Mutzig (Elsass)
Die Kleinstadt Mutzig (dt. auch Mützig) mit derzeit ca. 6.000 Einwohnern liegt im Unterelsass ca. 30 Kilometer südwestlich von Straßburg (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
Erste Hinweise auf jüdisches Leben im elsässischen Mutzig stammen aus der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts; in diesem Zusammenhang war von wegen angeblicher Ritualmorde verurteilten Juden die Rede; einige sollen gerädert worden, andere aus der Stadt geflüchtet sein und in Colmar Zuflucht gefunden haben. Jahre später sollen sie nach Mutzig zurückgekehrt sein. Anfang des 17. Jahrhunderts entstand in Mutzig eine neuzeitliche israelitische Gemeinde; durch Zuzüge vergrößerte sich die Zahl der Gemeindeangehörigen deutlich und erreichte zu Beginn des 19.Jahrhunderts ihren Höchststand mit mehr als 300 Personen.
Mutzig um 1900 (aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Die Synagoge in Mutzig wurde im Jahre 1787 erbaut und ist bis heute fast im Originalzustand erhalten; sie ist damit - neben Pfaffenhofen - eines der ältesten jüdischen Gotteshäuser im Unterelsass.
Ehem. Synagoge (Aufn. aus: judaisme.sdv.fr, um 1960 und Aufn. James Steakley, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Neben dem Synagogengebäude befand sich das jüdische Schulhaus, in dem von Mitte des 19.Jahrhunderts bis 1922 Unterricht erteilt wurde.
Im 18./19.Jahrhundert war Mutzig Sitz der „Vereinigung der Elsässischen Juden“ und des Rabbinats im Bistums Straßburg; im Jahre 1915 wurde der Rabbinatssitz aufgegeben. Der letzte amtierende Rabbiner in Mutzig war Dr. Aron Goldstein (geb. um 1840), der drei Jahrzehnte lang hier dieses Amt ausübte.
Der letzte Rabbiner von Mutzig, Dr. Aron Goldstein (gest. 1913)
Neben dem Rabbiner war zur Besorgung gemeindlicher religiöser Aufgaben seitens der Gemeinde ein Lehrer angestellt, der neben der Unterweisung der Kinder zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.
Ausschreibung der Kantor-Stelle, Aug. 1913
Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf dem nahen, südlich von Mutzig gelegenen Zentralfriedhof in Rosenweiler (Rosenwiller) beerdigt.
Der jüdische Friedhof in Rosenweiler/Rosenwiller ist der größte jüdische Friedhof im Elsass und zugleich einer der größten jüdischen Verbandsfriedhöfe in Mitteleuropa. Folgende Gemeinden bestatteten hier ihre Toten (teilweise haben diese Gemeinden im 18. oder 19. Jahrhundert dann eigene Friedhöfe angelegt): Balbronn, Baldenheim, Barr, Bergheim, Biesheim, Bischheim, Bonhomme, Brumath, Buswiller, Dambach, Dangolsheim, Diebolsheim, Dinsheim, Dornach, Duppigheim, Duttlenheim, Eckbolsheim, Epernay, Epfig, Ettingen, Fegersheim, Grusenheim, Gunstett, Kaysersberg, Kolbsheim, Krautergersheim, Kuttolsheim, Lingolsheim, Molsheim, Niedernai, Obernai, Oberschaeffolsheim, Osthoffen, Ottrott-le-Bas, Rosheim, Scharrachbergheim, Schirmeck, Soultz, Stotzheim, Strasbourg, Traenheim, Valff, Zellwiller. Auf dem etwa 40.000 m² großen Gelände werden heute nahezu 6.500 Grabstätten gezählt; die meisten Steine stammen aus dem 18. und frühen 19.Jahrhundert.
ältere Grabstätten (Aufn. Ralph Hammann, 1012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Juden in Mutzig:
--- 1784 ......................... 54 jüdische Familien (ca. 300 Pers.),
--- 1807 ......................... 317 Juden,
--- 1849 ......................... 289 “ ,
--- 1861 ......................... 199 “ ,
--- 1870 ......................... 196 “ ,
--- 1895 ......................... 154 “ ,
--- 1905 ......................... 135 “ ,
--- 1910 ......................... 107 “ ,
--- 1936 ......................... 54 “ ,
--- 1953 ......................... 36 “ ,
--- 1965 ......................... 33 “ .
Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 40
Mutzig - hist. Ansichtskarte, um 1915 (aus: oldthing.ch)
Die einst große jüdische Gemeinde hatte seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts immer mehr seiner Angehörigen durch Abwanderung in die Städte verloren. Im Jahre 1922 schloss die jüdische Schule ihre Pforten. In den 1930er Jahren war die Gemeinde nahezu bedeutungslos geworden.
Während der deutschen Okkupation wurden neun Juden aus Mutzig deportiert. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden elf aus Mutzig stammende jüdische Bürger Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/mutzig_synagogue.htm).
Nach Kriegsende kehrten nur wenige jüdische Bewohner in die Stadt zurück.
Das ehemalige jüdische Gotteshaus steht seit 1984 unter Denkmalschutz; in den letzten Jahren wurde das Gebäude restauriert (Abb. siehe oben). Auch das einstige Schulgebäude der Gemeinde - genutzt bis 1922 - hat die Zeiten überdauert.
Ehem. jüdisches Schulhaus (Aufn. James Steakley, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
In der wenige Kilometer von Mutzig entfernten Ortschaft Molsheim haben jüdische Familien bereits im 14.Jahrhundert gelebt und sollen auch über eine Synagoge (1343 erstmals erwähnt) verfügt haben. Während der Pestpogrome konnten sich die Juden Molsheim durch Flucht in Sicherheit bringen, ihre Synagoge wurde zerstört. Nach der Vertreibung der Straßburger Juden (1369) kamen wieder einige Familien nach Molsheim; sie sollen (?) auch wieder eine Synagoge gehabt haben. Mit Erlaubnis des Straßburger Bischofs wurde im Jahre 1440 der Stadt erlaubt, die Juden von hier zu vertreiben.
Eine kleine neuzeitliche Gemeinde bildete sich in Molsheim in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts; um 1900 setzte sie sich aus ca. 70 Angehörigen zusammen; Mitte der 1930er Jahre waren es noch etwa 50.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten ein Betraum, eine Religionsschule und eine Mikwe; Verstorbene wurden in Rosenweiler (Rosenwiller) beerdigt.
Zu Beginn der NS-Okkupationszeit wurden die letzten in Molsheims verbliebenen Juden nach Südfrankreich deportiert; der Betraum wurde ausgeplündert. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden zwölf aus Molsheim stammende jüdische Bürger Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/molsheim_synagogue.htm).
Nach 1945 kehrten nur wenige zurück. In den 1950er Jahren lebten ca. 30 Bürger mosaischen Glaubens in Molsheim.
In Wasselnheim (frz. Wasselonne) - am Fuße der Vogesen wenige Kilometer nördlich von Molsheim gelegen - existierte eine kleine jüdische Gemeinde seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Die Gemeinde gehörte seit 1920 zum Rabbinatsbezirk Oberehnheim (Obernai). Ein um 1890 eingerichteter Betsaal wurde nach dem Ersten Weltkrieg durch einen größeren ersetzt, da die Zahl der Gemeindeangehörigen sich vergrößert hatte. Mitte der 1930er Jahre wurden ca. 80 Personen gezählt.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden sechs gebürtige Juden aus Wasselonne Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/wasselonne_synagogue.htm).
Nach dem Krieg entstand wieder eine kleine Gemeinde, die 1960 einen kleinen Synagogenbau einweihte.
Synagoge in Wasselonne (Aufn. Karl Britz, 2007)
Mosaik-Fenster (Aufn. Karl Britz, 2007)
Bereits seit ca. 1850 besteht im Ort die Matzenbäckerei Neymann, die als älteste jüdische Bäckerei Frankreichs gilt und heute noch auch für den Export - vor allem in die Länder der EU - produziert.
Auch in der kleinen Ortschaft Balbronn – nördlich von Mutzig - war eine israelitische Gemeinde existent.
vgl. Balbronn (Elsass)
Weitere Informationen:
Freddy Raphael/Robert Weyl, Juif en Alsace. Culture, societé, histoire, Toulouse 1977
Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992, S. 40 (Mutzig) und S. 96 (Molsheim)
Alain Kahn, Die jüdische Gemeinde von Mutzig (online unter judaisme.sdv.fr)
Mutzig, in: alemannia-judaica.de
Jean Daltroff, La route du judaïsme en Alsace, ID-L’Édition, 2. Aufl., Bernardswiller 2010, S. 46/47