Nauen (Brandenburg)
Nauen ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 18.000 Einwohnern im Landkreis Havelland – ca. 30 Kilometer westlich vom Stadtzentrum Berlins bzw. ca. 25 nördlich von Potsdam entfernt gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von Brandenburg um 1730/40 und Ausschnitt aus Karte von 1905, beide aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
Erstmals wurden zwei Juden im märkischen Nauen 1315 erwähnt, als Markgraf Waldemar der Stadt diese beiden Schutzjuden „schenkte“. Der nächste Nachweis für einen in Nauen lebenden Juden, Herrn Mendele, stammt aus dem Jahre 1509; nach einem Schauprozess wegen angeblicher Hostienschändung wurde dieser - zusammen mit 37 weiteren Glaubensgenossen - auf dem Scheiterhaufen der Berliner Gerichtsstätte verbrannt. Erst um 1700 konnten sich wieder einzelne jüdische Familien in der Kleinstadt niederlassen.
Zunächst wurde ein kleiner Betraum für die Gottesdienste benutzt; um 1800 richtete die Nauener Judenschaft eine Synagoge in der damaligen Potsdamer Straße, der heutigen Goethestraße, ein. Im Frühjahr 1855 kam es zur Bildung der neuen Kreis-Synagogengemeinde Nauen, die sich bis 1894 aus den drei Ortsverbänden Kremmen, Nauen und Spandau zusammensetzte; dabei verfügten die Teilgemeinden Nauen und Spandau jeweils über einen eigenen Lehrer und Kantor, der zugleich das Schächtamt verrichtete.
Bis Anfang des 19.Jahrhunderts wurden die Toten der jüdischen Gemeinde Nauen in Berlin beigesetzt; um 1820 wurde ein eigener Begräbnisplatz am Weinberg angelegt. Vermutlich gab es in Nauen bereits im 16.Jahrhundert einen jüdischen Friedhof weit draußen vor der Stadt.
Juden in Nauen:
--- 1726 ........................ 5 jüdische Familien,
--- um 1780 ..................... 5 “ “ ,
--- 1800 ........................ 8 “ “ ,
--- 1813 ........................ 53 Juden (in 7 Familien),
--- um 1880 ................. ca. 70 “ ,* * incl. Juden des Umlandes
--- 1892 ........................ 84 “ (in 22 Familien),
--- 1910 ........................ 69 “ ,
--- 1925 ........................ 51 “ ,
--- 1933 ........................ 45 “ (in 13 Familien),
--- 1942 ........................ keine.
Angaben aus: Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band I, S. 217 f.
und Ursula Arzbächer, Die ehemalige Jüdische Gemeinde Teil I
Mittelstraße in Nauen, Aufn. um 1900 (Archiv Helmut Augustiniak)
Als Nauen um 1890/1900 an das Eisenbahnnetz angebunden wurde, kam es hier zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und die Einwohnerzahl der Kleinstadt nahm zu; die gestiegene Kaufkraft förderte zudem die Ansiedlung von Geschäftsleuten, auch die von jüdischen Kaufleuten. Anfang der 1930er Jahre lebten in Nauen knapp 20 jüdische Familien; ihre Berufsstruktur war uneinheitlich: neben Kaufleuten gab es drei Viehhändler und drei Ärzte.
Auch in Nauen begann mit dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte die offizielle antijüdische NS-Politik. Aus der „Havelländischen Rundschau” vom 1.April 1933:
Der Boykott in Nauen - Gestern Umzug durch die Stadt
Gestern abend kündete ein Umzug durch die Straßen der Stadt Nauen den Beginn des heute auch hier einsetzenden Boykotts der jüdischen Geschäfte und Ärzte an. Unter Vorantritt der SS- und SA-Reservekapelle marschierten die Nauener SA, die Motorstaffel, die SA-Reserve und Mitglieder der NSBO unter Mitführung von Transparenten, die zum Boykott der jüdischen Geschäfte aufforderten, vor einige der zu boykottierenden Geschäfte. Die Kapelle spielte dort das Lied: ‘Muß i denn, muß i denn zum Städele hinaus ...’. Vom Boykott-Ausschuß der Ortsgruppe Nauen geht uns folgender Aufruf zu: “Wir fordern hierdurch alle Einwohner von Nauen und Umgebung dringend auf, sämtliche jüdischen Geschäfte sowie Aerzte zu boykottieren, die wir durch SA-Posten und Plakatträger gekennzeichnet haben.
In der Pogromnacht vom November 1938 wurde die Nauener Synagoge nicht in Brand gesetzt, doch die Inneneinrichtung völlig zertrümmert. Auch der kleine jüdische Friedhof wurde verwüstet. Zehn jüdische Männer wurden kurzzeitig „in Schutzhaft“ genommen. Die „Havelländische Rundschau” berichtete am 11.11.1938:
Antijüdische Kundgebungen im Osthavelland
... In Nauen wurden in den Mittagsstunden die Schaufenster der beiden noch vorhandenen jüdischen Geschäfte eingeschlagen und die Ladeneinrichtungen demoliert. Selbstverständlich sind die Waren unangetastet geblieben. Weiter sind die Synagoge in der Potsdamer Straße und die Räume der anderen in Nauen wohnhaften Juden durch die allgemeine Empörung in Mitleidenschaft gezogen worden. ...
Synagogengrundstück und Friedhofsgelände gingen 1939 bzw. 1941 in kommunale Hand über. Anfang Dezember 1938 verfasste der Nauener Bürgermeister einen Bericht an den Landrat, in dem es hieß:
„ ... Die Art des Vorgehens gegen die Juden fand bei dem größten Teil der Bevölkerung kein Verständnis. Verurteilt wurde das Beschädigen und Vernichten von Wohnungseinrichtung bei einer ärmlichen Familie, in welcher der Ehemann Jude und die Ehefrau deutschblütig ist. ...”
Mindestens fünf jüdische Familien wurden aus Nauen deportiert; die anderen konnten noch rechtzeitig emigrieren und ihr Leben retten.
An der Fassade des ehemaligen Synagogengebäudes in der Goethestraße wurde 1988 eine Gedenktafel angebracht, die unter einem Relief zweier Schriftgelehrten die folgende Inschrift trägt:
Im Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger
deren Synagoge dieses Gebäude gewesen ist 1800 - 1938
9.November 1988
Darunter stehen die hebräischen Worte: „Erinnere dich und vergiß nicht.”
Gedenktafel (Aufn. aus: potsdam.de)
2006 wurden die ersten sog. „Stolpersteine“ in Nauen verlegt, 2013/2016/2021 dann in Nauen/Falkensee weitere in die Gehwegpflasterung eingefügt, die an rassisch und politisch Verfolgte des NS-Regimes erinnern.
Fünf „Stolpersteine“ in Nauen (Aufn. Chr. Michelides, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Skulptur von I. Wellmann (Aufn. X.W., 2008, aus: wikipedia.org, CC BY 2.5)
Auf dem ehemaligen jüdischen Friedhofsgelände erinnert seit 1988 ein Mahnmal-Skulptur an die zerstörten Gräber; der Sockel des Mahnmals trägt die Inschrift:
Im Gedenken an unsere verfemten und gemordeten jüdischen Mitbürger
zu bleibender Mahnung für die Lebenden
Stätte des einstigen jüdischen Friedhofs
neugestaltet im Jahre 1988
Bereits 1950 war hier ein Denkmal aufgestellt worden.
Weitere Informationen:
Ernst Georg Bardey, Die Geschichte von Nauen und Osthavelland, Nauen 1892, S. 322/323
F. Baldus, Führer durch die Kreis- und Funkstadt Nauen, Nauen 1932, S. 31 (Jüdische Gemeinde)
Mehrere Ausgaben der "Havelländischen Rundschau" vom November 1938
Alois Kaulen/Joachim Pohl, Juden in Spandau vom Mittelalter bis 1945, hrg. vom Bezirksamt Spandau von Berlin, Berlin 1988, S. 43 - 45
Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band I, S. 217 f.
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 514/515
Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 316/317
Ursula Arzbächer, Die ehemalige Jüdische Gemeinde (Teil I), in: "Nauener Heimatblätter - Beiträge zur Geschichte der Stadt Nauen und des Havellandes", Heft 3, S. 77 - 99 (Manuskript von 2001)
Marlies Schnaibel (Red.), Acht neue Stolpersteine, in: „Märkische Allgemeine“ vom 2.9.2016
Andreas Kaatz (Red.), Acht Stolpersteine erinnern an die Opfer, in: „Märkische Allgemeine“ vom 27.9.2016
Auflistung der in Nauen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Nauen
Nauen – Synagogen in Brandenburg. Auf Spurensuche, Hrg. Moses-Mendelssohn-Zentrum Universität Potsdam, online abrufbar unter: uni-potsdam.de/synagogen-in-brandenburg/orte/nauen.php
N.N. (Red.), Nauen gedenkt Opfern des NS-Regimes, in: „Märkische Allgemeine“ vom 19.9.2021 (betr. Verlegung von Stolpersteinen)
Norbert Faltin (Bearb.), Vier neue Stolpersteine zum Gedenken an NS-Opfer in Nauen verlegt, in: „Unser Havelland“ vom 26.9.2021