Königstein/Taunus (Hessen)
Die Stadt Königstein im Taunus im hessischen Hochtaunuskreis mit derzeit ca. 17.000 Einwohnern liegt im nordwestlichen Einzugsbereich der Metropole Frankfurt/Main (hist. Karte von 1893 'Umgebung von Frankfurt', aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Hochtaunuskreis', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Bereits vor den Pestpogromen von 1348/1349 lebten in Königstein einige jüdische Familien, erstmals 1294 im Ort urkundlich nachgewiesen. Zusammen mit den Orten Assenheim und Münzenberg gehörten die Königsteiner Juden zur „Wetterauer Judenschaft“, die den Falkensteiner Burgherren abgabenpflichtig waren.
Königstein - Merian-Stich um 1655 Topographia Hassiae (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
In den folgenden Jahrhunderten gibt es allerdings nur wenige urkundliche Belege für jüdisches Leben in Königstein.
Zusammen mit den Juden aus Kronberg und Falkenstein bildete man gegen Mitte des 18.Jahrhunderts eine Kultusgemeinde, deren Sitz zunächst in Kronberg war. Als im Laufe des 19.Jahrhunderts wohlhabende Juden vor allem aus Frankfurt nach Königstein zogen und gleichzeitig die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in Kronberg sank, wurde zunächst Falkenstein, dann Königstein Sitz der Hauptgemeinde.
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31.Mai 1871
Die offizielle Auflösung der jüdischen Gemeinde in Kronberg und der Zusammenschluss zur „Israelitischen Gemeinde Königstein“ erfolgte endgültig im Jahre 1908. Zu dieser Zeit war der Neubau der Synagoge in Königstein bereits fertiggestellt worden, finanziert vor allem auf Grund einer Stiftung der Baronin Mathilde von Rothschild und weiteren Spenden; als verantwortlicher Architekt zeichnete Sigmund Münchhausen aus Köln, der auch die Synagoge in Osnabrück entworfen hatte. Mitte September 1906 war der Ziegelbau im romanischen Stile am heutigen Seilerbahnweg von der jüdischen Gemeinde feierlich eingeweiht worden; der Synagogenraum besaß ca. 70 Männer- und ca. 35 Frauenplätze.
Synagoge Königstein, um 1920 (aus: alemannia-judaica.de)
Im Untergeschoss wurde auch eine moderne Mikwe eingebaut; diese Tatsache beweist, dass die Juden Königsteins ihre konservative Glaubenshaltung beibehalten hatten. Über die feierliche Einweihung berichtete die lokale „Taunus-Zeitung” Mitte September 1906:
„ ... Zu diesem längst ersehnten Freudentag der israelitischen Gemeinde hatten nicht nur die Häuser deren Mitglieder sondern auch das ganze Städtchen ... hübschen Flaggenschmuck angelegt. Die Einweihungsfeier selbst ... begann mit der Abschiedsfeier in Falkenstein. In schlichten, aber eindringlichen Worten legte in der seitherigen in Falkenstein sich befindlichen Synagoge der Bezirksrabbiner Dr. Silberstein aus Wiesbaden den Zuhörern dar, welche Gründe die Gemeinde veranlaßt haben, sich ein neues Gotteshaus in Königstein zu erbauen und schloß, dankend das bald zwei Jahrhunderte lang bestehende gute Einvernehmen zwischen den Falkensteiner Bürgern und den Gemeindemitgliedern hervorhebend. Dann wurden unter entsprechendem feierlichen Zeremoniell die Gesetzesrollen aus dem Schrein der alten Synagoge entnommen und der Festzug setzte sich nach Königstein in Bewegung. ... Vor der neuen Synagoge angekommen ... folgte der Weiheakt ... Dann hielt Herr Bezirksrabbiner Dr. Silberstein die Festpredigt und schloß mit einem Gebet für die kaiserliche Familie, die Stadt Königstein, ihre Vorsteher und die Gemeindemitglieder. "
Im Anschluss an die Einweihung fand im „Hotel Procasky“ ein Festessen statt; hieran nahmen nur die männlichen Mitglieder der jüdischen Gemeinde teil, darüber hinaus der Magistrat und die Stadtverordneten, die beiden Pastoren und der Gemeindevorstand von Falkenstein. Ein festlicher Ball beschloss den Tag.
Die beiden jüdischen Friedhöfe - ein kleiner in der Gemarkung Kronberg, der größere in Falkenstein - dienten den verstorbenen Juden der drei Ortschaften als letzte Ruhestätten. Das zunächst gepachtete Areal in Falkenstein ging 1912 in den Besitz der jüdischen Gemeinde über. Bereits gegen Ende des 13.Jahrhunderts soll eine weit vor dem Ort gelegene jüdische Begräbnisstätte bestanden haben; darauf lässt die heutige Bezeichnung „Am Judenkirchhof“ schließen.
Juden in Königstein:
--- um 1300 ........................ 10 jüdische Familien,
--- um 1780 ........................ 122 Juden,* * gesamte Gemeinde
--- 1825 ....................... ca. 170 “ ,*
--- 1840 ....................... ca. 230 “ ,*
--- 1867 ........................... 19 jüdische Familien,
--- 1870 ....................... ca. 100 Juden,*
--- 1905 ........................... 65 “ ,
--- 1925 ........................... 76 “ ,
--- 1933 ........................... 73 “ (in 17 Familien),
--- 1936 ........................... 69 “ ,
--- 1937 ....................... ca. 20 jüdische Familien,
--- 1938 (Okt.) .................... 6 “ “ (ca. 20 Pers.),
--- 1942 (Okt.) .................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 452
und Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Reg.bez. Darmstadt, S. 186
Königstein i. Taunus, hist. Postkarte (Abb. aus: akpool.de)
Die jüdischen Bewohner von Königstein, Kronberg und Falkenstein lebten im 19.Jahrhundert eher kärglich vom Klein- und Altwarenhandel, vom Viehhandel und von der Maklerei. Erst um die Jahrhundertwende besserte sich ihre wirtschaftliche Situation deutlich. Königstein galt bald als „Judenkurort“; so wurde das international bekannte „Sanatorium Dr. Kohnstamm“ von zahlreichen Juden aufgesucht; auch das „Hotel Cahn“ galt wegen seines koscheren Essens als Anziehungspunkt für viele Frankfurter Juden. Im Kurstädtchen Königstein besaßen zudem wohlhabende jüdische Geschäftsleute und Fabrikanten, meist aus Frankfurt/M., schlossartige Landsitze und Villen.
Restaurant- bzw. Hotelanzeigen
25 Jahre nach der Einweihung wurde im 12. September 1931 das 25-jährige Bestehen der Königsteiner Synagoge begangen, allerdings nur in einem Gottesdienst, da „mit Rücksicht auf unsere wirtschaftlichen Verhältnisse von einem offiziellen Festakt Abstand genommen werden“ musste. Die „Taunuszeitung“ wies in einem Artikel vom 11.Sept. darauf hin, dass „an hiesigem Platze konfessioneller Friede und gegenseitige Duldsamkeit schon lange Jahrzehnte zum obersten Gebot der Einwohnerschaft allgemein gehören“.
Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Königstein 17 jüdische Familien. Die NS-Boykottmaßnahmen trugen im Laufe der Jahre dazu bei, dass der Kurbetrieb in Königstein stark in Mitleidenschaft gezogen wurde; Pensionen und Hotels wurden unter Druck gesetzt, keine jüdischen Kurgäste mehr aufzunehmen.
Zutritt zu den Königsteiner Kuranlagen für Juden verboten
Die Stadt- und Kurverwaltung Königstein i.T. hat folgende Anordnung erlassen:
“Juden ist der Zutritt zum städtischen Kurhaus sowie zum Kurhauspark verboten. Desgleichen ist die Benutzung des städtischen Schwimmbades und der dazugehörigen Liegewiese Juden untersagt. Des weiteren ist das Parken sowie jeglicher Aufenthalt auf städtischen Parkplätzen Juden verboten. Die Benutzung sämtlicher städtischer Anlagen und Spielplätze, sowie das Betreten der Burgruine wird Juden hiermit untersagt. ...”
(Artikel aus dem Jahre 1938)
Mit den Worten des Bürgermeisters „Heute erlebt Königstein seinen großen Tag!” sollen die „Aktionen“ des November 1938 in Königstein eingeleitet worden sein; Geschäfte und Wohnungen jüdischer Bürger waren Objekte der Zerstörungen, die meist von Jugendlichen, begangen wurden. Während des Pogroms wurde auch die Synagoge niedergebrannt; zuvor war bereits die Inneneinrichtung zerschlagen worden. Die Synagogenruine wurde im darauffolgenden Jahr durch Wehrmachtsangehörige gesprengt. Sieben Königsteiner Juden wurden festgenommen, nach Frankfurt transportiert und von hier ins KZ Buchenwald überstellt. Die „Taunus-Zeitung” berichtete am 11.Nov. 1938:
... In Königstein kam die Erregung und Empörung über die von Alljuda inszenierte feige Mordtat in Paris in den späten Nachmittagsstunden zum spontanen Ausbruch. Die Synagoge im Seilerbahnweg ging in Flammen auf, dieweithin als ein Fanal der durchaus berechtigten Volksempörung den nächtlichen Himmel röteten. Das Gebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder. ... Die Demonstrationen richteten sich auch gegen einige jüdische Wohnungen, doch waren die Demonstranten bei Eintreffen der Polizei bereits abgezogen. ...
1938/1939 verließen die allermeisten jüdischen Bewohner Königstein, zumeist nach Frankfurt/M.; einigen gelang die Emigration.
Die letzten sieben Juden Königsteins wurden Ende August 1942 via Frankfurt/M. nach Theresienstadt deportiert. Die Lokal-Zeitung vermeldete am 31.Aug. d.J. dies unter der Überschrift „Königstein jetzt judenfrei“.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 32 aus dem Ort stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene Juden Königsteins Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/koenigstein_synagoge.htm).
Der nach Kriegsende wieder instandgesetzte jüdische Friedhof ist heute im Besitz der jüdischen Gemeinde Wiesbadens. Eine bronzene Gedenkplatte am Seilerbahnweg, nahe des ehemaligen Standorts der Königsteiner Synagoge, erinnert seit 1978 an die hier ansässig gewesenen jüdischen Bürger; der Inschriftentext lautet:
Hier stand ab 1906 eine Synagoge, zerstört am 9.11.1938 .
Zum Gedächtnis an die damals verfolgten jüdischen Mitbürger
gestiftet von Christen beider Konfessionen und Bürgern von Königstein 1978
Seit 1996 hält zudem im Kurpark ein Bronzemodell der ehemaligen Synagoge die Erinnerung an das einstige jüdische Gotteshaus wach (E. Groth-Pfeifer, 2011 bzw. 1996, aus: wikipedia.org, CCO).
2013 wurde in Königstein mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ begonnen; inzwischen findet man in den Gehwegen im Stadtgebiet mehr als 40 dieser messingfarbenen Gedenkquader (Stand 2024).
verlegt in Königstein (K. Ratzke, 2020, aus: commons.wikimedia.org CCO und L. 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Falkenstein sollen Juden bereits vor den Pestpogromen von 1348/1349 gelebt haben. Ab dem 15.Jahrhundert hielten sich vorübergehend jüdische Familien in der Ortschaft auf; erst seit dem 18.Jahrhundert kann von einer dauerhaften Ansiedlung weniger Juden gesprochen werden. Nachdem zunächst die rituellen Einrichtungen der Gemeinde Kronberg genutzt worden waren, richtete man gegen Ende der 1780er Jahre einen eigenen Betraum ein, der alsbald auch den Juden aus Königstein als gottesdienstlicher Mittelpunkt diente. Mehrere Jahrzehnte später wurde das marode Gebäude abgerissen und an dessen Stelle ein neues erbaut.
Ehem. Synagogengebäude in Falkenstein (K. Ratzke 2011, aus: wikipedia.org, CCO)
Nach Fertigstellung dieser neuen Synagoge (1807) schlossen sich die Königsteiner und Falkensteiner Juden zusammen und bildeten nun eine gemeinsame Kultusgemeinde. Ein Jahrhundert lang war nun diese Synagoge Mittelpunkt des Gemeindelebens in Falkenstein, bis 1906 das neue Synagogenbauwerk in Königstein eingeweiht wurde (siehe oben).
Ein jüdischer Friedhof war bereits 1754 angelegt worden; Angaben zufolge wurde das Begräbnisgelände um 1810 angepachtet und ca. 100 Jahre später von der Königsteiner Gemeinde käuflich erworben. Zuvor sollen Begräbnisse auf dem unweit gelegenen Kronberger Friedhof stattgefunden haben.
Seit den 1870er-Jahren bestand in Falkenstein die streng-koscher geführte Kuranstalt eines Frankfurter Arztes, in der zahlreiche Patienten aus dem In- und Ausland Genesung erhofften.
Anzeigen von 1879 und 1882
Anfang der 1930er Jahre lebten in Falkenstein nur sehr wenige jüdische Familien.
Das neben dem kommunalen Friedhof liegende jüdische Beerdigungsgelände weist heute ca. 90 Grabsteine auf; wenige sollen vom Kronberger Friedhof stammen.
Jüdischer Friedhof in Falkenstein: Eingangstor (Aufn. J. Hahn, 2011) und Grabgelände (Aufn. K., 2011, aus: wikipedia.org, CCO)
Im gleichnamigen vogtländischen Falkenstein gab es auch eine jüdische Gemeinde. [vgl. Falkenstein (Sachsen)]
[vgl. Kronberg (Hessen)]
Seit 2022 erinnert bei Eppstein/Taunus - wenige Kilometer südwestlich von Königstein gelegen – eine Tafel an die wohlhabende jüdische Familie Paderstein, die die Zucht von Rennpferden betrieben hatte. Die an ihrer ehemaligen Villa angebrachte Gedenktafel erinnert an Wilhelm und Margarethe Paderstein und ihre beiden Töchter, die auf Grund der nationalsozialistischen Bedrohung 1938 Deutschland verließen und in Brasilien einen Neuanfang begannen.
Weitere Informationen:
Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 444
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 452 - 458
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 129
Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 370 und Teil 2, Abb. 290
Heinz Sturm-Godramstein, Juden in Königstein. Leben - Bedeutung - Schicksale, Hrg. Magistrat der Stadt Königstein, Stadtarchiv 1983 (erw. Neuauflage 2015)
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 186
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 377
Königstein/Taunus, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Falkenstein (Stadt Königstein), in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte)
Stolpersteine in Königstein mit Biografien der Opfer, 2013/2015, online unter: stolpersteine-koenigstein.de
Stefan Jung (Red.), Stolpersteine in Königstein - Wir holen unsere Mitbürger zurück, in: “Taunus-Zeitung” vom 14.3.2015
N.N. (Red.), “Und plötzlich waren sie weg”, in: “Frankfurter Neue Presse” vom 16.6.2017 (betr. Deportation der letzten Juden aus Königstein)
Stefan Jung (Red.), Traditionshotel könnte bald Geschichte sein: Hoher Symbolwert für jüdisches Leben in der Stadt, in: “Frankfurter Neue Presse” vom 16.2.2020
Andrea Diener (Red.), Gedenken an jüdische Familie – Flucht nach Brasilien, in: „FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 13.11.2022 (betr. Fam Paderstein bei Eppstein)