Lauchheim (Baden-Württemberg)
Lauchheim ist mit derzeit knapp 5.000 Einwohnern die kleinste Stadt im Ostalbkreis - ca. 15 Kilometer nordwestlich vom bayrischen Nördlingen gelegen (Ausschnitt aus geognostischer Karte von 1834 'Nördlinger Ries' mit Eintrag von Lauchheim, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Ostalbkreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Wurzeln der jüdischen Gemeinde in Lauchheim reichen bis Mitte des 17.Jahrhunderts zurück, als der Deutschordens-Komtur Philipp von Gravenegg sechs aus der Grafschaft Baldern ausgewiesenen jüdischen Familien erlaubte, sich im Orte niederzulassen (1658). Der katholische Geistliche hatte vergebens gegen deren Zuzug protestiert. Das Wohngebiet der jüdischen Bevölkerung konzentrierte sich bis ins 19.Jahrhundert auf die „Judengasse“, die Obere und Untere Bleichstraße; hier befanden sich auch ihre gemeindlichen Einrichtungen. Wiederholt nahm die Herrschaft „ihre“ Juden gegen Übergriffe der christlichen Bevölkerung in Schutz.
Eine bereits um 1690 erwähnte Synagoge wurde 1743 durch einen Brand zerstört; knapp drei Jahrzehnte später wurde - mit herrschaftlicher Erlaubnis - ein neues Gebäude erstellt, das gegen Mitte des 19.Jahrhunderts vergrößert wurde, um der gestiegenen Zahl der Gemeindemitglieder Rechnung zu tragen; dabei verschuldete sich die Gemeinde noch mehr. Ab ca. 1855 stand den Gemeindeangehörigen ein weiteres Gebäude zur Verfügung, in dem die Schule und die Mikwe untergebracht waren. Religiöse Betreuung fand durch einen seitens der Gemeinde angestellten Lehrer statt, der auch als Vorbeter und Schächter tätig war.
Verstorbene Juden aus Lauchheim wurden auf dem jüdischen Friedhof bei Aufhausen begraben.
Von ca. 1715 bis 1750 war Lauchheim Sitz eines Rabbinates; danach gehörte die Gemeinde ca. 50 Jahre zum Rabbinat Ellingen, bis 1832 zum Rabbinat Wallerstein und schließlich zum württembergischen Rabbinat Oberdorf.
Juden in Lauchheim:
--- um 1660/70 ..................... 6 jüdische Familien,
--- 1717 ........................... 61 Juden,
--- 1788 ........................... 88 “ (in 18 Familien),
--- 1807 ........................... 78 “ ,
--- 1843 ........................... 124 “ ,
--- 1858 ........................... 176 “ ,
--- 1869 ........................... 143 “ ,
--- 1886 ........................... 108 “ ,
--- 1900 ........................... 47 “ ,
--- 1925 ........................... 11 “ ,
--- 1933 ........................... 7 “ ,
--- 1942 (Juli) .................... 6 " ,
(Sept.) ................... keine.
Angaben aus: P. Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale ..., S. 114
Noch zu Beginn des 19.Jahrhunderts lebten die hier ansässigen jüdischen Kleinhändler zumeist am Rande des Existenzminimums; ihre wirtschaftliche Situation besserte sich allmählich erst unter württembergischer Herrschaft (ab 1806). Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts hatte die jüdische Gemeinde in Lauchheim ihre Blütezeit erreicht; sie zählte jetzt knapp 180 Mitglieder. Vor allem junge Familien wanderten danach zunehmend in größere Städte ab, die bessere sozioökonomische Perspektiven boten.
zwei Briefköpfe von Rechnungen jüdischer Firmen Lauchheims (aus: Sammlung P.K.Müller)
Anzeigen von 1913 (aus: Sammlung P.K.Müller)
Die Kultusgemeinde musste sich Anfang der 1920er Jahre schließlich auflösen; die wenigen verbliebenen Juden wurden der israelitischen Gemeinde Oberdorf a. Ipf zugewiesen. Bereits ein Jahr zuvor war das Synagogengebäude verkauft worden. Obwohl sich das Synagogengebäude schon mehr als 15 Jahre in Privathand befand, wurde während des Novemberpogroms von 1938 versucht, es in Brand zu setzen.
Ende August 1942 wurden die letzten sechs jüdischen Frauen nach Riga bzw. Theresienstadt deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 18 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Juden Lauchheims Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/lauchheim_synagoge.htm).
Das bis 1965 als Scheune dienende einstige Synagogengebäude wurde Jahre später abgebrochen, das freigewordene Gelände anschließend neu bebaut.
Relikte im Innern kurz vor dem Abbruch des Gebäudes - Abbruch des Synagogengebäudes (Aufn. um 1965, Stadt Lauchheim)
Im Lauchheimer Heimatmuseum erinnern heute noch einige Exponate an die jüdische Geschichte des Ortes.
In der Höllgasse wurde 2018 eine Gedenkstele zur Erinnerung an die frühere israelitische Gemeinde aufgestellt. Die von Lauchheims Altbürgermeister Werner Kowarsch gestaltete Stele erinnert auch an Isaak Hess (1789-1866), der aus Lauchheim stammte.
Der bedeutendste Vertreter der jüdischen Gemeinde Lauchheims war der Antiquar und Buchhändler Isaak Hess, der ab 1817 für einige Jahre Vorsteher der hiesigen Gemeinde war und sich damals als Kandidat für den Vorsitz aller jüdischen Gemeinden im damaligen Königreich Württemberg beworben hatte. Hess spielte in der Emanzipationsbewegung der württembergischen Juden im 19.Jahrhundert eine nicht unbedeutende Rolle. Sein soziales Engagement galt u.a. auch der Versorgung und Bildung jüdischer Waisenkinder. In Lauchheim hatte Isaak Hess ein Buchantiquariat eröffnet, das er 1838 nach Ellwangen verlegte; seine Firma entwickelte sich zu einem der herausragendsten Buchantiquariate seiner Zeit.
Seit 2020 erinnern an drei Standorten acht sog. „Stolpersteine“ an ehemalige jüdische Bewohner, die in der NS-Zeit verfolgt und ermordet wurden; bei einer 2. Verlegeaktion kamen im Ortszentrum weitere sieben Steine hinzu.
Weitere Informationen:
Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S. 113/114
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 426
W.Kowarsch, Die jüdische Gemeinde zu Lauchheim, Maschinenmanuskript, Lauchheim 1989
Felix Sutschek (Red.) Zur Geschichte der Juden im Ostalbkreis /Bopfingen, Schwäbisch Gmünd, Ellwangen, Nördlingen, Grafnschaft Oettingen, Balden, Neresheim, Pflaumloch, Aufhausen, Oberndorf, Lauchheim), in: Verein Rieser Kulturtage (Hrg.), Rieser Kulturtage - Dokumentation, Band XV/2004, Nördlingen 2005, S. 305 - 326
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 281/282
Lauchheim, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Winfried Kießling, Die Juden zu Lauchheim, Teil 1: Während der Herrschaft des Deutschen Ordens (Kommende Kapfenburg), in: "ostalb/einhorn - Vierteljahreshefte für Heimat und Kultur im Ostalbkreis", Folge 1, Heft 139/2008, S. 189 – 204 und Folge 2, Heft 140/2008, S. 265 - 277
Winfried Kießling, Die Juden zu Lauchheim, Teil 2: Die Württembergische Zeit, in: "ostalb/einhorn - Vierteljahreshefte für Heimat und Kultur im Ostalbkreis", Folge 1, Heft 141/2009, S. 23 - 40 und Folge 2, Heft 142/2009, S. 131 - 144
Winfried Keßling (Red.), 350 Jahre Juden in Lauchheim - Aus der Grafschaft Oettingen-Baldern vertrieben und in der Deutschordensstadt aufgenommen (Kommende Kapfenburg, Ellwangen), in: Verein Rieser Kulturtage (Hrg.), Rieser Kulturtage - Dokumentation, Band XVII/2008, Nördlingen 2009, S. 259 - 295
Franz Mayer (Red.), Stele erinnert an israelitische Gemeinde, in: „Schwäbische. Ipf- u. Jagst-Zeitung“ vom 14.8.2018
Stolpersteininitiative Lauchheim (Hrg.), Stolpersteine in Lauchheim - Flyer anlässlich der Verlegung der acht Stolpersteine, 2020 (Anm. mit Kurzbiografien der betroffenen Personen)
Franz Mayer (Red.), Acht Steine erinnern in Lauchheim an ermordete jüdische Mitbürger, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 21.9.2020
Bürgermeisteramt der Stadt Lauchheim (Hrg.), 8 Stolpersteine in Lauchheim verlegt. verschleppt – vernichtet – verleugnet, in: „Stadtanzeiger Lauchheim“ vom 24.9.2020
Franz Mayer (Red.), In Lauchheim werden Stolpersteine verlegt, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 14.11.2022 bzw. 28.11.2022