Mußbach/Weinstraße (Rheinland-Pfalz)

SpeyerbachZwischen 1969 und 1974 erfolgte teils unter Protesten die Zuordnung der neun umliegenden Weindörfern zur Kreisfreine Stadt Neustadt.  Das Winzerdorf Mußbach mit derzeit ca. 4.000 Einwohnern ist seit seiner Eingemeindung (1969) ein nordöstlich gelegener Ortsteil der Stadt Neustadt a. d. Weinstraße (topografische Karte, aus: de.academic.com  und  Kartenskizze 'Stadtteile Neustadt a.d.Weinstraße', aus: wochenblatt-reporter.de).

 

Die jüdische Dorfbevölkerung von Mußbach - die ersten Familien hatten sich Ende des 17. Jahrhunderts hier niedergelassen - erreichte in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts mit ca. 140 Personen ihren Höchststand; um 1900 lebten noch ca. 70 Juden im Dorf.

Seit den 1880er Jahren verfügte die Kultusgemeinde über einen Betsaal im Obergeschoss eines Hauses der Kurpfalzstraße; nach einem Brand 1901 wurde der Betraum wiederhergestellt. Ein erster Synagogenraum soll in Mußbach bereits in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts bestanden haben.

Kleinanzeige aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30.Aug. 1900

Die Gemeinde Mußbach gehörte dem Bezirksrabbinat Frankenthal – Dürkheim an.

Juden in Mußbach:

         --- 1722 ..........................   5 jüdische Familien,

    --- 1743 ..........................   6     “       “    ,

    --- um 1800 ................... ca.  60 Juden (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1823 .......................... 125   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1848 ...................... ca. 140   “   (in ca. 25 Familien),

    --- 1875 .......................... 108   “  ,

    --- 1900 ..........................  71   “  ,

    --- 1925 ...................... ca.  20   “  ,

    --- 1933 ...................... ca.  15   “  ,

    --- 1940 ..........................   3   “  .

Angaben aus: Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “, S. 286

 

1936 verkaufte der letzte Gemeindevorsteher (Leopold Samson) das Haus mit dem Betraum an einen hiesigen Handwerksmeister, der es seinem Bäckerei-Betrieb angliederte; so blieb es vor Zerstörung während des Novemberpogroms von 1938 bewahrt. Schon jahrelang waren hier keine Gottesdienste mehr abgehalten worden. Die letzten drei jüdischen Bewohner mussten im Oktober 1940 ihr Heimatdorf verlassen; sie wurden - mit Tausenden anderen - ins südfranzösische Gurs deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 17 aus Mußbach stammende Personen jüdischen Glaubens Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/mussbach_synagoge.htm).

 

Mußbach gehörte zu den ersten Orten in Deutschland, in denen sog. „Stolpersteine“ verlegt wurden (2002); so erinnern in der Kurpfalzstraße zwei Steine an das jüdische Ehepaar Leopold und Klara Samson.

Stolperstein Neustadt an der Weinstraße Kurpfalzstraße 54 Leopold Samson.jpg Stolperstein Neustadt an der Weinstraße Kurpfalzstraße 54 Klara Samson.jpg verlegt Kurpfalzstraße (Aufn. Gmbo, 2017, in: wikipedia.org, CCO)

 Im pfälzischen Mußbach wurde 1864 Albert Fraenkel geboren. Der Sohn eines jüdischen Weinhändlers machte sich als Internist, Wissenschaftler und Erfinder der Strophantintherapie einen Namen. Nach seinem Medizinstudium in München und Straßburg erkrankte er an Lungentuberkulose; danach begann er sich wissenschaftlich mit dieser Krankheit zu beschäftigen. Ab 1890 ließ sich Fraenkel als Kurarzt in Badenweiler nieder und leitete in der Folgezeit zwei Sanatorien. An der Universitätsklinik Straßburg gelang ihm die bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckung der therapeutischen Wirksamkeit der intravenösen Strophantintherapie; bis in die 1970er Jahre war Strophantin das Standardmedikament zur Behandlung einer Herzinsuffizienz. Trotz seiner Konvertierung zum evangelischen Glauben (1896) wurde er 1933 aller seiner Ämter enthoben. Albert Fraenkel verstarb 1938 in Heidelberg. Sein Geburtsort hat ihn mit einer Straßenwidmung geehrt.

 

[vgl. Neustadt a.d.Weinstraße (Rheinland-Pfalz)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Otto Sartorius, Mußbach – Geschichte eines Weinbaudorfes, hrg. vom Historischen Verein der Pfalz, Speyer 1959

Hermann Arnold, Juden in der Pfalz, Pfälzische Verlagsanstalt, Landau/Pfalz 1986

Hans Alfred Kuby, Pfälzisches Judentum - Gestern und Heute, Verlag Pfälzische Post, Neustadt 1992

Jörg Schadt, Der „König von Badenweiler“. Albert Fraenkel wirkte als weltberühmter Arzt und Forscher, in: "Momente. Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg", No. 4/2002, S. 18 - 24  

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 286

Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 117 

Mußbach, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Auflistung der Stolpersteine in Neustadt/Weinstraße, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Neustadt_an_der_Weinstraße

Albert H. Keil, (Bearb.) „Zu Hilfe kam uns niemand“ - Mußbach und die "braune Pest", in: M.Hoffmann/B. Kukatzki (Hrg.),“Im Morgengaruen des 18.März 1945 herrschte noch Totenstille“. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges in der Pfalz, Ludwigshafen 2016, S. 98 - 103