Klingenberg/Main (Unterfranken/Bayern)

Datei:Klingenberg am Main in MIL.svg Klingenberg am Main ist eine fränkische Kleinstadt mit derzeit ca. 6.200 Einwohnern im bayerischen Landkreis Miltenberg – ca. 25 Kilometer südlich von Aschaffenburg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Miltenberg', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Klingenberg am Main – Topographia Hassiae M. Merian, um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

In der nordwestlich von Miltenberg gelegenen Ortschaft Klingenberg/Main gab es bis 1938/1939 eine sehr kleine israelitische Gemeinde; über ihre Historie ist relativ wenig bekannt. Sicher ist, dass bereits im 13.Jahrhundert im kurmainzischen Klingenberg jüdische Familien gelebt haben; im Nürnberger Memorbuch sind Juden aus Klingenberg genannt, die Opfer der sog. Rintfleisch-Pogrome (1298) geworden sind. In den Folgejahrhunderten waren ebenfalls vereinzelt Juden hier ansässig – wenn auch nicht dauerhaft.

1671 und 1700 wurden in Klingenberg sog. „Judenlandtage“ abgehalten. Um 1790 lebten drei jüdische Familien in der Kleinstadt. Bei der Erstellung der Matrikel (1817) waren für den Ort fünf Familienvorstände aufgelistet (1821 auf sechs erweitert). Im 19.Jahrhundert überstieg die Zahl der jüdischen Einwohner kaum 30 Personen.
Seit 1811 (oder früher ?) soll die kleine Gemeinde im Obergeschoss eines Nebengebäudes in der Lindenstraße einen Betraum besessen haben, der auch von den Juden aus dem benachbarten Röllfeld aufgesucht wurde. Der ca. 30 m² große Betsaal, der nur über eine schmale Gasse zu erreichen war, verfügte über ca. 20 Männerplätze; durch ein Gitter abgetrennt fanden die Raum im rückwärtigen Teil des Raumes ihren Platz.

Gottesdienste sollen auch unregelmäßig vom Miltenberger Rabbiner abgehalten worden sein. Ein Ritualbad, das sich in einem Keller befand, wurde 1828 geschlossen; danach wurden zwei andere genutzt (vermutlich in Privathäusern in der Altstadt/in der Rathausstraße)

Für die Besorgung religiös-ritueller gemeindlicher Aufgaben war zeitweise ein Lehrer angestellt. Im um 1900 bestehenden Schulverband, dem die Gemeinden in Klingenberg, Wörth und Hofstetten angehörten; bemühte man sich um einen gemeinsamen Lehrer/Vorbeter.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20331/Klingenberg%20Israelit%2019051904.jpgus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19.10.1903 und 19.5.1904

1871 hatten sich die Juden Trennfurts der Klingenberger Gemeinde angeschlossen.

Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Reistenhausen begraben, der auch für Verstorbene aus Eschau, Fechenbach, Freudenberg, Mönchberg, Röllbach und Sommerau als "Guter Ort" diente.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20148/Reistenhausen%20Friedhof%20131.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20148/Reistenhausen%20Friedhof%20132.jpg

Teilansicht des jüdischen Friedhofs in Reistenhausen (Aufn. J. Hahn, 2008, aus: alemannia-judaica.de)

Anm.: Nach einem Grundbucheintrag aus dem Jahr 1900 besaßen die jüdischen Gemeinden Fechenbach, Röllbach, Eschau, Sommerau, Klingenberg, Wörth und Freudenberg dort je einen gleichen Anteil. Die jüdische Gemeinde in Reistenhausen  selbst hatte nur bis 1826 bestanden.

Die Kultusgemeinde gehörte zum Distriktrabbinat Aschaffenburg.

Juden in Klingenberg:

--- 1692 ..........................  4 Schutzjuden-Familien,

--- 1789 ..........................  3      "          "   ,

--- 1803 ..........................  5      “          “   ,

--- 1814/15 ....................... 23 Juden,

--- 1837 .......................... 30   “  (ca. 3% d. Bevölk.),

--- 1848 .......................... 26   "  (in 6 Familien),

--- 1867 .......................... 22   “  ,

--- 1880 .......................... 33   “  ,

--- 1900 .......................... 26   “  (ca. 2% d. Bevölk.),

--- 1925 .......................... 15   “  ,

--- 1933 .......................... 18   “  ,

--- 1938 .......................... 17   "  ,

--- 1939 (Dez.) ...................  2

--- 1940 (Jan.) ...................  keine.

Angaben aus: Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, S. 343

und                 Synagogen-Gedenkband Bayern (Unterfranken), Band III/1, Mehr als Steine ..., S. 441

 

Eine der alteingesessenen jüdischen Familien in Klingenberg war die des Weinhändlers und Küfers Mayer Fried, die es im späten 19.Jahrhundert zu Wohlstand gebrachte hatte; neben seinem Stammsitz in der „Rotweinstadt“ am bayrischen Untermain hatte der Weinhandel Fried mehrere Niederlassungen in anderen deutschen Weinbaugebieten.

In den Jahren nach 1933 verließen die meisten jüdischen Bewohner ihren Heimatort; ein Teil emigrierte, der andere Teil verzog nach Frankfurt/M.; drei Familien (Frank, Fried und Lindheimer) blieben bis 1938 zurück.

Beim Novemberpogrom 1938 wurden Scheiben des Betsaals wurden eingeschlagen, der Raum verwüstet und die Ritualien aus dem Fenster geworfen; zudem wurden Türen und Fenster von Wohnungen der drei jüdischen Familien demoliert. Verantwortlich für die Gewalttätigkeiten war eine Mob von ca. 50 Personen unter Führung der Klingenberger Bürgermeisters. Jüdische Männer wurden in "Schutzhaft" genommen, u.a. auch Willy Fried, der nach seiner Inhaftierung im KZ Dachau seine gesamte Firma (Weinberge, Weinhandlung und Immobilien) weit unter Wert verkaufen musste. Da die wenigen jüdischen Familien nicht imstande waren, die Schäden an ihrem Gotteshaus zu begleichen, mussten sie die Synagoge für 20 RM (!) verkaufen. Die Gemeinde löste sich nun ganz auf. Die letzten drei jüdischen Einwohner Klingenbergs verzogen Ende 1939 ins israelitische Altersheim nach Regensburg; von dort wurden sie am 23. September 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 13 aus Klingenberg stammende jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung(namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/klingenberg_synagoge.htm).

Im Frühjahr 1948 standen insgesamt 15 Personen wegen „Zusammenrottung und Gewalttaten gegen Personen und Sachen“ vor der Großen Strafkammer beim Landgericht Aschaffenburg; neun Angeklagte wurden zu kurzen Haftstrafen verurteilt, die übrigen sechs freigesprochen.

 

Zum 70. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 wurde - nach jahrelangen Querelen - die bereits jahrelang im Klingenberger Rathauskeller lagernde Gedenktafel enthüllt:

                  Aufn. Harald Fischmann, 2008

  • Auch Klingenberg beteiligt sich am zentralen unterfränkischen Projekt "DenkOrt Deportationen 1941-1944" in Würzburg; deren Beitrag ist - wie bei anderen Kommunen auch - eine aus Sandstein gestaltete Koffer-Skulptur; diese wurde auf dem jüngst neugestalteten ‚Synagogenplatz‘ (zwischen Hauptstr. und Mainstr.) - hier wurden die Umrisse des ehem. Synagogengebäudes durch die Pflasterung hervorgehoben – aufgestellt.

  •       https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20468/Klingenberg%2020220403_153840.jpg

  • neugestalteter 'Synagogenplatz' mit der Koffer-Skulptur (Aufn. Thilo Figaj, 2022 und Michael Stolz, 2020)

     

 

In Trennfurt – heute ein Stadtteil von Klingenberg – lebte im 18./9.Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinschaft, die sich nur aus sehr wenigen Familien zusammensetzte. Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) waren drei Haushaltungen aufgeführt. Ob der möglicherweise in einem der Privathäuser untergebrachte Betraum genutzt werden konnte, erscheint mehr als fraglich, da der für Gottesdienste erforderliche Minjan in Trennfurt kaum erreicht wurde. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts waren keine jüdischen Familien mehr in Trennfurt ansässig.

 

 

 

Im Dorfe Laudenbach (bei Klingenberg), das unter der Herrschaft des Adelsgeschlechts der Freiherren von Fechenbach stand, sollen ab der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts die ersten ‚Schutzjuden‘ gelebt haben. Nach der Übernahme durch Bayern wurden für das Dorf acht Matrikelstellen vergeben; deren Inhaber bestritten ihren Lebenserwerb durch Not- u. Ellenwarenhandel und Viehhandel. Im ersten Drittel des 19.Jahrhunderts erreichte die kleine jüdische Gemeinschaft immerhin fast 50 Personen und damit den für Gottesdienste erforderlichen Minjan (von zehn religionsmündigen Männern); die Betstube befand sich in einem Privathaus. Aus- und Abwanderung gegen Mitte des 19.Jahrhunderts führten dann alsbald zur Auflösung der jüdischen Gemeinschaft, die um 1875 nur noch aus acht Personen bestand; bei der 1910 erfolgten Volkszählung lebten dann keine Juden mehr im Dorf.

 

 

 

In Röllbach, östlich von Klingenberg gelegen und heute der Verbandsgemeinde Mönchberg zugehörig, gab es bis Anfang der 1920er Jahre eine kleine jüdische Gemeinde, deren Bildung vermutlich bis ins 18.Jahrhundert zurückreicht.

In den Matrikellisten von 1817 sind für Röllbach sechs Familien jüdischen Glaubens aufgelistet.

In einem schmalen Gebäude waren der Betraum, die Religionsschule und eine Mikwe untergebracht. Für einen gewissen Zeitraum hatte die kleine Gemeinde einen Lehrer verpflichtet, der auch als Vorbeter und Schächter wirkte. Zeitweilig hatten Röllbacher Juden auch den Betraum in Klingenberg aufgesucht. Verstorbene Gemeindemitglieder wurden auf dem jüdischen Friedhof in Reistenhausen begraben. Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsdistrikt Aschaffenburg.

1875 waren ca. 25 Einwohner mosaischen Glaubens in Röllbach wohnhaft. Auf Grund der fehlenden Zehntzahl jüdischer Männer (Minjan) wurde dann um 1920 die Gemeinde aufgelöst und das Synagogengebäude veräußert. Mitte der 1920er Jahre lebten noch 15 Juden in Röllbach.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 13 aus Röllbach stammende jüdische Bewohner Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/roellbach_synagoge.htm).

Das Gebäude, in dem sich der Betraum befand, blieb in seiner Bausubstanz bis in die jüngste Vergangenheit erhalten.

Haus, in dem sich der ehem. Betsaal befand (Aufn. 1987, aus: I. Schwierz)  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2093/Roellbach%20Synagoge%20101.jpg

 

 

 

Weitere Informationen:

Walter Hermann, Juden in Klingenberg, in: 700 Jahre Stadt Klingenberg, Klingenberg 1976, S. 177 - 179

Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München 1979, S. 343

Hubert Gehrlich, Die religiösen Gruppierungen im Landkreis Miltenberg von 1933 - 1945, in: Schriftliche Hausarbeit an der Universität Würzburg, Fachbereich Theologie, Würzburg 1983

Werner Trost, Diffamiert – entrechtet – getötet. Die nationalsozialisten weckten jahrhundertelange Vorurteile und Haßgefühle gegen die Juden auf. Eine Kleinstadt als Beispiel, in: "Spessart", 11/1988, S. 3 - 7

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2.Aufl., München 1992, S. 89 (Klingenberg) und S. 117 (Röllbach)

Gudrun Berninger, Jüdische Mitbürger, in: Friedrich Berninger, Chronik der Stadt Klingenberg am Main, Band 2, Klingenberg 1995, S. 211 - 236

Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Reistenhausen, in: "Der Landesverband der Israelit. Kultusgemeinden in Bayern", 13. Jg. No. 77/1998, S. 31

Gudrun Berninger, Emanuel Fried – ein Klingenberger Bürger, in: "Spessart", No. 5/2002, S. 3 – 8

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 182 (Klingenberg) u. S. 183 (Röllbach)

Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Unterfranken, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2010, S. 128 – 133

Klingenberg, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Röllbach, in: alemannia-judaica.de

Axel Töllner (Bearb.), Klingenberg, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 436 - 443

Susanne Reber (Bearb.), Die Mischliburskis – eine deutsche Familie aus Franken, 2018

Hans-Jürgen Freichel (Red.), Synagogenplatz in Klingenberg wird neu gestaltet, in: “Main-Echo” vom 27.6.2019