Nieder-Florstadt/Wetterau (Hessen)

Wetteraukreis Karte Nieder-Florstadt ist heute der größte Stadtteil der Kommune Florstadt im hessischen Wetteraukreis - ca. 25 Kilometer östlich von Bad Nauheim gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Nieder-Florstadt, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Wetteraukreis', aus: ortsdienst.de/hessen/wetteraukreis).

 

Die Anfänge einer jüdischen Gemeinde reichen vermutlich in die Zeit des beginnenden 17.Jahrhunderts zurück, als das Dorf zur Ganerbenschaft Staden gehörte. Das damalige Unter-Florstadt war zunächst reines Bauerndorf, wandelte sich aber nach 1870/1880 zu einer Arbeitergemeinde. Die dortige israelitische Gemeinde erreichte gegen Mitte des 19.Jahrhunderts ihren zahlenmäßigen Höchststand und stellte damals mehr als ein Zehntel der Dorfbevölkerung.

Ihre Synagoge errichtete die Judenschaft des Ortes um 1800 in der Faulgasse; zeitweilig suchten auch die Juden aus Staden das hiesige Gotteshaus auf.

Nach der Jahrhundertmitte wurden Reparaturarbeiten am Synagogengebäude nötig; die Auschreibung für die Handwerkerarbeiten wurde öffentlich bekannt gemacht.

aus: „Friedberger Intelligenzblatt" vom 18.Aug. 1866

Bis um die Jahrhundertwende war seitens der Gemeinde ein Lehrer angestellt, der die religiös-rituellen Aufgaben besorgte.

 http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20360/Florstadt%20ha_1859-06-21_nnn_4-1.jpg 

Stellenangebote aus: "Friedberger Intelligenzblatt" vom 21.Juni 1859 und aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 14.Aug. 1878

Eine recht ungewöhnliche Kleinanzeige  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20360/Florstadt%20ha_1855-10-02_nnn_9.jpg ("Friedberger Intelligenzblatt" vom 2.10.1855)

Verstorbene wurden auf dem kleinen jüdischen Friedhof begraben; dessen Anlage erfolgte erst wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg.

Die Gemeinde war dem orthodoxen Provinzialrabbinat Oberhessen in Gießen zugeteilt.

Juden in Nieder-Florstadt:

         --- 1830 ......................... 103 Juden,

    --- 1861 ......................... 148   “  (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1880 .........................  98   “  (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1900 .........................  51   “  ,

    --- 1910 .........................  48   "  ,

    --- um 1930 .................. ca.  30   “  ,

    --- 1933 .........................  28   "  ,

    --- 1939 .........................  10   “  ,

    --- 1940 .........................   7   "  ,

    --- 1942 (Okt.) ..................   keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 133

und                 Nieder-Florstadt, in: alemannia-judaica.de

 

Neben zwei Metzgern und Viehhändlern verdienten die übrigen jüdischen Familien ihren Lebensunterhalt als Kleinkaufleute. Zu Beginn der NS-Herrschaft 1933 lebten in Nieder-Florstadt nur noch wenige, zumeist ältere jüdische Bewohner.

                                                             Synagogengebäude (hist. Aufn., um 1930)

Im November 1938 wurde das Synagogengebäude in Brand gesetzt und völlig zerstört; die Ruine wurde wenige Jahre später niedergelegt. Die letzten fünf jüdischen Bewohner wurden Ende September 1942 in die Vernichtungslager im „Generalgouvernement“ deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind insgesamt 29 gebürtige bzw. länger in Nieder Florstadt ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/nieder-mockstadt_synagoge.htm).

 

Eine Gedenktafel am Standort der ehemaligen Synagoge - angebracht 2009 - trägt den folgenden Text:

Hier stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde Nieder-Florstadt.

Sie wurde am 9. November 1938 in der Reichskristallnacht durch einen Brandanschlag zerstört und 1942 abgebrochen.

In mahnender Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933-1945

                 Auf dem kleinen Friedhof steht ein Gedenkstein mit der Inschrift:

Hier stand ein jüdischer Friedhof, der im Jahre 1939 dem Naziterror zum Opfer fiel.

Aus den zerschlagenen  Grabsteinen wurde dieses Monument errichtet

Nun folgen Namen der hier begrabenen Personen

Der 2013 gegründete Arbeitskreis „Jüdisches Leben in Florstadt“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die jüdische Geschichte der einzelnen Stadtteile zu dokumentieren.

   Modell der Synagoge (Artur Fischbach, 2008)

Im Stadtteil Nieder-Mockstadt wurden 2016 acht sog. „Stolpersteine“ verlegt.

Der wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg angelegte jüdische Begräbnisplatz in Nieder-Florstadt weist heute keine Gräber mehr auf. Ein Gedenkstein trägt die Inschrift: "Hier stand ein jüdischer Friedhof, der im Jahre 1939 dem Naziterror zum Opfer fiel. Aus den zerschlagenen Grabsteinen wurde dieses Monument errichtet“.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20130/Nieder-Florstadt%20Friedhof%20140.jpg Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Florstadt (Aufn. Jürgen Reuss, 2007)

Auch in den beiden Ortsteilen Florstadts, in Nieder-Mockstadt und Staden, finden sich noch Begräbnisplätze, die an die kleinen ehemaligen jüdischen Gemeinschaften erinnern.

 

[vgl. Nieder-Mockstadt (Hessen)]

[vgl. Staden (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 133

Ulrich Schütte (Hrg.), Kirchen und Synagogen in den Dörfern der Wetterau, in: "Wetterauer Geschichtsblätter. Beiträge zur Geschichte und Landeskunde", Band 53, Friedberg/Hessen 2004, S. 289 - 326

Die dunkelste Stunde der Feuerwehr“, in: Festschrift „100 Jahre Freiwillige Feuerwehr Nieder-Florstadt“, 2005, S. 49

Nieder-Florstadt, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Aus der Mitte der Dorfgemeinschaft gerissen, in: „Kreisanzeiger“ vom 20.5.2016 (Anm. betrifft Stolpersteinverlegung in Nieder-Mockstadt)

pm/dab (Red.), Jeder Stolperstein ein Schicksal, in: „Wetterauer Zeitung“ vom 28.4.2016