Lengfeld/Odenwald (Hessen)
Lengfeld mit derzeit ca. 2.400 Einwohnern ist einer von sechs Ortsteilen von Otzberg im südhessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg – ca. 25 Kilometer östlich von Darmstadt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, ohne Eintrag von Lengfeld/Otzberg, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizzen 'Landkreis Darmstadt-Dieburg' Otzberg rot markiert, Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und 'Ortsteile von Otzberg', D. 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im kurpfälzischen Lengfeld hatten sich bereits im 17.Jahrhundert einzelne jüdische Familien niedergelassen.
Um 1800 richtete der wohlhabende Lengfelder Jude Peßach Lehmann eine Synagoge in der Salzgasse ein; zwei Jahrzehnte später ließ der Stifter auf dem gleichen Grundstück sein Privathaus bauen und die Synagoge in dieses integrieren; Gottesdienstbesucher erreichten die Synagoge nur noch über das Privathaus.
Ehem. Synagoge (Skizze von 1942)
In der Otzbergstraße gab es seit 1886 eine jüdische Schule, in der auch eine Mikwe untergebracht war.
Zur Erledigung religiös-ritueller Aufgaben war seitens der Gemeinde im 19. Jahrhundert zeitweise ein Religionslehrer angestellt.
Stellenangebote aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 3.10.1877 und vom 14.10.1902
Verstorbene Lengfelder Juden wurden auf dem jüdischen Friedhof in Dieburg beerdigt.
Die jüdische Gemeinde in Lengfeld unterstand dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt II.
Juden in Lengfeld:
--- 1815 ......................... 2 jüdische Familien,
--- 1829/30 ...................... 29 Juden,
--- 1867 ......................... 57 “ ,
--- 1880 ......................... 54 “ ,
--- 1900/05 ...................... 53 “ ,
--- 1925 ......................... 33 “ ,
--- 1939 (Dez.) .................. keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 485
Die Juden Lengfelds verdienten zumeist ihren Lebensunterhalt als Kleinkaufleute.
Kleinanzeigen von 1890 und 1921
1932 wurde das Synagogengebäude verkauft, da nur noch sehr wenige jüdische Familien am Orte ansässig waren und ihr Gotteshaus nun nicht mehr nutzten.
Auf Initiative des Bürgermeisters und NSDAP-Ortsgruppenleiters zog am 9.November 1938 ein etwa 40köpfiger SA-Trupp - unter den Augen zahlreicher Schaulustiger - zu den beiden verbliebenen jüdischen Geschäften im Ort und demolierte Laden- und Wohnungseinrichtungen; zahlreiche Ortsbewohner beteiligten sich an den Zerstörungen. Bis Kriegsbeginn hatten alle jüdischen Bewohner Lengfeld verlassen, waren emigriert bzw. nach Frankfurt/M. oder Darmstadt verzogen.
Zwei J-Kennkarten von zwei aus Lengfeld stammenden Juden – ausgestellt in Frankfurt bzw. in Darmstadt
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 13 gebürtige jüdische Bewohner Lengfelds Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/lengfeld_synagoge.htm).
In Lengfeld haben das ehem. Synagogengebäude - heute kaum noch als solches zu erkennen - und die Schule die Zeiten überdauert.
Seit 1988 erinnert an der Otzbergschule in Lengfeld ein Mahnmal an die Ermordung der ehemaligen jüdischen Einwohner der Teilorte von Otzberg; dessen Inschrift lautet:
Den Juden, die in Lengfeld, Habitzheim und Ober-Klingen verfolgt und der Vernichtung preisgegeben wurden,
zum Gedächtnis - uns selber und künftigen Generationen zur Mahnung.
Die Liebe besiegt den Haß !
Otzberg, am 50. Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht.
Mahnmal (Aufn. J. Hahn, 2009)*
* Dieses in der Art eines Trümmerfeldes gestaltete Mahnmal soll die Erinnerung an die aus den Teilgemeinden von Otzberg stammenden umgekommenen Bewohner mosaischen Glaubens wach halten.
In Ober-Klingen - einem anderen Ortsteil von Otzberg - existierte eine kleine jüdische Gemeinde vermutlich seit Mitte des 18.Jahrhunderts; ihren personellen Zenit erreichte sie um 1860 mit ca. 60 Angehörigen; um 1900 waren es nur noch ca. 45 Personen. Zu den Gemeindeeinrichtungen gehörten ein Betraum, eine Religionsschule und eine Mikwe. Verstorbene wurden auf dem israelitischen Friedhof in Dieburg beerdigt. Mit der Deportation der letzten zwölf Juden aus Ober-Klingen endete 1942 jegliches jüdisches Leben im Dorf.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 37 gebürtige bzw.s. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner Ober-Klingens Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/ober-klingen_synagoge.htm).
Das ehemalige Synagogengebäude wurde Ende der 1970er Jahre abgerissen.
vgl. Ober-Klingen (Hessen)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Band 1, S. 485/486 (Lengfeld) und Bd. 2, S. 151 (Ober-Klingen)
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 133
Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 242
Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? Königstein i.Ts. 1988, S. 132
Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? Teil II, Königstein i.Ts. 1994, S. 113
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, 1995, S. 42/43
Thomas Lange (Hrg.), ‘L’chajim’ - Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, Hrg. Landkreis Darmstadt-Dieburg, Reinheim 1997, S. 96 – 99 und S. 222/223
Lengfeld, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Oberklingen, in: alemannia-judaica.de