Neckarzimmern (Baden-Württemberg)
Neckarzimmern ist eine heute zum Neckar-Odenwald-Kreis gehörige kleine Kommune mit derzeit ca. 1.500 Einwohnern – wenige Kilometer südlich von Mosbach (zwischen Heidelberg und Heilbronn) gelegen (topografische Karte ohne Eintrag von Neckarzimmern, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Neckar-Odenwald-Kreis', aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/neckar-odenwald-kreis).
Im Dorfe Neckarzimmern wird die Ansiedlung von zwei jüdischen Familien im Jahr 1534 erstmals erwähnt; als Schutzjuden waren sie der adligen Familie von Gemmingen-Hornberg abgabenpflichtig. Mit Ausnahme der Zeit des Dreißigjährigen Krieges haben ständig wenige jüdische Familien in Neckarzimmern gelebt; ihren Lebenserwerb bestritten sie fast ausnahmslos im sog. "Nothandel".
Eine Synagoge war bereits im 18.Jahrhundert in einem von der Grundherrschaft angemieteten Haus untergebracht, das in den 1820er Jahren von der jüdischen Gemeinde käuflich erworben wurde; diesem wurde um 1830 auch eine Mikwe angeschlossen. Wegen Baufälligkeit wurde das Gebäude etwa 50 Jahre später völlig abgebrochen und an gleicher Stelle ein einstöckiger Bau erstellt.
Zur Unterrichtung der Kinder war seitens der Gemeinde zeitweise ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Bei der Finanzierung des Lehrergehalts half der finanzschwachen Gemeinde seit 1859 eine Stiftung von Gerson Dreyfuß. Ab Ende des 19.Jahrhunderts wurde die Lehrerstelle gemeinsam mit der Gemeinde Hochhausen ausgeschrieben.
Anzeige aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7.Dezember 1893
Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf dem jüdischen Friedhof in Heinsheim beerdigt.
Seit 1827 unterstand Neckarzimmern dem Rabbinatsbezirk Mosbach.
Juden in Neckarzimmern:
--- um 1705 ......................... 8 jüdische Familien,
--- 1807 ............................ 55 Juden,
--- 1825 ............................ 69 “ (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1871 ............................ 55 " ,
--- 1875 ............................ 39 “ (ca. 6% d. Bevölk.),
--- 1900 ............................ 41 “ ,
--- 1914 ............................ 30 “ ,
--- 1925 ............................ 29 “ ,
--- 1933 ............................ 33 “ ,
--- 1940 (Sept.) .................... 13 “ ,
(Nov.) ..................... eine Jüdin.
Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, ..., S. 210
und H. Obig, Die jüdische Gemeinde Neckarzimmern, S. 225 f.
Im 19. Jahrhundert und zu Anfang des 20.Jahrhunderts war der Viehhandel die Haupterwerbsquelle der Juden von Neckarzimmern; zudem gab es Anfang der 1930er Jahre noch zwei Ladengeschäfte jüdischer Inhaber.
Während des Pogroms vom November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge demoliert; anschließend mussten die hiesigen Juden das zertrümmerte Mobiliar auf den Sportplatz fahren, wo es verbrannt wurde. Das Synagogengebäude blieb äußerlich von Zerstörungen verschont; wenige Wochen später wurde es an einen Ortseinwohner veräußert. Das Gebäude diente fortan als Wohnhaus. Ein Teil der Juden Neckarzimmerns konnte noch rechtzeitig emigrieren. Die verbliebenen zwölf jüdischen Bewohner mussten sich Ende Oktober 1940 dem großen Deportationstransport nach Gurs anschließen; nur drei Deportierte überlebten.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 17 aus Neckarzimmern stammende Juden Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/neckarzimmern_synagoge.htm).
Im Oktober 2005 wurde auf dem Gelände der evangelischen Jugendbildungsstätte in Neckarzimmern das zentrale Mahnmal für die verschleppten Juden Badens, der Pfalz und des Saarlandes eingeweiht. An dem Denkmal - einem 25 Meter mal 25 Meter großen, als Betonband in den Boden eingelassenen Davidstern mit individuell gestalteten „Memorialsteinen“ - haben zahlreiche, meist kirchliche Jugendgruppen Badens aktiv mitgewirkt. Zum Zeitpunkt der Einweihung der Bodenskulptur waren 30 Gedenksteine vorhanden. Insgesamt sollen hier 137 Gedenksteine Platz finden, die an die mehr als 5.500 verschleppten Juden aus badischen Städten und Dörfern erinnern sollen. Während einer der zwei gleichartig gestalteten Gedenksteine in der jeweiligen Ortsgemeinde verbleibt und dort einen angemessenen Standort erhalten soll, wird der andere Stein Teil des zentralen Mahnmals in Neckarzimmern.
Memorialsteine (Aufn. Projektleitung, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Fünf Memorialsteine: aus Kuppenheim - Schopfheim – Sinsheim – Zwingenberg - Neckarzimmern (Aufn. Michael Ohmsen, 2010)
Der von Schüler/innen des Mosbacher Gymnasiums 2004 erstellte Memorialstein erhielt dann auf der zentralen Gedenkstätte seinen Platz; Jahre später schufen Jugendliche einen Stein, der vor dem Neckarzimmerner Rathaus aufgestellt wurde. Eine Stele mit den Namen der Deportationsopfer befindet sich seit 2020 in der Ortsmitte.
Hinweis: Alle anderen Memorialsteine sind jeweils bei den im Portal aufgeführten jüdischen Gemeinden im Bild beigefügt.
Anmerkungen zu GURS:
Das nördlich der Pyrenäen liegende „Camp de Gurs“ war bereits kurz vor dem Zweiten Weltkrieg das größte Internierungslager auf franzöischen Staatsgebiet, in dem zunächst politische Flüchtlinge aus Spanien und ehemalige Kämpfer des Spanischen Bürgerkrieges untergebracht waren. Einen größeren Bekanntheitsgrad erlangte das Lager Gurs durch die im Herbst 1940 durchgeführten Deportationen nahezu aller Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland („Wagner-Bürckel-Aktion“). Die meisten der ca. 6.500 hier internierten deutschen Juden wurden - 1942 beginnend - erneut deportiert und zwar vor allem ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Seit Mitte der 1990er Jahre befindet sich auf dem ehem. Lagergelände eine nationale Gedenkstätte, die vom Förderverein „Amicale du camp de Gurs“ betreut wird.
Gundelsheim (Landkreis Heilbronn) - wenige Kilometer neckaraufwärts von Neckarzimmern gelegen - gab es seit dem 17. Jahrhundert eine kleine israelitische Gemeinde, deren Angehörige während des 30jährigen Krieges hierher gekommen waren. Einzelne Juden wurden hier bereits 1525, 1562 und 1570 erwähnt. Um 1700 lebten im Orte - dieser war bis 1806 im Besitz des Deutschen Ordens - ca. zehn Familien, deren Zahl bis Ende des 18.Jahrhundert bis auf zwei zurückging; ein Grund für den Wegzug war die Erhöhung der Schutzgelder. Aus dem Jahre 1725 ist ein Betraum nachgewiesen. Verstorbene wurden in Heinsheim beerdigt. Seit 1832 zählten die wenigen Gundelsheimer Juden zur israelitischen Gemeinde Kochendorf.
Juden in Gundelsheim:
--- 1620 .................. 5 jüdische Familien,
--- 1644 .................. 44 Juden,
--- 1688 .................. 9 jüdische Familien,
--- 1725 .................. 7 “ " ,
--- 1742 ................. 8 “ " ,
--- 1781 ................. 2 “ " ,
--- 1802 ................. eine “ " ,
--- 1905 ................. 4 Juden,
--- 1910 ................. 9 “ ,
--- 1933 ................. 9 “ ,
--- 1939 ................. keine.
Angaben aus: W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn
Gundelsheim mit Schloss Horneck um 1830 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Zu Beginn der NS-Zeit wohnten in Gundelsheim noch neun Personen jüdischen Glaubens; fast alle emigrierten bis 1938 in die USA.
Weitere Informationen:
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale. Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Band 19, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 210/211
Hans Obert, Die jüdische Gemeinde Neckarzimmern, in: 1200 Jahre Neckarzimmern 773 - 1973, S. 224 - 228
W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte, Schicksale, Dokumente, in: Landkreis Heilbronn (Hrg.), "Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn", Band 1, Heilbronn 1986, S. 83 – 91 (Gundelsheim)
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 390
Gerhard J. Teschner, Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Vorgeschichte und Durchführung der Deportation und das weitere Schicksal der Deportierten bis zum Kriegsende im Kontext der französischen Judenpolitik, Frankfurt/M./u.a. 2002
Neckarziimmern – Mahnmal für die deportierten badischen Juden, in: alemannia-judaica.de (mit Abbildungen der obigen Memorialsteine)
Jürgen Stude, Das Mahnmal zur Erinnerung an die deportierten badischen Juden in Neckarzimmern, in: Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2007, S. 278 - 283
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 166/167 und S. 342 - 344
Kirchliche Jugendarbeit – Fachstelle Christlich-Jüdische Gedenkarbeit (Hrg.), Mahnmalprojekt Neckarzimmern, online abrufbar unter: mahnmal.kja-freiburg.de/html/das_projekt.html (u.a. mit Angabe der Deportationsorte)
Angela Borgstedt (Red.), Geschichte Gurs in den Jahren 1939 - 1942, Gedenkarbeit in Rheinland-Pfalz, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, online unter: gedenkarbeit-rlp.de
Ernst Otto Bräunche, Geschichte und Erinnerungskultur: 22. Oktober 1940 – Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden in das Lager Gurs, hrg. vom Stadtarchiv Karlsruhe, 2010
Erhard Roy Wiehn (Hrg.), Camp du Gurs: Zur Deportation der Juden aus Südwestdeutschland 1940, Hartung-Gorre-Verlag, Konstanz 2010
Lothar Frick/Sibylle Thelen, „Es war ein Ort, an dem alles grau war ...“: die Deportation der badischen Jüdinnen und Juden nach Gurs im Oktober 1940, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2020
Erhard Roy Wiehn, Abschiebung 1940: zur Deportation der südwestdeutschen Jüdinnen und Juden nach Gurs und andere französische Internierungslager - 80 Jahre danach zum Gedenken, Hartung Gorre Verlag Konstanz 2020