Mitwitz (Oberfranken/Bayern)
Markt Mitwitz mit derzeit ca. 3.000 Einwohnern liegt im Südwesten des Landkreises Kronach und ist Sitz der gleichnamigen Verwaltungsgemeinschaft (Kartenskizzen 'Oberfranken', aus: lvle.de/vle-oberfranken und 'Landkreis Kronach', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Während der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts stellten die Angehörigen der hiesigen jüdischen Gemeinde zeitweilig bis zu 20% der Dorfbevölkerung.
Möglicherweise hielten sich im zwischen Coburg und Kronach gelegenen Mitwitz bereits im 14.Jahrhundert einzelne Juden auf, wie aus Lehensurkunden der Herren von Schaumberg hervorgeht. Gegen Ende des 16.Jahrhunderts waren einige wenige jüdische Familien im Dorf ansässig, die unter dem Schutz der Herren von Würtzburg standen. Vor dem Dreißigjährigen Krieg sollen bis zu sieben Familien hier gelebt haben. In den beiden folgenden Jahrhunderten lassen sich dann drei bis vier Familien nachweisen; erst um 1780/1800 nahm ihre Anzahl deutlich zu. Als Schutzjuden der „Herren von Würtzburg“, die einer Ansiedlung von Juden positiv gegenüberstanden, waren sie diesen zu jährlichen Abgaben verpflichtet. Da in den sächsisch-thüringischen Fürstentümern eine Niederlassung für Juden lange Zeit verboten war, profitierte die Gemeinde Mitwitz von dieser Grenzlage.
Die jüdischen Familien lebten zunächst vor allem vom Geldverleih und vom Viehhandel. Im 18./19. Jahrhundert brachten es einige Juden zu größerem Ansehen. So war der Mitwitzer Abraham Seligmann (Alexander) in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Sachsen-Meiningischer Hofjude tätig und betrieb als solcher Geldgeschäfte in größerem Stil. In der napoleonischen Zeit besorgte ein Mitwitzer Jude umfangreiche Heereslieferungen für die „Grande Armee“.
1789 erlaubte die Grundherrschaft die Errichtung einer Synagoge, die noch im gleichen Jahre am Rande des Ortskern gebaut wurde; das Gebäude war auch Sitz der Elementar- und Religionsschule.
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 30.Aug. 1847
und Kleinanzeige aus "Würzburger Abendblatt" vom 2.Jan. 1866
Über einen eigenen Rabbiner verfügte die Gemeinde wegen ihrer geringen Angehörigenzahl nicht; zu besonderen Anlässen reiste ein Rabbiner an. Bis 1825 gehörte die Gemeinde dem Distriktrabbibat Burgkunstadt an, danach dem von Redwitz.
Im Keller eines Hauses „Am Grünen Tal“ - Anwesen des jüdischen Viehhändlers Meyer Salomon – wurde eine (private) Mikwe eingerichtet, die ab ca. 1825 von der gesamten Mitwitzer Judenschaft benutzt wurde.
Einen Friedhof besaß die Kultusgemeinde nicht; so wurden die Verstorbenen auf den jüdischen Begräbnisstätten in Küps und später in Burgkunstadt beerdigt.
Bis 1825 gehörte die Kultusgemeinde dem Distriktrabbinat Burgkunstadt an, danach dem von Redwitz.
Juden in Mitwitz:
--- um 1615 .................. ca. 5 - 7 jüdische Familien,
--- um 1700 ....................... 4 " " ,
--- um 1800 ....................... 17 “ “ ,
--- 1820 .......................... 113 Juden (in 21 Familien),
--- 1840 .......................... 119 “ (ca. 19% d. Bevölk.),
--- 1852 .......................... 63 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1869 .......................... 36 “ (in 5 Familien),
--- 1880 .......................... eine jüdische Familie,
--- 1910 .......................... keine.
Angaben aus: Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942), S. 246
Die Blütezeit der Kultusgemeinde Mitwitz lag in den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts, als die Zahl ihrer Angehörigen mit ca. 120 Personen etwa 20% der Dorfbevölkerung ausmachte. Die jüdischen Familien lebten im 19.Jahrhundert vom Vieh- und Warenhandel, aber auch von der Landwirtschaft und vom Handwerk (als Korbmacher). Ihre Wohnsitze hatten die meisten Familien in der Kronacher Straße.
Hinweis: Aus Mitwitz stammte David Bamberger (geb. 1811), der zusammen mit seinen beiden Söhnen in Lichtenfels ein florierendes Korbwaren-Unternehmen schuf, das weit über die Grenzen bekannt wurde. vgl. dazu: Lichtenfels (Oberfranken)
Nach 1840 wanderten immer mehr Juden aus Mitwitz ab. Alsbald befand sich die jüdische Kultusgemeinde in Auflösung; deren offizielles Ende kam dann 1872, nachdem bereits in den Jahren zuvor fast alle jüdischen Familien das Dorf verlassen hatten; Ende der 1880er Jahre lebte dann kein einziger Jude mehr am Ort. Das Synagogengebäude war vor dem Wegzug des letzten Juden aus Mitwitz an eine hiesige Familie verkauft worden, die es zu einem Wohnhaus (mit Laden) umbauen ließ.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind vier aus Markt Mitwitz stammende Juden Opfer der NS-Verfolgung geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/mitwitz_synagoge.htm).
Im historischen "Zapfenhaus" - im ehem. Anwesen der jüdischen Familie Friedmann "Am Grünen Tal" - ist ein ehemaliges rituelles Tauchbad erhalten geblieben; es wurde jüngst zufällig wiederentdeckt. Das zunächst nur privat genutzte Bad (Keller-Mikwe) stand seit den 1820er Jahren den Angehörigen der jüdischen Gemeinde zur Verfügung; nach etwa 40jähriger Nutzung wurde es zu Gunsten einer neugeschaffenen "Tauche" aufgegeben. Das inzwischen denkmalgeschützte, vor dem endgültigen Verfall stehende Anwesen mit der dort befindlichen historischen Mikwe soll erhalten werden.
"Zapfenhaus", Aufn. um 1910 (C.Porzelt, aus: alemannia-judaica.de)
In Mitwitz trägt heute eine Nebenstraße den Namen von Ludwig Abraham Freund, der durch zahlreiche Stiftungen sich als Wohltäter einen Namen im Ort gemacht hatte.
Weitere Informationen:
Einiges aus der Geschichte der Juden in Mitwitz – Vortragstext von Oberlehrer Joch von 1928 (online unter: Mitwitz auf den Punkt gebracht, mitwitz.de)
Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942). Ein historisch-topographisches Handbuch, Bayrische Verlagsanstalt Bamberg, Bamberg 1988, S. 244 - 251
Siegfried Rudolph, Judentauchbäder in Mitwitz und Küps, in: "Heimatkundliches Jahrbuch des Landkreises Kronach", Bd. 18 (1990/91), S. 77 - 83
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 230
M.Weiss, Die jüdische Landgemeinde Mitwitz unter besonderer Berücksichtigung des 18. und 19.Jahrhunderts, Examensarbeit an der Universität Bamberg, 1992
Friedrich Bürger, Aus der Geschichte von Mitwitz – Heimatgeschichtliches Lesebuch, 2003
Markt Mitwitz, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Christian Porzelt, Informationen zur Mikwe in Mitwitz (siehe: Mitwitz, in: alemannia-judaica.de)
Rainer Domke, Former houses of the Wertheimer familiy, in: leopoldstein.net (einige Fotos)
Friedrich Bürger, 750 Seiten Mitwitz – Heimatbuch, Mitwitz 2012
Heike Schülein (Red.), „Zapfenhaus“ soll erhalten bleiben – Die Mikwe gilt als bedeutendes Zeugnis jüdischen Lebens in der Region, in: „Fränkischer Tag“ vom 3.9.2017
Markt Mitwitz (Hrg.), Das historische „Zapfenhaus“ in Mitwitz – ein einzigartiges Denkmal soll erhalten werden – Flyer von 2017 (aktualisiert 2019)
Maria Löffler (Red.), Ludwig Spaenle zeigt sich beeindruckt vom Umgang mit jüdischen Erbe in Mitwitz, in: „Fränkischer Tag“ vom 25.7.2019
Konstantin Gayvoronski (Red.), Zapfenhais Mitwitz – ein virtueller Rundgang, 2020 (online abrufbar unter: my.matterport.com/show/?m=uyKPTL5nguS
Nicole Julien-Mann (Red.), Mitwitz: Mikwe, Laubhütte und Synagoge, in: „Fränkischer Tag“ (bzw. "Neue Presse") vom 14.10.2020
Heinz Köhler, Aus der Geschichte der Juden in Mitwitz - Dokumentation, 2020
N.N. (Red.), Miwitz. Lösung für das Zapfenhaus in Sicht, in: „Neue Presse“ vom 29.7.2021
Birgit Rätsch/Andrea Neumeier (Red.), Wiederentdeckt; Vergessene Orte jüdischen Lebens in Bayern, in: br.de vom 16.9.2021
Julia Knauer (Red.), Mitwitzer Zapfenhaus – Vom Abrissobjekt zum historischen Schatz, in: „Neue Presse“ vom 24.4.2024