Maursmünster (Elsass)
Das im Unterelsass ca. zehn Kilometer südlich von Zabern/Saverne bzw. 35 Kilometer nordwestlich von Straßburg entfernt gelegene Maursmünster ist das frz. Marmoutier mit derzeit ca. 2.700 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts gehörte jeder 5. Ortsbewohner dem jüdischen Glauben an.
In Maursmünster war eine der ältesten und bedeutendsten jüdischen Gemeinden des Unterelsass beheimatet; vermutlich lebten hier bereits im 10.Jahrhundert Juden, die als Kaufleute für die hiesige Abtei tätig waren. In den folgenden Jahrhunderten gab es zwar Versuche, die jüdischen Bewohner zu vertreiben - so z.B. 1497 durch Wilhelm von Rappoltstein; doch das Bestreben war auf Dauer nicht erfolgreich. Allerdings durften sie ihre Behausungen nicht mehr in der Nähe des Klosters und der Abteikirche einrichten.
Jude als Symbol des Geizes, Kloster Marmoutier (Auf. Pépé Ciceaux, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY 2.0)
Ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte die Maursmünster Judenschaft Mitte des 19.Jahrhunderts; mit ca. 500 Personen machten die jüdischen Einwohner damals immerhin 20% der Kleinstadtbevölkerung aus.
Das heute noch vorhandene Synagogengebäude wurde in den 1820er Jahren errichtet.
Zu den gemeindlichen rituellen Einrichtungen gehörte auch eine Mikwe (Aufn. Peter Pielmeier, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0).
Westlich des Ortes konnte die hiesige Judenschaft gegen Ende des 18.Jahrhunderts ihren Begräbnisplatz anlegen.
Teilansichten des jüdischen Friedhofs von Marmoutier mit klassizistischen Grabmalen (Aufn. J. Hahn, 2004)
Seit dem 18.Jahrhundert war Maursmünster Sitz eines Rabbinats; nach dessen Auflösung 1910 gehörte die Gemeinde dem Rabbinat Zabern an.
Notiz aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Febr.1909
Juden in Maursmünster:
--- um 1650 ...................... ca. 30 Juden,
--- um 1690 ...................... ca. 20 jüdische Familien,
--- um 1785 ...................... ca. 300 Juden (in 50 Familien),
--- 1807 ............................. 357 “ ,
--- 1846 ............................. 469 “ (ca. 20% d. Bevölk.),
--- 1865 ............................. 405 “ ,
--- 1871 ............................. 351 “ ,
--- 1900 ............................. 483 “ ,
--- 1910 ............................. 130 “ ,
--- 1936 ......................... ca. 60 “ ,
--- 1939 ......................... ca. 50 “ ,
--- 1953 ......................... ca. 40 “ .
Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 33
Im Gefolge der Revolution von 1848 kam es auch in Maursmünster zu antijüdischen Ausschreitungen, die nur mit Hilfe bewaffneter Ordnungskräfte eingedämmt werden konnten. Aus einem Bericht eines Polizeioffiziers: „ ... Das Plündern hatte begonnen. In der Straße herrschte Aufruhr und bedrohte uns. Die Truppe erhielt den Befehl, eine Versammlung von drei- bis vierhundert Einheimischen und Berglern anzugreifen. Es wurde ein Gewehrschuß auf uns abgefeuert und bewarf uns mit Steinen. Die Plünderungen gingen weiter. ... 20 bis 25 Häuser wurden geplündert und buchstäblich bis auf den Grund zerstört. Alles wurde zerschmettert, durcheinander gebracht und aus den Fenstern geworfen, mit einer Wut, mit einer Planmäßigkeit und in einem Zusammenspiel, wie man sich kaum vorstellen kann. Mehrere Juden wären aufgehängt worden, wenn man sie erwischt hätte, und sie haben alles, was sich in ihren Häusern befand, verloren. Beim Verbrennen von Verträgen und Wechseln gerieten wiederholt Gebäude in Brand. ... Die Ordnung wurde erst ziemlich spät am Tage des 29. wiederhergestellt, ...”
Dieser Pogrom im Februar 1848 war der schlimmste bekannte in der unterelsässischen Region. Durch Abwanderung in größere Städte verkleinerte sich die Gemeinde zwischen 1900 und 1910 deutlich.
Ansicht von Maursmünster nach 1870 (aus: wikipedia.org, CCO)
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hielten sich nur noch ca. 50 Juden hier auf; die meisten von ihnen wurden von den NS-Behörden nach Südfrankreich und von dort in die Vernichtungslager Osteuropas deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 17 gebürtige bzw. längere Zeit in Marmoutier ansässig gewesene Bewohner jüdischen Glaubens Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/marmoutier_synagogue.htm).
Nach Kriegsende kehrten einige überlebende Juden nach Marmoutier zurück. Als jedoch die Zahl der Gemeindeangehörigen immer mehr zurückging, löste sich die kleine Gemeinde in den 1960er Jahren auf.
Auf dem jüdischen Begräbnisareal - es wurde bis in die jüngste Vergangenheit belegt - findet man ca. 500 Grabsteine; der älteste Stein datiert von 1799.
Friedhof in Marmoutier (Aufn. A. 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Das Synagogengebäude dient heute der Kommune als kulturelles Zentrum. Im kommunalen „Musée d’Art et traditions populaires“ wird eine Reihe jüdischer Ritualobjekte gezeigt, die sowohl im persönlichen als auch kollektiven Gebrauch waren.
ehemaliges Synagogengebäude in Marmoutier (Aufn. J. Hahn, 2005)
Der 1843 in Maursmünster geborene Alphonse Lévy ist durch zahlreiche Milieustudien des jüdischen Lebens im Elsass bekannt geworden. 1903 editierte er eine Sammlung Lithographien mit typischen Szenen jüdischen Familienlebens auf dem Lande. Auch als Karikaturist hatte sich Alphonse Lévy einen Namen gemacht. Er starb 1918.
Weitere Informationen:
Emmanuel Haymann, Alphonse Lévy - Maler des jüdischen Lebens, Straßbourg/Genf 1976
Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992
Pierre Katz, Histoire de la Communauté juive de Marmoutier, in: "d’Almanach du K.K.L.", Straßbourg 1994
Gerd Mentgen, Studien zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Elsaß. Forschungen zur Geschichte der Juden, in: "Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden e.V.", Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1995
Eliane de Thoisy (Hrg.), Le Judaisme Alsacien. Histoire, Patrimoine, Traditions, Straßbourg 1999
Daniel Gerson, Die Kehrseite der Emanzipation in Frankreich. Judenfeindschaft im Elsass 1778 bis 1848, hrg. vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Klartext-Verlag, Essen 2006, S. 245 f.
Marmoutier, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Simone Giedinger (Red.), Marmoutier. Cimetiere israélite: des bénévoles aux Petit soins des sépultures, in: dna.fr/culture-loisirs vom 16.10.2023