Oberasphe (Hessen)
Oberasphe ist seit 1974 ein Ortsteil der mittelhessischen Großgemeinde Münchhausen (Landkreis Marburg-Biedenkopf) mit derzeit ca. 300 Einwohnern - wenige Kilometer nördlich von Wetter bzw. knapp 30 Kilometer nördlich von Marburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 mit Eintrag von Münchhausen, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Marburg-Biedenkopf', Andreas Trepte 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im Dorf Oberasphe lebte ehemals eine kleine jüdische Gemeinschaft, die maximal sieben Familien zählte; zu Beginn der 1930er Jahre waren es nur noch drei.
Erste schriftliche Hinweise auf jüdisches Leben stammen aus der Zeit um 1720; danach gab es ein „Judenhaus“ am Ort, das von den Herren von Dersch zu Viermünden zur Verfügung gestellt worden war und den wenigen jüdischen Familien als Unterkunft diente. Waren- und Pferdehandel waren Lebensgrundlage der hiesigen Familien.
Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden in einem Betraum am Ort (gelegen auf dem „Judenknüppel“) statt. Der linke Eingang führte in den Betraum der Männer, der rechte Eingang zur Empore der Frauen und zur Mikwe.
Bethaus der Oberaspher Juden (Zeichnung Walter Wagner)
Innenraum mit Thoraschrein (Abb. aus: H.Wagner/R.Naumann/M.Engelbach, Die Oberaspher Juden)
Einen eigenen Lehrer/Vorbeter/Schochet konnte sich die kleine jüdische Gemeinschaft finanziell nicht leisten. Um 1905 wurde eine Lehrerstelle gemeinsam mit den Nachbargemeinden Goßfeden und Wetter ausgeschrieben.
Kleinanzeige von 22.1.1904
Die jüdischen Schüler besuchten die allgemeine Volksschule am Ort; zum Religionsunterricht gingen die Kinder nach Battenberg oder nach Wetter.
Verstorbene wurden bis ins beginnende 20.Jahrhundert auf dem jüdischen Friedhof in der Gemarkung Frohnhausen beerdigt; erst Anfang der 1920er Jahre wurde ein eigenes Begräbnisgelände östlich des Dorfes „Am Kuhrtsberg“ angelegt; die erste Beerdigung fand hier 1928 statt.
Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Oberhessen mit Sitz in Marburg.
Juden in Oberasphe:
--- 1830 .......................... 30 Juden,
--- 1871 .......................... 41 “ ,
--- 1885 .......................... 34 “ ,
--- 1895 .......................... 34 “ ,
--- 1924 .......................... 18 “ ,
--- 1933 .......................... 22 “ ,
--- 1939 .......................... 20 “ ,
--- 1943 .......................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 148
Neben dem Handel mit Waren und Vieh (Pferden) waren Juden im Ort auch als Handwerker tätig; eine Gastwirtschaft hatten einen jüdischen Eigentümer (Familie Sally Stern). Im Sommer 1935 musste Sally Stern seine Gastwirtschaft "aus gesundheitspolizeilichen Gründen" schließen.
Während des Novemberpogroms 1938 wurde der Synagogenraum völlig demoliert. In der (ehemaligen) Gastwirtschaft Stern wurden die Fensterscheiben eingeworfen. In den Wochen danach wurden die noch fünf jüdischen Kinder von der Oberaspher Volksschule gewiesen.
Ende August 1942 wurden die letzten Oberaspher Juden nach Theresienstadt deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." fielen mindestens 21 gebürtige bzw. längere Zeit hier ansässige jüdische Dorfbewohner der "Endlösung" zum Opfer (namentliche Nennung der Opfer, in: alemannia-judaica.de/oberasphe_synagoge.htm).
Nach Kriegsende kehrte eine jüdische Familie nach Oberasphe zurück, um dann drei Jahre später in die USA zu emigrieren.
Das Anfang der 1950er Jahre in Privatbesitz gegangene Synagogengebäude wurde danach kurze Zeit als Werkstatt genutzt und danach alsbald abgerissen.
Der kleinflächige, erst zu Beginn der 1920er Jahre angelegte Friedhof – mit einem Doppelgrab und zwei Einzelgräbern - erinnert heute noch an Angehörige der einstigen jüdischen Gemeinde.
Jüngst (2022) wurden im Dorf 23 sog. „Stolpersteine“ verlegt, die dem Gedenken und der Erinnerung verfolgter/ermordeter jüdische Bewohner gelten. So liegen neun Steine für Angehörige der Familie Katten (Weite Höhe), sechs Steine für die Familie Levi Stern (Aspher Straße) und acht im Mühlenweg für Angehörige der Familie Hess.
sechs von acht Stolpersteinen für Angehörige der Fam. Hess im Mühlenweg (Aufn. IIs, 2022, Mühlenweg aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 148
Oberasphe mit Niederasphe und Wollmar sowie Frohnhausen und Laisa, in: alemannia-judaica.de
Horst Wagner/Reiner Naumann/Mark Engelbach (Hrg.), Die Oberaspher Juden, o.O. 2006 (Anm. detaillierte Darstellung der jüdischen Dorfhistorie)
Oberasphe: Inge Hess, Ausstellung in Battenberg 2010, Text bearb. von „Arbeitsgruppe Oberaspher Juden", online ubrufbar als PDF-Datei unter: garten-route.de/Bilder/10/ausstellungstafeln2011
N.N. (Red.), Erinnerung an 23 von Nazis verfolgte Bürger, in: mittelhessen.de vom 19.7.202
Mark Adel (Red.), Oberasphe gedenkt Opfern des Holocaust mit Stolpersteinen, in: mittelhessen.de vom 6.9.2022 bzw. in: "Oberhessische Presse" vom 27.9.2022
Auflistung der in Münchhausen (Oberasphe) verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Münchhausen