Neuhaus/Oste (Niedersachsen)
Neuhaus ist ein nahe der Niederelbe an der Ostemündung gelegener Flecken mit derzeit ca. 1.200 Einwohnern in der Samtgemeinde Land Hadeln im Landkreis Cuxhaven (Kartenskizze 'Landkreis Cuxhaven', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Nachweislich lebten um 1735 einzelne jüdische Familien in Neuhaus/Oste.
Zur Synagogengemeinde Neuhaus gehörten auch Juden aus umliegenden kleinen Dörfern, so u.a. aus Balje, Bülkau, Geversdorf, Krummendeich und Osten. Der Zusammenschluss zu einer Synagogengemeinde war heftig umstritten und führte zu jahrelangen Querelen; vor allem die Juden aus Osten wehrten sich vehement gegen die Integration in die Synagogengemeinde Neuhaus, wobei verschiedene Beweggründe eine Rolle spielten: vordergründig wurde die Existenz einer eigenen Synagoge und eines eigenen Minjan ins Feld geführt; doch dürften wirtschaftliche Differenzen wohl entscheidend gewesen sein. Auch die in Geversdorf lebenden jüdischen Familien solidarisierten sich mit dem Widerstand ihrer Glaubensgenossen aus Osten. Zeitweilig war durch die Auseinandersetzungen sogar der Bestand der Neuhauser Gemeinde ernstlich gefährdet. 1852/1853 schloss sich die Neuhauser Gemeinde mit der Gemeinde von Otterndorf zusammen, um einen Minjan zu gewährleisten; doch löste sich die Gemeinschaft bald wieder auf.
Die Juden von Neuhaus und Umgebung wurden auf dem Wingster Judenfriedhof mitten im Wingster Forst begraben; das seit 1767 bestehende Beerdigungsgelände wurde um 1850 erweitert und stand auch Verstorbenen aus dem früheren Landkreis Hadeln zur Verfügung; laut den „Statuten der israelitischen Begräbnisplatz-Corporation zu Wingst, Kirchspiel Cadenberge“ aus dem Jahre 1850 hatten sich die jüdischen Familien des Umlandes zur künftigen Unterhaltung des Friedhofs verpflichtet. Das letzte Begräbnis auf dem relativ großen Areal (ca. 2.500 m²) fand hier 1926 statt. Heute sind noch 60 Grabstellen mit ca. 25 Grabsteinen vorhanden; während der NS-Zeit soll der Friedhof unzerstört geblieben sein; doch haben Witterungseinflüsse den Grabmälern schwer zu schaffen gemacht. In den 1970er und 1980er Jahren war der Friedhof mehrfach das Ziel von Schändungen.
Jüdischer Friedhof im Wingster Forst (Aufn. Tiemann, 2008 und RB, 2005, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Juden in Neuhaus:
--- 1844/45 ....................... 77 Juden,* * gesamte Gemeinde
--- 1861 .......................... 22 " ,
--- 1871 .......................... 18 " ,
--- 1873 .......................... 66 “ ,*
--- 1885 .......................... 5 " ,
--- 1895 .......................... 36 “ ,*
--- 1905 .......................... 26 " ,*
--- 1928 .......................... 9 “ .*
Angaben aus: Jürgen Bohmbach (Bearb.), Neuhaus a.d.Oste, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Band 2, S. 1087
und Ehem. jüdische Gemeinde Neuhaus/Oste (Web-Seite des Gymnasiums Otterndorf)
Gegen Ende des 19.Jahrhunderts war das Zusammenleben der jüdischen mit den christlichen Familien problemlos; in den 1870er Jahren amtierte der damalige Synagogenvorsteher Joseph Heinemann sogar als Bürgermeister von Neuhaus.
Ab Beginn des 20.Jahrhunderts nahm die Zahl der Mitglieder der Synagogengemeinde Neuhaus immer mehr ab, so dass dann wegen des fehlenden Minjan keine Gottesdienste mehr abgehalten werden konnten. Die Gemeinde löste sich Anfang der 1930er Jahre völlig auf.
Anmerkung: Im Ortsteil Neuhaus der Kommune Amt Neuhaus im Landkreis Lüneburg befindet sich auf dem christlichen Friedhof ein Areal, auf dem ehemals jüdische Verstorbene begraben wurden. Heute findet man hier keine Grabsteine mehr.
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In Oederquart – Teil der Samtgemeinde Nordkehdingen, ca. 15 Kilometer östlich von Neuhaus – wurde jüngst eine Gedenktafel in unmittelbarer Nähe der Kirche enthüllt, die an die jüdische Familie Renner erinnert (2023)
Anm. Die jüdisch-christlichen Mitglieder der Familie Renner haben länger als ein Jahrhundert in der Region Oederquart gelebt. Zu ihrer Familiengeschichte siehe: Hans Tegtmeier (Bearb.) … sie lebten unter uns … (betr. Jüdische Familie Renner aus Oederquart), online abrufbar unter: nordkehdingen.de
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Weitere Informationen:
Rudolf Lembcke (Red.), Der Judenfriedhof in der Wingst, in: "Niederdeutsches Heimatblatt - Beilage der Nordsee-Zeitung/Nordwestdeutsche Zeitung", No. 287 (1973) und No. 307 (1975)
Jürgen Bohmbach, Die Juden im alten Regierungsbezirk Stade, in: "Stader Jahrbuch 1977", S. 31 ff.
Erich Müller, Die Grabmale des Wingster Judenfriedhofes, Cadenberge 1991
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Neuhaus/Oste, in: Web-Seite des Gymnasium Otterndorf
Ernst Beplate, Juden in Neuhaus a.d.Oste und in Bülkau, in: "Jahrbuch der Männer vom Morgenstern", No.83/2004, S. 71 - 104
Jürgen Bohmbach (Bearb.), Neuhaus a.d. Oste, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1087 - 1090
Hans Tegtmeier, Jüdischer Friedhof Wingst, zwei Bände, Lehrte 2018
Hans Tegtmeier (Bearb.) … sie lebten unter uns … (betr. Jüdische Familie Renner aus Oederquart), online abrufbar unter: nordkehdingen.de
N.N. (Red.), Gedenktafel für jüdische Familie Renner in Oederquart aufgestellt, in: „Tagblatt“ vom 31.12.2023