als Geldverleiher zu Reichtum gelangt. Die Großmutter von David Steuss gehörte zu Beginn des 14. Jahrhunderts zu den ersten bedeutenden jüdischen Geschäftsfrauen ihrer Zeit. Um 1420 wurden die Juden vertrieben; Synagoge sowie Immobilienbesitz wurden konfisziert. Zwischen 1450 und 1800 hielten sich nur sehr wenige Juden - aber auch nur zeitweilig - in Klosterneuburg auf.
1845 erhielt dann erstmals ein Jude wieder die Erlaubnis, sich mit seiner Familie in unmittelbarer Nähe Klosterneuburgs, in Kritzendorf, ansässig zu machen; weitere Familien folgten alsbald. Knapp zehn Jahre später gründeten 16 in Klosterneuburg lebende jüdische Familien einen „Israelitischen Bethaus-Verein“, der zur Kultusgemeinde Währing gehörte; in einem angemieteten Raum wurden Gottesdienste nach religiös-orthodoxem Ritus abgehalten. Fast gleichzeitig wurde eine kleine Religionsschule ins Leben gerufen; hier fand zweimal täglich Unterricht statt - außer am Freitagnachmittag und Samstag.
Erst 1892 gründete sich die selbstständige Kultusgemeinde Tulln/Klosterneuburg; ein Jahrzehnt später löste sich der „Bethaus-Verein“ wieder auf. Ein im Jugendstil gestaltetes Synagogengebäude an der Ecke Kierlinger Straße/Medekstraße wurde im August 1914 eingeweiht; der „Tempel“ mit 120 Männer- und 80 Frauenplätzen beherbergte auch eine Wohnung für den Kantor.
„Tempel“ von Klosterneuburg (Bildmitte)
Nur ein Teil der Angehörigen der Kultusgemeinde lebte im Stadtzentrum; die anderen wohnten verstreut im Umland, so in der Region bis Weidling, Kierling, Kritzendorf und Tulln.
Ein eigener Friedhof war bereits 1873/1874 in der Holzgasse angelegt worden; in den Jahren zuvor mussten Verstorbene zum Währinger Friedhof (Wien) gebracht werden.
Nachdem im Jahre 1892 für den politischen Bezirk Tulln eine israelitische Kultusgemeinde gebildet worden war und zehn Jahre später sich der Bethaus-Verein Klosterneuburg aufgelöst hatte, übereignete dieser sein Vermögen der neu ins Leben gerufenen „Kultusgemeinde Tulln mit dem Sitze in Klosterneuburg“. Die Mitglieder des ehemaligen Bethaus-Vereines gründeten nun den Verein „Israelitische Beerdigungsbruderschaft Chewra Kadischa Klosterneuburg“, in dessen Eigentum die Kultusgemeinde den Friedhof übertrug.
Juden in Klosterneuburg:
--- 1852 .................... 16 jüdische Familien,
--- um 1895 ................. 280 Juden,
............. ca. 540 “ ,* * gesamte Kultusgemeinde
--- 1934 ................ ca. 700 “ ,*
--- 1938 .................... 227 “ ,*
--- 1940 .................... wenige “ .
Angaben aus: Floridus Röhrig, Die Juden in der Neuzeit
Stadtansicht Klosterneuburg (hist. Postkarte, um 1910)
Zunächst ernährten die in Klosterneuburg lebenden Juden ihre meist großen Familien als ambulante Kleinhändler. Jahrzehnte später waren sie Geschäftsinhaber (auch Handwerker) und angesehene Gewerbetreibende. Zu den bedeutenderen Unternehmern zählte mit seiner Kellerei Alois Fischl, der über Jahre hinweg Vorsitzender der Kultusgemeinde war.
Nach dem Ersten Weltkrieg stellte Leo Weiss, Gründer und Besitzer bedeutendser Metall- u. Sperrholzbetriebe, der zionistischen Bewegung sein Weingut als Ausbildungslager für russische Chaluzim zur Verfügung, die sich hier auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereiteten.
Im bürgerlich geprägten Klosterneuburg fand der Nationalsozialismus schon frühzeitig eine starke und auch gewaltbereite Anhängerschaft; bereits Mitte der 1920er Jahre waren Nationalsozialisten im Gemeinderat vertreten. Der jüdische Bevölkerungsteil lebte damals noch unbehelligt in der Stadt, aber erste Anzeichen eines offenen Antisemitismus zeigten sich schon vor 1938: So kam es wiederholt zu Vandalismus am Synagogengebäude.
In den Tagen und Wochen unmittelbar nach dem sog. „Anschluss” wurden jüdische Bewohner aus ihren Wohnungen geholt und öffentlich erniedrigt. Während des Novemberpogroms von 1938 wurde das Synagogengebäude schwer beschädigt; es war von „jugendlichen Elementen” verwüstet und „kontrolliert“ in Brand gesetzt worden, sodass nur der eigentliche Synagogenraum vernichtet wurde.
Brennende Synagoge, Nov. 1938 (DÖW-Dokumentation)
Auf eine völlige Brandlegung hatten die Täter verzichtet, da im Obergeschoss damals bereits ein Lagerraum des BdM untergebracht war; danach diente das Gebäude der HJ. Nach 1945 nutzte die Post das marode Haus als Kabellager.
Im November 1938 wurde die Gemeinde in die Wiener Kultusgemeinde eingegliedert. Die Ende 1938 einsetzenden „Arisierungen“ führten dazu, dass die meisten jüdischen Bewohner Klosterneuburg alsbald verließen. Vielen gelang es, zumeist ins überseeische Ausland zu fliehen. Diejenigen, die gezwungen wurden, nach Wien überzusiedeln, wurden von hier aus zumeist in die "Lager des Ostens" verschleppt.
Anfang der 1990er Jahre wurde das ehemalige Synagogengebäude in der Medekstraße abgerissen; Bausachverständige hatten in ihren Gutachten den Bau als „eine Gefahr für die Bevölkerung und das öffentliche Gut” ausgewiesen.
Synagogenfront kurz vor dem Abriss (Aufn. ?)
Im Herbst 2000 scheiterte im Gemeinderat der Antrag, eine Gedenktafel am Standort der ehemaligen Synagoge anzubringen. Erst nach politischen Querelen wurde im November 2002 nahe des Standortes der ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel für das in der „Kristallnacht“ schwer beschädigte Gebäude enthüllt.
Gedenkstein mit -tafel, Ecke Medekstraße/Kierlinger Straße (Aufn. Stadtarchiv)
ERINNERE DICH
Hier stand bis 1991 die am 20.8.1914 eingeweihte Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde Tulln-Klosterneuburg,
die während des Novemberpogroms 1938 schwer beschädigt wurde.
In den Jahren 1938 – 1945 fielen zahlreiche Bürger unserer Stadt dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer
November 2002
Heute erinnert nur noch der nahezu unversehrt gebliebene, von der Vegetation überwucherte Friedhof in der Holzgasse mit seinen mehr als 650 Grabstellen an die frühere jüdische Gemeinde. Das ca. 4.000 m² große Areal wird heute vom „Komitee zur Erhaltung des jüdischen Friedhofes Klosterneuburg – in Memoriam Walter Lauber“ gepflegt, nachdem es bereits Mitte der 1990er Jahre vom „Verein Schalom“ erstmals saniert worden war. Die baufällige Zeremonienhalle wurde allerdings abgerissen.
Abriss der Zeremonienhalle (2007) - verwilderter Friedhof (Aufn. P. Schubert, 2009)
Mit Hilfe von erheblichen staatlichen Finanzmitteln und Spendengeldern wurden etwa 280 Grabsteine des jüdischen Friedhofs in den letzten drei Jahren grundlegend saniert (Stand 2022).
Der erste „Tempel“ von Klosterneuburg, der in unmittelbarer Nähe zum Kloster sich befand, soll in naher Zukunft saniert und umgebaut werden; zuletzt war in diesem Gebäude eine Schmiede untergebracht.
[vgl. Tulln (Österreich)]
Weitere Informationen:
Albert Starzer, Die Juden, in: Geschichte der landesfürstlichen Stadt Klosterneuburg, Klosterneuburg 1900, S. 557 f.
Hermann Erber*, Aus der Geschichte der Juden in Klosterneuburg, in: "Jüdisches Archiv - Zeitschrift für jüdisches Museal und Buchwesen, Geschichte, Volkskunde und Familienforschung 1928", S. 22 ff. * Erber war Kultusvorsteher der Gemeinde
Hermann Erber, Einiges aus der Geschichte der Juden in Klosterneuburg, in: "Jüdisches Archiv" (Hrg. G.Moses), 1928 (mehrere Artikel aus einem Vortrag)
Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 405/406 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 621 - 624
Johannes-Wolfgang Neugebauer, Alte Synagoge und jüdischer Friedhof, Synagoge, in: "Klosterneuburger Kulturwanderwege", Klosterneuburg 1989, S. 49 f.
Pierre Genée (Bearb.), Die neuzeitlichen Synagogen in Niederösterreich – ergänzende Bemerkungen, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 2/Sept. 1989, S. 10 ff.
Klaus Lohrmann, Die Juden im mittelalterlichen Klosterneuburg, in: Floridus Röhrig (Hrg.), Klosterneuburg. Geschichte und Kultur, Bd. 1, Klosterneuburg 1991, S. 209 - 223
Floridus Röhrig, Die Juden in der Neuzeit, in: Floridus Röhrig (Hrg.), in: Klosterneuburg. Geschichte und Kultur, Bd. 1, Klosterneuburg 1991, S. 258 ff.
Gustav Spann, Klosterneuburg in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Klosterneuburg - Geschichte und Kultur, Bd. 1, Klosterneuburg 1991, S. 284 ff.
Klaus Lohrmann, Die Wurzeln lebendiger Tradition - Niederösterreich im Spiegel jüdischer Friedhöfe, in: Mahnmale - Friedhöfe in Wien, Niederösterreich und Burgenland, Wien 1992, S. 73 f.
Elisabeth Koller-Glück, “Darob wein’ ich bitterlich ...” - Ein Streifzug durch Niederösterreichs jüdische Friedhöfe, in: Mahnmale - Friedhöfe in Wien, Niederösterreich und Burgenland, Wien 1992, S. 94 f.
Ilse Schütz, Klosterneuburg in der ‘Kristallnacht’, in: "NÖ Kulturberichte", 2/1992, S. 16/17
Pierre Genée, Synagogen in Österreich, Löcker Verlag, Wien 1992, S. 23/24 und S. 78/79
Martina Enzmann (Red.), Ehemalige Synagoge: Gedenktafel enthüllt, online abrufbar unter: buergerunion.at
Christoph Lind, “Der letzte Jude hat den Tempel verlassen ...” - Juden in Niederösterreich 1938 - 1945, Mandelbaum-Verlag, Wien 2004, S. 208 ff.
Eveline Brugger, Adel und Juden im mittelalterlichen Niederösterreich. Die Beziehungen niederösterreichischer Adelsfamilien zur jüdischen Führungsschicht von den Anfängen bis zur Pulkauer Verfolgung 1338, in: "Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde", Band 38, St. Pölten 2004
E. Brugger/B. Wiedl, Zwischen Privilegierung und Verfolgung. Jüdisches Leben im Mittelalter in Niederösterreich, in: "DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 64/2005
Tina Walzer, Die Toten ins Leben integrieren: Das Komitee zur Erhaltung des jüdischen Friedhofs in Klosterneuburg, in: "DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 77/2008
Martina Enzmann (Red.), Beschämende Agitation gegen Gedenktafel, online abrufbar unter: buergerunion.at/synagoge
Stadtgemeinde Klosterneuburg (Hrg.), Klosterneuburg: Geschichte und Kultur. Die jüdische Gemeinde Klosterneuburg – Geschichte. Schicksale. Erinnerungen (Sonderband), Klosterneuburg 2009
Ausstellung: „Die jüdische Bevölkerung in Klosterneuburg. Erinnerungen, Nov. 2009 – Mai 2010 im Stadtmuseum Klosterneuburg, veröffentlicht im 4. Sonderband der Publikationsreihe „Klosterneuburg – Geschichte und Kultur“
Niederösterreich: Novemberpogrom 1938, online abrufbar unter: doew.at/erinnern (mit Aufn. der Synagoge Klosterneuburg)
Carlos Ferreira Mayerle (Bearb.), Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Klosterneuburg, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 110/Sept. 2016
N.N. (Red.), Restauriert: Eine Tafel gegen das Vergessen in Klosterneuburg, in: „NÖN - Niederösterreichische Nachrichten“ vom 10.9.2020
Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus (Hrg.), Jüdischer Friedhof in Klosterneuburg fertig saniert, in: ots.at vom 2.12.2020
Nina Pöchhacker Red.), Jüdischer Friedhof vor Verfall bewahrt, in: moe.orf.at vom 8.11.2021
Ewald Baringer (Red.), Jüdischer Friedhof. Klosterneuburger Kulturgut ist gerettet, in: „NÖN – Niederösterreichische Nachrichten“ vom 29.9.2022
Hannes Steindl (Red.), Mit Boden-Radar auf Gräbersuche, in: noe ORF.at vom 2.11.2022 (betr. Sanierung des jüdischen Friedhofs)