Nachod (Böhmen)

     Nachod (tsch. Náchod) wurde 1254 erstmals urkundlich erwähnt; es war eine Grenzstadt zwischen Böhmen und Schlesien; derzeit besitzt die im Nordosten Tschechiens gelegene Stadt etwa 20.000 Einwohner (Kartenskizze 'Tschechien' mit Nachod rot markiert, Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO  und  Kartenskizze 'Region Königgrätz', Tschuby 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Nachod zählt zu den ältesten jüdischen Landgemeinden Böhmens; ihren personellen Zenit mit mehr als 600 Angehörigen erreichte die Gemeinde um 1890/1900.

Die ersten Juden siedelten sich vermutlich bereits wenige Jahre nach der Stadtgründung 1270 in Nachod an. Erste urkundliche Hinweise auf jüdische Anwesenheit stammen aber erst aus dem Jahre 1455. Nach kurzzeitiger Vertreibung (1542) waren sie bereits nach zwei Jahren zurückgekehrt; aus dieser Zeit datieren auch die ersten hier geschaffenen gemeindlichen Einrichtungen (Betraum, Friedhof, Mikwe).

Seit Ende des 15.Jahrhunderts lebten die hiesigen Juden ghettoartig in der Judengasse, wo auch ihre hölzerne Synagoge stand; dieser Bau wurde 1596 durch einen neuen, massiven Tempel ersetzt.

Als die Juden in Nachod versuchten, durch Zukäufe von Häusern in der Ortsmitte Fuß zu fassen, schritt die Ortsherrschaft ein und ordnete den Bürgermeister an, Ansiedlungen von Juden nur in der Judengasse zuzulassen. Von dieser Zeit an wurde die Judengasse an Feiertagen mit einer Kette abgesperrt. 

1660 oder 1663 legte ein Brand fast die ganze Stadt in Schutt und Asche. Weil das Feuer in einem Hause eines Juden ausgebrochen sein soll, wurden die allermeisten jüdischen Bewohner zum Verlassen Nachods gezwungen; diese flüchteten sich in die Dörfer der Umgebung. 

Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts wurden die inzwischen wieder in Nachod zugewanderten jüdischen Familien von der übrigen Bevölkerung separiert: fortan durften sie nur noch in der „Judengasse“ wohnen, die ghettoartig abgeschlossen und mit einem Tor versehen war. In den 1770er Jahren sollen sich in der Judengasse mehr als 20 Häuser befunden haben.

Schloss u. Stadt Nachod um 1740 (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)

Die alte Synagoge – sie befand sich im „Ghetto-Bezirk“ wurde um 1780 durch eine neue ersetzt, die nach Genehmigung durch den Magistrat innerhalb der Stadtmauern am Obertor errichtet werden durfte.

Bereits 1547 hatte in Nachod eine jüdische Schule bestanden; diese dürfte aber nach dem großen Stadtbrand und der Vertreibung der Juden aus der Stadt aufgelöst worden sein.

Ein jüdischer Friedhof ist aus dem Jahre 1550 urkundlich belegt; zuvor mussten Verstorbene auf den Prager Friedhof gebracht werden. In den 1920er Jahren wurde ein neues Begräbnisgelände angelegt.

Zur Kultusgemeinde Nachod gehörten gegen Ende des 19.Jahrhunderts auch die umliegende Ortschaften Böhmisch Skalitz, Braunau, Wekelsdorf und Eipel.

Juden in Nachod:

         --- 1570 ............................   11 jüdische Familien,

    --- 1618 ........................ ca.  250 Juden,

    --- 1648 ............................  133   “  ,

    --- 1723 ............................  153   “  (in 12 Familien),   

    --- 1793 ............................  286   "  (ca. 15% d. Bevölk.),   

    --- 1849 ............................  150 jüdische Familien,

    --- 1872 ............................  213 Juden,

    --- 1890 ............................  504   “  ,

             ............................  630   “  ,*     * gesamte Kultusgemeinde

    --- 1900 ............................  458   “  (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1910 ............................  414   “  ,

    --- 1921 ............................  362   “  ,

    --- 1930 ............................  293   “  (ca. 2% d. Bevölk.).

Angaben aus: Rudolf M. Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums .., S. 25

Anm. Die demografischen Daten in den versch. Publikationen weichen erheblich voneinander ab!

                  Stadtansicht (hist. Postkarte, um 1910)

 

Bis zu Beginn des 19.Jahrhunderts hatten die Nachoder Juden keine besonders starke wirtschaftliche Position inne; nur im Handel mit Leder, Wolle und Federn besaßen sie eine monopolartige Stellung. Jüdische Textilunternehmen waren die Firmen Goldschmid, Mautner, Katzau, Doctor, Lederer & Stránsky, Oberländer und Schur.

1899 brachen in Nachod Unruhen aus, die in Nachoder Textilfirmen ihren Ausgang nahmen. Der Streik der Arbeiter gründete sich zunächst auf Forderungen nach einer Lohnerhöhung, hatte aber vermutlich auch einen antisemitischen Hintergrund; denn gleichzeitig wurden auch alle jüdischen Geschäfte in Náchod geplündert.

Um die Jahrhundertwende und danach setzte eine Abwanderung in größere Städte ein, die die jüdische Gemeinde Nachods deutlich kleiner werden ließ.

Noch bis um 1920 bestand in Nachod eine dreiklassige öffentliche deutsch-jüdische Elementarschule, die auch von nicht-jüdischen Kindern besucht wurde.

Schon bald nach Errichtung des Protektorats begann die Diskriminierung und Ausgrenzung der hiesigen jüdischen Bürger. Ende 1942 wurden ca. 220 Juden aus Nachod und Umgebung nach Thersienstadt verschleppt. Die noch in der Stadt verbliebenen mussten 1943/44 den Weg in die Lager des Ostens, vor allem nach Auschwitz-Birkenau, antreten.

 

Nur 15 Nachoder Juden sollen die Shoa überlebt haben. Nach Kriegsende gründeten Überlebende hier eine neue Gemeinde, die bis Ende der 1960er Jahre bestand.

1943 waren sowohl die Nachoder Synagoge als auch der alte Friedhof teilweise abgerissen bzw. völlig eingeebnet worden; Grabsteine wurden verkauft und beim Straßenbau verwendet. Am einstigen Standort der jüdischen Begräbnisstätte legten die Behörden eine Parkanlage an; heute befindet sich dort eine Gedenktafel mit folgendem Text:

An dieser Stelle befand sich der alte jüdische Friedhof aus dem XV.Jahrhundert,

der von den Nationalsozialisten im Jahre 1943 zerstört wurde.

Auf dem neuen Friedhof erinnert eine Gedenktafel namentlich an die jüdischen NS-Opfer aus der Region; von den insgesamt 339 genannten Personen stammten allein 237 aus Nachod.

     Náchod, synagoga, východní stěna modlitebního sálu s výklenkem po ... Bauliches Relikt der Synagoge (Aufn. ca. 1960, aus. pastvu.com)

Anm.: In der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es ein Nachod eine Registrierungsstelle für jüdische Flüchtlinge (vor allem aus Polen kommend), die mit Hilfe der "Brichah" eine Auswanderung nach Palästina anstrebten.

Jewish refugees who fled Poland as part of the postwar mass flight of Jews from eastern Europe (the Brihah) line the streets outside a reception center. Nachod, Czechoslovakia, July 1946. Jüdische Flüchtlinge in Nachrod (Aufn. 1946)

Die fünf Töchter des Nachoder Textilfabrikanten Max Michael Goldschmidt wurden nach Theresienstadt deportiert, von dort aus nach Auschwitz bzw. Stutthof; alle fünf wurden ermordet.

Stolperstein für Jenny Schurová.jpgStolperstein für Alice Schwabacherová.jpgStolperstein für Lilly Haasová.jpgStolperstein für Mariana Steinerová.jpgStolperstein für Lotte Krausová.jpg

Aufn. Chr. Michelides, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

 

 

Moritz Jakob Oberländer wurde 1831 in Nachod geboren. Zusammen mit seinem Bruder gründete er eine Flachsspinnerei in Eipel (Böhmen); weitere Unternehmensgründungen in Marschendorf und Horowitz schlossen sich in den Folgejahrzehnten an, so eine Leinen- u. Baumwollspinnerei und Jutespinnerei. Um 1900 beschäftigte sein Unternehmen mehr als 4.000 Arbeitskräfte. 1905 starb Oberländer in Meran.

  Der Großindustrielle Isidor Mautner wurde 1852 als Sohn eines Fabrikbesitzers („I. Mautner Baumwoll- und Leinweberei in Nachod“) geboren. Im Alter von 17 Jahren trat er in das väterliche Unternehmen ein, erwarb später die Baumwollspinnereien in Nachod u. a. Orten und schuf mit mehr als 5.000 Beschäftigten den größten Textilbetrieb der Monarchie, der in den Folgejahrzehnten laufend erweitert wurde. Im Jahre 1918 gehörten zum Mautner-Imperium 42 Textilfabriken mit ungefähr 23.000 Mitarbeitern. Die Weltwirtschaftskrise brachte den Konzern ins Wanken. Isidor Mautner starb 1930 in Wien.

 

 

 

Weitere Informationen:

Hugo Gold (Bearb.), Geschichte der Juden in Náchod, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn/Prag 1934, S. 412/ 413

Tobias Jakobovits, Die Brandkatastrophe in Nachod und die Austreibung der Juden aus Böhmisch-Skalitz, in: "Jahrbuch der Gesellschaft für Geschichte der Juden in der Cechosl. Republik", IX.Jg., Prag 1938

Rudolf M.Wlaschek, Zur Geschichte der Juden in Nordostböhmen unter besonderer Berücksichtigung des südlichen Riesengebirgsvorlandes, in: "Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien", Band 2, Marburg/Lahn 1987, S. 1/2 und S. 25

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 925/926

The Jewish Community of Nachod (Nachod), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/nachod

Jewish Families from Nàchod, Bohemia Czech republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-N%25C3%25A1chod-Bohemia-Czech-Republic/15247

Wolfgang Hafer, Die anderen Mautners - Das Schicksal einer jüdischen Unternehmerfamilie, Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2014

Auflistung der in Náchod verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_im_Královéhradecký_kraj

Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020, u.a. S. 388