Lechenich (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Erftstadt in BM.svg Lechenich ist heute zweitgrößter Ortsteil von Erftstadt (Rhein-Erft-Kreis) mit derzeit ca. 11.000 Einwohnern - ca. 20 Kilometer südwestlich von Köln gelegen (hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, Bild-PD-alt und Kartenskizze 'Rhein-Erft-Kreis', TUBS 2008, aus: wikipedia-org, CC BY-SA 3.0).

 

Juden werden im Amt Lechenich erstmals im 13.Jahrhundert erwähnt; zu dieser Zeit soll es hier auch ein Bethaus gegeben haben. Ob sich die Juden dauerhaft in Lechenich angesiedelt hatten, ist unbekannt. Seit dem 17.Jahrhundert waren dann im Ort kontinuierlich jüdische Familien ansässig.

Die erste nachweisbare Betraum der Juden Lechenichs befand sich um 1800 in einem Privathaus in der "Judengasse"; er setzte sich aus einem größeren für Männer und einem kleineren für Frauen zusammen; bis 1798 hatte es als Betsaal des Amtes Lechenich, dessen Einzugsbereich bis Blatzheim reichte, gedient. In der Folgezeit war es dann bis 1886 der Betsaal der jüdischen Synagogengemeinschaft Lechenich. Unmittelbar an das Gebäude grenzte der Abgang zur Mikwe. Seit 1848 bildeten die Ortschaften Lechenich, Friesheim und Gymnich eine Synagogengemeinde.

                 Aus dem Statut der „Dreigemeinde“ Lechenich:

§ 1.

Die Synagogengemeinde Lechenich umfaßt folgende Spezial-Gemeinden:

         a. Lechenich, hierzu gehören die Ortschaften Lechenich, Erp, Bleßem, Liblar, Bliesheim und Roggendorf;

         b. Gymnich, hierzu gehören die Ortschaften Gymnich und Dirmerzheim;

         c. Friesheim, hierzu gehört der Ort Friesheim.

                                                                                                  § 2.                                                 

Alle innerhalb der vorgenannten Ortschaften wohnenden Juden sind Mitglieder der Synagogen-Gemeinde Lechenich.  ...

§ 5.

Jede Spezial-Synagogen-Gemeinde bestreitet ihre Ausgaben selbst und keine Spezial- Gemeinde kann zu Beiträgen einer anderen Spezial-Gemeinde, sei es für die Synagoge, den Lehrer oder andere Gegenstände, angehalten werden. Das Vermögen der Spezial-Gemeinden ... bleibt getrennt und ist nur für die Bedürfnisse der betreffenden Spezial-Gemeinde bestimmt.  ...

(aus: Karl Stommel, Die Juden in den Orten der heutigen Stadt Erftstadt, S. 24)

Mitte der 1880er Jahre konnte die Lechenicher Judenschaft ihren Synagogenneubau gegenüber der alten Synagoge einweihen; der Ziegelbau im neomaurischen Stil bot etwa 100 Personen Platz. Die Weihefeier nahm am 10.September 1886 der Kölner Rabbiner Dr. Abraham Frank gemeinsam mit dem Kantor der Kölner Gemeinde, Isidor Blumenthal, vor.

Über die Einweihung der neuen Synagoge in Lechenich gab die Zeitschrift „Illustrirte Welt“ in einer ihrer Ausgaben des Jahres 1886 eine ganzseitige graphische Darstellung heraus.

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               Synagoge Lechenich - Vergrößerung aus obiger Illustration (aus: Sammlg. Bartsch)  -  Modell der Synagoge Lechenich (Christoph Meixner)

Wer „Eintrittsgeld zur Gemeinde“ gezahlt hatte, dem stand ein fester Platz in der Synagoge zu. Wurde ein Sitz durch Ausscheiden aus der Gemeinde frei, war es Pflicht vorzurücken.

Mit der Einweihung der neuen Synagoge 1886 wurde das alte Gotteshaus profaniert; danach bewohnten jüdische Familien das Gebäude. Neben der Synagoge entstand im Jahre 1905 ein neues jüdische Schulgebäude, das im Ersten Weltkrieg abbrannte. Da zu diesem Zeitpunkt die Schülerzahlen bereits stark gesunken waren, sah man von einem Wiederaufbau des Schulgebäudes ab; die jüdischen Kinder besuchten in der Folgezeit die israelitische Schule in Zülpich.

Ihre Toten begruben die Lechenicher Juden auf dem alten Friedhof an der Schleifmühle; diese Begräbnisstätte - sie war vom Kölner Erzbischof den Juden gegen die jährliche Abgabe überlassen worden - war um 1890 belegt, sodass um die Jahrhundertwende ein neuer jüdischer Friedhof am Römerhofweg eröffnet wurde.

Juden in Lechenich:

    --- 1801 ...........................   8 jüdische Familien,

    --- 1828 ...........................  73 Juden,

    --- 1843 ...........................  70   “  ,

    --- 1854 ...........................  95   “  ,

    --- 1869 ........................... 100   “  ,

    --- 1885 ........................... 110   “  ,

    --- 1900 ...........................  94   “  ,

    --- 1930 ...........................  53   “  ,

    --- 1932/33 ........................  74   “  ,

    --- 1942 (Aug.) ....................  keine.

Angaben aus: Karl Stommel, Die Juden in den Orten der heutigen Stadt Erftstadt

und                 Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein ..., S. 252

Marktplatz in Lechenich  -  Bonner Tor/Rotbachbrücke, um 1895/1900 (Aufn. aus: wikipedia.org, PD-alt-100)

 

Im Gegensatz zu anderen Orten wies die Stadt Lechenich eine hohe Fluktuation der jüdischen Bevölkerung auf.

Zu Beginn der 1930er Jahre verließen jüdische Familien Lechenich; antisemitische Hetze verstärkte noch den Trend zur Abwanderung in die Großstädte, vor allem nach Köln.

Während des Novemberpogroms von 1938 setzten SA-Angehörige und Polizeibeamte die Lechenicher Synagoge in Brand, nachdem das Mobiliar zertrümmert worden war; das Gebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder.

zerstörte Synagoge zerstörte Lechenicher Synagoge (Abb. aus: modelle-alter-kirchen.de)

Während des Krieges wurde die Synagogenruine von Kriegsgefangenen abgetragen; auf dem Grundstück wurde dann ein Luftschutzbunker gebaut. Von den deportierten Lechenicher Juden überlebte nur eine Frau; nach derzeitigem Kenntnisstand wurden elf in Minsk, vier in Riga, vier in Auschwitz, drei in Lodz, vier in Theresienstadt und zwei an unbekannten Orten ermordet.

 

Am Gebäude der einstigen jüdischen Schule ist seit 1983 die abgebildete Gedenktafel angebracht:

  Gedenktafel (Aufn. Willy Horsch,2009, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)

Als einziges jüdisches Bethaus aus der Zeit vor 1800 im heutigen Rhein-Erft-Kreis hat die „alte Synagoge“ an der Judenstraße 9 die Zeiten überdauert. Der alte jüdische Friedhof an der Schleifmühle weist nur noch sieben Grabsteine auf; der älteste stammt aus dem Jahre 1689. Das Areal ist derzeit in einem ungepflegten Zustand.    

                                  Schmierereien auf dem jüdischen Friedhof (Aufn. H. Komuth, 2012)

Auf dem ca. 1.350 m² großen Areal des neuen jüdischen Friedhofs am Römerhofweg findet man heute noch ca. 30 Grabsteine, die allerdings nicht mehr an ihren ursprünglichen Platz stehen.

  Lechenich-jüdischer-Friedhof-Grabstätten-002.JPG

  Zugang zum jüdischen Friedhof und Teilansicht (Aufn. Willy Horsch, 2009, aus: commons.wikimedia.CC BY 3.0)

Vor ehemaligen Häusern ermordeter Juden erinnern sog. „Stolpersteine“; insgesamt zählt man ca. 30 verlegte Steine (Stand 2023).

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/13/12-06_Lechenich_Stolpersteine_37.JPGhttps://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/70/12-06_Lechenich_Stolpersteine_04.JPGhttps://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f7/12-06_Lechenich_Stolpersteine_28.JPG

"Stolpersteine" - verlegt am Workinghamplatz, Klosterstraße u. Bonner Straße (Aufn. A. Raschka, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

In anderen Teilen von Erftstadt, so in Friesheim und Gymnich, existierten ebenfalls sehr kleine jüdische Landgemeinden mit eigenem Betraum und Friedhof.

 

 

Die Synagogengemeinde Friesheim war seit 1848 der Spezialgemeinde Lechenich angeschlossen; 1861 erreichte die Friesheimer Judenschaft mit ca. 60 Personen ihren Höchststand. Aus dieser Zeit stammt auch ein eigener, kleiner Synagogenbau am Niederweg. Bereits um 1850 war ein eigener Friedhof angelegt worden. Anfang der 1930er Jahre lebten noch ca. 25 Juden in Friesheim. Am 10.November 1938 wurde das Synagogengebäude mit Hilfe der Feuerwehr niedergerissen. Friesheimer Juden, denen eine Emigration nicht gelungen war, wurden 1941 zusammen mit in Erp, Friesheim und Lechenich lebenden Juden in einem „Judenhaus“ in Friesheim zusammengelegt; 1942 erfolgte ihre Deportation „in den Osten“.

Seit 2010 erinnert eine Straße an Salomon Franken, dem letzten Vorbeter der kleinen Gemeinde.

Das jüdische Begräbnisgelände - gelegen an der Landstraße in Richtung Niederberg - weist derzeit noch ca. zehn Grabsteine auf.

Jüdischer Friedhof Friesheim 01.JPG Friedhof in Friesheim (Aufn. P., 2010, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)

 

 

In Gymnich lebten bereits in der ersten Hälfte des 18.Jahrhundert wenige jüdische Familien. Wie Friesheim war seit 1848 auch die Gymnicher Judenschaft der Synagogengemeinde Lechenich angeschlossen. Gottesdienste wurden in einem Betraum im Obergeschoss eines Privathauses in der Schützenstraße abgehalten; dieser war ab 1911 im Besitz der Gemeinde. 1938 wurde der Synagogenraum in Brand gesteckt; bei einem Luftangriff 1945 das Gebäude vollständig zerstört. Die Juden, die nicht mehr rechtzeitig emigrieren konnten, wurden zusammen mit Liblarer und einigen Lechenicher Familien in einem „Judenhaus“ am Kunibertusplatz zusammengelegt, 1942 deportiert und in den Vernichtungslagern ermordet.

Der um 1840/1845 angelegte jüdische Friedhof in Gymnich weist heute noch 27 Grabsteine auf, deren Inschriften teilweise nicht mehr lesbar sind.

Friedhof in Gymnich (alle Aufn. A. Raschka, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 JF Gymnich Stein 03.JPG JF Gymnich Stein 22 23.JPG JF Gymnich Stein 12.JPG Grabstelen

Im Jahre 1988 errichtete die Stadt Erftstadt hier einen Gedenkstein für die von den Nationalsozialisten ermordeten Gymnicher Juden; dessen Inschrift lautet: „Im Gedenken an die deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens, die 1942 durch nationalsozialistische Gewaltherrschaft aus Gymnich deportiert und im Osten ermordet wurden“

Gedenkstein mit -tafel (Aufn. Achim Raschka, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Wenige Überreste von ehemaligen jüdischen Begräbnisstätten finden sich heute noch in den Stadtteilen Dirmerzheim, Erp und Liblar.

Friedhof in Liblar (Aufn. P.,2010, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0) 

Stolpersteine NRW – Stolperstein Johanna Levy | WDR 2009 wurden in Liblar entlang der Carl-Schurz-Straße insgesamt zehn sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige jüdischer Familien erinnern, die während der NS-Zeit verfolgt, deportiert und ermordet wurden (Abb., 2010, aus: stolpersteine.wdr.de).

 

 

Das nur ca. 50 m² umfassende jüdische Begräbnisgelände von Dirmerzheim - flächenmäßig kleinster Friedhof im Rhein-Erft-Kreis - besitzt nur noch drei Grabsteine. Vor 1870 waren verstorbene Dirmerzheimer Juden auf dem Friedhof in Gymnich beigesetzt worden.

Friedhof in Dirmerzheim (Aufn. P., 2010, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)

 

 

Der jüdische Friedhof in Erp weist heute nur noch sieben Grabsteine auf. Das von ca. 1865 bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges belegte Areal war ursprünglich mehr als 3.000 m² groß. Ein Gedenkstein mit -tafel weist die Freifläche als ehemaligen jüdischen Friedhof aus.

Jüdischer Friedhof Erp 06.JPG Aufn. P. 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY 3.0)

 

 

Weitere Informationen:

Karl Stommel, Die Juden in den Orten der heutigen Stadt Erftstadt, Erftstadt, o.J.

Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein ...", Band 12, Verlag L.Schwann, Düsseldorf 1972, S. 75 - 77, S. 98 - 100 und S. 138 - 144

Cornelius Bormann, Die Juden in den Orten Erftstadts um 1800 - ein Rundgang, in: "Jahrbuch der Stadt Erftstadt 1991", S. 76 f.

L.Heid/J.Schoeps (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Rheinland, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin 1992, S. 100 f.

Heidi u. Cornelius Bormann, Heimat an der Erft. Die Landjuden in den Synagogengemeinden Gymnich, Friesheim und Lechenich, Erftstadt 1993

Heidi u. Cornelius Bormann, Heimat an der Erft. Die Landjuden in den Synagogengemeinden Friesheim, Gymnich und Lechenich, in: "Veröffentlichungen der Stadt Erftstadt", Hrg. Magistrat der Stadt Erftstadt, Kerpen 1994

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - eine Dokumentation, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1995, S. 538

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 183 - 187

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 173, S. 218 und S. 331/332

Jörg Füchtner, Das Ende des jüdischen Teils der Lechenicher Bevölkerung, in: "Jahrbuch Erftstadt 2009"

Christoph Meixner, Modell der Synagoge von Lechenich, online abrufbar unter: modelle-alter-kirchen.de/seite/425940/lechenich-synagoge.html

Gabriele Rupprecht (Red.), Lechenicher Synagoge – Wiederauferstehung als Papiermodell, in: „Rheinische Anzeigenblätter“ vom 16.1.2020

Auflistung der in Lechenich verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/stolpersteine_in_Lechenich