Neckarsulm (Baden-Württemberg)
Neckarsulm ist eine Stadt mit derzeit ca. 27.000 Einwohnern im Norden des Bundeslandes Baden-Württemberg in unmittelbarer Nähe von Heilbronn (Ausschnitte aus aktuellen topografischen Karten aus: wikipedia.org, CCO).
Erste Hinweise auf jüdisches Leben in Neckarsulm stammen aus dem ausgehenden 13.Jahrhundert im Zusammenhang mit den sog. „Rindfleisch-Verfolgungen“; auch während der Pestpogrome von 1349 sollen in Neckarsulm lebenden Juden umgekommen sein. Während der folgenden drei Jahrhunderte wohnten nur einzelne Familien in der Stadt - und auch nicht dauerhaft; zeitweilig diente Neckarsulm als Zufluchtsort für vertriebene Juden aus Heilbronn. Einer zeitgenössischen Chronik zufolge sollen um 1500 hier aber „viele Juden“ gelebt haben. Erst während des Dreißigjährigen Krieges nahm die Zahl der ansässigen Juden in Neckarsulm deutlich zu. Das rief wiederholt Beschwerden von der christlichen Bürgerschaft hervor, die in den Juden „uhnnütze, sehr schädliche, aussaugende, gottlose” Bewohner sahen und sie aus der Stadt gewiesen haben wollten; dies wurde aber bei von dem herrschenden Deutschen Orden abgelehnt; denn weiterhin hielt der Deutsch-Orden seine schützende Hand über die hiesigen Juden. Ihr Wohngebiet konzentrierte sich auf den östlichen Teil der Rathaus- bis zur Neutorgasse. Aus der Zeit um 1630 sollen auch Synagoge, Mikwe und Friedhof stammen.
Verstorbene Juden aus Neckarsulm wurden im Spätmittelalter vermutlich in Heilbronn, gegen Ende des 15.Jahrhunderts in Neudenau beerdigt.
Jüdischer Friedhof in Neudenau (Aufn. Peter Schmelzle, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Der an der Nordwestseite des Scheuerberges, am Waldenberg liegende jüdische Friedhof von Neckarsulm wurde 1550 (oder um 1630?) angelegt. Er diente in den folgenden Jahrhunderten mehreren jüdischen Gemeinden im heutigen Landkreis Heilbronn als Begräbnisstätte. Der älteste Grabstein datiert von 1659, der jüngste von 1920. Der Friedhof wurde bis ins 19. Jahrhundert von den beiden israelitischen Gemeinden Kochendorf und Oedheim mitbenutzt.
Teilansicht des jüdischen Friedhofs von Neckarsulm (hist Aufn., um 1930)
Die auf einem Hinterhofgelände neben dem Amorbacher Hof gelegene Synagoge wurde um 1850/1860 aufgegeben, das Gebäude später als Scheune genutzt. Ein von der Gemeinde Kochendorf angestellter Lehrer erteilte den wenigen jüdischen Kindern Religionsunterricht.
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 4.Dez. 1872
Die kleine jüdische Gemeinde von Neckarsulm gehörte bis um 1830 zum Rabbinat Kochendorf, danach war sie als Filialgemeinde von Kochendorf dem Rabbinat Lehrensteinfeld zugeordnet. Seit Mitte der 1920er Jahre gehörten die wenigen jüdischen Familien der Kultusgemeinde Heilbronns an.
Juden in Neckarsulm:
--- um 1625 ..................... ca. 45 Juden,
--- um 1715 ......................... 7 jüdische Familien,
--- 1752 ............................ 13 “ “ (ca. 90 Pers.),
--- 1781 ............................ 9 “ “ ,
--- um 1800 ......................... 7 “ “ ,
--- 1829 ............................ 43 Juden (in 11 Familien),
--- 1869 ............................ 54 “ ,
--- 1881 ............................ 20 “ ,
--- 1890 ............................ 18 “ ,
--- 1900 ............................ 24 “ ,
--- 1910 ............................ 14 “ ,
--- 1928 ............................ 9 “ ,
--- 1933 ............................ 17 “ ,
--- 1938/40 ......................... keine.
Angaben aus: W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, ..., S. 171 und S. 175
Neckarsulm – Kolorierte Radierung, um 1820 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die Neckarsulmer Juden lebten im 18.Jahrhundert vor allem vom Pferde- und Weinhandel; einige wenige Familien gelangten zu Wohlstand.
Ihre höchste Zahl erreichte die Judenschaft Heilbronns Mitte des 18.Jahrhunderts mit knapp 90 Personen; danach wanderten sie vermehrt ab - vornehmlich ins benachbarte Heilbronn. Zwar stieg die Zahl der Mitglieder der kleinen israelitischen Gemeinde zu Beginn des 19.Jahrhunderts noch einmal leicht an, doch war nach 1870 ihre Anzahl wieder so weit gesunken, dass die Kultusgemeinde bald aufgelöst wurde. In der Zeitschrift „Der Israelit” wurde am 24.März 1875 über die Auflösung der Gemeinde in Neckarsulm berichtet:
Neckarsulm. Unsere israelitische Gemeinde, vor Jahrhunderten zahlreich und wohlausgestattet, seit 1828 ein Filial der isr. Gemeinde in Kochendorf, hat sich, herabgesunken auf etliche Mitglieder, nun völlig aufgelöst. Unser Kirchengut, bestehend aus dem Synagogengebäude, Thorarollen, werthvollen Vorhängen, silbernem Thoraschmuck, Leuchtern u. dgl. wird nach dem Erkenntniß der Kgl. Oberkirchenbehörde meistbietend verkauft (!) und der Erlös zunächst der Centralkirchengasse zugewiesen, aus welcher der Betrag seiner Zeit zu Gunsten israelitischer Gemeinden verwendet wird. ....
Das Synagogengebäude wurde alsbald verkauft und danach als Scheune genutzt.
Lehrstellenangebot des Kaufhaus Stern (1912)
Anfang der 1930er Jahre gab es in Neckarsulm nur drei jüdische Geschäfte: zwei Textilläden und eine Viehhandlung.
Den meisten Neckarsulmer Juden gelang bis 1938 die Emigration. So weit bekannt ist, wurden drei gebürtige Neckarsulmer Juden Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/neckarsulm_synagoge.htm).
Der jüdische Friedhof - heute einziges Zeugnis für die Existenz einer israelitischen Gemeinde - wurde während der NS-Zeit total zerstört, Grabsteine zum Wegebau zweckentfremdet; nur das Tahara-Haus blieb unversehrt. Nach dem Kriege wurde das Areal mit den wenigen noch verbliebenen Grabsteinen bzw. -relikten von der Kommune einigermaßen wiederhergerichtet. Auf einer an der Friedhofsmauer angebrachten Tafel wird kurz über die Geschichte der Neckarsulmer Juden informiert:
JÜDISCHER FRIEDHOF
Die israelitische Gemeinde entstand in Neckarsulm nach 1523, als die Juden von der Freien Reichsstadt Heilbronn ausgewiesen und vom Deutschorden in seinem Herrschaftsgebiet aufgenommen wurden. Die Neckarsulmer Juden gehörten dann seit ca. 1800 zum Rabbinat Kochendorf.
Die letzte Beisetzung auf diesem Friedhof war im Jahr 1870.
Im Jahre 1830 waren noch 38 israelitische Personen hier ansässig, 1933 nur noch 7 Personen. Die letzten Familien (Rheincanem, Stern, Strauss) sind zwischen 1933 und 1938 ausgewandert.
Die Zerstörungen an den Grabsteinen wurden 1933 in den Wirren der Machtübernahme durch die NS-Regierung begangen.
Friedhofsareal in Neckarsulm mit Taharahaus - Schöpfbrunnen im Taharahaus (Aufn. P. Schmelzle, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Im Jahre 2012 wurde auf Initiative von Schülerinnen der Hermann-Greiner-Realschule ein sog. „Stolperstein“ für die Jüdin Amalie Bodenheimer (geb. 1875) in der Neckarsulmer Wilhelmstraße verlegt, die 1942 nach Theresienstadt deportiert und in Treblinka ermordet wurde (Aufn. Chr. Michelides, 2024, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0).
Der 1756 im elsässischen Rosheim geborene Elieser Seligmann wurde seine im Auftrage einer wohlhabenden Witwe aus Neckarsulm geschriebene Haggada - relativ bekannt. Die reich-illustrierte Handschrift aus dem Jahre 1779 ist heute im Besitz der Universitätsbibliothek Straßburg.
Titelblatt der Haggada des Elieser Seligmann
Später ging Elieser Seligmann nach Mannheim, wo er Verwalter des jüdischen Lehrhauses war. Dieses Amt übte er bis zu seinem Tode (1809) aus.
Weitere Informationen:
(Lehrer) Kulb, Zur Geschichte der Juden in Neckarsulm, in: "Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs", Jg. 8, No. 7 u. 10 (1931)
Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S.132 - 135
Lothar Hantsch, Von den Juden in Neckarsulm, in: "Historische Blätter des Heimatvereins", Hrg. Heimatverein Neckarsulm e.V., 1985, S. 1 - 10
Werner Thierbach, Der Judenfriedhof, in: "Historische Blätter des Heimatvereins", Hrg. Heimatverein Neckarsulm e.V., 1985, S. 10 - 12
W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte - Schicksale - Dokumente, Hrg. Landkreis Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 165 - 175
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Stuttgart 1988, S. 238 - 241
Barbara Löslein, Überblick über die Geschichte der Juden in Neckarsulm (Manuskript im Stadtarchiv Neckarsulm), o.J.
Frowald G.Hüttenmeister (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Neckarsulm, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1991
Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 935/936
Neckarsulm und jüdischer Friedhof, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie und Aufnahmen vom jüdischen Friedhof)
Jüdischer Friedhof Neudenau, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen)
Barbara Löslein, Eine Haggada von 1779 - geschrieben und illustriert in Neckarsulm von Elieser Seligmann aus Rosheim im Elsaß, in: Gerhard Taddey (Hrg.), ... geschützt, geduldet, gleichberechtigt ... Die Juden im baden-württemberg. Franken vom 17.Jahrhundert bis zum Ende des Kaiserreiches (1918), "Forschungen aus Württembergisch Franken", Band 52, Ostfildern 2005, S. 163 f.
Ansbert Baumann, „...das wir sie nie so lang gehalten hetten“. Die Vertreibung der Heilbronner Juden im 15. Jahrhundert und ihre Niederlassung in Neckarsulm, in: "Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden", 16 Jg., Heft 2/2006, S. 439 - 460
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 340 – 342
Ansbert Baumann, Die Neckarsulmer Juden. Eine Minderheit im geschichtlichen Wandel 1298 – 1945, Verlag Thorbecke, Ostfildern 2008
Stadt Neckarsulm (Hrg.), „Stolperstein“ zum Gedenken an Amalie Bodenheimer gesetzt, in: neckarsulm.de vom 17.4.2012
Monika Breusch (Red.), Spuren jüdischen Lebens in unserer Heimat Neckarsulm, in: „Meine Stimme“ vom 3.7.2021