Nördlingen/Ries (Schwaben/Bayern)

Datei:Nördlingen in DON.svg Nördlingen ist eine Große Kreisstadt im schwäbisch-bayrischen Landkreis Donau-Ries mit derzeit ca. 21.000 Einwohnern (topografische Karte 'Altmühl', aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Donau-Ries', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

                Map of Swabia a detail 1600.jpgBildkarte - erstellt um 1600 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

In den Jahren um 1900 erreichte die Zahl der Angehörigen der israelitischen Gemeinde Nördlingens mit nahezu 500 Personen ihren Höchststand

In der im 13.Jahrhundert wirtschaftlich aufblühenden Freien Reichsstadt Nördlingen hatte schon frühzeitig eine jüdische Gemeinde Fuß gefasst; die Juden lebten damals außerhalb der eigentlichen Stadt. An ihre mittelalterliche Ansiedlung seit 1250 erinnert heute noch die „Judengasse“, die in der NS-Zeit in „Schulgasse“ umbenannt wurde. Diese erste mittelalterliche Gemeinde Nördlingens wurde im Gefolge der sog. „Rindfleisch-Pogrome“ von 1298 fast völlig ausgelöscht. Die ersten jüdischen Friedhöfe lagen vermutlich am Ende der damaligen "Judengasse" und auf dem Henkelberg.

Bereits 1290 soll in Nördlingen eine „Judenschlacht“ stattgefunden haben; in einer späteren Quelle hieß es dazu:

... (Es) hat sich von Tag zu Tag je mehr zugetragen, dass sich die Juden in grosser Anzahl durch erlangte Freyheiten zu Nördlingen eyngetrungen vnd dermassen gesterckt, dass sie auch mitten in der Statt die besten Plätz erkaufft vnd ihre eige zugehörige Gassen vnd Wesen gehabt, das Ihre gemehret, die Burgerschafft ausskaufft vnd in ein Verderben gebracht, vnd sie endtlich verursachet, dass sich die Burger anno Christi 1290 im Höwmonat auss grosser Dürftigkeit gegen die Juden beschwerlichen empört vnd auff ein nacht biss in etlich hundert Juden vnd Jüdin erschlagen haben. ...”

Trotz dieser Erfahrungen bildete sich schnell wieder innerhalb der Mauern eine kleine jüdische Gemeinde, die auch über eine Synagoge verfügte. Ihren Lebensunterhalt verdienten die Nördlinger Juden, die gegen Zahlung jährlicher Kontributionen kaiserlichen Schutz zugesichert bekamen, vor allem im Geldverleih, aber auch im Gebraucht- und Kleinwarenhandel.

Seit dem 14.Jahrhundert genossen die Nördlinger Juden ein recht umfassendes Bürgerrecht, das jedoch in der zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts wieder erheblich eingeschränkt wurde.

Doch der Pestpogrom von 1348 machte auch vor den Toren Nördlingens nicht Halt; so berichtete ein Chronist:

„ ... Des Jars erschlugen die von Nördlingen all ir Juden zu tod, man und wip und kint am feiertag nach Jacobi und namen in alles ir gut und wer in schuldig was, da gab in niemand nichts umb. ...”

Karl IV. ermächtigte darauf den Grafen von Oettingen, „alles Gut und Gold, Silber, Kleinodien, Verschreibungen was in seinen Vesten von den Juden, sie seien lebend oder todt, gefallen sei oder von ihm noch erforscht werde, zu behalten und in seinem nutz zu wenden“. Ebenfalls gingen alle Judenhäuser in seinen Besitz über. - Spätestens 1357 hatte sich in Nördlingen wieder eine jüdische Gemeinde gebildet; deren Angehörige waren im Geldhandel tätig. Doch bereits 1384 wurde die Gemeinde wieder vernichtet: Die Juden wurden erschlagen und deren Besitz ging ins Eigentum der Stadt über. Der Pogrom wurde zwar geahndet, indem die Anstifter der Untaten aus Nördlingen ausgewiesen wurden.

Ab 1400 soll in der Stadt erneut eine kleine jüdische Gemeinde bestanden haben, die - mit kurzzeitiger Unterbrechung - etwa ein Jahrhundert existent war. Im Jahre 1507 wurde den Juden Nördlingens durch Kaiser Maximilian I. das Bleiberecht entzogen; damit führten jahrelange Bemühungen des Nördlinger Magistrats zum Erfolg, den finanzielle Leistungen an den Kaiser ermöglicht hatten. Die aus der Stadt verbannten Juden siedelten sich in den umliegenden ländlichen Ries-Gemeinden an, so in Ederheim, Kleinerdlingen, Mönchsdeggingen, Oberdorf, Pflaumloch u.a. Weiterhin war es Juden aber erlaubt, das ummauerte Nördlingen tagsüber (z.B. bei Pfingstmessen) - gegen Entrichtung eines besonderen Zolls - zu betreten, um hier ihren Geschäften nachzugehen. Vor dem Betreten der Stadt mussten sie sich an der „Judenmauer“ am Baldinger Tor sammeln, bevor man ihnen gestattete, gemeinsam das Stadtgebiet zu betreten. Nur während der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges war es einigen jüdischen Familien gestattet, wieder in Nördlingen zu leben, allerdings nur gegen fiskalische Zusagen.

Bild von Johannes Müller: "Das alte Baldinger Thor mit der Judenmauer in Nördlingen, demoliert 1821" (aus: Sammlung Peter Müller)

 

Stadtansicht Nördlingen, Stich M. Merian, um 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Erste Anfänge einer neuzeitlichen jüdischen Gemeinde lassen sich hier erst wieder nach 1860 - also mehr als drei Jahrhunderte nach ihrer Ausweisung - nachweisen. Juden aus den benachbarten Riesgemeinden stellten Anträge auf Niederlassung in Nördlingen, über die der Stadtrat zu entscheiden hatte.

                 Im „Nördlinger Wochenblatt” vom 27.7.1860 hieß es dazu:

(Israeliten-Aufnahme betr.) Im Laufe der nächstkommenden Woche werden unsere städtischen Collegien über die Frage zu entscheiden haben, ob den in jüngster Zeit gestellten Ansässigmachungsgesuchen zweier israelitischer Kaufleute Folge zu geben sei oder nicht. Die Erledigung dieser Frage ist jedenfalls von großer Tragweite; wir sind indeß zu der Hoffnung berechtigt, daß unsere Väter und Vertreter der Stadt, auch in vorliegender Frage nicht das Interesse des Einzelnen, sondern das der Gesammtheit der Gemeinde ins Auge fassen und nach dem Vorbilde anderer Städte, wie Nürnberg, Bayreuth, Schweinfurt, Augsburg, Erlangen usw., in welchen Israeliten in den jüngsten Jahren willige Aufnahme gefunden haben, handeln werden. In den Wirthschaftslokalen wurde darüber schon Vieles gesprochen und es fehlt nicht an Leuten welche sagen: Wir brauchen keine Juden; wir haben sie bis jetzt nicht gehabt und wollen sie ins Künftige auch nicht ....

Der Magistrat genehmigte die Ansiedlungen; in rascher Folge ließen sich in Nördlingen eine ganze Reihe jüdischer Familien nieder. Ihren Lebensunterhalt verdienten diese vorwiegend im Handel, einige gingen einem Handwerk nach, wieder andere besaßen kleine Fabriken. E gab besonders viele Viehhändler, die sich zwischen Löpsinger- und Reimlingerstraße angesiedelt hatten. Die regelmäßig stattfindenden Viehmärkte „Vor der Schranne“ waren ohne die jüdischen Händler kaum vorstellbar und bildeten für Nördlingen das wirtschaftliche Rückgrat.

Geschäftliche Anzeigen (aus der Zeitschrift "Der Israelit"):

  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20138/Noerdlingen%20Israelit%2002011879.jpg (1879)   http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20195/Noerdlingen%20Israelit%2010111890.jpg(1890)

                                                                                           

1893/1902

In den ersten Jahren nutzten die Nördlinger Juden die religiösen Einrichtungen der Nachbargemeinden: die Mikwe in Kleinerdlingen und Synagoge und Friedhof in Mönchsdeggingen. Später wurde ein Betraum in der Kreuzgasse eingerichtet, der sich aber bald als zu klein erwies. Deshalb erwarb man ein Grundstück, ebenfalls in der Kreuzgasse, auf dem 1885 der Grundstein für einen Synagogenneubau gelegt wurde.

                 Das „Nördlinger Anzeigenblatt“ berichtete am 27.4.1885 über die Grundsteinlegung:

Der Herr Distriktrabbiner legte die deutsch und hebräisch abgefasste, in einer Blechkapsel verschlossene Urkunde in den für diesen Zweck zugerichteten Stein und hielt unter den üblichen drei Hammerschlägen eine Ansprache, in welcher er über die Pflichten gegen Gott und die Menschen, über die Huld Seiner Majestät des Königs und über das Verhältnis zur hiesigen Bürgerschaft sprach und dem Wunsche Ausdruck gab, es möge das zu errichtende Gotteshaus ein Haus des Friedens und Segens für die Gemeinde werden ... Die nächsten drei Hammerschläge führte Herr Bürgermeister Reiger ... aus, mit dem Wunsche, der Bau möge ein glückliches Gedeihen haben und das Haus für kommende Jahrhunderte zur Zierde der israelitischen Kultusgemeinde dienen. ...

1886 wurde die Synagoge - mit zwei Kuppeltürmen und neomaurischen Stilornamente versehen - eingeweiht; rein äußerlich ähnelte das Gebäude in starkem Maße einer christlichen Kirche.

  

Synagoge in Nördlingen (hist. Aufn., Stadtarchiv)

                  Über die Einweihung berichtete das lokale „Nördlinger Anzeigenblatt” am 18.9.1886:

Nördlingen, 18.Sept. Mit freudigen Gefühlen sah die israelitische Gemeinde dahier dem gestrigen Tage entgegen, galt dieser Tag doch den Einweihungsfeierlichkeiten der neuen Synagoge, die ihr jahrelanges Sehnen erfüllen sollten. ... nun steht sie fertig da, eine Zierde der Stadt, ein würdiger Tempel der israelitischen Gemeinde. ... Entsprechend dem herrlichen Bau waren auch die Feierlichkeiten des Einzuges in denselben ... Distriktrabbiner von Ichenhausen ... forderte zunächst zu Dank gegen Gott auf dafür, daß kein Unglücksfall den Bau dieses Hauses gestört, ... , dankte dann den erschienenen Vertretern der Behörden sowie der Stadtvertretung, deren Erscheinen Zeugnis ablege von dem Geiste der Duldsamkeit und der Menschenliebe ... Mit Gebet für König und Reichsverweser, das Vaterland, die Stadt Nördlingen und die Kultusgemeinde ... wurde die kirchliche Einweihungsfeier beendet. ..

 Zur Synagogenweihe hatte der damalige Lehrer und Kantor der Gemeinde Nördlingen einen Marsch komponiert.

Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schächter tätig war. Auf die allererste Stellenausschreibung der Gemeinde bewarb sich erfolgreich Abraham Weiler, der bis zu seinem Tod (1908) in der Gemeinde als Lehrer/Kantor wirkte.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2089/Noerdlingen%20Israelit%2013041870.jpg

Stellenanzeige der Kultusgemeinde Nördlingen, aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 13.4.1870

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20159/Noerdlingen%20Israelit%2016011908.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20159/Noerdlingen%20Israelit%2016021922.jpgAnzeigen von 1908 und 1922

Es gab auch ein Ritualbad und seit 1877 einen jüdischen Friedhof, der unweit des kommunalen Friedhof vor dem Berger Tor lag; zeitgleich war auch ein Taharahaus errichtet worden. Bereits in der Zeit des späten Mittelalters soll es in bzw. bei Nördlingen drei jüdische Begräbnisplätze gegeben haben, von denen aber keine sichtbaren Spuren geblieben sind.

Die Gemeinde Nördlingen gehörte zum Bezirksrabbinat Wallerstein, später dann zu dem Ichenhausens.

Juden in Nördlingen:

         --- um 1450 .......................   5 steuerpflichtige Juden,

    --- 1505 ..........................  12         „         „   ,

    --- 1860 .......................... eine jüdische Familie,

--- 1867 ..........................  61 Juden,

    --- 1871 .......................... 176   “   (ca. 25 Familien),

    --- 1876 .......................... 260   “  ,

    --- 1886 .......................... 412   “  ,

    --- 1896 .......................... 489   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1900 .......................... 414   “  ,

    --- 1910 .......................... 314   “   (3,6% d. Bevölk.),

    --- 1925 .......................... 233   “  ,

    --- 1933 .......................... 186   “  ,

    --- 1937 (Jan.) ................... 147   “  ,

    --- 1938 (Jan.) ................... 127   “  ,

    --- 1939 (Mai) ....................  71   “  ,

    --- 1942 (März) ...................  42   “  ,

             (Aug.) ...................  ein  “ ().

Angaben aus: Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 486

und                 Dietmar-Henning Voges, Die Anfänge der Nördlinger Judengemeinde im 19.Jahrhundert

und                 Hermann Keßler, Die jüdische Gemeinde in der Stadt Nördlingen 1860 - 1942

 

 

Impressionen aus dem alten Nördlingen - hist. Aufn. um 1900 bzw. 1910 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Mit Beginn der NS-Zeit begann die gesellschaftliche Ausgrenzung der Nördlinger Juden; dagegen konnten sie auf wirtschaftlichen Gebiete noch weiter tätig bleiben. Die zunächst noch bestehenden Beziehungen zwischen den jüdischen Viehhändlern und den Bauern im Ries veranlasste 1938 den Nördlinger Kreisbauernführer zu einem Rundschreiben, in dem es u.a. hieß:

„ ... Einige Vorkommnisse der letzten Zeit veranlassen mich, die gesamte bäuerliche Bevölkerung auf die Würdelosigkeit, die durch den Verkehr mit Juden zum Ausdruck gebracht wird, hinzuweisen. Charakter und Denkart der Juden stehen in ungewöhnlichem Gegensatz zum bäuerlichen Menschen. Dem Juden ist das, was dem Bauern heilig ist, fremd und unverständlich. Die bäuerliche Lebensordnung steht dem händlerischen jüdischen Geist entgegen, ... Für den Bauern ist es ein Gebot der Selbsterhaltung, den Juden ... stets und überall seinem Leben fernzuhalten. ... Ich bitte, mir jeweils die Bauern und Landwirte zu benennen, die auch weiterhin mit Juden verkehren und handeln. ...”

 

Zwischen 1933 und November 1938 verließen ca. 70 jüdische Bürger Nördlingen; während ein Teil auswanderte, verzog der andere Teil in größere deutsche Städte.

Während des Novemberpogroms von 1938 blieb die Synagoge von einer Brandlegung verschont; nach Demolierung der Inneneinrichtung erklärte der hiesige Bürgermeister das Synagogengebäude zum Eigentum der Stadt und verhinderte so dessen Zerstörung. Die jüdischen Gemeinde erhielt für den Verkauf des Synagogengebäudes und des Friedhofs von der Stadt einen Betrag von 15.000,- RM. Die Synagoge diente danach als Getreidespeicher. Auch blieben die von Juden bewohnten Häuser weitgehend unangetastet, man beschränkte sich ‚nur’ auf eine Durchsuchung. Etwa 30 jüdische Männer wurden im Stadtgefängnis inhaftiert, die meisten nach einer Woche wieder auf freien Fuß gesetzt.

Die „Nördlinger Nationalzeitung” berichtete am 11.11.1938:

Auch in Nördlingen hatten sich im Laufe des Donnerstags als Folge des Ablebens des Botschaftsrates vom Rath judenfeindliche Kundgebungen zugetragen. Vor der Synagoge und dem Gebäude des jüdischen Religionslehrers und Kantors versammelte sich den ganzen Nachmittag über eine große Menschenmenge, die in schärfsten Ausdrücken sich gegen das Judentum erging, ... In der vorhergegangenen Nacht waren einige Fensterscheiben der Synagoge eingeworfen worden. Gefordert wurde die Entfernung der Juden aus Nördlingen. Eine Anzahl Juden wurde in Schutzhaft genommen.

 

Nach dem Pogrom verließen weitere jüdische Bewohner die Stadt; die wenigen zurückgebliebenen Menschen - sie waren in „Judenhäuser“ in der Frauengasse 17 und Judengasse 14 einquartiert worden - wurden im Frühjahr und Sommer 1942 deportiert; Ziel der Deportationen war zum einen Piaski (via München) und zum anderen Theresienstadt. Im August 1942 meldete der Regierungspräsident von Schwaben in die bayrische Hauptstadt, dass Nördlingen „judenfrei” sei.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind insgesamt 129 gebürtige bzw. längere Zeit in Nördlingen ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/noerdlingen_synagoge.htm).

 

Das ehemalige Synagogengebäude wurde Mitte der 1950er Jahre von der Evangelischen Kirchengemeinde erworben, teilweise abgebrochen bzw. zum Gemeindehaus umgebaut. Im Eingangsbereich des Gemeindehauses der Evang. Gemeinde war eine Tafel angebracht, dessen zwei letzte Zeilen nachträglich angefügt wurden:

Hier stand die 1885 erbaute und am 8. November 1938

von den damaligen Machthabern entweihte Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde Nördlingen.

1955 teilweise Abbruch und Umbau zu einem evangelischen Gemeindehaus

1996 Abbruch und 1998 Bau einer Wohnanlage

 

Im Jahre 2010 wurde am „Haus der Kultur“ eine neue Gedenkstätte eingeweiht: Eine Stele und eine in Sichtweite davon angebrachte Gedenktafel mit namentlicher Nennung der 50 jüdischen Bürger, die während der NS-Zeit aus Nördlingen deportiert und ermordet wurden.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20278/Noerdlingen%20Gedenkstaette%20112010a.jpg

Gedenkstele und -tafel im Hintergrund (Aufn. Rolf Hofmann und P. Charell, 2023, aus: hdbg.eu)

 

 Auf dem ca. 1.850 m² großen Friedhofsgelände am Stegmühlenweg befinden sich etwa 220 Grabstätten/-steine.

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Teilansichten des jüdischen Friedhofs (beide Aufn. M.B., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Während der  NS-Zeit war ein Teil der Grabsteine abgeräumt worden; 1947 wurde das Begräbnisgelände wieder hergerichtet. Ein dort stehender Gedenkstein erinnert an die Jahre der Verfolgung; seine Inschrift lautet:

Den Toten zur Ehre und zum ewigen Gedenken an die jüdischen Bürger aus Nördlingen und Umgebung,

die in den Verfolgungsjahren 1933 - 1945 grausam umgekommen sind.

Uns Lebenden zur Mahnung, den kommenden Geschlechtern zur eindringlichen Lehre.

Errichtet im Jahre 1979 vom Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern.

Ein Jahr zuvor (1978) war das Taharahaus wegen Baufälligkeit abgebrochen worden. An die frühere jüdische Kultusgemeinde in Nördlingen erinnert seit 1989 eine Gedenkstele in der Judengasse.

Seit 2021 weist eine Informationstafel auf den Standort des einstigen Ritualbades hin (ehem. Baldinger Mauer 13/15).

In den Jahren 2005 bis 2008 wurden mehr als 50 sog. „Stolpersteine“ in die Gehwegpflasterung Nördlinger Straßen verlegt, die zumeist an deportierte/ermordete jüdische Bürger der Stadt erinnern.

Stolperstein für Moritz SchweisheimerStolperstein für Mathilde Schweisheimer geb.Mendle  Stolperstein für Moritz HamburgerStolperstein für Hermann Hamburger  Stolperstein für Julius SiegbertStolperstein für Sofie Siegbert geb. Aufhäuser

„Stolpersteine“ in der Frauengasse - Hansengasse - Henkergasse (alle Aufn. Gmbo, 2017, aus: wikipedia.org, CCO)

 in der Bräugasse und Drehergasse

 


 

 

Im nahen Riesdorf Ederheim siedelten sich nach ihrer Vertreibung aus Nördlingen (1499) etliche jüdische Familien an; doch ihr Verbleiben im Dorf war nicht von längerer Dauer. Erst Jahrzehnte nach Ende des Dreißigjährigen Krieges lassen sich erneut wieder jüdische Familien in Ederheim nachweisen, die später hier eine eigene Gemeinde gründeten. Ihre Nachkommen haben dann zumeist bis ins 19.Jahrhundert in Ederheim gelebt; in den 1830er Jahren gab es 26 jüdische Haushalte, Anfang der 1860er Jahre noch 17 Familien. - Aus dem Jahre 1726 ist der Bau einer neuen Synagoge auf dem „Judenbuck“ belegt, die von der streng-orthodoxen Gemeinde bis um 1870 benutzt wurde; danach wurde das Gebäude veräußert und umgebaut. Verstorbene Ederheimer Juden wurden auf dem Friedhof in Harburg beigesetzt. Im Gefolge der Emanzipation und Industrialisierung setzte eine Abwanderungswelle ein, die in den 1870er Jahren zur völligen Auflösung der Gemeinde führte. Die letzten im Dorf verbliebenen jüdischen Bewohner gehörten nach 1875 der Kultusgemeinde Nördlingen an

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind fünf aus Ederheim stammende Juden Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/ederheim_synagoge.htm).

 

 

In Donauwörth existierte im späten Mittelalter ebenfalls eine jüdische Gemeinde, die 1517/1518 mit der Ausweisung ihrer Angehörigen aus der Stadt endgültig erlosch. Hatten zunächst die jüdischen Familien im „Judenhaus“ - einem Gebäude mit mehr als 16 Wohnungen - nahe dem Rathaus gewohnt, mussten sie ab 1495 in die „Judengasse“ (Ölgasse) an der Stadtmauer bzw. auf den „Judenberg“ umsiedeln. Die Familien betrieben Geldhandel auf Pfänderbasis sowie begrenzten Warenhandel. - 1493 erließ der Magistrat eine umfassende Judenordnung, die das Alltagsleben in fast allen Bereichen reglementierte. So durften die Donauwörther Juden an hohen christlichen Feiertagen, an den Marienfesten und an Sonntagen ihren Ghettobezirk nicht verlassen; bei Verstoß war ein Bußgeld von einem Gulden fällig. Zudem wurde ihre wirtschaftliche Betätigung stark eingeschränkt; Besuch und Handel auf dem Markt war ihnen fortan untersagt.

Verstorbene Juden Donauwörths wurden zumeist auf dem Judenfriedhof in Nördlingen beerdigt; in den letzten Jahren vor ihrer Vertreibung soll es in Donauwörth einen jüdischen Begräbnisplatz gegeben haben.

Auf Bitten des Stadtrates wies Kaiser Maximilian I. Ende 1517 die Judenschaft Donauwörths an, die Stadt mit ihrer beweglichen Habe endgültig zu verlassen. Als Begründung für das sog. „Juden-Ausschaffungsprivileg“ wurde angeführt, dass die hiesigen Juden den Donauwörther Bürgern durch Pfand- oder andere Geldgeschäfte geschadet hätten und „daraus mannig leichtvertigkait auch diebstahl und ander ybeltat entstannden “ wäre. Ein Einspruch der zum Verlassen der Stadt aufgeforderten Juden konnte deren Vertreibung am 23.Juli 1518 aber nicht abwenden. Der Kaiser zog die Immoblien der ausgewiesenen Juden samt ihrer Synagoge ein und veräußerte diese dem Magistrat.

Die „Ausschaffung“ der Juden aus Donauwörth beendete damit die Geschichte der jüdischen Gemeinde für Jahrhunderte. Über den Verbleib der ausgewiesenen jüdischen Familien fehlen gesicherte Kenntnisse; möglicherweise haben sie sich in der Markgrafschaft Burgau niedergelassen.

Auf Grund nur vereinzelt in Donauwörth lebender jüdischer Personen kam es hier nicht zur Gründung einer neuzeitlichen israelitischen Gemeinde.

Im Heimatmuseum wird eine große Eisentür mit einer Menora als zentrales Motiv aufbewahrt, die möglicherweise aus der spätmittelalterlichen Synagoge stammt

Teilansicht der Synagogentür (Aufn. aus: jhva.wordpress.com)

 

[vgl. Kleinerdlingen (Bayern)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Ludwig Müller, Aus fünf Jahrhunderten: Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Ries, in: "Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg", Jahrgänge 1898/1900

Ludwig Müller, Aus fünf Jahrhunderten. Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Riess, in: "Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg", Jg. 26/1899, S. 177

Ludwig Mussgnug, Die älteste Synagoge in Nördlingen, in: "Jahrbuch des Historischen Vereins für Nördlingen u. Umgebung", Band 3/1914, S. 194 f.

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 167 – 169 (Donauwörth), Band II/2, S. 593 – 597 (Nördlingen), Band III/1, Tübingen 1987, S. 237 – 240 (Donauwörth) und Band III/2, Tübingen 1995, S. 977 – 994 (Nördlingen)

Stefan Schwarz, Die Juden in Bayern im Wandel der Zeiten, Olzog-Verlag München/Wien 1963 (Taschenbuchausgabe München 1980)

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 486 - 488

G.Adolf Zipperer, Nördlingen - Lebenslauf einer schwäbischen Stadt, Nördlingen 1979

Falk Wiesemann, Juden auf dem Lande: Die wirtschaftliche Ausgrenzung der jüdischen Viehhändler in Bayern, Wuppertal 1981

Dietmar-H. Voges, Zur Geschichte der Juden in Nördlingen, in: ‘Rieser Kulturtage’, Band III/1980, Verlag Steinmeier, Nördlingen 1981

Von den Juden im Ries, Friedhöfe und Synagogen, in: "Wallersteiner Kalender 1983"

Gernot Römer, Der Leidensweg der Juden in Schwaben. Schicksale von 1933 - 1945 in Berichten, Dokumenten und Zahlen, Presse-Druck- und Verlags-GmbH Augsburg, Augsburg 1983, S. 101 – 106

Carl Völkl, Jüdische Nachbarn werden zu Ausgestoßenen, in: C. Völkl, Die dunklen Jahre: Das Dritte Reich im Ries, Nördlingen 1984, S. 137 - 152

Johann-Friedrich Wiedemann, Die jüdischen Gemeinden im Ries, in: “Nordschwaben” Heft 3/1986

Gernot Römer, Die Austreibung der Juden aus Schwaben, Augsburg 1987

Hermann Keßler, Die jüdische Gemeinde in der Stadt Nördlingen 1860 - 1942, in: "Rieser Kulturtage - Dokumentation", Band VII/I, 1988, S. 327 ff.

Joachim Hahn, Geschichte der Juden im West-Ries, in: "Rieser Kulturtage - Dokumentation" Band VII/I, 1988, S. 392 ff.

Dietmar-Henning Voges, Die Juden, in: Die Reichsstadt Nördlingen. 12 Kapitel aus ihrer Geschichte, München 1988, S. 154 - 174

E. Bezzel, Kreuzgasse 1 - Zur Geschichte eines Hauses, in: Evangelischer Gemeindebote für die Kirchengemeinden Nördlingen - Baldingen - Nähermemmingen - Herkeim, Ausgabe Febr./März 1991

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2.Aufl., München 1992, S. 273 f.

Ein fast normales Leben - Erinnerungen an die jüdischen Gemeinden Schwabens. Ausstellungskatalog der Stiftung Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben, Augsburg 1995

Dietmar-Henning Voges, Die Anfänge der Nördlinger Judengemeinde im 19.Jahrhundert, in: Historischer Verein für Nördlingen und das Ries, Jahrbuch 28/1996, Nördlingen 1996

Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Nördlingen, in: Der Landesverband der Israelit. Kultusgemeinden in Bayern, 11.Jg., No.72/1997, S. 19 f.

Bernd Eichmann, Leben und Sterben der fünf Nördlinger Judengemeinden, in: D.Golombeck/C.Völkl, Die Stadt. 1100 Jahre Nördlingen – Geschichte und Geschichten, Nördlingen 1997, S. 106 - 117

Dieter Golombek (Hrg.), Die Stadt. 1100 Jahre Nördlingen. Geschichte und Geschichten, Nördlingen 1997

Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 3: Markt Berolzheim - Zeckendorf, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998, S. 622 - 625

Ernst Eisenmann, Ich bin ein Nördlinger Jude: Die Erinnerungen von Ernst Eisenmann, Wißner-Verlag, Augsburg 2001

Dietrich Bösenberg, Jüdische Friedhöfe im Ries (Referat und Aufsatz), Universität Ulm, 2003

Barbara Dohm, Juden in der spätmittelalterlichen Reichsstadt Nördlingen: Studien und Quellen, Dissertation Trier 2004

Barbara Türke, Anmerkungen zum Bürgerbegriff im Mittelalter. Das Beispiel christlicher und jüdischer Bürger der Reichsstadt Nördlingen im 15.Jahrhundert, in: Andreas Gestrich (Hrg.), Inklusion / Exklusion: Studien zur Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart,  Frankfurt/M. 2004, S. 136 - 154

A. Hager/H.-Chr. Haas, Nördlingen, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 1, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2007, S. 511 – 521

Jüdisch Historischer Verein Augsburg (Hrg.), Spuren der jüdischen Geschichte in Donauwörth, online abrufbar unter: jhva.wordpress.com/2010/11/01/spuren-der-judischen-geschichte-in-donauwoerth/

gne (Red.), Nördlingen: Die letzten Stolpersteine, in: „Augsburger Allgemeine“ vom 25.9.2008

Jim Benninger (Red.), Ein Mosaikstein für das kollektive Gedächtnis, in: „Rieser Nachrichten“ vom 12.10.2010

Rolf Hofmann, Max Koppel & Söhne. Jüdisches Steinmetzunternehmen in Nördlingen, Kokavim-Verlag, Friedberg 2013 (auch in englischer Version: Max Koppel & Sons. Jewish Stonemasons in Nördlingen (Bavaria), von Yehuda Shenef)

Nördlingen, in: alemannia-judaica.de (Anm. mit zahlreichen Bild- und Textdokumenten zur jüdischen Gemeindehistorie)

Ederheim, in: alemannia-judaica.de

Donauwörth, in: alemannia-judaica.de

Auflistung der Stolpersteine in Nördlingen, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Nördlingen

Thomas Hilgendorf/Ottmar Seuffert (Red.), Freibrief zur Vertreibung – Vor 500 Jahren wurden die jüdische Gemeinde aus Donauwörth „ausgeschafft“, in: „Augsburger Allgemeine“ vom 6.1.2018

Thomas Heitele (Red.), Geheimnis um die Tür der Mangolsburg gelüftet, in: „Augsburger Allgemeine“ vom 14.11.2018

Peter Urban (Red.), Wo einst die Nördlinger Mikwe stand, in: „Augsburger Allgemeine“ vom 24.6.2021

Dominik Durner (Red.), Warum eine Nördlingerin die verlegten Stolpersteine sucht, in: „Rieser Nachrichten“ vom 9.6.2022

Franziska Eßmann/Anna Fischer (Theodor-Heuß-Gymnasium Nördlingen), Jüdisches Leben in Nördlingen, online abrufbar unter: juedisches.leben.nordilinga.de (erstellt im Juili 2022)  (Anm. im Wettbewerb "Erinnerungszeichen" ausgezeichnet mit dem Bayrischen Landespreis)

Gerhard Beck (Red.), Judentum im Ries: Neue Erkenntnisse über das damalige Leben, in: „Augsburger Allgemeine“ vom 21.10.2022

Diana Hahn (Red.), Mehr als ein Geschichtsprojekt – Jüdisches Leben, in: „“Donau-Ries-Aktuell“ vom 25.2.2023

Andrea Kugler (Red.), Nördlingen. Café Infield gedenkt ehemaliger jüdischer Hausbesitzer, in: „Rieser Nachrichten“ vom 28.8.2023

Barbara Türke, Zur Geschichte der Juden im Nördlinger Ries im späten Mittelalter (Dissertation in Vorbereitung ?)