Neuhaus (Böhmen)
Die südböhmische Kleinstadt Neuhaus ist das tschechische Jindřichův Hradec mit derzeit ca. 21.000 Einwohnern - ca. 15 Kilometer südöstlich von Tabor bzw. östlich von Budweis/České Budějovice in unmittelbarer Nähe zur historischen mährischen Grenze gelegen (Kartenskizzen 'Tschechien' mit Jindřichův Hradec rot markiert und 'Region Südböhmen', Jiri Fiedler, aus: holocaust.cz).
Das im Schutze eines Schlosses liegende kleine Städtchen Neuhaus (Abb. um 1885, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0) soll bereits im 13.Jahrhundert Juden in seinen Mauern beherbergt haben. Nach einer aus dem Jahre 1249 stammenden königlichen Urkunde durften sich hier maximal acht jüdische Familien ansiedeln; in späteren Zeiten wurde deren Anzahl auf vier reduziert. Mit der Vertreibung von Juden aus Prag (um 1745) kamen dann jüdische Neusiedler nach Neuhaus.
Die Juden in Neuhaus - sie siedelten in der "Judengasse" (spätere Kirchgasse) und Am Graben - nahmen eine starke Stellung im Wirtschaftsleben des Ortes ein; sie dominierten vor allem den Tabakhandel in der Region; einige Familien kamen dabei zu ansehnlichem Wohlstand.
Zu den um 1750 bestehenden gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge, eine Schule und ein Friedhof.
Von einem Großfeuer waren 1801 auch die jüdischen Bewohner schwer getroffen; so brannte unter anderem auch die Synagoge ab. Die Gemeinde ließ aber bald ein neues Gotteshaus bauen. 1867 wurde die Synagoge erweitert, um der zunehmenden Zahl der Gemeindeangehörigen Rechnung zu tragen. Unmittelbar neben der Synagoge stand das jüdische Schulhaus.
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Pavel Macku, um 2010 und Jitka Erbenová, 2012, aus: wikipedia.org, CC-BY-SA 3.0)
Der außerhalb der Stadt angelegte israelitische Friedhof wurde im Laufe seines langen Bestehens mehrfach vergrößert; die ältesten, noch vorhandenen Grabsteine stammen aus dem frühen 18.Jahrhundert; der Friedhof soll aber bereits um 1400 angelegt worden sein.
Jüdischer Friedhof Jindřichův Hradec (Aufn. A.Luks, 2009 und J.Erbenová, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Juden in Neuhaus:
--- um 1250 ......................... 8 jüdische Familien,
--- um 1550 ......................... 4 “ “ ,
--- um 1680 ......................... 6 “ “ ,
--- 1795 ............................ 11 “ “ ,
--- um 1860 ..................... ca. 40 “ “ ,
--- 1869 ............................ 791 Juden,* * im Distrikt Neuhaus
--- um 1880 ..................... ca. 300 Juden,
......................... 617 " ,*
--- 1902 ............................ 339 " ,*
--- um 1930 ..................... ca. 230 " .
Angaben aus: Michael Rachmuth, Geschichte der Juden in Neuhaus
historische Ansichtskarte von Neuhaus (Abb. M.Grus, 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Als Mitte des 19.Jahrhunderts die für Juden bestehenden wirtschaftlichen Einschränkungen wegfielen, zogen vermehrt jüdische Familien nach Neuhaus; sie bestimmten fortan die industrielle Entwicklung der Stadt entscheidend mit; so entstanden in den folgenden Jahrzehnten Fabriken in verschiedenen Industriezweigen, die Hunderten von Bewohnern Arbeit gaben.
Das insgesamt relativ einvernehmliche Zusammenleben zwischen der christlich-tschechischen Mehrheit und der jüdischen Minderheit wurde in der Zeit des Ersten Weltkrieges dadurch gestört, dass die Juden eine pro-österreichische Position einnahmen und sich dadurch vom überwiegendem Teil der tschechischen Bevölkerung absetzten.
Als Folge dieser politischen Gegnerschaft kam es im Januar 1919 zu pogromartigen Attacken auf die meisten Geschäfte jüdischer Besitzer in der Stadt; diese wurden geplündert und teilweise auch zerstört; anschließend beruhigte sich die Lage wieder; die Hintermänner der antisemitischen Ausschreitungen wurden nie gefasst. Die deutsche Besetzung besiegelte dann das Ende der jüdischen Gemeinde von Jindřichův Hradec. Die allermeisten jüdischen Bewohner wurden deportiert; auf den Deportationslisten waren insgesamt 126 Juden verzeichnet.
Nach Kriegsende standen das Synagogen- und Schulgebäude zunächst leer; ab Anfang der 1950er Jahre wurden diese Gebäude von der Hussitischen Gemeinde genutzt.
Jüngst wurden mehrere Gedenktäfelchen ("Stolpersteine") in die Gehwegpflasterung eingelassen, die Angehörigen der Familie Stampf gewidmet sind.
Abb. Chr. Michelides, 2018, aus: comons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0
In Neubistritz (tsch. Nová Bistrice, derzeit ca. 3.300 Einw.) - knapp 20 Kilometer südlich von Neuhaus gelegen - bestand seit dem Ende des 19.Jahrhunderts eine israelitische Kultusgemeinde. Ein Friedhof und eine Synagoge waren um 1875 angelegt bzw. gebaut worden. Diese gemeindlichen Einrichtungen bestanden bereits vor der offiziellen Konstituierung der Gemeinde.
Grabsteine und -relikte (Aufn. Jitka Erbenová, 2012)
In Altstadt (tsch. Staré Město pod Landštejnem, derzeit kaum 500 Einw.) - östlich von Neubistritz gelegen - soll eine der ältesten jüdischen Gemeinden Südböhmens existiert haben; darauf deutet der jüdische Friedhof hin, dessen ältester vorhandener Grabstein aus dem Jahre 1621 stammt. Ein Großbrand des Jahres 1830 hat das gesamte Archivmaterial der Gemeinde vernichtet. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts haben hier etwa 20 bis 25 jüdische Familien gelebt; ab ca. 1850 verließen immer mehr Familien den Ort. In den 1890er Jahren löste sich schließlich die Gemeinde wegen Abwanderung ihrer Angehörigen ganz auf. Um 1925 wohnten in der Altstadt nur noch vier jüdische Familien. Während der jüdische Friedhof heute noch vorhanden ist, wurde das Synagogengebäude vermutlich Ende der 1930er Jahre abgerissen.
Auf dem seit 1988 als "geschütztes Kulturdenkmal" eingestuften jüdischen Friedhof datieren die ältesten Grabsteine aus der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts.
Friedhof in Staré Město pod Landštejnem (Aufn. Daniel Baránek, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
In Wittingau (tsch. Třeboň, derzeit ca. 8.200 Einw.) – südwestlich von Neuhaus – erinnert noch das aus dem 19.Jahrhundert stammende ehemalige Synagogengebäude an die jüdische Geschichte des Ortes. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts hatten jüdische Familien, die aus umliegenden Dörfern hierher gezogen waren, eine Kultusgemeinde gebildet; diese erreichte um die Jahrhundertwende ihren zahlenmäßigen Höchststand; 1930 bestand sie nur noch aus ca. 45 Personen.
Schmierereien am Synagogengebäude (Aufn. 1939, Archiv Jüd. Museum Prag)
Das renovierte, aber deutlich umgestaltete Gebäude beherbergt heute das „Museum des Wanderns“. Die kleine jüdische Gemeinde bestand bis in die 1930er Jahre.
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. J.Erbenová, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Das jüdische Begräbnisgelände mit seiner begrenzten Anzahl von Grabstelen und einem Taharahaus legt Zeugnis davon ab, dass im Ort bzw. im nahen Umland vor dem Zweiten Weltkrieg jüdische Familien gelebt haben.
Aufn. J. Erbenová, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Mehrere sog. „Stolpersteine“ des deutschen Künstlers Gunter Demnig sind in Třeboň verlegt worden; sie erinnern an Menschen, die der NS-Herrschaft zum Opfer gefallen sind.
Aufn. Chr. Michelides, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
In der Ortschaft Platz a. d. Naser (tsch. Stráž nad Nežárkou, derzeit ca. 800 Einw.) ließ die hiesige Judenschaft im 19. Jahrhundert eine Synagoge errichten. Das baulich völlig veränderte Gebäude – längst profaniert - ist bis heute erhalten.
Ehem. Synagoge vor und nach dem Umbau (Aufn. P. Hrdlička, 2013, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
An die jüdische Geschichte des Ortes erinnert heute noch der von einer Bruchsteinmauer umgebene israelitische Friedhof, der noch einige ältere Grabsteine aufweist, die aus den Jahren seiner Erstbelegung stammen.
Aufn. J. Erbenová, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Weitere Informationen:
Michael Rachmuth, Die Juden in Neuhaus, I. Teil. Jahrbuch der Gesellschaft für die Juden in der Tschechoslowakei. Prag: Taussig & Taussig, 1931, S. 186 - 216
Michael Rachmuth, Die Juden in Neuhaus, I. Teil. Ročenka Společnosti pro dějiny Židů v Československé republice. Prag: Taussig & Taussig, 1932, S. 177 - 246
Michael Rachmuth (Bearb.), Geschichte der Juden in Neuhaus, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Prag/Brünn 1934, S. 447 - 451
Franz Wondrak (Bearb.), Geschichte der Juden in Altstadt bei Neubistritz, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Prag/Brünn 1934, S. 3 - 5
Jiri Fiedler, Jewish sights of Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 88/89
Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 944 – 946
The Jewish Community of Jindrichuv Hradek (Neuhaus), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/jindrichuv-hradec
Internationales Kirchenhofprojekt IAJGS, Hradec/Tschechische Republik (2001)
Jewish Families from Jindřichův Hradec (Neuhaus), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Jind%25C5%2599ich%25C5%25AFv-Hradec-Neuhaus-Bohemia-Czech-Republic/15325
Jewish Families of Nová Bystřice (Altstadt bei Neubistritz), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-of-Nov%25C3%25A1-Byst%25C5%2599ice-Altstadt-bei-Neubistritz-Bohemia-Czech-Republic/15109
Jewish families from Stráž nad Nežárkou (Platz an der Naser) in South Bohemia, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Str%25C3%25A1%25C5%25BE-nad-Ne%25C5%25BE%25C3%25A1rkou-Platz-an-der-Naser-in-South-Bohemia/25816
The Jewish Cemetery (Židovský hřbitov), Stráž nad Nežárkou, Czech Republic – A Harvest of Sorrows, online abrufbar unter: czechfoodiesmn.blogspot.com/2011/04/jewish-cemetery-zidovsky-hrbitov-straz.html (mit aktuellen Aufnahmen vom verwahrlosten Friedhofsgelände)
Jewish Families from Třeboň (Wittingau), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-T%25C5%2599ebo%25C5%2588-Wittingau-Bohemia-Czech-Republic/15179