Lizenz/Lučenec (Slowakei)
Lizenz (ung. Losonc) ist das slowakische Lučenec mit derzeit ca. 29.000 Einwohnern - in unmittelbarer Nähe zur ungarischen Grenze gelegen (Kartenskizze M., 2007, aus: wikipedia.org/wiki/Datei:Okres_lucenec.png)
Jüdische Ansässigkeit in Lizenz/Lučenec ist seit dem ausgehenden 18.Jahrhundert nachweisbar, als wenige Familien in einem Vorort (Tuhar) lebten; doch sollen bereits um 1725 einzelne Juden – wenn auch nur vorübergehend - sich hier aufgehalten haben.
Ab der Mitte des 19.Jahrhunderts hatte sich das Wohngebiet jüdischer Familien in die Stadt selbst verlagert.
Ihre erste, im maurischen Stile gestaltete Synagoge weihte die hiesige Gemeinde im Jahre 1863 ein; als in der Gemeinde die religiösen Reformbestrebungen Fuß fassten, spaltete sich nach 1870 die orthodoxe Gruppierung ab.
Beide religiöse ‚Richtungen’ unterhielten eigene Schulen; so unterhielt die Reformgemeinde seit 1881 Jahren eine fünfklassige Elementarschule, in der die Unterrichtssprache Ungarisch war.
Mitte der 1920er Jahre wurde ein vom Architekten Lipot Baumhorn entworfener repräsentativer, mehr als 1.000 Personen fassender Synagogenbau (im byzantinischen Stile) fertiggestellt, der der größte in der Slowakei war. Gottesdienste wurden hier in ungarischer Sprache abgehalten.
Synagoge (hist. Aufn. um 1925, aus: edwardvictor.com/2005/Lucenec)
Daneben besaß die orthodoxe Gemeinde auch eine eigene Synagoge, die 1930 eingeweiht wurde.
Juden in Lizenz (Lučenec):
--- um 1805 ........................ wenige Familien,
--- 1825 ....................... ca. 50 Juden,
--- 1848 ........................... 335 “ ,
--- 1869 ........................... 821 “ (ca. 16% d. Bevölk.),
--- 1880 ........................... 1.139 “ ,
--- 1900 ........................... 1.990 “ (ca. 23% d. Bevölk.),
--- 1910 ........................... 2.135 “ (ca. 17% d. Bevölk.)
--- um 1920/25 ................. ca. 2.200 “ (in 550 Familien),
--- 1930 ....................... ca. 2.200 “ (ca. 15% d. Bevölk.),
--- 1941 ....................... ca. 2.100 “ ,
--- 1948 ....................... ca. 300 “ .
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S.757/758
und Lučenec, in: jewishgen.org/yizkor/pinkas_slovakia/slo295
Das Wirtschaftsleben der Stadt wurde ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts größtenteils von jüdischen Geschäftsleuten bestimmt; u.a. waren sie maßgeblich daran beteiligt, Industrien im Orte anzusiedeln.
Dieser bestimmende wirtschaftliche Einfluss mag auch der Auslöser für Unruhen gewesen sein, die sich 1918 gegen Geschäfte/Betriebe und Wohnungen jüdischer Familien richteten.
In der Zwischenkriegszeit gewannen zionistische Ideen hier immer mehr Anhänger; verschiedene Organisationen waren in der Region aktiv.
Im November 1938 wurde die Region um Lizenz/Lučenec von Ungarn annektiert.
Zahlreiche jüdische Bewohner wurden dann später zur Zwangsarbeit verpflichtet (besonders an der Ostfront); viele kamen hier ums Leben.
Als dann im Mai 1944 das Gebiet unter deutsche Kontrolle geriet, wurde in der Stadt ein Ghetto eingerichtet, wo alle noch hier verbliebenen Juden konzentriert wurden; schon einen Monat später deportierte die deutsche Besatzungsmacht ca. 4.000 Juden aus Lučenec und Umgebung nach Auschwitz-Birkenau. Nur jeder 10.jüdische Bewohner soll den Holocaust überlebt haben.
Während die Synagoge der orthodoxen Gemeinde in den 1960er Jahren abgerissen wurde, waren jüngst Bemühungen von Erfolg gekrönt, indem der unter Denkmalschutz stehende Bau (von 1925) umfassend restauriert und damit der Nachwelt erhalten werden konnte. Fortan soll das repräsentative Bauwerk dem Gedenken an die vielen Angehörigen der einstigen jüdischen Gemeinde dienen, zum anderen wird es zu einer Begegnungsstätte der Religionen werden.
Weiterhin ist ein Gedenkpark geplant, der sich an das Gebäude anschließt und an das einstige blühende jüdische Leben der Gegend erinnern soll.
Synagogengebäude vor und nach der Sanierung (Aufn. Miroslav Blaho, 2006 und Ladislav Luppa, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Zu den baulichen Zeugnissen jüdischer Ortsgeschichte gehört auch der israelitische Friedhof; während der ältere Teil des Geländes einen verwahrlosten Eindruck macht, ist der meist mit schwarzen Stelen bestandene jüngere Teil in einem gepflegten Zustand.
Trauerhalle und Teilansicht des Begräbnisgeländes (Aufn. Ladislav Luppa, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Nach Aufhebung der Aufenthaltsrestriktionen ließen sich in Zeetsch, dem heutigen Rimavská Seč (ung. Rimaszecz), gegen Mitte des 19.Jahrhunderts jüdische Familien und bildeten hier eine kleine Gemeinde.
Ihre Angehörigen bestritten ihren Lebensunterhalt vom Handel, einige von Handwerk und von der Landwirtschaft.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählte eine Synagoge, die nach 1900 erbaut worden war.
Juden in Zeetsch/Rimavská Seč:
--- 1880 ........................ 73 Juden,
--- 1930 ....................... 143 “ ,
--- 1944 (März) ................ 129 “ .
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 1083
Nach der Annexion durch Ungarn (Nov. 1938) verloren die jüdischen Familien ihre angestammte Lebensgrundlage, wurden entrechtet und zur Zwangsarbeit verpflichtet.
Mit der Ankunft deutscher Truppen (März 1944) erfolgte die Ghettoisierung der jüdischen Bewohner und anschließend ihre Deportation nach Auschwitz-Birkenau.
In Halič – einer kleinen Kommune mit derzeit ca. 1.500 Einwohnern im Bezirk Lizenz/Lučenec – erinnert ein aus dem 19.Jahrhundert stammendes Synagogengebäude daran, dass hier vor 1945 eine jüdische Gemeinde beheimatet war. Das heute geschützte Kulturdenkmal wurde zu einer lutherischen Kirche umgewandelt.
Aufn. Ladilav Luppa, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0
Weitere Informationen:
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 757/758 (Lucenec) und S. 1083 (Rimavská Seč)
Maros Borský, Synagogue Architecture in Slovakia towards creating a memorial landscape of lost community, Dissertation (Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg), 2005, S. 153 und S. 193/194
Francine Shapiro (Red.), “Lucenec” – Encyclopaedia of Jewish communities, Slovakia, online abrufbar unter: jewishgen.org/yizkor/pinkas_slovakia/slo295
The Jewish Community of Lucenec (Slovakia),, Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/lucenec
Angaben der Stadtverwaltung Lucenec
Szolt Papp (Bearb.), Die Synagoge der Reformgemeinde in Lučenec, online abrufbar unter: archinfo.sk/diela/architektura/obnova-neologickej-synagogy-v-lucenci (mit zahlreichen Abbildungen)
jhe (Red.), Slovakia: restoration of Lučenec synagogue nears completion, in: „Jewish Heritage Europe“ vom 23.2.2016
Nahir Günel, Virtuelle Rekonstruktion der Neuen Neologischen Synagoge in Lučenec, Diplomarbeit TU Wien 2017
Nahir Günel, Die Neue Neologische Synagoge in Lučenec Slowakei, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 123/Jan. 2020