Nieder-Saulheim (Rheinland-Pfalz)
Nieder-Saulheim ist heute ein Ortsteil von Saulheim - zugehörig der Verbandsgemeinde Wöllstadt im Westteil des Kreises Alzey-Worms, ca. 20 Kilometer südwestlich von Mainz gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Alzey-Worms' mit Saulheim rot markiert, Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Zu welchem Zeitpunkt sich jüdische Familien erstmals in Nieder-Saulheim niederließen, kann nicht eindeutig belegt werden. Vermutlich um die Mitte des 19.Jahrhunderts gründete sich hier eine Gemeinde. Die Juden Nieder-Saulheims gehörten ab den 1920er Jahren zur Kultusgemeinde Nieder-Olm.
Über einen Synagogenraum in einem angekauften Wohnhaus verfügte die hiesige Judenschaft seit etwa 1850; benutzt wurde der Betraum regelmäßig bis Anfang der 1920er Jahre. Im 19.Jahrhundert bestand zeitweilig eine kleine Religionsschule; ein von der Gemeinde angestellter Lehrer war zugleich auch als Vorbeter und Schochet tätig.
Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Jugenheim begraben. Der israelitischen Friedhofsgemeinschaft Jugenheim waren die Ortschaften Partenheim, Stadecken und Vendersheim angeschlossen. Angaben zufolge soll am Ort 1925/1926 eine eigene Begräbnisstätte am Kapellenberg - als Teil des kommunalen Friedhofs - angelegt worden sein.
Auch in Ober-Saulheim lebten einige Juden, die zur Gemeinde gehörten.
Die Juden Nieder-Saulheims unterstanden dem Bezirksrabbinat Alzey.
Juden in Nieder-Saulheim:
--- 1804 ........................ 42 Juden,
--- 1824 ........................ 58 “ ,
--- 1830 ........................ 53 “ ,
--- 1848 ........................ 14 jüdische Familien,
--- 1864 ........................ 17 “ “ (ca. 70 Pers.),
--- 1880 ........................ 64 Juden (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1900/05 ..................... 41 “ ,
--- 1924 ........................ 40 " (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1932 ........................ 32 “ (in 10 Familien),
--- 1938 .................... ca. 20 “ .
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 142
Zu Beginn der NS-Herrschaft lebten in Nieder-Saulheim noch etwa zehn bis zwölf jüdische Familien. Die Gemeinde löste sich endgültig im Laufe des Jahres 1938 auf; bereits Ende der 1920er Jahre hatten nur noch vereinzelt Gottesdienste im hiesigen Betraum stattgefunden. Die Gemeinde Nieder-Olm war fortan für die wenigen Juden aus Nieder-Saulheim zuständig.
Während der „Kristallnacht“ vom November 1938 wurde der Betraum völlig zerstört; die Beseitigung der Schuttreste wurde den jüdischen Bewohnern in Rechnung gestellt. Während ein Teil der Familien noch emigrieren konnte, verzog der andere in größere deutsche Städte. Über ihr weiteres Schicksal ist kaum etwas bekannt.
zwei J-Kennkarten von gebürtigen jüdischen Bewohnern aus Nieder-Saulheim (Abb. aus: alemannia-judaica.de)
Der NS-Vernichtungspolitik sind nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." nachweislich elf gebürtige Juden aus Nieder-Saulheim zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/niedersaulheim_synagoge.htm).
Seit 1989 erinnert am Rathaus eine Relief-Gedenktafel (Aufn. Ortsgemeinde Saulheim) mit folgenden Worten:
Wir gedenken der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und insbesondere des Leidens und Sterbens unserer jüdischen Mitbürger.
Die Ortsgemeinde Saulheim
Auf dem jüdischen Friedhof informiert eine von der Kommune aufgestellte Tafel über die Historie der Begräbnisstätte wie folgt:
Der Jüdische Friedhof. Bet Olam (hebräisch) 'Haus der Ewigkeit'.
Seit altersher lebten Bürger jüdischen Glaubens auch in der Gemeinde Nieder-Saulheim. Erste Erwähnungen stammen aus dem Jahr 1548. Vermutlich hatten die Saulheimer Juden zunächst keinen eigenen Friedhof und bestatteten ihre Toten deshalb über einen längeren Zeitraum auf jüdischen Friedhöfen in Jugenheim oder anderer umliegender Gemeinden.
Erst 1926 wurde diese Beerdigungsstätte angelegt. Dass sie innerhalb des christlichen Friedhofes ihren Platz fand, zeigt, dass die Juden gut in die Dorfgemeinschaft integriert waren. Wenig später führte die nationalsozialistische Gewaltherrschaft jedoch durch Vertreibung und Ermordung zur Auslöschung der jüdischen Bevölkerung in Saulheim.
Der jüdische Friedhof hat eine Fläche von 255 m² und wurde Überlieferungen zufolge mehrmals geschändet.
Es obliegt jetzt unserer besonderen Verantwortung ihn zur Erinnerung an die jüdischen Bürger und ihr Schicksal zu pflegen. Ortsgemeinde Saulheim."
Jüdische Begräbnisstätte (Aufn. N., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
2023 wurde auf dem Friedhofsgelände ein Gedenkstein „Gegen das Vergessen“ aufgestellt, der namentlich 28 Personen nennt, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sind.
Gedenkstein (Aufn. Gemeinde Saulheim, 2023)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 142
Gerd Keim/Dieter Stadler (Hrg.), Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Nieder-Saulheim, in: „Wo wir uns versammeln“, online abrufbar unter. evki-saulheim.de/eine-vergessene-religionsgemeinschaft.html (1986)
P.Weisrock/E.Rettinger/A.Weisrock (Hrg.), Die jüdische Gemeinde von Nieder-Olm, in: "Nieder-Olmer Dokumentationen 1", Selbstverlag, Nieder-Olm 1988
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 333/334
Nieder-Saulheim, in: alemannia-judaica.de (mit zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
wbu (Red.), In Nieder-Daulheim sollen Stolpersteine verlegt werden, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 4.8.2009
Wolfhard Klein, Die Synagogen in Essenheim, Jugenheim, Nieder-Saulheim, Partenheim, Stadecken und Vendersheim, hrg. vom Förderverein der Synagoge Weisenau, No. 2/2022
Theresa Breinlich (Red.), Neuer Gedenkstein erinnert an jüdische Gemeinde in Saulheim, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 5.7.2023