Myslowitz (Oberschlesien)
Wenige Kilometer östlich von Kattowitz/Katowice liegt Myslowitz (poln. Mysłowice); mit Eingemeindungen zählt die Stadt derzeit ca. 75.000 Einwohner (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Mysłowice rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
In Myslowitz bestand am Ende des 19.Jahrhunderts eine zahlenmäßig große, recht wohlhabende jüdische Gemeinde, deren Wurzeln bis ins 17.Jahrhundert reichten. Aber erst Ende der 1840er Jahre konstituierte sich eine eigenständige Gemeinde. Doch bereits seit 1826 versammelten sich die Myslowitzer Juden in einem eigenen Betsaal. Ein repräsentatives Synagogengebäude, das maurische und neoromanische Stilelemente besaß, stand am zentralen Wilhelmplatz; es war Ende der 1880er Jahre nach Plänen des Regierungsbaumeisters Ignatz Grünwald hier errichtet und unter Teilnahme einer großen Öffentlichkeit eingeweiht worden.
Aus einem Zeitungsbericht: „Myslowitz, 10.September. Hunderte von Fremden kamen heute im Laufe des Vormittags hier an, um der Einweihung der neuen Synagoge beizuwohnen. Nach einem weihevollen Abschied vom alten Gotteshause ordnete sich vor diesem der Festzug, dem sich Vertreter der königlichen Behörden und die vollzählig erschienenen Mitglieder des Magistrats und der Stadtverordnetenschaft anschlossen. Während des Festzuges, der sich durch die mit Ehrenpforten, Ranken und Fahnen geschmückten Straßen nach der neuen Synagoge hinbewegte, waren nicht nur die jüdischen sondern auch die christlichen Geschäfte geschlossen. Nachdem der Erbauer der Synagoge, Regierungsbaumeister Grünfeld, den vergoldeten Schlüssel zu dem Haupteingang derselben dem ersten Vorsteher Isaak Kuznicki übergeben hatte, ersuchte dieser den Bürgermeister Odersky mit diesem Schlüssel die Pforten des Tempels zu öffnen. Der Bürgermeister genügte diesem Wunsche mit zu Herzen gehenden Worten, und bald darauf begann der Festgottesdienst, der einen überaus feierlichen Verlauf nahm. Abends 6 1/2Uhr fand in Grunwalds Hotel ein Festessen statt, an welcem circa 150 Personen theilnahmen, darunter hohe Beamte, die Geistlichkeit der anderen Konfessionen und andere christliche Mitbürger.“ (Quelle: Im deutschen Reich 1897, Heft 10, Okt. 1897, S. 515/516)
Synagoge von Myslowitz (hist. Postkarte, 1891) Siegelmarke der Gemeinde
vor der Synagoge in Myslowitz - Aufn. um 1935 (aus: StareMiejsca-pl)
Ein Begräbnisgelände wurde bereits Ende des 18.Jahrhunderts angelegt.
Juden in Myslowitz:
--- 1771 .......................... 43 Juden,
--- 1811 .......................... 89 " ,
--- 1869 .......................... 1.040 “ (ca. 16% d. Bevölk.),
--- 1887 ...................... ca. 900 “ ,
--- 1910 .......................... 488 “ ,
--- 1931 .......................... 463 “ ,
--- 1939 .......................... 162 “ (ca. 1% d. Bevölk.).
Angaben aus: Myslowice, in: sztetl.org.pl
Wilhelmsplatz in Myslowitz (hist. Aufn. um 1930, aus: wikipedia.org, CCO)
Lebensgrundlage der Myslowitzer Juden waren Handel und Arbeit in der hiesigen Industrie.In den 1880/1890er Jahren diente Myslowitz russischen Juden, die vor Pogromen in ihrer Heimat geflohen waren, als Zwischenstation auf ihrem Wege nach Nordamerika. Während des Ersten Weltkrieges verließ ein Großteil der Myslowitzer Juden die Stadt, um sich in anderen deutschen Großstädten niederzulassen. Im folgenden Jahrzehnt waren mehrheitlich Juden polnischer Nationalität in der Stadt wohnhaft. Wenige Monate nach Kriegsbeginn wurden die meisten vertrieben und in einem Arbeitslager in der Region inhaftiert. Die wenigen verbliebenen Juden wurden 1943 deportiert und ermordet.
Das alte Friedhofsgelände, der bis in allerjüngste Zeit verwahrloste und fast vollkommen von Vegetation überwuchert war, ist 2013 dank einiger Aktivisten wieder in einen ansehbaren Zustand versetzt worden.
Jüdischer Friedhof Myslowice (Aufn. aus: sztetl.org.pl, 2013)
In Jaworzno (derzeit ca. 91.000 Einw.) - nur wenige Kilometer von Myslowitz bzw. ca. 20 Kilometer östlich von Kattowitz gelegen – setzte jüdische Siedlungstätigkeit gegen Mitte des 18.Jahrhunderts ein. Im Gefolge des industriellen Aufschwungs der Region war seit den 1870er Jahren ein enormer Bevölkerungszuwachs zu verzeichen, der auch viele jüdische Familien umfasste.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge und ein Begräbnisgelände; letzteres genanntes wurde in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts angelegt, nachdem die Zahl der jüdischen Bewohner rasant angewachsen war.
Juden in Jaworzno:
--- 1748 ......................... 15 jüdische Familien,
--- 1799 ......................... 5 “ “ ,
--- 1880 ......................... 406 Juden (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1890 ......................... 684 “ ,
--- 1900 ......................... 955 “ (ca. 11% d. Bevölk.),
--- 1910 .......................... 1.325 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1921 .......................... 1.346 “ ,
--- 1939 .......................... 1.852 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1942 (Dez.) ................... 2 jüdische Familien.
Angaben aus: Jaworzno, in: sztetl.org.pl
Als die deutsche Armee im September 1939 in Jaworno einrückte, lebten in der Stadt mehr als 1.800 jüdische Bewohner. Diese Anzahl erhöhte sich noch dadurch, dass nun auch Juden aus Kattowitz und Chorzów hierher verbracht wurden.
Mitte Juli 1942 wurden fast alle in und um Jaworzno lebenden Juden (etwa 2.100 Personen) ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verfrachtet; die letzten beiden noch verbliebenen Familien wurden Anfang August 1943 – zusammen mit Juden aus Bedzin – in ein Vernichtungslager deportiert.
In Jaworzno erinnert heute eine Gedenktafel an die während des Zweiten Weltkrieges ermordeten jüdischen Bewohner.
Auf dem jüdischen Friedhof sind bis heute noch etwa 300 Grabstätten erhalten geblieben; der älteste Stein datiert von 1884.
Jüdischer Friedhof in Jaworzno (Aufn. W. Domagala, 2017, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 361/362 und Teil 2, Abb. 131 und 278
Peter Maser/Adelheid Weiser, Juden in Oberschlesien, Teil I: Historischer Überblick, in: "Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien, Landeskundliche Reihe 3.1", Gebr. Mann Verlag, Berlin 1992
Adelheid Weiser, Juden in Oberschlesien, in: Zur Geschichte der deutschen Juden. Ostdeutschland - Böhmen - Bukowina, Kulturpolitische Korrespondenz 61/1993, S. 17 - 23
Fr.-Carl Schultze-Rhonhof, Geschichte der Juden in Schlesien im 19. u. 20.Jahrhundert, in: "Schlesische Kulturpflege - Schriftenreihe der Stiftung Schlesien", Band 5, Hannover 1995
Zofia Kowalska (Bearb.), Die jüdische Bevölkerung in den oberschlesischen Städten des Mittelalters, in: Thomas Wünsch (Hrg.), Stadtgeschichte Oberschlesiens. Studien zur städtischen Entwicklung und Kultur einer ostmitteleuropäischen Region vom Mittelalter bis zum Vorabend der Industrialisierung, Berlin 1995, S. 75 - 92
Zofia Kowalska, Die Anfänge der jüdischen Ansiedlung in Oberschlesien im 12. und 13.Jahrhundert, in: "Oberschlesisches Jahrbuch", 14/15 (1998/1999), S. 13 - 29
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001
Myslowice, in: sztetl.org.pl
Jaworznie, in: sztetl.org.pl
Jewish Families from Jaworzno, Poland, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Jaworzno-Poland/28953
Leszek Hondo/Dariusz Rozmus/Slawomit Witkowski, Cmentarz zydowski w Jaworznie, 2015
Beata Pomykalska/Pawel Pomykalski, Auf den Spuren der Juden Oberschlesiens, Hrg. Haus der Erinnerung an die Juden Oberschlesiens – Zweigstelle des Museums in Gleiwitz, Gliwice 2019