Langendorf (Schlesien)

Tost-GleiwitzFile:Gliwice Mapa.png - Wikimedia CommonsLangendorf - eine Ortschaft ca. 20 Kilometer nördlich von Gleiwitz gelegen - ist das heutige polnische Wielowieś mit derzeit ca. 3.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europa1900.eu und Kartenskizze 'Polen' mit Wielowieś rot markiert, aus: wikipedia.org, CCO).

 

Die jüdische Gemeinde Langendorf soll zeitweilig zu den bedeutenden jüdischen Gemeinden in Schlesien gezählt haben; in den Jahrzehnten um 1800 soll jeder vierte Einwohner Langendorfs mosaischen Glaubens gewesen sein.

Die Wurzeln der Langendorfer jüdischen Gemeinde lagen in den 1660er Jahren, als polnische Landjuden hierher kamen und sich niederließen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts begründete dann der Rabbiner Jonathan Bloch (geb. 1664, gest. 1722 in Langendorf) eine jüdische Gemeinde durch Einrichtung einer regelmäßig zusammentretenden Gebetsversammlung und Anlage eines Friedhofs.

In der Zeit der österreichischen Herrschaft war Langendorf eines der Zentren jüdischen Lebens in Schlesien; so soll gegen Ende des 18.Jahrhunderts jeder vierte Dorfbewohner mosaischen Glaubens gewesen sein. Ihren Lebensunterhalt bestritten sie als Hausierer und „Dorfläufer“, die in den ländlichen Siedlungen des Umlandes Rohprodukte aufkauften und diese für den Verkauf weiterverarbeiteten.

1771 weihte die Langendorfer Judenschaft ihre neue Synagoge ein, die ein älteres Bethaus ersetzte; es war der erste steinerne Synagogenbau in Preußisch-Schlesien; finanziert wurde der Bau durch ins Ausland abgewanderte Juden.

 Synagoge in Wielowies (Gminna Straße)    

Synagoge in Langendorf, hist. Aufn. (aus: sztetl.org.pl)  und Skizze (Quelle unbekannt)

Um 1700 war abseits des Dorfes der jüdische Friedhof angelegt worden, auf dem im Laufe der Jahrhunderte mehr als 2.000 Begräbnisse erfolgten. Der älteste heute noch erhaltene Grabstein ist der aus dem Jahr 1722 stammende des Rabbis Jonathan Bloch. Auf dem Friedhof fanden auch Verstorbene aus umliegenden Gemeinden ihre letzte Ruhe.

    reich ornamentierter Grabstein aus dem Jahre 1749 (Aufn. M. Wojcik)

Juden in Langendorf:

         --- 1709 ...........................   8 jüdische Familien,

    --- um 1750 ........................  29     “       “    ,

    --- 1783 ........................... 138 Juden (ca. 26% d. Bevölk.),

    --- 1817 ........................... 279   “  ,

    --- 1825 ........................... 158   “   (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1840 ........................... 168   “  ,

    --- 1855 ........................... 143   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1864 ........................... 140   “  ,

    --- 1880 ........................... 115   “   (ca. 5% d. Bevölk.)

    --- 1895 ...........................  75   “  ,

    --- 1905 ...........................  53   “  ,

    --- 1925 ...........................  30   “  ,

    --- 1942 ...........................  keine.

Angaben aus: Jan Pawel Woronczak, The cemetery of the Jewish community in Wielowies, S. 290

 

Nach dem preußischen Emanzipationsedikt von 1812 und der Abschaffung der restriktiven Lebensbedingungen zogen viele Juden weg, und die Ortschaft Langendorf verlor bald ihre wirtschaftliche Bedeutung. Lebten um 1815 noch ca. 300 jüdische Bewohner in Langendorf, so hatte sich ihre Zahl bis zur Jahrhundertmitte halbiert; auch danach setzte sich die Abwanderung gen Westen unvermindert fort. In den 1930er Jahren wohnten nur noch einige jüdische Familien im Ort.

Während des Pogroms von 1938 drangen auswärtige SA- und SS-Angehörige gewaltsam in das Synagogengebäude ein und schlugen alles kurz und klein. Von einer Brandlegung konnte sie der neue Eigentümer abhalten, der das Haus von der Gemeinde erworben hatte und es künftig als Getreidespeicher nutzte. (Anm.: Doch wurden alsbald die noch vorhandenen jüdischen Symbole entfernt: Synagogenkuppel mit Davistern wurden abgetragen.) Einheimische plünderten auch jüdische Geschäfte. Die jüdischen Männer wurden „in Schutzhaft“ genommen; kurz danach verließen auch deren Familien Langendorf für immer; ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Die letzten vier jüdischen Bewohner Langendorfs wurden im Mai/Juni 1942 via Gleiwitz nach Auschwitz-Birkenau deportiert.

 

Die jüdische Vergangenheit ist heute im Ort noch gegenwärtig: der Friedhof, das ehemalige (inzwischen stark veränderte) Synagogengebäude (Anm.: das einzig baulich erhalten gebliebene Synagogengebäude Oberschlesiens) und ehemalige Wohnhäuser von Juden sind noch vorhanden.

Ehem. Synagogengebäude (Aufn. K.Kurzacz 2007, aus: wikipedia.org CC BY-SA 3.0) 

Von der Innenausstattung der Synagoge ist ein Parochet aus dem Jahr 1783 erhalten geblieben; seit 1977 gehört dieser zur Sammlung des Museums „Żydowski Instytut Historyczny“ in Warschau.

Auf dem einst großen Friedhof steht heute aber nur noch ein Bruchteil der ehemals dort befindlichen Grabsteine (etwa 250); die meisten sollen nach 1945 "verschwunden" sein.

Friedhof in Wielowies (Aufn. P., 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

 

In der Ortschaft Tost (poln. Toszek, derzeit ca. 3.500 Einw.) - nur wenige Kilometer nördlich von Gleiwitz gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei) - erinnert heute noch ein jüdischer Friedhof daran, dass ehemals hier eine israelitische Gemeinde existiert hat. Begruben die Toster Juden ihre verstorbenen Gemeindeangehörigen zunächst auf dem Langendorfer Friedhof, so erfolgte in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts die Anlage einer eigenen Begräbnisstätte. Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden in der 1836 erbauten Synagoge statt.

Auf dem mit einer Mauer umgebenen jüdischen Friedhof von Toszek findet man heute nur noch sehr wenige Grabsteine, die von der Vegetation nahezu eingenommen sind.

Toszek cmentarz żydowski DSC 0983.jpg Toszek cmentarz żydowski DSC 0961.jpg

Jüdischer Friedhof in Toszek (Aufn. T. Górny, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Anm.: Nach Kriegsende wurden auf dem jüdischen Friedhof etwa 1.000 Todesopfer des sowjetischen NKWD-Lagers in Tost/Toszek beerdigt. Weitere 2.000 Tote wurden in einem Massengrab auf einem nahen Firmengelände verscharrt. In diesem Internierungslager - es bestand von Mai bis November 1945 - waren nahezu 5.000 deutsche Zivilpersonen aus Schlesien, dem Sudetenland und Sachsen eingesperrt.

 

 

 

Weitere Informationen:

Markus Brann, Etwas von der schlesischen Landgemeinde, in: Martin Philippson (Hrg.), Festschrift zum 70. Geburtstage Jakob Guttmanns - "Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums", Band 26, Leipzig 1915, S. 225 – 255

Kaatz, Aus der Vergangenheit der Gemeinde Langendorf (O/S), o.O. 1927

Bernhard Brilling, Von Werden und Sein einer jüdischen Dorfgemeinde. Zur Geschichte der Juden in Langendorf OS, in: "Jüdische Zeitung für Ostdeutschland", 7/18 (1937)

Jan Pawel Woronczak, The cemetery of the Jewish community in Wielowies, in: M. Wodzinski/J. Spyra (Hrg.), Jews in Silesia, Cracow 2001, S. 289 - 298

Arnulf Hein, Vom Ende der Langendorfer Judengemeinde, in: "Unser Oberschlesien", No. 21 vom 13.11.2003

Arnulf Hein, Vom Ende einer Judengemeinde, in: "Confinium",  Bd. 1/2, 2006, S. 303 f.

Wielowies, in: sztetl.org.pl

Grzegorz Kaminski (Red.), Jewish cemetery of Wielowies, in: kirkuty.xip.pl

Dawid Smolorz (Red.), Synagogen in Oberschlesien – trotz Pogromnacht erhalten geblieben, in: „Silesia News - Aktuelles & Wissenswertes aus Schlesien", Nov. 2021