Mainstockheim (Unterfranken/Bayern)
Mainstockheim ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 1.900 Einwohnern im unterfränkischen Landkreis Kitzingen und seit 1978 Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Kitzingen (Kartenskizze 'Landkreise Unterfranken', aus: historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de und Kartenskizze 'Landkreis Kitzingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Während des 19.Jahrhunderts machten die jüdischen Bewohner Mainstockheims einen beachtlichen Anteil der Gesamtbevölkerung aus.
In der nördlich von Kitzingen gelegenen Ortschaft Mainstockheim fand erstmals 1535 ein Jude namentlich Erwähnung, der damals für sich und seinen Sohn über einen auf sechs Jahre befristeten markgräflichen Schutzbrief verfügte. Ein weiterer durch den Markgrafen von Brandenburg erteilter Schutzbrief an zwei Juden liegt aus dem Jahre 1614 vor. Im 17.Jahrhundert lag die Dorfherrschaft in den Händen unterschiedlicher adliger weltlicher u. geistlicher Herren. Auf Grund der Vertreibung jüdischer Familien aus den größeren Städten Würzburg und Schweinfurt im 17.Jahrhundert wuchs die Zahl der in Mainstockheim aufgenommenen Juden an; zudem vergrößerte sich die Anzahl der Gemeindeangehörigen noch durch die erzwungene Abwanderung jüdischer Familien aus Kitzingen im Jahre 1763. Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) wurden für Mainstockheim 39 jüdische Familienvorstände genannt; ihren Lebensunterhalt bestritten sie überwiegend im Schnitthandel und Schmusen, im Vieh- und Weinhandel, Altkleiderhandel u.ä.
Zunächst trafen sich die Mainstockheimer Juden in einem Betraum, der in einem Privathause untergebracht war. Mitte der 1830er Jahre ließ die Kultusgemeinde eine Synagoge im neoromanischen Stil errichten, in der sich auch das Gemeindehaus befand. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten weiterhin eine Mikwe und eine siebenklassige Schule, der auch zeitweise eine „Kleine Jeschiwa“, eine Vorbereitungsanstalt zur Talmud-Thora-Schule, angeschlossen war.
Ab Mitte der 1860er Jahre bestand am Ort das private „Handels- und Erziehungsinstitut“ von Abraham Hirsch.
Aus Unterfranken. Es ist gewiß für jeden gesetzestreuen Israeliten höchst erfreulich, einer Pflanzstätte des Wissens zu begegnen, in welcher der Lehre ... gewissenhaft Rechnung getragen wird. Eine solche ist die von Miltenberg nach Mainstockheim a. M. verlegte Erziehungs- und Unterrichts-Anstalt für Knaben des Instituts-Direktors Abraham Hirsch. Dieser, ein sehr gelehrter Mann von edlem Charakter, hat mehrere tüchtige Lehrkräfte für seine Anstalt gewonnen, so daß in derselben Bibel, Mischna und Gemara, die neueren Sprachen und die gemeinnützigen Lehrgegenstände mit aller Gründlichkeit unterrichtet werden. Der Districts-Rabbiner Herr Abraham Adler in Aschaffenburg hatte bereits, wie er sich darüber aussprach, mehrmals Gelegenheit, sich genau zu überzeigen, welch ein vortrefflicher Geist des religiösen Lebens, der Ordnung und des Fleißes in dieser Anstalt herrscht. Es ist mit derselben ein Pensionat verbunden und Alle, welche ihre Kinder diesem Institute anvertrauen, können sicher sein, daß die Zöglinge die beste Behandlung und Beaufsichtigung genießen.
(aus: „Der Israelit” vom 7. November 1866)
Anzeige aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10.Mai 1872
Das „Handels- u. Erziehungsinstitut“ wurde einige Jahre später nach Burgpreppach verlegt, wo es als Präparandenschule geführt wurde.
Ihre Verstorbenen begrub die Gemeinde auf dem jüdischen Bezirksfriedhof in Rödelsee.
Juden in Mainstockheim:
--- 1614 .......................... 2 Schutzjuden,
--- 1695 .......................... 15 jüdische Familien,
--- 1745 .......................... 28 “ “ ,
--- 1784 .......................... 38 “ “ ,
--- 1803 .......................... 20 " " ,
--- 1813 .......................... 169 Juden (ca. 13% d. Bevölk.),
--- 1830 .......................... 204 “ (in ca. 45 Familien),
--- 1837 .......................... 212 " ,
--- 1867 .......................... 203 " ,
--- 1875 .......................... 199 “ (ca. 15% d. Bevölk.),
--- 1890 .......................... 141 “ ,
--- 1900 .......................... 123 “ ,
--- 1910 .......................... 82 “ (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1925 .......................... 72 “ ,
--- 1933 .......................... 74 “ ,
--- 1938/39 ................... ca. 40 “ ,
--- 1942 (Febr.) .................. 34 “ ,
(Apr.) ................... 5 “ ,
--- 1943 .......................... keine.
Angaben aus: Heinz u. Thea Ruth Skyte, Our Family - Mainstockheim
und W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 1153
Als 1861 der bayrische Matrikelparagraph außer Kraft gesetzt wurde, wanderten nach und nach die jüdischen Familien aus Mainstockheim in größere bayrische Städte ab.
Anzeigen in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 8.Okt. 1897, vom 4.Dez. 1902 und vom 24.März 1924
Blick auf Mainstockheim (Abb. aus: plz-suche.org)
Zu Beginn der NS-Zeit lebten noch etwa 70 jüdische Einwohner im Ort. Haupterwerbszweig der Familien war damals der Weinhandel.
Bereits 1933/34 zeigten sich im Zusammenleben zwischen christlichen und jüdischen Bewohnern erste Risse; dabei wurden Forderungen des hiesigen Bürgermeisters laut, dass die hier lebenden jüdischen Familien den Ort zu verlassen hätten und es ortsfremden Juden - mit Plakatierung am Ortseingang - untersagte, Mainstockheim zu betreten.
1936 konnte die Gemeinde noch das 100jährige Bestehen ihrer Synagoge feiern; so hieß es in einem Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Dezember 1936:
„Mainstockheim, 15. Dez. Die hiesige Gemeinde feierte jüngst das Fest des 100jährigen Bestehens ihrer Synagoge, wozu sich zahlreiche Gäste eingefunden hatten. Hauptlehrer Friedmann sang das Ma tauwu, worauf das Minchagebet folgte. Der Kultusvorstand begrüßte dann in herzlicher Art die Erschienenen … Nach Gesang des Psalms 100 durch Hauptlehrer Friedmann bestieg Rabbiner Dr. Hanover, Würzburg die Kanzel, um in meisterhafter Form Sinn und Zweck einer solchen Feier gerade heutzutage darzulegen. Die Rede machte einen tiefen Eindruck. Hauptlehrer Friedmann sprach unter Anlehnung an Psalm 122 den Wunsch aus, die Synagoge möge auch fernerhin für die Gemeinde der Ort und Hort des Friedens, der Eintracht und der Stärke sein. Für die Kultusgemeinde Kitzingen brachte deren Vorstand, Oskar Hahn, freundnachbarliche Grüße und Glückwünsche, desgl. Hauptlehrer A. Mannheimer für die Gemeinde Dettelbach. Letzterer gab auch einige Striche historischer Art für die Zeit, da die Synagoge gebaut wurde. Es waren bewegte Tage für Bayerns Juden. Mit dem heiligen Inventar und der Inneneinrichtung, die man von der alten Synagoge übernahm, sei auch der alte Geist mit eingezogen vor 100 Jahren. Lehrer Bamberger, Kitzingen, betonte die schönen familiären Beziehungen zwischen Mainstockheim und Kitzingen und erinnerte an das ideale Wirken der früheren Lehrer und Vorstände, die den konservativen Gemeindegeist pflegten und kräftigen. ... Mit dem Psalm 128, durch Hauptlehrer Friedmann vorgetragen, schloß die eindrucksvolle Feier. A.M."
Der Novemberpogrom von 1938 wurde von der SA und Ortsbewohnern organisiert. Dabei wurde die Inneneinrichtung der Synagoge mitsamt den Ritualien völlig zerstört; vermutlich wurden auch Silbergerät und Thora-Rollen gestohlen; das Gebäude selbst aber blieb erhalten. Übergriffe auf Privathäuser wurden vom hiesigen Bürgermeister unterbunden; auch die Inhaftierung von zehn Männern konnte er rückgängig machen. Die noch in Mainstockheim verbliebenen Juden wurden im Laufe des Jahres 1942 deportiert; während der Großteil nach Izbica bei Lublin verfrachtet und dort ermordet wurde, mussten die restlichen fünf sich einem Transport nach Theresienstadt anschließen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden mehr als 60 gebürtige bzw. längere Zeit in Mainstockheim ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: .alemannia-judaica.de/mainstockheim_synagoge.htm).
Nach Kriegsende diente das einstige Synagogengebäude zunächst als Flüchtlingsunterkunft, später war hier ein Industriebetrieb untergebracht. In den 1950er Jahren wurde das Gebäude von der Diözese Würzburg angekauft und als katholische Kirche eingerichtet.
Seit 1986 steht eine Gedenktafel an dem nun von der katholischen Kirche genutzten ehemaligen Synagogengebäude mit folgender Inschrift:
Dieses Gebäude, erbaut 1836, diente der Jüdischen Kultusgemeinde als Synagoge.
Die Gemeinde gedenkt ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger
ZUR ERINNERUNG UND MAHNUNG
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. I., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
2011 wurden in der Mühlengasse vier sog. „Stolpersteine“ zur Erinnerung an Angehörige der jüdischen Familie Rindsberg verlegt.
(Aufn. Gmbo, 2014, aus: wikipedia.org, CCO)
Vier Jahre später kamen vier Steine hinzu, die an die Familie Hermann und Emilie Schornstein (Hauptstraße) erinnern. 2022 folgten fünf weitere (verlegt am Zugang zur katholischen Kirche), die Angehörigen der Familie Friedmann gewidmet sind.
(Aufn. Chr.Michelides, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In den 1990er Jahren wurden zufällig die Überreste einer Mikwe entdeckt, die sich auf dem Gelände des „Schloss Erbacher Hof”, des früheren Zisterzienser-Klosters, befand.
Weitere Informationen:
Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München 1979, S. 353/354
Fritz Mägerlein, Judengemeinden im Kitzinger Land, in: "Im Bannkreis des Schwanberges", 1989
Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 95/96
Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischen Lebens in unterfränkischen Gemeinden. Beispiele Memmelsdorf, Kleinheubach, Mainstockheim und Untermerzbach, in: "Frankenland - Zeitschrift für Fränkische Landeskunde und Kulturpflege", Heft 3/1993, S. 69 f.
Heinz u. Thea Ruth Skyte, Our Family – Mainstockheim (Internet-Präsentation)
Mainstockheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie, davon viele personenbezogene Daten)
Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 102/103
Hans-Peter Süss, Jüdische Archäologie im nördlichen Bayern. Franken und Oberfranken, in: "Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands", Band 25, Büchenbach 2010, 85 - 87
Michael Schneeberger, „Da ham mer nix“. Die Geschichte der Juden von Mainstockheim, in: "Jüdisches Leben in Bayern. Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", 26. Jg., No. 115/2011, S. 36 - 43
Ralf Weiskopf (Red.), Mainstockheim: Zerstörte Leben kann man nicht ersetzen, in: "Main-Post” vom 20.11.2011 (betr. Verlegung von "Stolpersteinen")
Gerhard Bauer (Red.), Mainstockheim. Stolpersteine für die Familie Schornstein, in: “Main-Post” vom 16.10.2015
Auflistung der verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Mainstockheim
Hans Schlumberger/Cornelia Becker-Dittscheid (Bearb.), Mainstockheim, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 1137 - 1157
Anna Kirschner (Red.), In Mainstockheim werden Stolpersteine verlegt, in: „Die Kitzinger“ vom 16.5.2022 (online unter: inFranken.de vom 16.5.2022)