Laubach (Hessen)

VerlaufLaubach – Wikipedia Laubach ist eine mittelhessische Kleinstadt mit derzeit ca. 9.800 Einwohnern (davon im Kernort ca. 6.000) – etwa 25 Kilometer östlich von Gießen gelegen (topografische Kartenskizze der Wetterau – Laubach am rechten oberen Kartenrand, aus: wikpedia.org GFDL  und  Kartenskizze 'Landkreis Gießen', Andreas Trepte 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Merian-Stich von 1655 (aus: wikipedia.org, CCO)

 

Erstmals wurde die Existenz von Juden in Laubach - damals unter der Herrschaft der Herren von Solms-Laubach stehend - im 17.Jahrhundert erwähnt; der erste namentlich bekannte Jude in Laubach war der „Jud Nathan". Eine jüdische Gemeinde bildete sich erst im folgenden Jahrhundert. Die wirtschaftliche Situation der wenigen hier lebenden Familien war damals schlecht, da die finanziellen Belastungen sehr hoch waren: so zog zum einen die gräfliche Rentkammer Judenschutzgeld und -zoll ein, zum anderen forderte auch die Ortsgemeinde Laubach verschiedene Abgaben, u.a. Wachgeld und den sog. Feuerschilling.

Eine Synagoge wurde 1780 in Laubach gebaut; gegen Ende des 19.Jahrhunderts erfolgte ein neuer Bau, möglicherweise auch ein Umbau, der neben ca. 50 Männerplätzen auch über 30 Frauenplätze verfügte.

                   Laubacher Synagoge (Aquarellskizze von Klaus Simonson)

Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch ein Frauenbad, das 1811 vor der alten Schlossmauer erstellt wurde; es wurde bis ca. 1890 benutzt.

               http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20208/Laubach%20Judenbad%20012.jpg

 Mikwe in Laubach, Bild-Vordergrund (Stahlstich E. William, um 1850)   -   ehemalige Mikwe (Aufn. von 1990)

Nach 1823 bestand zeitweise eine jüdische Schule, die aber auf behördliche Weisung alsbald ihren Betrieb wieder einstellen musste; danach besuchten die jüdischen Kinder die allgemeine Volksschule; nur der Religionsunterricht lag in den Händen eines jüdischen Lehrers. Dieser von der Kultusgemeinde verpflichtete Lehrer war zugleich als Vorbeter und Schächter tätig.

                                                 aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 18.9.1884 

In besonderer Erinnerung blieb Lehrer Emanuel Zodick, der seit 1885 fast ein halbes Jahrhundert in der Gemeinde tätig war.

Der kleine jüdische Friedhof in Laubach wurde vermutlich um 1800 am südlichen Rand der Ortschaft angelegt; die ältesten noch vorhandenen Grabsteine stammen aus der Mitte des 19.Jahrhunderts. 

Zur Gemeinde Laubach, die dem orthodoxen Provinzialrabbinat Oberhessen mit Sitz in Gießen zugehörig war, zählten auch die wenigen Juden aus dem nahen Ruppertsburg.

Juden in Laubach:

         --- um 1710 ......................   2 jüdische Familien,

    --- um 1760 ......................   6     “       “    ,

    --- 1816 .........................  77 Juden,

    --- 1830 ......................... 112   “  (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1861 ......................... 115   “  (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1880 .........................  65   “  ,

    --- 1905 .........................  57   “  (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1925 .........................  41   “  ,

    --- 1932 .........................  10 jüdische Familien,*     *incl. Ruppertsburg

    --- 1939 .........................   8 Juden,

    --- 1941 .........................   6   “  ,

    --- 1942 (Dez.) ..................   keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 478

und                 Die Laubacher Juden - Aufsätze, Dokumente, Skizzen

 

Ihren zahlenmäßigen Zenit erreichte die Kultusgemeinde gegen Mitte des 19.Jahrhunderts; danach setzte eine Abwanderung in die urbanen Zentren bzw. nach Übersee ein. Die allgemein in Oberhessen verbreitete antijüdische Grundstimmung schien aber nicht für die Abwanderung von Juden aus Laubach verantwortlich gewesen sein.

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch acht jüdische Familien am Ort, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich vom Handel bestritten. Nach der NS-Machtübernahme begann sehr schnell die Ausgrenzung der hier ansässigen Juden; wenige Jahre später war die „Arisierung“ jüdischen Eigentums abgeschlossen.

Vorläufiger Höhepunkt antisemitischer Ausschreitungen war auch in Laubach der Pogrom im November 1938: SA-Angehörige drangen in von Juden bewohnte Häuser ein und zerschlugen dort die Inneneinrichtungen; HJ-Mitglieder schändeten - unter Anleitung Erwachsener - den Synagogenraum, luden Bücher und Ritualien auf den Leichenwagen und ließen diesen dann "Auf der Helle" in Flammen aufgehen. Alle männlichen jüdischen Bewohner Laubachs wurden verhaftet. In einem Bericht der „Grünberger Heimatzeitung” vom 12.11.1938 war folgendes nachzulesen:

Laubach, 12. Nov. Antijüdische Aktion auch in Laubach. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Todes des Gesandtschaftsrates Dr. Ernst vom Rath, der an den Folgen des jüdischen Mordbubenstreiches in Paris verstarb, nahmen auch in Laubach weite Kreise der Bevölkerung an der spontanen Kundgebung gegen das Volk Israel teil. Am Donnerstagnachmittag wurden 7 Juden kurzerhand mit dem hiesigen Polizeiwagen in Schutzhaft gebracht. Fast zu gleicher Zeit wurde auch die Synagoge ausgeräumt und die Einrichtung mit Wagen auf die Helle transportiert und dort verbrannt. Das Gebäude ist erhalten geblieben. Die Stätte, wo einst die allem nichtjüdischen Wesen todfeindlichen Lehren des Talmud und des Schulchan-aruch gepflegt wurden, dient hoffentlich bald einem besseren Zweck. Die Bilanz der Aktion der erregten Bevölkerung zeigt: einige in Stücke gegangene Fensterscheiben, demolierte Einrichtungen, zerbrochenes Küchengeschirr und eine ausgeräumte Synagoge. ...

Es dauerte nicht lange, bis die Synagoge abgebrochen wurde; die entstandenen Abbruchkosten wurden mit dem Erwerb des Geländes „ausgeglichen“. Bei Kriegsbeginn lebten in Laubach nur noch drei jüdische Ehepaare, alle anderen waren emigriert bzw. verzogen. Mitte September 1942 wurden die letzten vier jüdischen Bewohner mit einem offenen Lastwagen aus Laubach abtransportiert; vermutlich wurden sie kurz darauf in ein „Lager im Osten“ deportiert. Ebenso erging es der letzten in Ruppertsburg lebenden Familie.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich 17 aus Laubach stammende Juden Opfer der Shoa geworden; aus Ruppertsburg waren es acht Personen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe:alemannia-judaica.de/laubach_synagoge.htm).

 

1978 wurde eine von der Kommune Laubach gestiftete Erinnerungstafel am Standort der abgerissenen Synagoge angebracht.

Anlässlich des 70. Jahrestages der Pogromnacht von 1938 wurde auf der Helle ein Mahnmal (eine Basaltstele) errichtet; auf einer Bronzetafel sind die Namen von 33 Juden aus Laubach und acht aus Ruppertsburg verzeichnet. Das bis gegen Ende des 19.Jahrhunderts genutzte Frauenbad, ein kleines Fachwerkhäuschen, war 1906 vom Apotheker Rossbach erworben, niedergelegt und anschließend im Garten hinter der Hof-Apotheke in der Stiftstraße wieder aufgestellt worden; es ist bis heute erhalten.  

Auf dem ca. 600 m² großen jüdischen Friedhofsgelände – unter hohen Bäumen versteckt am Rande des Ortes liegend - stehen heute noch 43 Grabsteine. Im Laufe seines Bestehens dürften hier insgesamt etwa 80 Begräbnisse stattgefunden haben.

Aufn. Th. Brückner, 2020, aus: giessener-allgemeine.de/

Seit 2019 erinnern zwölf sog. „Stolpersteine“ an ehemalige jüdische Bewohner Laubachs, die Opfer der NS-Herrschaft geworden sind. Ein Jahr später fanden weitere elf Steine an vier Standorten ihren Platz. Mittlerweile hält für jeden der 34 Laubacher und Ruppertsburger Juden ein solcher Stein die Erinnerung wach; die letzten neun messingfarbenen Steinquader waren 2021 verlegt worden.

 

 

 

Weitere Informationen

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 478/479

David Cohen/Helge Braunroth (Red.), Die Laubacher Juden - Aufsätze, Dokumente, Skizzen, Hrg. Friedenskooperative Laubach - Freiensen - Gonterskirchen - Grünberg – Mücke zum 50.Jahrestag der „Reichskristallnacht“, Laubach/Gießen 1988 (darin: Rüdiger Mack (Bearb.), Laubacher Juden vor 1933 und Antisemitismus in Oberhessen)

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, hrg. vom Studienkreis Deutscher Widerstand, 1995 S. 41 - 43

Werner Becker, Das Judenbad in Laubach, in: Laubacher Hefte 7, Hrg. Heimatkundlicher Arbeitskreis Laubach e.V., Laubach o. J. 

Friedrich Damrath, Der jüdische Friedhof in Laubach, in: "Laubacher Hefte", No. 7, Hrg. Heimatkundlicher Arbeitskreis Laubach e.V., Laubach o.J. 

Laubach, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Stadtverwaltung Laubach/Hessen (Bearb.), Der jüdische Friedhof, online unter: laubach-online.de

Hanno Müller/Friedrich Damrath/u.a., Juden in Laubach und Ruppertsburg, hrg. von der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung in Lich, Lich 2015 (Anm. mit einer Bilddokumentation der Grabsteine des Laubacher Friedhofs)

Thomas Brückner (Red.), Ehrung und Mahnung zugleich, in: "Gießener Allgemeine“ vom 21.6.2019 (betr. Verlegung von "Stolpersteinen")

rrd (Red.), Weitere Stolpersteine in Laubach verlegt, in: „Gießener Anzeiger“ vom 21.9.2020

Thomas Brückner (Red.), „Die Erinerung schmerzt“, in: „Gießener Allgemeine“ vom 6.11.2020

Constantin Hoppe (Red.), Immerwährende Mahnung, in: „Gießener Allgemeine“ vom 5.9.2021

Heinz-Gerhad Schütte (Red.), Synagoge niedergebrannt und Abriss in Rechnung gestellt, in: „Gießener Anzeiger“ vom 10.11.2023