Nieder-Mendig/Eifel (Rheinland-Pfalz)
Mendig ist eine Kommune mit derzeit ca. 8.800 Einwohnern im Landkreis Mayen-Koblenz und Verwaltungssitz der Verbandsgemeinde Mendig – ca. 20 Kilometer westlich von Koblenz gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, CCO und Kartenskizze 'Landkreis Mayen-Koblenz', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/mayen-koblenz).
Der erste Hinweis auf die Existenz von Juden in Niedermendig findet sich in einem erzbischöflichen Dekret aus dem Jahre 1663. In diesem wurden Juden Nutzungsrechte an Weiden und Wald zugestanden. Zwei Jahrzehnte später fand erstmalig ein Jude des Ortes namentlich Erwähnung. Für die Ansiedlung von Juden im 18.Jahrhundert liegen verschiedene Dokumente vor.
Bis Anfang der 1860er Jahre versammelten sich die Juden aus Nieder- und Obermendig zu Gottesdiensten in einer Betstube eines Privathauses in Niedermendig. Eine neue Synagoge in Niedermendig wurde im August 1886 feierlich eingeweiht; sie befand sich in der Wollstraße; über dem Eingangsportal war in hebräischer Schrift zu lesen: „Aber ich, in der Fülle Deiner Güte, darf dein Haus betreten.”
Synagoge ganz rechts im Bild (hist. Karte, um 1920) Synagogengebäude (Skizze K. Kranz, 1982)
Zum damaligen Zeitpunkt war die Mendiger Judenschaft nicht als Synagogengemeinde konstituiert; die Bildung derselben scheiterte 1863 daran, dass Kottenheim sich dieser anschließen sollte; aus diesem Grunde bildete man sog. „Synagogengesellschaften“ mit Sitz in Niedermendig und Thür. Zeitgleich mit der Synagoge in Niedermendig war auch in Thür ein Gotteshaus errichtet worden.
In den 1820er Jahren besuchte ein Teil der jüdischen Kinder die katholische Ortsschule, ein Teil die jüdische Schule in Thür; zwei Jahrzehnte später gab es in Niedermendig einen jüdischen Privatlehrer. Den Eltern war es freigestellt, ihre Kinder von diesem unterrichten zu lassen oder in die öffentliche Schule zu schicken. Seit 1902 erhielten die jüdischen Kinder Mendigs Religionsunterricht von einem Lehrer aus Andernach.
1890 wurde den jüdischen Einwohnern von Nieder- und Obermendig die Genehmigung erteilt, einen eigenen Begräbnisplatz inmitten von Feldern in der Gemarkung Niedermendig anzulegen; zuvor waren Verstorbene auf dem jüdischen Friedhof in Nickenich beigesetzt worden.
Juden in Mendig:
--- 1769 ........................... 5 Juden,* * Niedermendig
--- 1808 ........................... 43 “ ,** ** Ober- u. Niedermendig
--- 1856/58 ........................ 83 “ ,**
--- 1871 ........................... 64 “ ,*
--- 1896 ........................... 59 “ ,**
--- 1910 ........................... 68 “ ,*
--- 1925 ........................... 44 “ ,*
--- 1931 ........................... 39 “ (in 13 Familien),*
--- 1936 ........................... 78 “ ,*** *** Niedermendig und Umland
--- 1942 (Juli) .................... keine.
Angaben aus: Erich Kayer (Hrg.), Städtebuch Rheinland-Pfalz, S. 328
Bis ins 20.Jahrhundert hinein lebten die Juden Mendigs nach streng rituellen Gesetzen; so wurden die Gemeindeangehörigen z.B. mit geschächtetem Fleisch aus Thür versorgt. In den 1920er Jahren lebten nur noch ca. 10 - 15 jüdische Familien in Niedermendig.
Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die Synagoge in Niedermendig in Brand gesetzt und zerstört; wenig später wurde die Ruine abgerissen. Diejenigen jüdischen Bewohner, die nicht mehr emigrieren konnten, wurden Opfer des Holocaust. Ende Juli 1942 war Mendig „judenrein” - wie es im NS-Jargon hieß
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 30 aus Nieder-Mendig stammende Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/mendig_synagoge.htm).
Am einstigen Standort der Synagoge in Nieder-Mendig - heute befindet sich hier eine Grünanlage - steht seit 1988 ein Gedenkstein, der folgende Inschrift trägt.
Hier stand von 1886 - 9.11.1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde
Wer seine Fehler verheimlicht hat kein Gedeihen.
Wer sie aber bekennet und verlässt, dem wird Versöhnung.
Salomon 28.13
2014 wurde mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ in Mendig begonnen; inzwischen sind es mehr als 35 Steinquader, die Opfern der NS-Gewaltherrschaft gewidmet sind (Stand 2023).
zwei Stolpersteine (Aufn. aus: realschuleplus-mending.com)
Einziges noch sichtbares Relikt der kleinen Gemeinde ist der Friedhof, der während der NS-Zeit erheblich zerstört worden war. Nach der Erschließung eines neuen Baugebietes befindet dieser sich nun inmitten eines Wohngebietes. Erhalten geblieben sind noch ca. 35 Grabsteine, deren Inschriften z.T. unleserlich sind. Auf dem ca. 700 m² großen Gelände fand die letzte Beerdigung im Jahre 1938 statt.
Jüdischer Friedhof - Eingangspforte und Grabsteinreihe (Aufn. GFreihalter, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
In der östlich von Mendig gelegenen Ortschaft Kruft - heute Teil der Verbandsgemeinde Pellenz - erreichte die hier beheimatete kleine jüdische Gemeinde mit ca. 60 Angehörigen um 1850/1860 ihren Höchststand; erste Nachweise jüdischen Lebens stammen hier bereits aus der Zeit des 16.Jahrhunderts. Den sog. Judenschutz hatte das Kloster Maria Laach inne, das enge wirtschaftliche Verbindungen – hier ging es vor allem um Kreditvergaben - zu den jüdischen Geschäftsleuten unterhielt. 1925 lebten nur noch 25 Juden im Ort. Neben einer Betstube besaß die Gemeinde vermutlich seit ca. 1800 auch einen Begräbnisplatz; Beerdigungen sollen aber auch auf dem jüdischen Friedhof in Nickenich erfolgt sein.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich acht aus Kruft stammende Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/kruft_synagoge.htm).
Im unmittelbar bei Kruft gelegenen Nickenich - ebenfalls zur Verbandsgemeinde Pellenz gehörig - gab es im 19.Jahrhundert eine winzige jüdische Gemeinschaft, die um 1850 etwa 50 Angehörige erreichte. Um 1925 wohnten in Nickenich nur noch elf Juden.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählte zunächst eine Betstube, die gegen Mitte des 19.Jahrhunderts von einem Synagogengebäude (in der Untergasse) abgelöst wurde.
Synagogengebäude in Nickenich (hist. Aufn.)
Anfang der 1930er Jahre übernahm ein Handwerker das Gebäude, das nun als Schmiedewerkstatt genutzt wurde. Um 1960 wurde das Gebäude abgerissen.
Zeitweilig wurde auch eine Religionsschule betrieben. aus: "Der Israelit" vom 25.9.1865
Ein jüdischer Friedhof lag der an der Straße nach Mendig.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden elf gebürtige Nickenicher Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/nickenich_synagoge.htm).
Auf dem um 1800 angelegten Begräbnisareal sind noch ca. 60 Grabsteine vorhanden; die letzte Beerdigung fand hier 1926 statt.
Jüdischer Friedhof in Nickenich (Aufn. GFreihalter, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Heute erinnert in Nickenich eine Gedenkmauer mit dort eingelassenen Namenstäfelchen an Opfer der NS-Gewaltherrschaft.
Die Bildung einer israelitischen Gemeinde in Thür reicht ins ausgehende 18.Jahrhundert zurück; ihr waren auch die wenigen Familien aus Kottenheim angeschlossen. Die Zahl der Gemeindeangehörigen erreichte zu keiner Zeit mehr als 40 Personen.
Anzeige der Schlachterei Gottschalk aus Kottenheim
Seit dem frühen 19.Jahrhundert war ein Betraum vorhanden; dieser wurde Mitte der 1880er Jahre durch ein neues Synagogengebäude (in der Hagelstraße) ersetzt. Seit 1894 gab es hier einen Friedhof; zuvor waren Verstorbene in Mayen beerdigt worden. Anfang der 1930er Jahre bestand die Gemeinde aus ca. 25 Personen, die zumeist von hier verzogen bzw. auswanderten. Beim Novemberpogrom wurde die Synagoge völlig zerstört.
Während elf jüdische Bewohner sich durch Emigration vor dem Zugriff der Nazis noch retten konnten, wurden die verbliebenen im April 1942 „in den Osten“ deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden zehn aus Thür und 16 aus Kottenheim stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/thuer_synagoge.htm).
Auf dem Gelände des 1894 angelegten ehemaligen jüdischen Friedhofs in Thür – dessen Grabsteine wurden während der NS-Zeit entfernt – erinnert heute eine Gedenkstein an die hier einst begrabenen Juden.
Gedenkstein in Thür (Aufn. GFreihalter, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA.3.0)
In der Gedächtniskapelle auf dem alten Friedhof in Kottenheim sind mehrere Gedenktafeln zu finden, die dem Gedenken jüdischer Familien gewidmet sind.
Auf Initiative des hiesigen Kultur- u. Verschönerungsvereins wurde im Jahre 2015 zur Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Bürger der Gemeinde eine Stele an der Ecke Mendiger Straße/Hagelstraße aufgestellt (Aufn. Franz G. Bell, 2015).
Eine Tafel trägt den folgenden Text: "Zur Erinnerung an die Thürer Juden und ihre Synagoge. Fast 200 Jahre lebten Juden in Thür, ehe in nationalsozialistischer Zeit dieses friedliche Zusammenleben ein schreckliches Ende fand. Die Thürer Synagoge - gemeinsam genutzt von Thürer und Kottenheimer Juden - wurde 1884 auf einem Grundstück zwischen Hagel- und Hochstraße erbaut und 1938 während des November-Pogroms beschädigt und abgerissen".
Weitere Informationen:
Hoellen, Vor 50 Jahren: „Gegen das Weltjudentum und seine schwarzen Bundesgenossen”, in: "Kreis-Heimatjahrbuch des Kreises Mayen-Koblenz 1988"
Hans-Peter Kranz, Historische Daten der jüdischen Gemeinde Niedermendig, Manuskript, Mendig 2004
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 222 (Kruft), S. 268/269 (Nieder-Mendig), S. 290 (Nickenich) und S. 363/364 (Thür)
Franz G. Bell, Erinnerungen an die Thürer Juden, in: 900 Jahre Thür - Dorfchronik, 2012 (Anm. vom Autor stammen zahlreiche Aufsätze, in denen Personen jüdischen Glaubens aus Thür und Kottenheim im Mittelpunkt stehen; ein Teil dieser Beiträge zur jüdischen Geschichte ist als PDF-Datei zu finden unter: alemannia-judaica.de/thuer_synagoge.htm)
Thür mit Kottenheim, in: alemannia-judaica.de (mit vor allem personenbezogenen Bild- u. Textdokumenten)
Niedermendig mit Obermendig, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Nickenich, in: alemannia-judaica.de
Patrick Grosse (Red.), „Stolpersteine“ sollen in Mendig an Opfer erinnern, in: „Rhein-Zeitung“ vom 27.1.2014
Carsten Männlein (Red.), Stolpersteine in Mendig erinnern an die Opfer der Nazis, in: „Rhein-Zeitung“ vom 14.5.2014
Hilko Röttgers (Red.), Mendig. Novemberpogrom: Der Morgen, als Mendigs Synagoge brannte, in: „Rhein-Zeitung“ vom 9.11.2018
Sekretariat Realschule plus u. Fachoberschule Mendig (Red.), Gegen das Vergessen, in: „Blick aktuell“vom 11.11.2022