Oberaltertheim (Unterfranken/Bayern)
Oberaltertheim - größter von drei Ortsteilen Altertheims – besitzt derzeit eine Bevölkerung von ca. 1.200 Einwohnern – ca. 20 Kilometer südwestlich von Würzburg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Würzburg', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Erstmals wurde die Existenz von Juden in Oberaltertheim gegen Mitte des 17.Jahrhunderts erwähnt. Anfang des 18.Jahrhunderts entwickelte sich dann eine jüdische Gemeinde.
Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) waren für Oberaltertheim zwölf Familienvorstände ausgewiesen; Viehhandel in Verbindung mit dem Schlachtgewerbe und Warenhandel waren die hauptsächlichen Erwerbszweige der hiesigen Juden.
Eine um 1785 am Schützengässchen eingerichtete „Judenschul“ diente den Gemeindeangehörigen etwa 40 Jahre lang als gottesdienstlicher Mittelpunkt. Sie wurde 1825 bei einem Ortsbrand eingeäschert. 1826/1827 erbaute die Judenschaft eine neue Synagoge.
Über die Situation der jüdischen Landgemeinden Ende des 19.Jahrhunderts gibt der folgende Artikel aus der Zeitschrift „Der Israelit” vom 5.7.1882 Auskunft, der anlässlich der Einweihung einer neuen Thorarolle in Unteraltertheim abgefasst wurde:
Oberaltertheim (Unterfranken). Die veränderten Zeitverhältnisse, welche einen größeren Zuzug nach den Städten und eine Entleerung der Landgemeinden bewirken, lassen oft einen sehr wehmüthigen Eindruck zurück, indem wir häufig bemerken, wie ehemals blühende, mitunter berühmte Gemeinden nunmehr auf ein kleines Häuflein oft bis zur Auflösung zusammengeschmolzen sind, und selbst da, wo die Abnahme noch nicht in dem Grade stattgefunden, die Aufgabe zur Erhaltung der nöthigsten Gemeinde-Institutionen wie Synagoge und Schule etc. immer schwieriger wird. Es gehört daher gewiss zu den Seltenheiten, heute noch von Synagogen-Einweihung, von einer Tora-Einweihung auf dem Lande in dem früheren Style zu hören. Dennoch bin ich in der angenehmen Lage, Ihnen von einer solchen Thatsache aus hiesiger Gemeinde zu berichten und dürfte die Art und Weise der Begehung auch fernere Kreise interessieren. Die hiesige Gemeinde ... suchte sich der Pflicht ... dadurch zu entledigen, daß sie unter schweren Opfern ein schönes Sefer (Torarolle) anfertigen ließ.
Die Gemeinde hatte zusammen mit der von Unteraltertheim einen Lehrer in Anstellung, der neben der religiösen Unterweisung der jüdischen Kinder auch die rituellen Verrichtungen der Gemeinde ausführte.
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 9.10.1893 u. 26.11.1908
Ihre Toten begrub die israelitische Gemeinde auf dem nahen jüdischen Friedhof in Wenkheim, der etwa vier Kilometer vom Dorf entfernt lag.
Die Gemeinde Oberaltertheim unterstand dem Bezirksrabbinat Würzburg.
Juden in Oberaltertheim:
--- 1714 .......................... eine jüdische Familie,
--- 1750 .......................... 3 “ “ n,
--- 1767 .......................... 9 “ “ ,
--- 1785 .......................... 14 " " ,
--- 1815 .......................... 67 Juden (ca. 13% d. Bevölk.),
--- 1839 .......................... 66 " (in 14 Familien),
--- 1867 .......................... 74 “ ,
--- 1884 .......................... 18 jüdische Familien,
--- 1890 .......................... 90 Juden (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1900 .......................... 74 “ ,
--- 1910 .......................... 53 “ ,
--- 1925 .......................... 27 “ ,
--- 1933 .......................... 22 “ ,
--- 1937 (April) .................. 20 “ (in 6 Familien),
--- 1939 .......................... 7 “ ,
--- 1942 (April) .................. keine.
Angaben aus: Jutta Sporck-Pfitzer, Die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Landkreis Würzburg, S. 70
und Synagogen-Gedenkband Bayern (Unterfranken), Band III/1, Mehr als Steine ..., S. 760
ein Lehrstellenangebot aus dem Jahre 1889
Zu Beginn der 1930er Jahre lebten noch ca. 25 Juden in Oberaltertheim; sieben Gewerbebetriebe waren damals in ihrem Besitz: die Metzgerei der Gebrüder Traubel, die Viehgroßhandlung der Gebrüder Traubel u. der Gebrüder Strauß, die Textilhandlung von Moritz Schiff, die Viehhandlung Simon Kahn und der Gemischtwarenladen von Sarah Schornstein.
Bis 1938 hatten die allermeisten Juden den Ort verlassen. Während der „Kristallnacht“ vom November 1938 blieb das Synagogengebäude selbst unbeschädigt, doch wurden Inneneinrichtung und Ritualien fast völlig zerstört; Täter waren SA-Trupps aus Höchberg und Kist. Zwei unbeschädigte Thorarollen sollen von jüdischen Bewohnern geborgen worden sein; verkohlte Reste von Schriften sollen - nach jüdischem Brauch – im Garten eines von einer jüdischen Familie bewohnten Hauses „begraben“ worden sein. In einigen Häusern jüdischer Bewohner wurden Fenster eingeschlagen, in anderen der Hausrat demoliert. Zwei Männer wurden ins KZ Buchenwald überstellt. Das Synagogengebäude wurde später von der Ortsgemeinde zu einem Feuerwehrgerätehaus umgebaut und 1990 abgerissen.
Ehem. Synagoge als Feuerwehrgerätehaus (Aufn. um 1975, aus: I. Schwierz)
Fast alle jüdischen Bewohner Oberaltertheims konnten noch rechtzeitig emigrieren. Die im Ort verbliebenen Juden mussten im Herbst 1939 in einem „Judenhaus“ zusammenzuziehen; ihren Grundbesitz hatten sie - weit unter Wert - veräußern müssen. Im April 1942 wurden die letzten vier jüdischen Ortsbewohner - via Würzburg – „in den Osten“ deportiert; ihr Hausrat wurde anschließend öffentlich versteigert. Die Kommunalverwaltung ließ amtlich verlautbaren: „Abgemeldet am 24. April 1942 nach Jerusalem. Weiterer Verbleib nicht bekannt“.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 21 gebürtige bzw. länger am Ort ansässig gewesene Oberaltertheimer Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der Opfer in: alemannia-judaica.de/oberaltertheim_synagoge.htm).
Vor dem Landgericht Würzburg standen 1949 mehrere Personen, die wegen ihrer aktiven Teilnahme an den antijüdischen Ausschreitungen im November 1938 in Ober- u. Unteraltertheim beteiligt waren; von an Angeklagten wurden nur drei zu sehr kurzen Haftstrafen verurteilt.
1987 wurde eine Inschriftentafel am früheren Synagogengebäude angebracht, die folgenden Text trug:
Dieses Gebäude diente der jüdischen Kultusgemeinde OBERALTERTHEIM als Synagoge,
deren Inneneinrichtung in der Pogromnacht 1938 zertrümmert wurde.
Die Gemeinde Altertheim gedenkt ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger
ZUR ERINNERUNG UND MAHNUNG
Zwei Jahre später - kurz vor dem Abriss des Gebäudes - wurde die Tafel wieder entfernt.
[vgl. Unteraltertheim (Bayern)]
Weitere Informationen:
August Mayer, Oberaltertheim – ein Heimatbuch nach Urkunden und Quellen bearbeitet, Würzburg 1934
Fritz Stäblein, Chronik der Gemeinde Oberaltertheim in Unterfranken, Hrg. Gemeinde Oberaltertheim, Würzburg 1968
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 375/376
Jutta Sporck-Pfitzer, Die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Landkreis Würzburg, Hrg. Landkreis Würzburg, Echter-Verlag, Würzburg 1988, S. 69/70
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2. Aufl., München 1992, S. 107/108
Oberalterthein, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 165/166
Axel Töllner/Hans-Christof Haas (Bearb.), Oberaltertheim und Unteraltertheim, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 750 - 762