Malchow (Mecklenburg-Vorpommern)
Malchow ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 6.500 Einwohnern im Landkreis Müritz nur wenige Kilometer südwestlich von Waren (hist. Karte 'Mecklenburg um 1230/50', aus: wikipedia.org, gemeinfrei unjd Kartenskizze 'Landkreis Müritz', aus: ortsdienst/mecklenburg-vorpommern/mueritz).
In der 1235 gegründeten Stadt Malchow sollen sich im Spätmittelalter vereinzelt jüdische Familien aufgehalten haben; im Zusammenhang mit dem sog. „Sternberger Hostienschändungsprozess“ wurden 1492 die in der Müritz-Region lebenden Juden vertrieben. Erst um 1700 zog eine jüdische Familie aus Röbel wieder zu; weitere folgten ab Mitte des 18.Jahrhunderts; sie standen unter dem Schutz des mecklenburgischen Großherzogs. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts bildete sich eine Gemeinde.
Zwischen 1820 und 1830 ließ die jüdische Gemeinde eine Synagoge in der Langen Straße errichten; das für das Gebäude erforderliche Bauholz hatte der Großherzog zur Verfügung gestellt.
In einem Erlass des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin war Anfang der 1840er Jahre die Einrichtung von jüdischen Religionsschulen festgeschrieben worden; Malchow war eine der insgesamt 24 Gemeinden, die dem Erlass nachkam und eine Schule einrichtete. Als Religionslehrer fungierten Personen, die zugleich als Vorbeter in der Synagoge und als Schächter der Gemeinde handelten. Aus dem Jahre 1846 stammte die „Gemeinde-Ordnung für die jüdischen Einwohner der Stadt Malchow“.
Der jüdische Friedhof wurde vermutlich um 1790/1800 vor der Ortschaft, an der Straße nach Karow angelegt; das ca. 600 m² große Beerdigungsgelände befand sich in unmittelbarer Nähe des christlichen Friedhofs.
Juden in Malchow:
--- um 1800 ...................... 6 jüdische Familien,
--- 1819 ......................... 48 Juden,
--- 1824 ......................... 66 “ (in ca. 10 Familien),
--- um 1840 .................. ca. 90 “ ,
--- 1858 ..................... ca. 110 “ (in 19 Familien),
--- 1867 ......................... 105 “ ,
--- 1881 ......................... 22 jüdische Familien,
--- 1900 ......................... 14 “ “ ,
--- 1913 ......................... 29 Juden,
--- um 1925 .................. ca. 20 " ,
--- 1933 ..................... ca. 15 “ ,
--- 1937 ......................... 2 jüdische Familien.
Angaben aus: Stadt Malchow (Hrg.), Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Malchow (Meckl.)
Malchow um 1900 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die meisten Malchower Juden verdienten ihren Lebensunterhalt zumeist als Produkten- und Manufakturwarenhändler.
Im Gegensatz zu den jüdischen Gemeinden in den Nachbarorten war hier in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts kein Rückgang der Gemeindeangehörigen festzustellen; erst um 1900 wanderten vermehrt Juden ab.
Anzeigen jüdischer Geschäfte in Malchow:
Infolge des enormen Rückgangs an Gemeindeangehörigen wurden ab ca. 1910 keine regelmäßigen Gottesdienste mehr abgehalten; nur an den höchsten Feiertagen traf sich die Restgemeinde noch; aus diesem Grunde verkaufte man nach dem Ende des Ersten Weltkrieges das Synagogengebäude an einen ortsansässigen Tischlermeister.
Erste antisemitische ‚Vorfälle’ wie Friedhofsschändungen wurden in Malchow bereits 1920 verzeichnet; rechtsnationale Parteien hatten hier eine relativ starke Anhängerschaft.
Nach der NS-Machtübernahme 1933 verließen die meisten Malchower Juden ihre Heimatstadt, um in die Großstädte ‚abzutauchen’; ihre Geschäfte wurden liquidiert bzw. gingen in „arische“ Hände über. Das ehemalige Synagogengebäude blieb während der NS-Zeit von Zerstörung verschont, da es längst in privaten Händen war.
Bis Anfang 1942 waren alle jüdischen Bewohner aus Malchow und Waren vertrieben. In einem Schreiben der Gestapo an das Mecklenburgische Staatsministerium vom 16.2.1942 hieß es, dass Malchow nunmehr „judenfrei” ist.
Ab Herbst 1943 bestand in Malchow ein Außenkommando des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, in dem durchschnittlich 1.200 weibliche, auch jüdische Häftlinge neben Tausenden von Zwangsarbeiter/innen in der Munitionsfabrikation der Dynamit-AG Alfred Nobel & Co. eingesetzt waren. In den letzten Kriegsmonaten diente das AK Malchow als Anlaufpunkt mehrerer ‘Todesmärsche’ in Richtung Ostseeküste; Ende April 1945 wurde das Außenkommando evakuiert.
Das einstige kleine jüdische Gotteshaus – mehr als ein halbes Jahrhundert als Werkstatt- bzw. Lagergebäude genutzt - wurde Anfang der 1990er Jahre vom Eigentümer abgerissen.
Das 1944 beschlagnahmte und danach an die Kommune übertragene jüdische Friedhofsgelände - es war in den Jahren zuvor wiederholt geschändet worden – wies derzeit noch zahlreiche, teils erheblich beschädigte Grabsteine auf. In der Folgezeit blieb das Gelände sich dann selbst überlassen; Grabsteine „verschwanden“ und Vegetation überwucherte in den folgenden Jahrzehnten den kaum noch als solchen zu erkennenden Friedhof. Gegen Ende der 1980er Jahre ließ die Stadt hier eine Gedenktafel aufstellen und Jahre später das Gelände wieder herrichten, das fortan von Schüler/innen Malchows gepflegt wird. Nur eine einzige Grabstätte (Hermann und Friederike Schlomann) ist erhalten geblieben.
einzig erhaltene Grabstätte (Aufn. An., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
An der Friedshofsmauer gelehnt findet man heute noch zwei Grabsteine älteren Datums, die von mehrfache Schändungen des Geländes unversehrt überstanden haben.
Zwei alte Grabsteine (Aufn. An., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Nach Louis Ladewig (geb. 1865 in Malchow), dem späteren Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, ist in Malchow die "Ladewig-Allee" benannt. Der wohlhabende Großfabrikant (wie später auch sein Sohn Karl L.) hatte sich durch zahlreiche Spenden und Stiftungen um seine Heimatstadt verdient gemacht.
Bislang erinnern fünf sog. „Stolpersteine“ an Opfer der NS-Herrschaft, davon vier für Angehörige der jüdischen Familie Schlomann in der Langen Straße (Stand 2024).
Aufn. T., 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Weitere Informationen:
Karl Heinz Oelke, Aus der Geschichte der Juden in den Städten Waren, Röbel, Malchow und Penzlin, Hrg. Müritz-Sparkasse, 1992
KLH (Red.), Synagoge abgerissen – Zentralrat der Juden protestiert, in: „TAZ – die Tageszeitung“ vom 3.12.1992
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 495/496
Karl-Heinz Oelke, Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Malchow (Meckl.), Hrg. Stadt Malchow (Meckl.), Malchow 1994
Jürgen Borchert/Detlef Klose, Was blieb ... Jüdische Spuren in Mecklenburg, Verlag Haude & Spener, Berlin 1994, S. 65/66 und S. 108
Alfred Nill/u.a., Das Munitions- und Sprengstoffwerk Malchow 1938 bis 1945, in: "Zur Geschichte der Stadt Malchow", Heft 2, Hrg. Stadt Malchow 1995
Karl-Heinz Oelke, Auf den Spuren jüdischer Vergangenheit im Müritzkreis, Hrg. Landratsamt Müritz und die Städte Waren, Röbel, Malchow und Penzlin, o.O., 1998, S. 34 ff.
Der jüdische Friedhof in Malchow, in: alemannia-judaica.de/malchow_friedhof.htm
Auflistung der in Malchow verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Malchow
Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Malchow, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 28.9.2015, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Malchow
Petra Konermann (Red.), Polizei sucht Zeugen. Schmiereien am Jüdischen Friedhof in Malchow, in: „Nordkurier“ vom 8.2.2020