Marköbel (Hessen)
Marköbel ist heute ein Ortsteil der Kommune Hammersbach im Main-Kinzig-Kreis - etwa zehn Kilometer nordöstlich von Hanau gelegen. Im Zuge der hessischen Gebietsreform hatte es sich 1970 mit Langen-Bergheim zur neuen Gemeinde Hammersbach zusammengeschlossen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Marköbel, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Main-Kinzig-Kreis' ohne Eintrag von Hammersbach, aus: ortsdienst.de/hessen/main-kinzig-kreis).
Spuren jüdischen Lebens in Marköbel reichen bis ins 16.Jahrhundert zurück; seit Ende dieses Jahrhunderts sind Ansiedlungen von jüdischen Familien urkundlich nachweisbar. Die Marköbeler Juden lebten vom Geldhandel und Kreditgeschäft, wobei letzteres zur Verschuldung vieler Bewohner in der Region führte; daraus resultierten erhebliche Spannungen zwischen Gläubigern und Schuldnern. Auch die Übertretungen des „Sonntagsfriedens“ führte immer wieder zu Konflikten.
Im 18.Jahrhundert gab es in Marköbel - wie in der gesamten Markgrafschaft Hanau - besondere „Judenordnungen“. Die jüdischen Familien Marköbels lebten innerhalb der mittelalterlichen Ringmauer in einem eigenen Bezirk an der heutigen Rüdigheimer Straße. Im Volksmund wird dieser Bezirk heute noch „das Jurreeck“ (Judenecke) genannt. Erst später erwarben die Juden Hofreiten im Dorf.
Der jüdische Bevölkertungsanteil in Marköbel war im Verhältnis zu anderen Hanauer Gemeinden recht hoch. Die christlichen Bewohner baten in mehreren Eingaben an die Landesherrschaft, die „Schutzjuden“ gerechter auf die einzelnen Orte zu verteilen und auch jeden weiteren Zuzug zu verbieten.
Anm.: Die Kurhessische Gemeindeordnung von 1834 ermöglichte auch Juden Ortsbürger zu werden. Damit hatten sie z.B. dann auch das Recht auf sog. „Losholz“ (= kostenloses Bau- und Brennholz). Da das Einschlagholz aber nicht beliebig vermehrbar war, mussten deshalb die bisherigen Nutzer mit den Juden teilen! Wie anderswo auch führte diese Gleichstellung zu großen Spannungen und sogar Ausschreitungen; gerichtliche Auseinandersetzungen verliefen zumeist im Sande
Über lange Zeit fanden gottesdienstliche Zusammenkünfte in beengten privaten Räumlichkeiten statt. Um 1830 ließ die Marköbeler Judenschaft in der Nordstraße ein kleines Synagogengebäude errichten, das etwa 50 Personen Platz bot; das Fachwerkhaus unterschied sich äußerlich kaum von den Nachbargebäuden.
Seitens der Gemeinde war ein Lehrer verpflichtet, der den Kindern religiöse Unterweisung gab und zudem - wie es in kleineren Gemeinden üblich war - als Kantor und Schochet tätig war.
aus: „Der Israelit“ vom 5.10.1893 u. vom 14.9.1904
Seit 1835 stand am Ort "im großen Burgfeld" (an der heutigen Lindenstraße) ein eigener „Totenhof“ zur Verfügung; zuvor waren verstorbene Marköbeler Juden auf dem jüdischen Zentralfriedhof der Herrschaft Hanau - in Windecken - begraben worden. 1885 wurde das Friedhofsgelände in Marköbel noch erweitert.
Drei Grabsteine aus der Anfangszeit der Friedhofsbelegung (Aufn. Marcus Cyron, 2014 aus: commons.wikimedia.org)
Die Gemeinde gehörte zum Rabbinat Hanau.
Juden in Marköbel:
--- 1505 .......................... 3 jüdische Familien,
--- 1588 .......................... 2 " " ,
--- 1632 .......................... 4 “ “ ,
--- um 1725 ....................... 4 “ “ ,
--- 1754 .......................... 33 Juden,* * mit Hirzach
--- 1806 .......................... 14 jüdische Familien,
--- 1835 .......................... 79 Juden (in 18 Familien, ca. 7% d. Dorfbev.),
--- 1865/66 ................... ca. 75 “ ,
--- 1871 .......................... 88 " (ca. 8% d. Dorfbev.)
--- 1885 .......................... 78 “ (in ca. 20 Familien),
--- 1895 .......................... 56 " ,
--- 1905 .......................... 70 “ (ca. 6% d. Dorfbev.),
--- 1925 .......................... 63 “ ,
--- um 1930 ................... ca. 15 jüdische Familien,
--- 1937 .......................... 51 Juden,
--- 1939 (Juni) ................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 62
und Rudolf W. Sirsch, Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde, S. 256/257
Die Juden Marköbels bestritten im 19.Jahrhundert ihren Lebensunterhalt als Viehhändler und Metzger, zudem als Textil- und Lebensmittelhändler.
gewerbliche Stellenangebote von 1902 und 1906
Das Verhältnis zur christlichen Bevölkerungsmehrheit war in Marköbel bis ins 20.Jahrhundert hinein von latenten Spannungen gekennzeichnet, was in der Regel monetäre Gründe hatte; so waren hiesige Landwirte oft bei Juden verschuldet, die nun schnell als „Wucherer“ in Verruf gerieten.
Zu Beginn der NS-Herrschaft lebten in Marköbel 14 alteingesessene jüdische Familien. Innerhalb weniger Jahre wurden sie ihrer Wirtschaftsgrundlagen beraubt; öffentlich unter Druck gesetzt, mussten sie schließlich ihren Besitz ganz aufgeben.
In der „Kristallnacht“ wurde das kleine Synagogengebäude von auswärtigen Nationalsozialisten (vermutlich SA/SS-Angehörige aus Büdingen-Roth) zerstört, wenig später abgerissen. Neben der Zerstörung der Synagoge kam es auch zu Ausschreitungen von SA-Angehörigen im Hause der Familie Lichtenstein in der Rüdigheimer Straße.
Bis Mai 1939 hatten alle jüdischen Familien ihr Heimatdorf verlassen; etwa 20 Personen waren in die Emigration gegangen, die allermeisten in die Anonymität der nahen Metropole Frankfurt/Main verzogen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich mindestens 21 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Marköbeler Juden Opfer des Holocaust; das Schicksal von zehn weiteren Personen ist noch ungeklärt (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/markoebel_synagoge.htm).
Die 1947 eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den damaligen Bürgermeister Heinrich Dietzel und vier weitere Marköbeler Bürger wegen „judenfeindlicher Ausschreitungen“ wurden aber bald wegen „unzureichender Nachweisbarkeit einer Schuld“ eingestellt.
Allein der israelitische Friedhof mit seinen ca. 50 erhaltenen Grabsteinen legt heute noch Zeugnis ab von der jüdischen Vergangenheit Marköbels.
Jüdischer Friedhof in Marköbel (Aufn. L., 2015 aus: commons.wikimedia, CC BY-SA 4.0 und Marcus Cyron, 2014)
Am Eingang zum Friedhof befindet sich eine Informationstafel mit dem folgenden Text:
"Ursprünglicher Begräbnisplatz für die Marköbeler Juden war der 1497 eingerichtete jüdische Zentralfriedhof in Windecken. Neben den hohen Unterhaltungskosten in Windecken waren es vor allem praktische Gründe, die für die Anlage eines eigenen Friedhofes sprachen: Die Verstorbenen mussten drei Tage liegen bleiben, ehe sie begraben werden durften. 'So wolle im Sommer bei warmen Tagen niemand sich dazu verstehen, die Leiche anderthalb Stunden Wegs nach Windecken zu fahren, des Gestanks und der zu befürchtenden Krankheiten halber', so 1824 in der Begründung. 1835 war es dann so weit. Ein für 10 Gulden erworbener Garten 'im großen Burgfeld' - praktisch unmittelbar gegenüber dem christlichen Friedhof - wurde zu einem jüdischen Friedhof umgewandelt.
Eine Erweiterung erfolgte 1885. Eine Neubelegung der Grabflächen nach einer gewissen Ruhefrist wie auf dem christlichen Friedhof kam nicht in Betracht, da 'nach jüdischem Ritualgesetz ein Totenhof nie umgegraben werden' darf. Nach jüdischem Glauben soll den Toten die ewige Ruhe gewährt werden. Die letzte Bestattung erfolgte 1937. Insgesamt umfasst der jüdische Friedhof 49 Gräber."
Im Angedenken an ehemalige jüdische Mitbürger wurden 2015 die ersten sog. "Stolpersteine" im Hammersbacher Ortsteil Marköbel gelegt; sechs Steine erinnern an Angehörige der Familie Lichtenstein. Zwei Jahre später wurden weitere Stolpersteine in das Gehwegpflaster eingefügt; bei einer dritten Verlege-Aktion (2018) kamen weitere elf Steine hinzu. Sechs Steine für Angehörige zweier jüdischer Familien (Löbenstein und Stern) wurden 2021 verlegt; zudem führt eine Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus der Familie Stern deren einstige Bewohner namentlich auf.
„Stolpersteine“ für Fam. Lichtenstein, Rüdigheimer Str. (Aufn. A. Deckenbach, 2015) und Fam. Löwenstein, Hintergasse (Aufn. P. Simon)
Die möglicherweise letztmalige Verlegung von insgesamt 22 messingfarbenen Gedenkquadern fand im Nov. 2023 statt.
aus: kultur-geschichte-hammersbach.de
In Langen-Bergheim – heute ebenfalls zur Kommune Hammersbach gehörig - existierte eine winzige jüdische Gemeinde bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die wenigen Familien besaßen einen Betsaal. Nach Abwanderung der meisten Familien in größere Städte wurde der Betsaal geschlossen; 1907 wurden die drei vorhanden Thorarollen zum Verkauf angeboten (vgl. Anzeige).
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 16.Mai 1907
Verstorbene wurden auf dem israelitischen Friedhof in Eckartshausen beerdigt.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 15 gebürtige bzw. länger im Ort ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/langen-bergheim_synagoge.htm).
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 62 f.
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, 1995, S. 208/209
Rudolf W. Sirsch, Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde, in: Chronik von Marköbel – 1150 Jahre Marköbel, hrg. vom Gemeindevorstand von Hammersbach, 1989, S. 253 - 280 (u.a. mit einer Zeichnung des kleinen Synagogengebäudes)
Dirk-Jürgen Schäfer, Das Schicksal der Marköbeler Juden im Dritten Reich, in: Chronik von Marköbel – 1150 Jahre Marköbel, hrg. vom Gemeindevorstand von Hammersbach, 1989, S. 281 – 290
Marköbel, in: Encyclopaedia of Jewish Communities: Germany - Band 3, Jerusalem 1992 (online abrufbar)
Marköbel mit Hirzbach, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Langen-Bergheim, in: alemannia-judaica.de
Gisela Lorenzen, Die Juden in Himbach/Hainchen, Langenbergheim, Eckartshausen, Altwiedermus und auf der Ronneburg, o.O. o.J.
N.N. (Red.), Gunter Demnig verlegt erste Stolpersteine in Marköbel, in: „Hanauer Anzeiger“ vom 12.2.2015
N.N. (Red.), Zweite Verlegung von Stolpersteinen in Hammersbach, in: „Vorsprung – Nachrichten aus der Region Main-Kinzig“ vom 20.2.2017
Rainer Habermann (Red.), Elf weitere Stolpersteine von Gunter Demnig in Marköbel verlegt, in: op-online.de vom 23.5.2018
jow (Red.), Hammersbach: Verein für Kultur und Heimatgeschichte erinnert an jüdische Familien, in: op-online.de vom 25.5.2021
jow (Red.), Hammersbach: Heimat- und Geschichtsverein will 21 weitere Stolpersteine verlegen, in: op-online.de vom 1.2.2023
Christine Fauerbach (Red.), 22 Stolpersteine in Hammersbach verlegt, in: op-online.de vom 13.11.2023 (mit biografischen Angaben zu den betreffenden jüdischen Familien)
Verein für Kultur und Heimatgeschichte Hammersbach e.V. (Bearb.), Erinnern heißt Handeln: Stolpersteine, online abrufbar unter: kultur-geschichte-hammersbach.de (Dokumentation der Stolperstein-Verlegungen bis 2023)