Neckarbischofsheim (Baden-Württemberg)

Jüdische Gemeinde - Ketsch (Baden-Württemberg)  Datei:Karte Kleiner Odenwald.svg Neckarbischofsheim ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 4.000 Einwohnern im Rhein-Neckar-Kreis – ca. 30 Kilometer nordwestlich von Heilbronn bzw. südöstlich von Heidelberg gelegen (Kartenskizzen 'Rhein-Neckar-Kreis' ohne Eintrag von Neckarbischofsheim, aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/landkreis-heidelberg  und  'Kleiner Odenwald', k. 2007, aus: wikipedia.org CC BY-SA 3.0).

Neckarbischofsheim-Holzschnitt.png

Neckarbischofsheim – Holzschnitt aus dem 17.Jahrh. (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Erste (indirekte) Belege für Ansässigkeit von Juden in Bischofsheim stammen aus der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts; in alten Kirchenbüchern deuten Namen auf getaufte Juden hin. In den "Bürgerlichen Statuten" von 1616 wurde auch auf Juden Bezug genommen; dort hieß es: „Es solle auch keiner allhie fürtter mit den Juden ohne Vorwissen der Obrigkeit zue thun oder zu schaffen haben, bey straf ...” (Anm.: Dieses Verbot bezog sich allerdings nur auf umherreisende Juden, die als Händler Märkte aufsuchten; von diesen wurde ein ‚Judenzoll’ erhoben.)

Der erste sichere urkundliche Beleg für Juden in Bischofsheim stammt aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges; ein Eintrag im Kirchenbuch belegt die Existenz einer Mikwe. Eine Synagoge wurde in Bischofsheim um 1770 gebaut; in den Jahrzehnten zuvor hatten die hier lebenden Juden vermutlich die jüdischen Gottesdienste in Waibstadt aufgesucht.

Um 1750 wurde Bischofsheim Sitz eines Bezirksrabbinats; die letzten Rabbiner waren Moses Bamberger (bis 1820) und nach dessen Tod für kurze Zeit sein Sohn Jakob (bis 1824). Ab 1827 gehörte die Gemeinde dann zum Rabbinatsbezirk Sinsheim.

Als das alte Synagogengebäude in der Rathausgasse für die wachsende Zahl der Gemeindeangehörigen zu klein wurde, errichtete die israelitische Gemeinde 1848/1849 auf dem Gelände der ehemaligen Stadtmühle, vor den Toren der Stadt, einen Neubau, der ungefähr 200 Männern und 100 Frauen Platz bot; die Einweihung des Neubaus erfolgte im Frühjahr 1849.

       https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20447/Neckarbischofsheim%20Karlsruher%20Zeitung%2018450222.jpg

         offizielle Ausschreibung für die Vergabe der Handwerker-Arbeiten zur Erstellung der neuen Synagoge vom 19.2.1845

Im Vorfeld des Baus war als Richtlinie vorgegeben worden, dass es in der Synagoge keine beweglichen Pulte geben dürfe, sondern nur noch Reihen von festen Plätzen, die alle von Süden nach Norden verlaufen sollten, sodass „die darauf Sitzenden das Augenlicht immer nach der Heiligen Lade gerichtet haben”. Auch solle der Almemor nicht mehr mitten im Betraume stehen, sondern „mehr nach Osten zu, in geringer Entfernung von der heiligen Lage..., so daß sich die Bänke für die Betenden nur zur Seiten und hinter derselben befinden”.

 

Skizze der Synagoge Neckarbischofsheim und Blick in den Innenraum (Abb. Stadtarchiv, in: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Nach dem großen Stadtbrand von 1859 - hier wurden viele Gebäude der Kleinstadt ein Opfer der Flammen - wurde dann ein Jahr später mit dem Wiederaufbau der Synagoge begonnen. Am Standort der alten Synagoge ließ die Gemeinde ein Schulhaus errichten, in dem im Winter Gottesdienste abgehalten wurden. 1876 wurde die jüdische Elementarschule in der alten Synagoge in der Rathausgasse geschlossen. Eine Mikwe befand sich im Gebäude der alten Synagoge; vermutlich war ein Bad auch im neuen Gebäude vorhanden.

 Anzeige aus "Großherzoglich Badisches Anzeige-Blatt für den See-Kreis" vom 4.3.1854

Ihre Verstorbenen begrub die Bischofsheimer Judenschaft zunächst auf dem Friedhof in Oberöwisheim, der ältesten jüdischen Begräbnisstätte im Kraichgau; nach 1650 entstand auf Waibstadter Gemarkung die größte jüdische Begräbnisstätte Badens im Mühlbergwald, die auch von den Bischofsheimer Juden genutzt wurde. Einen eigenen Friedhof am Ort hat es zu keiner Zeit gegeben.

Juden in Neckarbischofsheim:

         --- 1652 ............................   8 jüdische Familien,

    --- 1694 ............................   6     “       “    ,

    --- 1735/45 ..................... ca.  30     “       “    ,

    --- 1807 ............................ 123 Juden (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1813 ............................ 140   “  ,

    --- 1825 ............................ 187   “  ,

    --- 1859 ............................ 189   “  ,

    --- 1865 ............................ 160   “  ,

    --- 1875 ............................ 117   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1900 ............................ 109   “  ,

    --- 1925 ............................  40   “   (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1933 ............................  37   “  ,

    --- 1939 ............................  23   “  ,

    --- 1940 (Nov.) .....................   keine.

Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, ... , S. 209

 

Gegen der 1850er Jahre erreichte die Zahl der jüdischen Bewohner ihren Höchststand; als die badischen Juden 1862 die Freizügigkeit erhielten, wanderten auch Neckerbischofsheimer Juden vermehrt in größere Städte ab, weil sie sich dort bessere wirtschaftliche Lebensbedingungen versprachen; einige Familien emigrierten nach Nordamerika. Ein Motiv für die verstärkte Auswanderung waren auch die Agrar-Unruhen des Jahres 1848, die ihren Ausgangspunkt in Neckarbischofsheim hatten.

Die Juden in Neckarbischofsheim lebten im 19./20.Jahrhundert hauptsächlich vom Handel.

  Gewerbliche Anzeigen jüdischer Geschäftsleute

Zu Beginn der 1930er Jahre gab es - trotz stark rückläufiger Zahl der jüdischen Einwohner - noch mehrere Handels- und Gewerbebetriebe in jüdischem Besitz, so die Buchbinderei Faller, das Textilgeschäft Samuel Jeselsohn, die Reisehandlungen Max Katz u. Markus Reiss und die Landesproduktenhandlung M.B. Wolf & Sohn (fast alle in der Hauptstraße). In den ersten Jahren der NS-Zeit emigrierten bereits einige jüngere jüdische Einwohner Neckarbischofsheims in die USA bzw. nach Palästina.

Die wenigen in Waibstadt und Siegelsbach wohnenden Juden wurden Mitte der 1930er Jahre der jüdischen Gemeinde Neckarbischofsheim angeschlossen.

In den Morgenstunden des 10.November 1938 wurden Synagoge in der Schulgasse und die jüdische Religionsschule in der Alten Rathausgasse von einheimischen SA-Angehörigen zerstört und dem Erdboden gleichgemacht, die Inneneinrichtung und die Thora-Rollen anschließend auf dem Sportplatz verbrannt. Jüdische Privatwohnungen blieben vom „Volkszorn“ verschont. Zwei Männer - die einzigen unter 60 Jahren - wurden festgenommen und ins KZ Dachau verfrachtet. Über das „Ende unserer Heiligen Gemeinde Neckarbischofsheim” schrieb Samuel Jeselsohn, der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Neckarbischofsheim, 1942 in Tel Aviv eine 15seitige Abhandlung. Die Niederschrift endet mit den Worten: „ ... Wo seit Jahrhunderten ein geheiligtes jüdisches Leben lebte, wo im täglichen Gemeindegebet die Gemüter zu ihrem Vater im Himmel sich wendeten, wo stiller Schabbat-Friede die Seelen erhob und die althergekommenen Melodien die Feiertage verklärten, können nur noch die Steine reden. Mögen die, die jetzt zerstreut in allen Teilen der Welt leben, die alte Heimat nie vergessen und ihre Kinder lehren, was sie Gutes und Schönes zu Hause vor sich sehen. Dann wird die alte Heilige Gemeinde nicht umsonst gelebt haben. “ (aus: Willi Bauer, Die ehemalige jüdische Gemeinde von Sinsheim, S. 167 ff.)

Die noch in Neckarbischofsheim verbliebenen zwölf Juden wurden am 22.Oktober 1940 - zusammen mit Tausenden Juden aus Baden und der Saar-Pfalz - ins südfranzösische Gurs deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 48 aus Neckarbischofsheim stammende bzw. hier länger ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/neckarbischofsheim_synagoge.htm).

In Neckarbischofsheim bestand vom Sept. 1944 bis März 1945 ein Subkommando des Lagers Neckarelz (ein Außenkommando des KZ Natzweiler/Elsass); es bestand aus zwei Baracken, die von einem Zaun umgeben waren. Die Häftlinge arbeiteten in Gipsstollen in Obrigheim; dort waren untertage Rüstungsbetriebe eingerichtet worden.

 

Bei Tiefbauarbeiten wurden in den 1970er Jahren Grundmauerreste der ehemaligen Synagoge freigelegt. An dieser Stelle in der Schulgasse erinnert ein siebenarmiger Leuchter und eine Gedenktafel an den Standort der einstigen Synagoge.

Menora auf Resten der Synagogenmauer (Aufn. J. Hahn, 2005) 

An der Ecke des ehemaligen Wohnhauses des Vorsängers in der heutigen Schulgasse 9 steht einer der früheren Pfeiler des Eingangstores zum Synagogengelände.

         Gedenkstein in Neckarbischofsheim  Am Platz der ehemaligen Synagoge in der Schulgasse wurde im Jahre 2009 ein Gedenkstein zur Erinnerung an die 1940 nach Gurs deportierten Juden Neckarbischofheims aufgestellt; ein weiterer von Schüler/innen des Adolf-Schmitthenner-Gymnasiums gestalteter identischer Memorialstein fand am zentralen Mahnmal in Neckarzimmern seinen Platz (Aufn. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

Auf Beschluss des Gemeinderates (April 2016) wurden in Neckarbischofsheim im November 2017 die ersten 15 sog. „Stolpersteine“ in die Gehwegpflasterung eingefügt, die an Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern. Auf Vorschlag des Vereins für Heimatpflege wurden 2022 weitere 15 messingfarbene Gedenkquader verlegt, die an Angehörige vertriebener und verfolgter jüdischer Familien erinnern.

                            Neckarbischofsheim: Stadt erinnert mit Stolpersteinen an 15 weitere  Schicksale - Sinsheim-Kraichgau - Nachrichten und Aktuelles aus der Region  - Rhein-Neckar-Zeitung Aufn. Berthold Jürriens, 2022, aus: „Rhein-Neckar-Zeitung vom 7.11.2022

 

 

Im heutigen Ortsteil Untergimpern bestand bis zu ihrer Auflösung 1883/1884 auch eine kleine jüdische Gemeinde; sie entstand im 17./18. Jahrhundert. In den 1860er Jahren erreichte die Gemeinde mit knapp 60 Angehörigen ihren personellen Höchststand; doch schon vier Jahrzehnte später lebten keine Juden mehr im Dorf. Bis 1807 besuchte man Gottesdienste in Obergimpern; danach wurde ein eigenes Synagogengebäude eingerichtet, das bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts genutzt wurde und heute noch als Scheune dient. Verstorbene wurden in Waibstadt beerdigt.

 

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 208 – 210 und S. 277

Hans Benz/Manfred Müller, Alt-Bischofsheim. Ein Bildband vergangener Zeit, Hrg. Verein für Heimatpflege Neckarbischofsheim e.V. 1981, S. 13 f.

Hans Benz/Hansjörg Bräumer, Die Juden in Neckarbischofsheim, in: "Kraichgau. Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung", Folge 7/1981, S. 233 – 235

Samuel Jeselsohn, Das Ende unserer heiligen Gemeinde Neckarbischofsheim, in: "Kraichgau. Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung", Folge 7/1981, S. 236 - 240

Heinz Teichert, Zur Geschichte des Judenfriedhofs im Mühlbergwald, in: "Kraichgau. Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung", Folge 7/1981, S. 233 - 242

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 473/474

Peter Beisel, Die jüdische Gemeinde in Neckarbischofsheim, in: Villa Biscovesheim - Neckarbischofsheim 988 - 1988, Heimatgeschichtliche Beiträge aus dem Leben einer Kraichgaustadt, Hrg. Verein für Heimatpflege, Neckarbischofsheim 1988, S. 171 ff.

Willi Bauer, Die ehemalige jüdische Gemeinde von Sinsheim - Ihre Geschichte und ihr Schicksal, in: "Sinsheimer Hefte", No. 10, Selbstverlag, Sinsheim 1995, S. 167 ff. und S. 201

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 337 - 340

Neckarbischofsheim, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Gemeindehistorie)

Stolpersteine – Spuren jüdischen Lebens in Neckarbischofsheim“ - Ausstellung von 2015 (Anm.: Die Ausstellung war ein gemeinsames Projekt von Schülerinnen und Schülern des Adolf –Schmitthenner – Gymnasiumssheim, der Projektgruppe „Judentum im Kraichgau“ der Realschule Waibstadt, des Vereins „Jüdisches Kulturerbe im Kraichgau e.V.“, des Vereins für Heimatpflege e.V. und der SPD – Ortsgruppe)

bju (Red.), Neckarbischofsheim erinnert an „Spuren jüdischen Lebens“, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 7.12.2015 (Anm. geplante Verlegung von "Stolpersteinen")

Berthold Jürriens (Red.), Neckarbischofsheim: Verlegung der Stolpersteine kommt ins Stocken, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 11.11.2016

Günter Keller (Red.), Stolpersteine in Neckarbischofsheim - Familienzusammenführung nach 79 Jahren, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 8.9.2017

Berthold Jürriens (Red.), Auf Spurensuche in der Heimat der Vorfahren, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 22.10.2017

Berthold Jürriens (Red.), Stolpersteine in Neckarbischofsheim. Vergessene Namen kehren in Messing zurück, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 12.11.2017

Friedemann Orths (Red.), Es wird 14 neue Stolpersteine für Nazi-Opfer geben, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 30.7.2021

Berthold Jürriens (Red.), Neckarbischofsheim. Stadt erinnert mit Stolpersteinen an 15 weitere Schicksale, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 7.11.2022