Nentershausen (Hessen)

Datei:Nentershausen in HEF.svg Nentershausen ist eine kleine Kommune derzeit ca. 2.500 Einwohnern im Landkreis Hersfeld-Rotenburg im Nordosten von Hessen - wenige Kilometer östlich von Bebra gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Hersfeld-Rotenburg', NNW 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die ersten Juden siedelten sich in Nentershausen und den umliegenden Dörfern vermutlich Ende des 17.Jahrhunderts an, nachdem diese aus anderen Orten, z.B. aus Kassel, von den Landgrafen ausgewiesen worden waren; ihre Aufnahme verdankten sie den Freiherren zu Solz und von Frankenberg, die damals eine verhältnismäßig judenfreundliche Politik betrieben.

Die bis Mitte des 19.Jahrhunderts auf ca. 30 bis 40 Familien angewachsene Judenschaft Nentershausens besaß auch eine kleine Synagoge mit knapp 70 Plätzen; sie war um 1790/1800 durch den Umbau einer Fachwerkscheune entstanden. Die Synagoge besaß eine eindrucksvolle Deckenbemalung, die bei der umfangreichen Renovierung des Gebäudes 1925 angebracht worden war.

Seit 1823 existierte am Orte auch eine jüdische Elementarschule, die bis in die 1920er Jahre bestand; der Schulraum, die Lehrerwohnung und eine Mikwe - diese war aber nur wenige Jahre in Nutzung - waren in einem Anbau untergebracht.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20186/Nentershausen%20Israelit%2023101884.jpg aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23.10.1884

Beinahe ein halbes Jahrhundert (!) hatte Mendel Katz das Amt des hiesigen Lehrers inne. 

Anlässlich seines Todes erschien ein Nachruf in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Okt. 1938, in dem es u.a. hieß: „ Ein Menschenleben wirkte Mendel Katz an der jüdischen Volksschule in Nentershausen, wo er ganze Generationen für Judentum und edles Menschentum großgezogen hat, wo er als Vorbeter und Lehrer auch der Großen seine Gemeinde zu göttlichen Höhen heranführte, wo er aber auch so viel Ansehen und Vertrauen bei der nichtjüdischen Bevölkerung genoss, dass ihm mannigfache Ehrenämter im Orte übertragen wurden. An der Seite seiner edlen ebenbürtigen Gattin erzog er vier Kinder, zwei Töchter und zwei Söhne, die alle den Geist des elterlichen Hauses in ihre Häuser verpflanzt haben. …"

Die Begräbnisstätte der Juden von Nentershausen war gegen Mitte des 19.Jahrhunderts mehrere hundert Meter nordwestlich des Dorfes angelegt worden.

                                 Teilansicht des Friedhofs (Aufn. J. Hahn, 2009)

Zur Gemeinde gehörten auch die jüdischen Familien aus Solz und Imshausen.

Juden in Nentershausen:

    --- 1812 .........................  19 jüdische Familien,

--- 1835 ......................... 130 Juden,

    --- 1861 ......................... 149   “   (ca. 14% d. Bevölk.),

    --- 1871 ......................... 135   “  ,

    --- 1885 ......................... 122   “   (ca. 16% d. Bevölk.),

    --- 1895 .........................  96   “  ,

    --- 1905 .........................  86   “   (ca. 20 Familien),

    --- 1910 .........................  50   “   (ca. 7% d. Bevölk.)

    --- 1924 .........................  37   “  ,

    --- 1933 .........................   9 jüdische Familien,

    --- 1940/41 ......................   ? 

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 116

 

Neben Klein- und Viehhändlern gab im Dorfe um 1900 einige jüdische Handwerker; ältester Kleinbetrieb war hier die Schuhmacherei der Familie Katz.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20190/Solz%20Israelit%2005061890.jpghttps://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20186/Nentershausen%20FrfIsrFambl%2016061916.jpg Kleinanzeigen von 1890/1916

Zu Beginn der NS-Zeit lebten noch neun jüdische Familien im Dorf. Über den Verbleib der meisten Familien bzw. ihren Wegzug aus dem Ort ist kaum etwas bekannt.

Ein Teil der Inneneinrichtung der Synagoge fiel dem Pogrom vom November 1938 zum Opfer; Versuche, das Fachwerkgebäude zum Einsturz zu bringen, scheiterten. Das Synagogengebäude ging 1939 in privaten Besitz über; seitdem diente es verschiedensten Zwecken.

     J-Kennkarte von Willy Katz aus Nentershausen

1942 wurden die letzten jüdischen Bewohner aus Nentershausen deportiert.

Mehr als 40 gebürtige Juden aus Nentershausen sind nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der Opfer in: alemannia-judaica.de/nentershausen_synagoge.htm).

 

Im Holocaust-Museum in Washington ist der originale hölzerne Thora-Schrein aus der Nentershausener Synagoge ausgestellt.

Nachdem das ehemalige Synagogengebäude jahrzehntelang als Lager, Werkstatt und Scheune gedient hatte und im Laufe der Zeit in einen baufälligen Zustand geraten war, war in den 1980er Jahren seitens der Denkmalbehörden bereits eine Abrissgenehmigung erteilt, als die Leitung des Hessischen Freilichtmuseums darauf aufmerksam wurde und eine völlige Zerstörung verhindern konnte. Das Synagogen-Fachwerkgebäude von Nentershausen, das zu den wenigen noch erhaltenen Synagogen in Nordhessen zählte, wurde nun dem Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach übereignet; nach dessen Abtragung in Nentershausen wurde es dann Mitte der 1990er Jahre originalgetreu wiederaufgebaut. (Anm.: Eine Restaurierung am ursprünglichen Standort war an fehlenden Finanzmitteln gescheitert.)

                    

                         Marodes Synagogengebäude (um 1985, aus: Th. Altaras)       Wiedererrichtetes Haus im Hessenpark (Aufn. J. Hahn, 2010)

undefinedhttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20252/HP%20Nentershausen%20Synagoge%20303.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20252/HP%20Nentershausen%20Synagoge%20286.jpg

Eingang u. Aufgang zur Frauenempore und die Gebotstafeln (Aufn. K. Ratzke, 2010, aus: wikipedia.org, CCO und J. Hahn, 2010)

Der Grundstein wurde beim Wiederaufbau mit dem folgenden Text versehen:

Wir wollen die Erinnerung wachhalten, weil sie die einzige Voraussetzung von Kultur ist.

Wir wollen die Erinnerung wachhalten, weil wir glauben, daß die Ungeheuerlichkeiten des 3.Reiches - insbesondere die Verfolgung der jüdischen Bürger - nicht vergessen werden dürfen.

Wir wollen die Erinnerung wachhalten, weil in der geschichtlichen Bewußtheit die Hoffnung liegt, aus dem Gestern für das Heute und Morgen zu lernen.

Mit dem Synagogengebäude verbunden war das 1885/86 von der jüdischen Gemeinde angekaufte sog. Hirtenhaus, in dem eine Mikwe (rituelles Bad) eingerichtet wurde. Die Mikwe wurde ebenfalls im Hessenpark wiederaufgebaut.

Anm.: Im Freilichtmuseum Hessenpark wurde auch die teilzerstörte Synagoge von Groß-Umstadt wiederaufgebaut.

Am einstigen Standort der Synagoge in Nentershausen – einem Lagerplatz für Baumaterial - erinnerte eine schlichte hölzerne Hinweistafel mit den Worten:

Hier stand die Synagoge.

Das Gebäude wurde 1819 erworben und bis 1925 weiter ausgebaut.

Beschädigt am 9. November 1938, abgetragen 1987. Wiedererrichtet 1996 im Freilichtmuseum Neu-Anspach.

Zum Andenken an die jüdischen Opfer der Gewaltherrschaft,

errichtet von der Gemeinde Nentershausen im Jahre 1999.

Diese Tafel wurde 2010 durch eine neue mit ähnlichem Text ersetzt.

Auf dem nordwestlich der Ortschaft gelegenen jüdischen Friedhof - er besitzt eine Fläche von ca. 2.000 m² -  befinden sich heute noch etwa 130 Grabsteine; allerdings sind einige von starker Verwitterung gezeichnet.

 https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20205/Nentershausen%20Friedhof%20187.jpghttps://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20205/Nentershausen%20Friedhof%20182.jpgAufn. J. Hahn, 2008

 

 

 

In der südwestlich von Nentershausen gelegenen kleinen Ortschaft Richelsdorf bestand seit Mitte des 18.Jahrhunderts eine jüdische Gemeinschaft, die anfänglich zur Gemeinde Nentershausen gehörte.

[vgl. Richelsdorf (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 116 f.

Thea Altaras, Synagogen in Hessen - was geschah seit 1945 ?, Verlag K.R. Langewiesche Nachfolger Hans Köster Verlagsbuchhandlung, Königstein (Taunus) 1988, S. 41

Eugen Ernst, Die Synagoge von Nentershausen, in: "Freilichtmuseum Hessenpark", 1989

M.Brumlik/R.Heuberger/C.Kugelmann (Hrg.), Reisen durch das jüdische Deutschland, DuMont Literatur- u. Kunstverlag, Köln 2006, S. 177/178

Karl-Heinz Berndt, Der Judenpfad. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Nentershausen, 2007    

Nentershausen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Bildmaterial zur restaurierten Synagoge im Hessenpark)

Karl-Heinz Berndt (Bearb.), Nentershausen – das ehemalige Judendorf, in: Landkreis Hersfeld-Rotenburg (Hrg.), "Jahrbuch für den Landkreis Hersfeld Rotenburg", Band 54/2010, S. 164 - 166

Synagoge aus Nentershausen, in: hessenpark.de

René Dupont (Red.), Erinnerungstafel für Synagoge steht am Rande eines Lagerplatzes, in: "HNA - Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 21.11.2013

Martin Steinhagen (Red.), Noch einmal Barmizwa. Vor 80 Jahren wurde Erich Oppenheim zur Tora aufgerufen – erst jetzt konnte er seine Lesung vollenden, aus: „Jüdische Allgemeine“ vom 11.5.2015