Nierstein/Rhein (Rheinland-Pfalz)
Nierstein - im Landkreis Mainz-Bingen gelegen - gehört seit 2014 der Verbandsgemeinde Rhein-Selz an, deren größte Kommune sie mit derzeit ca. 8.000 Einwohnern ist (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Mainz-Bingen', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/mainz-bingen).
Blick auf Nierstein - Kupferstich M. Merian, um 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Seit Mitte des 18.Jahrhunderts ist der Aufenthalt von Juden in Nierstein urkundlich nachweisbar; wie fast überall war auch hier ihr Leben durch Vorschriften eingeengt. Die jüdischen Familien in Nierstein bildeten wegen ihrer geringen Anzahl keine autonome Gemeinde; sie waren der Synagogengemeinde Oppenheim angeschlossen und besuchten auch die dortige Synagoge; ob es am Ort einen eigenen Betraum gab, ist nicht eindeutig belegt.
Als Begräbnisort diente zumeist der jüdische Friedhof in Oppenheim.
Zusammen mit der Oppenheimer Gemeinde gehörte Nierstein zum Bezirksrabbinat Mainz.
Juden in Nierstein:
--- um 1740 .......................... 10 jüdische Familien,* * mit Oppenheim u. Schwabsburg
--- 1797 ............................. 2 " " ,
--- 1817 ............................. 8 “ “ (mit 41 Pers.),
--- 1824 ............................. 35 Juden,
--- 1861 ............................. 47 “ ,
--- 1900 ............................. 79 “ ,
--- 1928 ............................. 14 jüdische Familien (ca. 80 Pers.),
--- 1931 ............................. 62 Juden,
--- 1941 (Sept.) ..................... keine.
Angaben aus: Wolfgang Kemp, Die jüdische Gemeinde (Nierstein), Ortschronik, S. 212
eine gewerbliche Anzeige (um 1925)
aus: Festschrift des Schiffervereins Einigkeit, um 1930
Anfang der 1930er Jahre lebten ca. zwölf jüdische Familien in Nierstein.
Im Laufe des 10. November 1938 suchten SA/SS-Angehörige gezielt Häuser und Wohnungen von jüdischen Familien auf, schlugen Türen und Fenster ein und demolierten die Inneneinrichtung. So wurde z.B. das Haus der Familie Kaufmann in der Rheinstraße so stark zerstört, dass es anschließend unbewohnbar war.
Einige Familien emigrierten, andere verzogen in größere deutsche Städte, zumeist nach Mainz. Im August 1941 wurde Nierstein als „judenrein“ gemeldet; wenige „in Mischehe“ verheiratete Juden waren im Ort verblieben.
J-Kennkarten gebürtiger Niersteiner Juden
Einige Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen wurden die Niersteiner Jüdin Cerry Ellers und ihr Ehemann zusammen mit vier weiteren nicht-jüdischen Männern ermordet.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden mindestens 40 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Niersteiner Juden Opfer der Shoa (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/nierstein_synagoge.htm).
2013 wurden an zwölf verschiedenen Stellen in Gehwegen von Nierstein zur Erinnerung an 30 NS-Opfer sog. „Stolpersteine“ verlegt; weitere kamen 2014/2015 hinzu; inzwischen zählt man insgesamt 55 Steine, die im Gehwegpflaster eingefügt sind (Stand 2023). Die Initiative und die Realisierung der Verlegeaktionen trug der Geschichtsverein Nierstein.
Gunther Demnig bei der Verlegeaktion in Nierstein - drei "Stolpersteine" (Aufn. Geschichtsverein Nierstein, 2013)
Rheinstraße (Aufn. G., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
[vgl. Hahnheim und Oppenheim (Rheinland-Pfalz)]
In Dalheim - heute Teil der Verbandsgemeinde Nierstein-Oppenheim - bestand bis etwa 1900 eine kleine jüdische Gemeinschaft, die zu keiner Zeit mehr als 30 Angehörige zählte. Diese besaß eine schlichte Synagoge, die bis ca. 1890 genutzt wurde. Nach einer schweren Schändung des Betraumes im August 1890, bei der alle Ritualien beschädigt bzw. zerstört worden waren, wurde vermutlich die Synagoge aufgegeben, zumal die Zahl der Gemeindeangehörigen keinen Minjan mehr erbrachte.
Kurznotiz in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 25.8.1890
Auf dem gegen Ende der 1850er Jahre angelegten Friedhof - die Fläche war der Kultusgemeinde von der Kommune als Schenkung übereignet worden (siehe Meldung in "Allgemeine Zeitung des Judenthums" vom 12.7.1858) fanden Gemeindeangehörige ihre letzte Ruhe; die letzte Beerdigung fand hier 1918 statt. Heute findet man auf dem ca. 800 m² großen Areal am Ende der Pfaffengasse noch acht Grabmale.
Aufn. F. Bernhard, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind drei aus Dalheim stammende jüdische Bewohner Opfer der "Endlösung" geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/dalheim_synagoge.htm).
In Mommenheim - ebenfalls Teil der heutigen Verbandsgemeinde Nierstein-Oppenheim - war im 19. und beginnenden 20.Jahrhundert eine nur aus mehreren Familien bestehende kleine israelitische Gemeinde existent, die zum Rabbinat mainz gehörte; um 1830/1840 setzte diese sich aus knapp 40 Angehörigen zusammen. Nachdem die Synagoge baufällig geworden war, wurden Zusammenkünfte in einem Betraum eines Privathauses abgehalten. Begräbnisse fanden zunächst auf den Friedhöfen in Lörzweiler und Sörgenloch bzw. Ebersheim statt, ehe ein eigenes Begräbnisgelände am Nazarienberg (am Ortsausgang in Richtung Selzen) angelegt wurde. Um 1910/1920 löste sich die immer kleiner gewordene Gemeinde auf; die noch hier lebenden Juden gehörten fortan der Kultusgemeinde Hahnheim an. Anfang der 1930er Jahre lebten noch vier jüdische Bewohner im Dorf; zwei von ihnen wurden nachweislich Opfer der Shoa.
Einziges Relikt jüdischer Ortsgeschichte ist der Friedhof mit seinen dort befindlichen ca. 15 Grabsteinen.
jüdischer Friedhof in Mommenheim (Aufn. J. Hahn, 2005)
Hinweis: Im elsässischen Mommenheim existierte auch eine israelitische Kultusgemeinde.
Weitere Informationen:
Jakob Grimm, Ortsgeschichte von Mommenheim, Mommenheim 1912/1913
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd.1, S.112 und Bd. 2, S. 180 f.
Margot Schäufle, Dorfchronik von Mommenheim - Chronik des Weindorfes Mommenheim/Rheinhessen, Mommenheim 1987
Wolfgang Kemp, Die jüdische Gemeinde (Nierstein), in: Nierstein - Beiträge zur Geschichte und Gegenwart eines alten Reichsdorfes - Ortschronik von Nierstein, Nierstein 1992, S. 202 - 219
Wolfgang Kemp, 50 Jahre Wiederkehr der “Reichskristallnacht” vom 9.November 1938. Dokumentation der Oppenheimer und Niersteiner Juden, in: "Beiträge zur Jüdischen Geschichte in Rheinland-Pfalz. Ergebnisse landeskundlicher Forschungen", 1/1992
Wolfgang Kemp, Und keiner hat’s gewußt ? Zur Vertreibung und Ermordung der Juden aus Oppenheim und Nierstein, in: "Heimat-Jahrbuch des Landkreises Mainz-Bingen 1998", S. 97 - 99
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 293
Nierstein mit Schwabsburg, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Dahlheim, in: alemannia-judaica.de
Mommenheim, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten aus der jüdischen Ortshistorie)
Wolfgang Kemp, Dokumentation Oppenheimer und Niersteiner Juden 1933-1945, Alzey 2009
Walter Schwamb, Die jüdischen Bewohner der Selztalgemeinden: Hahnheim, Selzen, Friesenheim, Undenheim, Dahlheim, Mommenheim und ihrer Nachbardörfer Schornsheim und Udenheim, 2012
Geschichtsverein Nierstein, Stolpersteine in Nierstein. Bildliche Dokumentation der Verlegungen (online abrufbar unter: geschichtsverein-nierstein.de)
Auflistung der in Nierstein verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Nierstein
Winfried Seibert, Der jüdische Friedhof in Dalheim und Schicksale Dalheimer Juden, Köln 2017
Wolfgang Höpp (Red.), Rundgang gegen das Vergessen in Nierstein, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 24.5.2019
N.N. (Red.), Nierstein: Stolperstein für Josefine Zeller, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 14.6.2019
N.N. (Red.), Nierstein. 55. Stolperstein in Nierstein verlegt, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 27.6.2019