Marisfeld (Thüringen)

Jüdische Gemeinde - Coburg (Oberfranken/Bayern) Bildergebnis für Landkreis Hildburghausen karte ortsdienst Marisfeld ist eine kleine Ortschaft mit derzeit ca. 350 Einwohnern im Landkreis Hildburghausen; sie gehört heute der Verwaltungsgemeinschaft Feldstein (Verwaltungssitz in Themar) an - ca. 20 Kilometer südwestlich von Suhl bzw. ca. 25 Kilometer nordwestlich von Hildburghausen gelegen (Kartenskizze 'Nordbayern' ohne Eintrag von Marisfeld, aus: bayernkurier.de  und  Kartenskizze 'Landkreis Hildburghausen', aus: ortsdienst.de/thueringen/landkreis-hildburghausen).

 

In den 1860er Jahren erreichte der jüdische Bevölkerungsanteil in Marisfeld etwa 30% (!) der Dorfbewohner.

Um 1680 erteilte der Herzog Friedrich I. von Gotha erstmals einem Juden die Erlaubnis, sich in Marisfeld anzusiedeln; im Laufe des 18.Jahrhunderts kamen weitere jüdische Familien hierher. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts war jeder sechste Dorfbewohner Jude, in den 1840er Jahren jeder vierte. In den 1820er Jahren wurde für Marisfeld die Zahl der Schutzjuden auf 25 Haushalte begrenzt; Voraussetzung für eine Aufnahme war ein Eigenkapital von mindestens 300 Reichstalern.

Erste gottesdienstliche Zusammenkünfte wurden im sog. „Judenbau“ nahe der Kirche abgehalten. 1832 weihte die jüdische Gemeinde ihre neue Synagoge ein; das Gebäude, in der Dorfstraße gegenüber dem ehem. Rittergut gelegen, soll bis in die 1920er Jahre seiner religiösen Bestimmung gedient haben; danach wurde es verkauft, umgebaut und anschließend als Wohnhaus genutzt. Die angrenzende jüdische Schule, die ebenfalls 1832 ein marodes Gebäude ersetzte, existierte bis 1875; ab diesem Zeitpunkt besuchten die jüdischen Kinder die christliche Dorfschule. Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählte auch eine Mikwe, die anfänglich in einem Stallgebäude untergebracht war und dort von einer Quelle gespeist wurde; später legte man auf dem Gelände der Synagoge ein neues Bad an.

Einen Eindruck vom gemeindlichen Leben in Marisfeld gibt ein kurzer Artikel aus der „Allgemeinen Zeitung des Judenthums“ vom 30. November 1839:

                   

Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf dem jüdischen Friedhof auf dem etwa einen Kilometer vom Ort entfernten Guhligsberg beerdigt, der auch verstorbene Glaubensgenossen aus Themar aufnahm. Das Begräbnisareal, das der Gutsherr Marschalk von Ostheim der israelitischen Gemeinde gegen Zahlung von Begräbnisgeldern zur Verfügung gestellt hatte, ging in den 1850er Jahren ins Eigentum der Judenschaft über.

Anm.: Möglicherweise gab es in bzw. bei Marisfeld bereits eine jüdische Begräbnisstätte älteren Datums.

Die Kultusgemeinde gehörte zum Landesrabbinat Sachsen-Meiningen.

Juden in Marisfeld:

         --- um 1680 ........................ eine jüdische Familie,

    --- um 1780 ........................  15     “        “  n,

    --- 1827 ........................... 138 Juden,

    --- 1833 ........................... 155   “  ,

    --- 1853 ........................... 120   “  ,

    --- 1865 ....................... ca. 200   “   (ca. 30% d. Bevölk.),

    --- um 1870 .................... ca.  50   “  ,*      * andere Angabe: 27 Pers.

    --- um 1900 .................... ca.  30   “  ,

    --- 1933 ....................... ca.  35   “  ,

    --- 1942 (Okt.) ....................  keine.

Angaben aus: Hans Nothnagel, Eine Nachlese zur jüdischen Gemeinde Marisfeld

 

Ihren numerischen Höhepunkt erreichte die israelitische Gemeinde in Marisfeld Mitte der 1860er Jahre. Einem verheerenden Brande im Dorf, der zahlreiche Wohn- und Wirtschaftsgebäude zerstörte, und der inzwischen erreichten bürgerlichen Gleichberechtigung waren es zuzuschreiben, dass die meisten Familien das Dorf verließen; ein Großteil verzog nach Meiningen und Themar, um dort eine neue Existenz aufzubauen.

Noch bis 1920 wurden Gottesdienste in der Synagoge in Marisfeld abgehalten, danach stand das Gebäude einige Jahre leer, ehe es 1924/25 verkauft und zu einem Wohnhaus umgebaut wurde. Gegen Ende der 1920er Jahre löste sich die Gemeinde schließlich ganz auf. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch sehr wenige jüdische Familien in Marisfeld; auch sie hatten unter der NS-Hetze, die vom damaligen evangelischen Ortspfarrer kräftig unterstützt wurde, zu leiden. Während des Novemberpogroms von 1938 wurden vier jüdische Männer per LKW ins benachbarte Themar gebracht, wo sie - zusammen mit den hier wohnenden Juden - mehrere Stunden lang auf dem Marktplatz des Ortes zur Schau gestellt wurden. Im September 1942 wurden die letzten jüdischen Einwohner Marisfelds nach Theresienstadt deportiert

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind mindestens 19 aus Marisfeld stammende jüdische Bürger Opfer der Shoa geworden; das Schicksal weiterer fünf Marisfelder Juden ist ungeklärt (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/marisfeld_synagoge.htm).

 

In der Hauptstraße von Marisfeld schmückt ein David-Stern den schieferverkleideten Giebel eines Hauses – eines der wenigen sichtbaren Relikte ehemaligen jüdischen Lebens im Dorf.

Der jüdische Friedhof auf dem Guhligsberg weist auf einer Fläche von ca. 2.000 m² noch etwa 130 Grabsteine auf; das Areal steht heute unter Denkmalschutz.

 Marisfeld-Jüdischer-Friedhof-01.jpg

Blick auf das Friedhofsgelände (beide Aufn. St., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

[vgl. Themar (Thüringen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

R.A. Human, Zur Geschichte von Marisfeld. Erinnerungsblätter für die Gemeinde, Hildburghausen 1876

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 496/497

Rudi Kihr (Bearb.), Die Juden in Marisfeld, in: "1200 Jahre Marisfeld - Festschrift", Marisfeld 1996, S. 63 - 67

Monika Kahl, Denkmale jüdischer Kultur in Thüringen, in: "Kultusgeschichtliche Reihe", Hrg. Thüring. Landesamt für Denkmalpflege, Band 2, S. 101/102

Hans Nothnagel, Eine Nachlese zur jüdischen Gemeinde Marisfeld, in: H.Nothnagel (Hrg.), Juden in Südthüringen geschützt und gejagt, Band 2: Juden in den ehem. Residenzstädten Römhild, Hildburghausen und deren Umfeld, Verlag Buchhaus Suhl, Suhl 1998, S. 127 - 133

Gabriele Olbrisch, Landrabbinate in Thüringen 1811 - 1871. Jüdische Schul- und Kulturreform unter staatlicher Regie, in: "Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen - Kleine Reihe", Band 9, Böhlau Verlag, Köln - Weimar - Wien 2003, S. 46/47

Marisfeld, in: alemannia-judaica.de

Katherina Witter (Red.), Anmerkungen zur jüdischen Geschichte von Themar, Teil 1: Die jüdische Gemeinde Marisfeld als Vorläufer von Themar, in: "Jahrbuch des Hennebergisch-Thüringischen Geschichtsvereins", Band 32/2017, S. 165 - 186

Gerhild Elisabeth Birmann-Dähne, Marisfeld (Thüringen), in: Jüdische Friedhöfe in der Rhön. Haus des ewigen Lebens, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 62/63

Katharina Witter (Bearb.), Die jüdische Gemeinde Marisfeld/Themar vom Ende des 17. bis zum Beginn des 20.Jahrhunderts im Spiegel von Archivalien des Staatsarchivs Meiningen, in: „Jüdische Geschichte in Thüringen“ (2023), S. 139 - 156