Konitz (auch Conitz/Westpreußen)
Das zu Beginn des 14.Jahrhunderts mit Stadtrechten ausgestattete Konitz (auch Conitz) gehörte seit der 1.Teilung Polens (1772) zum preußischen Staat; 1919/1920 fiel es an Polen. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde das westpreußische Gebiet vom Deutschen Reich annektiert; nach 1945 gehört die Stadt wieder zum polnischen Staatswesen und heißt Chojnice mit derzeit ca. 41.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte von 1858, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Chojnice rot markiert, O. 2006, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).
Erste Ansiedlungen von Juden in Konitz lassen sich erst nach Mitte des 18.Jahrhunderts belegen. Denn bis 1767 war die Niederlassung jüdischer Familien in der Stadt nicht erlaubt; sie lebten auf adligen Gütern im Umland und erhielten in Konitz nur zu den Jahrmärkten Zutritt, um hier ihren Geschäften nachzugehen.
Bald bildete sich eine Gemeinde; gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden zunächst in einem Lagerhaus des Kaufmanns Schwarz in der Hintergasse statt. Nach Ankauf eines Grundstückes am Mönchsanger wurde ein Synagogengebäude errichtet (Baujahr unbekannt).
Seit den 1820er Jahren gab es in Konitz eine jüdische Privatschule, die nur von Kindern begüterter Familien besucht wurde. Ansonsten war der Besuch der städtischen Schule möglich.
Synagoge in Konitz (Aufn. um 1900, Quelle unbekannt)
Ihre erste Begräbnisstätte hatten die Konitzer Juden in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts angelegt. Um 1900 wurde der neue Friedhof eingeweiht.
Zur jüdischen Gemeinde in Konitz gehörten auch Familien aus den umliegenden Dörfern, so aus Bruss, Friedrichsbruch, Schwornigatz u.a.
Juden in Konitz:
--- um 1775 ..................... eine jüdische Familie,
--- um 1815 ................ ca. 80 Juden,* *andere Angabe: 45 Pers.
--- 1831 ....................... 194 “ (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1849 ....................... 341 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1855 ....................... 429 " ,
--- 1861 ....................... 371 “ ,
--- 1871 ....................... 497 “ (ca. 7% d. Bevölk.)
--- 1885 ....................... 563 “ (ca. 11 d. Bevölk.),
--- 1895 ................... ca. 430 " ,
--- um 1905 ................ ca. 300 “ ,
--- 1910 ....................... 257 “ ,
--- 1921 ....................... 111 “ ,* * andere Angabe: 34 Juden
--- 1931 ....................... 58 “ ,
--- 1938 ................... ca. 70 " ,
--- 1939 (Dez.) ................ keine. ** Die demographischen Daten in den beiden Publikationen sind oft widersprüchlich.
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), S. 255
und Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teilband 2, S. 50
Im Laufe des 19.Jahrhunderts wuchs die Zahl der jüdischen Einwohner durch Zuwanderung aus anderen Orten Westpreußens erheblich an. die Neubürger waren zumeist Kleinkaufleute und Handwerker. Die hiesige jüdische Bevölkerung trug erheblich zur Wirtschaftsentwicklung der Stadt Konitz bei, vor allem im Handelsbereich und in der Textil- und Nahrungsmittelindustrie.
Anfang der 1880er Jahre brachen gewalttätige antijüdische Unruhen aus, in deren Verlauf das Synagogengebäude in Brand gesetzt wurde. Im Frühjahr 1900 sorgte ein Mord in der westpreußischen Kleinstadt Konitz für Schlagzeilen: Teile der Leiche eines 18jährigen Gymnasiasten waren an verschiedenen Orten der Stadt aufgefunden worden; die Umstände des Mordes versetzten die Bewohner der Stadt in große Unruhe. Gleichzeitig machte das Gerücht die Runde, dass der jüdische Schlachter Adolph Lewy den Mord begangen hätte. Der Verdacht heizte die Stimmung auf; so dauerte es nicht lange, bis sich ein antisemitischer Mob zusammenrottete und kollektive Vergeltung gegen die jüdischen Bewohner der Kleinstadt und des Umlandes forderte. So wurde die kleine jüdische Gemeinde der Stadt terrorisiert: Demonstranten zogen mit „Hepp-Hepp”-Rufen durch die Straßen, warfen Fensterscheiben ein und drohten, alle Juden umzubringen. Unterstützt wurde der kleinstädtische Pöbel von Teilen der Landbevölkerung, die nach Konitz gekommen waren, um Lynchjustiz zu üben.
Von Konitz breiteten sich die Krawalle auf andere Oste Westpreußens aus. Ihren traurigen Höhepunkt erreichten sie Anfang Juni, als eine Menschenmenge in die Konitzer Synagoge eindrang und dort schwere Verwüstungen anrichtete. Nur mit Hilfe von Militär konnte der Aufruhr niedergeschlagen werden; bei ihrem Einsatz wurden die Soldaten als „jüdische Schutztruppe” beschimpft und mit Steinen beworfen. Ein „Bürger-Ausschuss“ konstruierte aus den Gerüchten detaillierte Darstellungen des Tathergangs, die in antisemitischen Blättern und zahllosen Pamphleten Verbreitung fanden; selbst Bildpostkarten mit einem „Gruß aus Konitz“ wurden produziert. Der des Mordes beschuldigte Schlachter wurde später entlastet. Die Stadt Konitz wurde nach den geopolitischen Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg Teil des sog. „polnischen Korridors” und hieß von nun an Chojnice. Die deutsch-christliche wie jüdische Bevölkerung nahm nun gleichermaßen ab; die im Orte verbliebenen deutsch-empfindenden Juden litten fortan verstärkt unter polnischer Willkür.
Marktplatz - Postkarte um 1915 (aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Zwanzig Jahre später setzte auch in Chojnice/Konitz die nationalsozialistische Vernichtungspolitik ein. In Vorwegnahme der späteren systematischen Verbrechen wurde die jüdische Gemeinde von Mitgliedern des „Volksdeutschen Selbstschutzes”, einheimischen Deutschen und Einheiten der Gestapo und der Wehrmacht ausgelöscht. Im Sept. 1939 wurden die letzten jüdischen Bewohner aus Konitz ins „Generalgouvernement umgesiedelt“.
Von den beiden jüdischen Friedhöfen sind kaum bauliche Relikte übrig geblieben; die Areale wurden während der Zeit des Zweiten Weltkrieges zerstört. Heute ist ein Teil des Geländes überbaut, ein anderer Teil von städtischen Grünanlagen eingenommen.
Czersk – ca. 25 Kilometer nordöstlich von Konitz gelegen, derzeiut ca. 10.000 Einw. - wurde erstmals 1330 schriftlich erwähnt. Nach der deutschen Okkupation wurde der im Landkreis Konitz liegende Ort in „Heiderode“ umbenannt, nach 1945 erhielt die Kleinstadt wieder ihren alten Namen. Früheste Kenntnisse über das Bestehen einer jüdischen Gemeinschaft in Czersk stammen aus dem beginnenden 19.Jahrhundert; die ersten beiden Familien mosaischen Glaubens sind bereits 1746 urkundlich belegt. Seinen numerischen Zenit erreichte der jüdische Bevölkerungsteil im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts mit ca. 230 Personen.
Die Synagoge der hiesigen Judenschaft befand sich in der Wilhelmstraße.
Synagoge (hist. Aufn. um 1910)
Juden in Czersk:
--- um 1815 .................. eine jüdische Familie,
--- 1820 ..................... 44 Juden,
--- 1871 ..................... 205 “ ,
--- 1885 ..................... 229 “ ,
--- 1895 ..................... 162 “ ,
--- 1905 ..................... 84 “ ,
--- um 1910 .................. 70 “ ,
--- 1921 ..................... 7 “ ,
--- 1931 ..................... 13 “ .
Angaben aus: Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teilband 2, S. 497 f.
und Czersk, in: sztetl.org.pl
Zu Anfang des 20.Jahrhunderts sollen nur noch sehr wenige Juden in Czersk gelebt haben. Vom kleinen jüdischen Friedhof, der erst um 1900 angelegt worden war, sind heute kaum noch Relikte vorhanden.
vgl. Czersk (Westpreußen)
In Bruß (poln. Brusy, derzeit ca. 5.000 Einw.) – ca. 25 Kilometer nördlich von Konitz/Chojnice – gab es im 19.Jahrhundert eine israelitische Gemeinde, die um 1890 sich aus ca. 80 Angehörigen zusammensetzte; mehrheitlich lebten die Familien vom Kleinhandel. Nach dem Ersten Weltkrieg löste sich die Gemeinde auf; um 1930 lebten nur noch vier Personen jüdischen Glaubens im Ort.
Weitere Informationen:
Peter Letkemann, Zur Geschichte der Juden in Konitz im 19. Jahrhundert, in: "Beiträge zur Geschichte Westpreußens", No. 9/1985, S. 99 - 116
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 254/255
Helmut Walser Smith, Die Geschichte des Schlachters. Mord und Antisemitismus in einer deutschen Kleinstadt, Wallstein Verlag, Göttingen 2002
Christoph Nonn, Eine Stadt sucht einen Mörder. Gerücht, Gewalt und Antisemitismus im Kaiserreich, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002
International Jewish Cemetery Project – Poland (2005/2006)
Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teilband 2, New York 2009, S. 497 – 500 (Czersk) und S.501 – 517 (Konitz)
Chojnice, in: sztetl.org.pl
Czersk, in: sztetl.org.pl
Brusy, in: sztetl.org.pl
Chojnice – ehemaliges jüdisches Leben in Konitz, hrg. vom Städtepartnerschaftsverein Emsdetten e.V., online abrufbar unter: stpv-emsdetten.de/Chojnice_Juden.html (Hinweis: Die Präsentation über die Stadt Konitz beinhaltet auch zahlreiche historische Postkarten)