Neustadt-Glewe (Mecklenburg-Vorpommern)

Bezirk des LG Schwerin.PNGBildergebnis für ludwigslust parchim ortsdienst karte Neustadt-Glewe ist eine von derzeit ca. 7.000 Menschen bewohnte Kleinstadt im Landkreis Ludwigslust-Parchim im westlichen Teil des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern – ca. 25 Kilometer südlich von Schwerin gelegen (Kartenskizzen 'Landkreise in Mecklenburg', Spisazer 2007, commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und  'Landkreis Ludwigslust-Parchim', aus: ortsdienst.de/mecklenburg-vorpommern/ludwigslust-parchim).

 

Jüdische Familien siedelten sich nachweislich ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts in Neustadt-Glewe an; so stammen die frühesten Hinweise auf in Neustadt wohnende Juden aus dem Jahre 1758. Die mecklenburgischen Herzöge gewährten ihnen Schutz. Wie eine „Schutzjudenliste" belegt, erhielt als erster der Jude Hirsch Joseph 1760 ein Privileg auf die Stadt Neustadt; für dieses ihm gewährte Privileg hatte er damals zwölf Reichstaler Schutzgeld zu zahlen.

In napoleonischer Zeit zogen weitere Familien nach Neustadt, und es bildete sich um 1820/1825 eine israelitische Gemeinde heraus. Um 1830 konnte diese mit herzoglicher Genehmigung an der Ecke Große Wallstraße/Wasserstraße eine neue Synagoge errichten; in dem im Volksmund als „Kloster“ bezeichneten Synagogenbau war auch ein Schulraum untergebracht. 1845 bestätigte der Herzog die Gemeindeordnung für die Juden Neustadts.

Seit in den 1880er Jahren das Synagogengebäude durch Brand vernichtet wurde, hielt die arg geschrumpfte Gemeinde ihre Gottesdienste in einem Privathause ab.

Der jüdische Friedhof befand sich im Nordosten der Städtchens an der Straße nach Neuhof; dessen Anlage erfolgte vermutlich gegen Ende des 18.Jahrhunderts. Das Areal, auf dem insgesamt ca. 80 Bestattungen vorgenommen wurden, diente bis Anfang des 20.Jahrhunderts als "Guter Ort"; danach nahm man Beerdigungen auf dem jüdischen Friedhof in Parchim vor.

Juden in Neustadt-Glewe:

         --- um 1795 .....................    5 jüdische Familien,

    --- 1806 ........................   55 Juden, (?)

    --- 1810/12 .....................   26   “  ,

    --- 1819 ........................   67   “  ,                

    --- 1830 ........................   49   “  ,

    --- 1840 ........................   61   “  ,

    --- 1850 ........................   10 jüdische Familien,

    --- 1860 ........................   78 Juden,

    --- 1871 ........................   23   “  ,

    --- 1900 ........................   11 jüdische Familien,*

    --- 1925 ........................    7     “         “  ,*

    --- 1932/33 .....................    6     “         “  .*        * hier stark abweichende Angaben

Angaben aus: Karl Heinz Schütt, Zur Geschichte der Juden in Neustadt-Glewe (1758 - 1978), S. 27

Bildergebnis für Neustadt Glewe historischMarktplatz mit Rathaus, hist. Postkarte (Abb. Kultur- u. Heimatverein Neustadt)

 

Ab den 1860er Jahren war die Zahl der Neustädter Juden stark rückläufig; Grund für die Abwanderung war die wirtschaftlich schlechte Lage: Die Region Mecklenburg hatte den Anschluss an die industrielle Entwicklung verloren und bot nun keine Perspektiven mehr für die meist handeltreibenden Juden. Bis 1888 hatte sich die Anzahl der Juden Neustadts derart verringert, dass nur noch die Familie des Kaufmanns Emil Bonheim in Neustadt ansässig geblieben war. Mit seinem Tod (1889) war dann auch das Ende der Gemeinde gekommen. Offiziell aufgelöst wurde die Neustädter Gemeinde ein Jahr später (1890); das noch verbliebene Vermögen wurde der israelitischen Gemeinde von Parchim – als Rechtsnachfolgerin - übereignet.

Einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg siedelten sich zwei jüdische Unternehmen in Neustadt neu an: die Holzpantinenfabrik Kabel & Ahrens und die Lederfabrik Adler & Oppenheimer AG. Dies erhöhte allerdings nicht die Zahl der jüdischen Einwohner.

Der am 1.4.1933 reichsweit aufgerufene Boykott gegen jüdische Geschäfte wurde in Neustadt nicht durchgeführt, da es hier keinen jüdischen Einzelhandel gab; so wurden die „arischen“ Ladengeschäfte mit Parolen wie „Juden unerwünscht”  beschmiert.

 Die Lederfabrik Adler & Oppenheimer – in Neustadt-Glewe war neben Neumünster eine große Betriebsstätte des zeitweilig größten europäischen Konzern der Lederindustrie angesiedelt - wurde Ende der 1930er Jahre „arisiert“, der Firmenname aber zunächst beibehalten; 1940 wurde die Firma in „Norddeutsche Lederwerke AG“ umbenannt. Obwohl fast keine Juden mehr zu diesem Zeitpunkt in Neustadt lebten, erschienen in der Lokalpresse antisemitische Artikel; das belegt folgender kurzer Auszug eines Artikels: ... Die Einwohnerzahl der Stadt sank immer mehr und mehr. Der wenige Handel lag in den Händen der Juden. Aber auch ihre Zahl wurde kleiner, ein Beweis, daß es nichts zu ergaunern gab. ...”(aus: „Neustädter Anzeiger” vom 28.8.1935)

Im November 1938 kam es in Neustadt zu keinen gewalttätigen Ausschreitungen - es gab nichts „Jüdisches“ zu zerstören; allerdings sollen von 1938 an verstärkt Personenkontrollen durchgeführt und auch Häuser durchsucht worden sein, in denen die NS-Behörden Juden vermuteten.

Die wenigen Neustädter Juden konnten meist vor Kriegsbeginn noch emigrieren, andere kamen in der Vernichtungslagern ums Leben. Genaue Angaben liegen nicht vor. Der jüdische Friedhof - die letzte Bestattung erfolgte hier 1904 - wurde 1940 von Nationalsozialisten zerstört, die Grabsteine abgeräumt.

Seit Mitte 1944 existierte in Neustadt-Glewe ein Außenlager des Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, in dem insgesamt bis zu 5.000 weibliche Häftlinge - meist Jüdinnen - inhaftiert waren und hier zu Zwangsarbeiten gezwungen wurden. Die Baracken des Lagers befanden sich neben dem von der Wehrmacht errichteten Flugplatz am Fliegerhorst. - Im Zuge der ‘Evakuierungen’ der Konzentrationslager im Osten erreichten immer mehr Häftlingstransporte mit Hunderten Frauen das Außenlager in Neustadt-Glewe. Das Lager war schnell total überfüllt; die Insassinnen lebten unter unvorstellbaren Bedingungen. Mindestens 560 ‘unbekannte’ Frauen sind insgesamt im Lager ums Leben gekommen. Als sich Anfang Mai 1945 alliierte Truppen näherten, ergriff die SS-Bewachung die Flucht und überließ die Frauen sich selbst; wenige Tage später wurde das Lager von der Roten Armee erreicht und die Häftlinge befreit.

 

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Areal des ehem. jüdischen Friedhofs  und  Gedenktafel (Aufn. M. 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs zeugt nur noch ein von der Form her markanter Baum, die sog. „Judeneiche“, von der einstigen Nutzung des Areals. Der Text einer dort befindlichen Hinweistafel lautet: "Zur ewigen Erinnerung: 'Der Hort - vollkommen ist sein Wirken, denn alle seine Wege sind Gerechtigkeit.' Dieser jüdische Friedhof in Neustadt-Glewe wurde Ende des 18. Jahrhunderts angelegt. Im Jahr 1867 lebten in Neustadt-Glewe über 55 Juden. Im Jahr 1933 waren nur 8 jüdische Einwohner registriert. In den Terrorzeiten des Nationalsozialismus wurde der Friedhof zerstört. Im Jahr 1999 wurde der Friedhof wiederhergestellt. Mögen ihre Seelen vereint sein mit den Seelen unserer Stammväter Abraham, Isaak und Jakob und unserer Stammmütter Sarah, Rebekka, Rahel und Lea sowie aller Frommen im Paradies. Amen. Ihre Seelen seien eingebunden in den Bund des Lebens."

Auf dem Stadtfriedhof erinnert seit 1947 ein Denkmal an die umgekommenen weiblichen Häftlinge des Außenlagers von Ravensbrück.

Seit jüngster Zeit weisen im Stadtgebiet Info-Tafeln auch auf ehemaliges jüdisches Leben hin.

 

 

 

Weitere Informationen:

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band III, S.1048/1049

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 523/524

Karl Heinz Schütt, Zur Geschichte der Juden in Neustadt-Glewe (1758 - 1978), Eigenverlag, Schkeuditz 1997

Karl Heinz Schütt, Ein vergessenes Lager ? Über das Außenlager Neustadt-Glewe des Frauen-KZ Ravensbrück, Eigenverlag, Schkeuditz 1997

Irene Diekmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Mecklenburg-Vorpommern, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 1998, S. 152 - 166

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 442 - 444 

Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Neustadt-Glewe, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 9.3.2016, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Neustadt_Glewe

Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Der jüdische Friedhof in Neustadt-Glewe, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 9.3.2016, in: juden-in-mecklenburg.de/Friedhoefe/Neustadt_Glewe

Denise Schulze (Red.), Neue Infotafeln erinnern an jüdisches Leben, in: "Ludwigsluster Tageblatt" vom 19.3.2021