Kremsier (Mähren)

Jüdische Gemeinde - Wischau (Mähren) Die ostmährische Stadt Kremsier ist das heutige tsch. Kroměříž mit derzeit ca. 28.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org/wiki/Mährisch-Schlesische_Nordbahn, PD-alt-100  und  Kartenskizze 'Tschechien' mit Kroměříž rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Die Kremsierer Judengemeinde war früher eine der vier mährischen Hauptgemeinden.

Kroměříž veduta 02.JPG

Kremsier gegen Ende des 16.Jahrhunderts (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Früheste urkundliche Hinweise auf jüdisches Leben im südmährischen Kremsier stammen aus einem Privileg des Jahres 1322, in dem König Johann von Böhmen und Polen dem Bischof von Olmütz zugestand, sich in Kremsier „einen Juden zu halten und schützen zu dürfen.” Im ersten Viertel des 15.Jahrhunderts könnte eine kleine jüdische Gemeinde existent gewesen sein, denn aus dieser Zeit ist ein Betraum nachweisbar. Erstes ausgewiesenes Wohngebiet war die Vorstadt Oskol; danach sollen die Juden in der Wasser- und Marchgasse gelebt haben.

In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich in Kremsier eine bedeutende jüdische Gemeinde, die fast 600 Jahre unter dem Schutz des Bischofs stand und zu den reichsten in Mähren zählte. Kremsier wurde - wie andere Städte auch - Zufluchtsstätte der 1454 aus Olmütz vertriebenen Juden. Eine Katastrophe brach 1642 über die Kremsierer Juden ein, als schwedische Truppen die Stadt einnahmen, diese plünderten und brandschatzten; auch die Synagoge wurde eingeäschert und mit ihr mehr als 30 Gesetzesrollen nebst vielen wertvollen Ritualien. Die gefangengesetzten Juden wurden später durch ein von den Juden aus Wien, Amsterdam und Hamburg aufgebrachtes Lösegeld befreit; viele von ihnen siedelten sich danach in Wien an. Nachdem Kremsier 1646 erneut Ziel der schwedischen Soldateska wurde, sollen von der einst blühenden jüdischen Gemeinde nur noch zwei Angehörige überlebt haben. Als dann 1670 die jüdischen Bewohner aus Wien vertrieben wurden, sollen einige nach Kremsier gewandert sein, wo sie gegen Schutzgeldzahlungen Asyl erhielten; weitere Familien folgten ihnen nach. Sie lebten in einem seit 1680 mit einer Mauer umgebenen Bezirk; hier befanden sich ca, 35 Wohnhäuser und das 1688 errichtete Gemeindehaus, in dem dann später die jüdische Schule untergebracht war. Anfang der 1690er Jahre erbaute die Gemeinde eine neue Synagoge.

Zwischen 1743 und 1774 kam es in Kremsier zu pogromartigen Ausschreitungen gegen hier lebenden Juden. Erst danach war dann der Gemeinde ein kontinuierliches Wachstum beschieden.

Ab 1689 war Kremsier für einige Jahrzehnte Sitz des mährischen Landesrabbiners. Die erste in Kremsier genutzte Synagoge muss bereits um 1425 existiert haben. Der Folgebau aus dem 16.Jahrhundert diente dann ca. 350 Jahre als gottesdienstlicher Mittelpunkt der Kremsier Juden. 1910 wurde unter Teilnahme der mährischen Judenschaft ein repräsentativer Synagogenneubau eingeweiht, der vom Wiener Architekten Jakob Gartner entworfen war; mit diesem Neubau dokumentierte die hiesige Judenschaft den neuen rechtlichen und gesellschaftlichen Status ihrer Gemeinde.

                                    hist. Ansichtskarte (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Neue Synagoge in Kremsier (hist. Postkarte um 1920  bzw. hist. Aufnahme, aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Noch zu Beginn des 20.Jahrhunderts gab es in Kremsier eine Talmud-Thora-Schule, in welcher neben Religion auch Hebräisch, Geschichte und Literatur gelehrt wurde.

Erste Hinweise auf einen eigenen Begräbnisplatz liegen seit ca. 1535 vor. Im 18.Jahrhundert wurde ein zweiter Friedhof in Nutzung genommen, der bis in die 1920er Jahre seiner Bestimmung diente. Im Jahre 1928 wurde ein neues Friedhofsgelände angelegt, dessen Ankauf aus dem Erlös des alten Synagogengrundstücks finanziert wurde.

Juden in Kremsier:

         --- um 1605 ......................  25 jüdische Familien,

    --- 1830 ......................... 542 Juden,

    --- 1848 ......................... 546   “  ,

    --- 1869 ......................... 679   “  ,

    --- 1880 ......................... 783   “   (6,6% d. Bevölk.),

    --- 1900 ......................... 611   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1921 ......................... 392   “  ,

    --- 1930 ......................... 382   “   (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- um 1935 .................. ca. 350   “  .

Angaben aus: Theodor Haas, Juden in Mähren - Darstellung der Rechtsgeschichte und Statistik ..., S. 58

und                  Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens

Stadtzentrum Kroměříž (PO., aus: commons.wikimedia.org, CCO)

 

Mit der Abwanderung wohlhabender jüdischer Familien aus der Stadt um 1805 schmolz das Gemeindevermögen weiter, und die Gemeinde verarmte. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts wurde diese dann neu organisiert, wodurch man auch die Finanzprobleme in den Griff bekam.

Während des Ersten Weltkrieges bemühte sich die Kremsier Gemeinde um die zahlreichen jüdischen Flüchtlinge, die aus Osteuropa in den westlichen Teil der Habsburger Monarchie geströmt waren. Mit der Abwanderung in die Großstädte und einer Überalterung der Gemeindeangehörigen verkleinerte sich die Kultusgemeinde erheblich. Auf Befehl der deutschen Besatzungsmacht wurde 1942 die Synagoge abgerissen. Die Einrichtung der Synagoge wurde dem Zentralen Jüdischen Museum in Prag überstellt.

Fast alle noch in Kremsier lebenden Juden wurden nach ihrer Deportation (Ende Juni 1942) Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft; nachweislich wurden 268 Juden aus Kremsier ermordet.

 

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges bestand in Kroměříž zeitweilig noch eine winzige Restgemeinde.

Am ehemaligen Standort der Synagoge steht das Kulturhaus. An die jüdische Geschichte der Stadt erinnert ein kleines Denkmal, das 1994 von dem berühmten Bildhauer Olbram Zoubek erschaffen wurde.

 undefined 

Jüdischer Friedhof Kroměříž und Mahnmal (Aufn. J. Erbenová, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Aufn. Qasinka, 2022, aus: wikipedia.org, CCO)

Auf dem ehemaligen jüdischen Begräbnisgelände wurde im Jahre 1962 ein Mahnmal errichtet, das der ca. 300 jüdischen NS-Opfer der Region gedenkt.

Aus einer Stadtinformation zum „Jüdischen Viertel“:

Das jüdische Viertel erstreckt sich im östlichen Sektor des Stadtkerns innerhalb der Stadtmauern über eine Fläche von 1,5 Hektar auf dem Gebiet der heutigen Moravcova- und Tylova-Straße. Von den einstigen 36 stehen heute noch 31 Gebäude, die meisten von ihnen stammen aus der Zeit der großzügigen Umbauten Ende des 17. Jahrhunderts, die von der damaligen Obrigkeit gefördert wurden. Das jüdische Rathaus Nr. 259 ist ein Frühbarockbau nach den Plänen des berühmten Architekten G. P. Tencalla aus den Jahren 1687–1688. Bei der Tylova-Straße unterhalb der Pfarrkirche der Jungfrau Maria ist sogar als Unikat ein Teil der Separierungsmauer aus dem Jahre 1701 erhalten geblieben.

 

In Kroměříž wurden in den letzten Jahren etliche „Stolpersteine“ verlegt, die an deportierte/ermordete jüdische Bewohner erinnern.

KMPresserFelix.jpgKMPresserBedriska.jpgKMPresserPetr.jpgKMPresserTomas.jpg LOFF HERMAN.jpgLOFF ALFRED.jpgLOFF BEDRICH.jpgLOFF OTTO.jpg   LOFF ERNA.jpgLOFF IRENA.jpg Aufn. Patka, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 Zu den bekanntesten Persönlichkeiten, die die jüdische Gemeinde Kremsier hervorgebracht hat, zählen der Rabbiner Josef Weiss (geb. 1812, gest. 1897) und der 1828 geborene Emanuel Baumgarten, der als Journalist und Schriftsteller in Wien wirkte.

 

 

 

In der nur wenige Kilometer südlich von Kremsier (Kromeriz) liegenden kleinen Ortschaft Brumow (tsch. Brumov/Kreis Zlin, von 1949 bis 1990 Gottwaldov genannt, derzeit kaum 250 Einw.) - bildete sich nach 1830 eine kleine israelitische Gemeinde, die um 1930 ca. 100 Angehörige zählte. Die Deportation nach Theresienstadt 1941/1942 besiegelte das Ende der Zliner Gemeinde.

Der seit dem ausgehenden 18.Jahrhundert bestehende jüdische Friedhof befindet sich in einem Waldgelände nördlich der Ortschaft; ca. 70 Grabsteine sind erhalten geblieben. Seit 1993 findet man hier auch eine Gedenktafel für die Opfer des Holocaust aus der Region.

  Jüdischer Friedhof (Aufn. AlStr, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

 

In Koritschan (tsch. Korycany, derzeit ca. 2.800 Einw.) – ca. 25 Kilometer südwestlich von Kremsier (Kroměříž) – ist jüdische Ansiedlung seit der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts nachgewiesen. Inmitten des im Ostteil der Stadt gelegenen jüdischen Viertels, das aus etwa 40 Häusern bestand, befand sich die kleine Synagoge, die im Stile des Barock gegen Ende des 18.Jahrhunderts errichtet worden war. Bereits seit dem ausgehenden 17.Jahrhundert gab es hier einen jüdischen Friedhof; bis heute sind ca. 230 Grabsteine erhalten geblieben.

File:Korycany-Zidovsky hrbitov.jpg Friedhof in Korycany (Aufn. P., 2008, aus: commons.wikimedia.org, CCO)

Anfang des 20.Jahrhunderts war die kleine israelitische Gemeinde in Auflösung begriffen. 1930 lebten hier nur noch zwölf jüdische Bewohner.

Das Synagogengebäude wurde aufgegeben; das baulich erhaltene, umgebaute Haus, in dem sich heute ein kleiner Laden befindet, macht einen recht maroden Eindruck.

Ehem. Synagogengebäude (Aufn. P., 2008, aus: wikipedia.org, CCO)

 

 

Weitere Informationen:

Adolf Frankl-Grün, Geschichte der Juden in Kremsier (in drei Bänden). Breslau (1896), Pressburg (1898), Breslau (1901)

Theodor Haas, Juden in Mähren - Darstellung der Rechtsgeschichte und Statistik unter besonderer Berücksichtigung des 19.Jahrhunderts, Brünn 1908

Adolf Frankl-Grün, Die Kremsierer Judengasse, in: "Menorah", 5.Jg. (1927), Heft 9, S. 553 - 555

Hugo Gold (Bearb.), Geschichte der Juden in Kremsier, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn 1929, S. 295 - 300

Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1974, S. 71 - 77

Ferdinand Seibt (Hrg.), Die Juden in den böhmischen Ländern - Vorträge der Tagung des Collegiums Carolinum in Bad Wiessee (November 1981), Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1983

Wilma Iggers (Hrg.), Die Juden in Böhmen und Mähren. Ein historisches Lesebuch, München 1986

Germania Judaica, Band III/1, Tübingen 1987, S. 686

Jaroslav Klenovský, Jüdische Denkmäler Kremsiers, Brno (Brünn) 1996 (in tschechischer Sprache)

David Krestan, Virtuelle Rekonstruktion einer Synagoge in Kremsier (Tschechien), Diplomarbeit TU Wien 2013

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol. 2, S. 679/680 und Vol. 3, S. 1514

The Jewish Community of Kromeriz (Kremsier), Hrg. Beit Hatfutsot - The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/kromeriz

Auflistung der in Kroměříž (Kremsier) verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_im_Zlínský_kraj

Jewish Families from Kroměříž (Kremsier), Moravia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Kroměříž-Kremsier-Moravia-Czech-Republic/people/13164

Jewish Families from Koryčany (Koritschan), Moravia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Kory%25C4%258Dany-Koritschan-Moravia-Czech-Republic/11934

Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020