Langendiebach (Hessen)

Main-Kinzig-Kreis Karte Langendiebach bildet seit 1970 - zusammen mit Rückingen - die neue Samtgemeinde Erlensee im Main-Kinzig-Kreis - wenige Kilometer nördlich von Hanau gelegen (Kartenskizze 'Main-Kinzig-Kreis', aus: ortsdienst.de/hessen/main-kinzig-kreis).

 

Ein erster urkundlicher Hinweis auf die Existenz von Juden in Langendiebach stammt aus dem Jahre 1564; vermutlich dürften sich bereits im 14.Jahrhundert jüdische Familien in der Region aufgehalten bzw. zeitweilig gelebt haben. Eine Gemeinde bildete sich im Laufe des 18.Jahrhunderts heraus. Als "Schutzjuden" der Fürsten zu Ysenburg-Birstein war die Lebenssituation der Familien im 18.Jahrhundert schlecht; zumeist lebten sie auf Grund zahlreicher Restriktionen am Rande des Existenzminimums. Erst ab Mitte des 19.Jahrhunderts konnten die Juden Langendiebachs Grundbesitz erwerben und handwerkliche Berufe ergreifen; mit etwa 10% der Dorfbevölkerung erreichte die Judenschaft damals ihren zahlenmäßigen Höchststand.

Die Langendiebacher Juden besuchten bis gegen Mitte des 18.Jahrhunderts Synagoge und Schule in Rückingen. 1747 erbaten die jüdischen Einwohner von Langendiebach bei ihrem Landesherren um Erlaubnis, in einem Privathaus einen Betraum einzurichten. Nachdem die Grafen von Ysenburg-Büdingen dies gestattet hatten, konnten dann ab diesem Zeitpunkt am Ort eigene Gottesdienste abgehalten werden.

In der vom Fürsten Wolfgang Ernst erteilten Genehmigung hieß es:

Von Gottes Gnaden, Wolfgang Ernst, Fürst zu Ysenburg und Büdingen, ... wollen zwar der supplicirenden judenschafft vor sich und ihre nachkommen hierdurch in gnaden verstattet haben, daß dieselbe, so lange sie in Langendiebach in Schutz wohnen, ihren Gottesdienst daselbst in einem privat juden hauß halten mögen, dergestalten jedoch und mit dem expressen vorbehalt, daß sie mit solcher ihrer anzurichtenden Schule denen Kirchen- ambt- Pfarr- Rath- und Schulhäusern nicht zu nahe kommen, sondern davon entfernt bleiben und alljährlich und jüdischem jahr fünff gulden ... entrichten sollen.

                                                                                             Birstein 18.July                                                                                               Wolfgang Ernst F.z.Y.B.                   „

Um 1850 hatte die jüdische Gemeinde in einem einfachen Fachwerkgebäude in der Hauptstraße einen kleinen Synagogenraum mit ca. 30 Plätzen eingerichtet; im Haus befanden sich auch die Lehrerwohnung und ein Schulraum.

Für die Besorgung religiös-ritueller Aufgaben der Gemeinde war ein angestellter Lehrer zuständig. Fast vier Jahrzehnte übte diese Tätigkeit Lehrer Katzenstein aus.

  Stellenanzeigen von 1903

Aus einer Zustandsbeschreibung des Gebäudes in den 1930er Jahren: „ ... Die Synagoge von Langendiebach stand in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße 33 (damals Wilhelmstraße). Auf diesem Grundstück befand sich an der Straßenfront ein einstöckiges kleines Wohnhaus, bestehend aus Küche, Wohn- und Schlafzimmer, anschließend war ein Schulraum für jüdische Kinder. An das Wohnhaus schloß sich ein hölzernes Stallgebäude an. Über den unteren Stallungen befand sich die Synagoge, die keineswegs komfortabel ausgestattet und von außen nicht als Synagoge zu erkennen war. ..” Eine Mikwe war in der Hintergasse vorhanden.

Da die Langendiebacher Juden über keine eigene Begräbnisstätte verfügten, wurden ihre Verstorbenen auf dem kleinen jüdischen Friedhof im nahen Rückingen beerdigt. Für die Nutzung des Geländes war - neben einer alljährlichen Abgabe - jeweils ein Beerdigungsgeld fällig.

Juedischer Friedhof Rueckingen 01.jpgFriedhof in Rückingen (Aufn. L., 2014, aus: commons.wikimedia. org CC BY-SA 3.0)

Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Hanau.

Juden in Langendiebach:

         --- um 1700 ...................... eine jüdische Familie,

    --- 1835 .........................  96 Juden,

    --- 1861 ......................... 100   “  (ca. 10% d. Dorfbev.),

    --- 1871 .........................  59   "  ,

    --- 1895 .........................  66   "  ,

    --- 1905 .........................  57   “  (ca. 3% d. Dorfbev.),

    --- um 1930 ......................  12 Familien,

    --- 1933/34 .................. ca.  35 Juden,

    --- 1942 (März) ..................  11   "  ,

             (Aug.) ..................  keine.  

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 471

und                 Was geschah ...? Zur Geschichte der Juden und über Vorgänge von 1933 bis 1945 in Langendiebach

 

Zu Beginn des 20.Jahrhunderts kann die ökonomische Lage der Langendiebacher Juden im allgemeinen als gut bezeichnet werden; sie waren hauptsächlich im Vieh- und Textilhandel tätig.

Geschäftsanzeige der Metzgerei W. Hain  und  Stellungnahme des Provinzialrabbiners Dr. Hirschfeld (Februar 1928)

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten ca. zwölf jüdische Familien am Ort.

In der Pogromnacht von November 1938 wurde die Inneneinrichtung des Synagogenraums demoliert und anschließend Bücher und Ritualien auf die Straße geworfen und hier verbrannt; dann wurde versucht, das Dach mitsamt Gebälk einzureißen; später wurde das gesamte Gebäude dem Erdboden gleichgemacht. Die meisten jüdischen Bewohner verließen nun ihren Heimatort und emigrierten größtenteils nach Nordamerika. Die letzten elf verbliebenen jüdischen Einwohner wurden im Laufe des Jahres 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 25 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum in Langendiebach ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/langendiebach_synagoge.htm).

https://geschichtsverein-erlensee.de/wp-content/uploads/Infotafel-Juden-Diebach-1.jpg Am ehemaligen Standort des Synagogengebäudes steht seit 1961 eine Gedenktafel (Aufn. Geschichtsverein Erlensee). Über der Abbildung einer Menora stehen die Worte: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Herr (5.Mose, 6,4)“; dann folgt der Hinweis, dass hier einst die Synagoge stand.

Anm.: Diese vor allem auf Initiative des dortigen Pfarrer Wilhelm Wibbeling (1891-1966) angebracht Tafel war vermutlich eine der ersten ihrer Art in Hessen.

Anstelle von sog. „Stolpersteinen“ hat die Gemeindevertretung sich für die Anbringung von Gedenktafeln entschieden, die an die ermordeten jüdischen Bewohner erinnen sollen.

An der Wasserburg befindet sich diese Gedenktafel: https://geschichtsverein-erlensee.de/wp-content/uploads/Infotafel-Juden-komp.jpg (aus: geschchtsverein-erlensee.de)

 

 

Im nahegelegenen Rückingen bestand eine kleine jüdische Kultusgemeinde, die zusammen mit den wenigen Familien aus Niederrodenbach zu keiner Zeit mehr als 60 Angehörige umfasste.

[vgl. Rückingen (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 471 f.

Was geschah ...? “Zur Geschichte der Juden und über Vorgänge von 1933 bis 1945 in Langendiebach”, Ausstellungsheft, hrg. von der Evangelischen Kirchengemeinde Langendiebach, Erlensee 1988 (überarbeitete Version von 2015, online abrufbar unter: peter-gbiorczyk.de

Geschichtsverein Erlensee e.V., Jüdisches Leben und Kultur in Langendiebach und Rückingen, in: "Erlensee gestern und heute", 6.Jg. No.8/2002, S. 4 f.

Langendiebach, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

W.Borngräber/E.Hirchenhain/W.Sönning (Bearb.), „Sie lebten mitten unter uns". Aus der Geschichte der Juden aus Langendiebach und Rückingen, in: "Geschichtsblätter aus Erlensee", hrg. vom Geschichtsverein Erlensee e.V, Heft 2/2008

Die Judenverfolgung in der NS-Diktatur, in: Geschichtsverein Erlensee e.V. (Hrg.), Geschichte in Erlensee erleben, Abschnitt: Neueste Geschichte (online abrufbar unter geschichte-erlensee.de)

Geschichte der Gemeinde Erlensee. Die Synagogen, Geschichtsverein Erlensee e.V. (online abrufbar unter: geschichtsverein-erlensee.de)

ms/ea (Red.), Gedenktafeln erinnern an ermordete jüdische Mitbürger, in: „Erlensee Aktuell“ vom 17.5.2018