Nieder-Wiesen (Rheinland-Pfalz)

Datei:Rheinhessen 1905.png – WikipediaBildergebnis für Rhein Alzey kreis karte Nieder-Wiesen mit seinen derzeit ca. 600 Einwohnern gehört heute zur Verbandsgemeinde Alzey-Land im rheinland-pfälzischen Landkreis Alzey-Worms – ca. zehn Kilometer westlich von Alzey gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Nieder-Wiesen, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Alzey-Worms', Hagar, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Unter allen Kommunen Rheinhessens besaß Nieder-Wiesen im 19.Jahrhundert den höchsten %-Anteil jüdischer Bewohner.

Das Dorf Nieder-Wiesen war im Besitz der Freiherren von Hunoldstein und beherbergte vermutlich seit Ende des 17./Anfang des 18.Jahrhunderts jüdische Bewohner; diese bildeten alsbald eine Gemeinde. Die Judenschaft von Nieder-Wiesen besaß bereits nachweislich seit 1745 einen Synagogenraum, der drei Jahrzehnte später vermutlich durch einen neuen ersetzt wurde. In der Blütezeit der Gemeinde ließ die Judenschaft einen Synagogenneubau in der Kirchgasse errichten; er wurde 1864 eingeweiht.

Gemeinsam mit dem benachbarten Flonheim beschäftigte man einen Lehrer.

  Anzeigen aus „Der Israelit“ vom 23.6.1902 und 16.5.1904

Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählte auch eine eigene Begräbnisstätte südöstlich der Ortschaft (am Morschheimer Werg), die vermutlich um 1730/1740 angelegt worden war. Ein älterer jüdischer Friedhof soll zuvor in Ober-Wiesen bestanden haben, der aber im Laufe des 18.Jahrhunderts aufgegeben wurde. 

Die Gemeinde Nieder-Wiesen gehörte zum Rabbinat Alzey.

Juden in Nieder-Wiesen:

         --- 1804 .........................  76 Juden (ca. 20% d. Dorfbev.),

    --- 1824 .........................  84   “  ,

    --- 1834 ......................... 104   “  ,

    --- 1861 ......................... 124   “   (ca. 21% d. Dorfbev.),

    --- 1880 .........................  82   "   (ca. 14% d. Dorfbev.),

    --- um 1890 .................. ca.  80   “  ,

    --- 1900 .........................  62   “  ,

    --- 1910 .........................  53   "   (ca. 9% d. Dorfbev.),

    --- 1924 ..................... ca.  30   "  ,

    --- 1932/33 ......................  20   “   (ca. 3% d. Dorfbev.),

    --- 1938 .........................   5   “  ,

    --- 1939 (Dez.) ..................   keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 144

und                  Dieter Hoffmann, “ ... wir sind doch Deutsche” . Zur Geschichte und Schicksal der Landjuden ..., S. 97

 

Ab den 1870er Jahren wanderten jüdische Familien vermehrt aus Nieder-Wiesen in größere Städten wie Worms und Frankfurt/M. ab; dort sahen sie bessere ökonomische Perspektiven. Zu Beginn der NS-Herrschaft 1933 lebten in Nieder-Wiesen noch sechs jüdische Familien. Im Laufe der folgenden sechs Jahre löste sich die Gemeinde völlig auf. 1939 wohnte kein einziger jüdischer Einwohner im Ort.

Während der „Kristallnacht“ vom November 1938 wurde das Synagogengebäude in Brand gesetzt und zerstört, das Grundstück anschließend verkauft und die Ruine alsbald abgerissen. Während die Synagoge brannte, wurden die jüdischen Dorfbewohner aus ihren Häusern gezerrt und im Feuerwehrgerätehaus eingesperrt; in der Zwischenzeit wurden die jüdischen Wohnungen verwüstet.

Die fünf noch im Dorf verbliebenen jüdischen Bewohner verließen es im Laufe des Jahres 1939.

Der NS-Vernichtungspolitik sind nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." nachweislich zwölf aus Nieder-Wiesen stammende Juden zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/nieder-wiesen_synagoge.htm).

 

1983 wurde neben dem Eingang des evangelischen Kirche eine Tafel angebracht, deren Inschrift lautet:

Gedenktafel

Der älteste Grabstein auf dem jüdischen Friedhof von Nieder-Wiesen (am Morschheimer Weg) datiert aus der Zeit um 1800; insgesamt findet man auf dem Gelände ca. 60 Grabsteine.

Jüdischer Friedhof in Nieder-Wiesen (Aufn. EPH, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 144/145

Ralf Zahn, Die Geschichte der jüdischen Gemeinden in Wörrstadt und Nieder-Wiesen, in: "Alzeyer Geschichtsblätter", Heft 14/1979, S. 146 f.

Dieter Hoffmann, “ ... wir sind doch Deutsche”. Zur Geschichte und Schicksal der Landjuden in Rheinhessen, Hrg. Stadt Alzey, Alzey 1992, S. 97 und S. 267

Tobias Kraft, Die Geschichte Nieder-Wiesens, der Pfarrei und seiner Kirchen, 2., erw. Aufl. 1999 (Maschinenmanuskript)

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 292

Nieder-Wiesen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)