Oberaula (Hessen)
Oberaula ist eine Kommune mit derzeit ca. 3.300 Einwohnern, gelegen am Südhang des Knüll im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis – unweit von Neukirchen/Knüll bzw. ca. 15 Kilometer westlich von Bad Hersfeld (Kartenskizze 'Schwalm-Eder-Kreis', NNW 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC B-SA 3.0).
Seit wann es im Dorf Oberaula eine jüdische Gemeinde gab, ist nicht bekannt. Erstmals wurden Juden in Oberaula urkundlich zu Beginn des 17.Jahrhunderts erwähnt, als einige wenige sich hier aufhielten. Sicher ist, dass ab Mitte des 18.Jahrhunderts jüdische Familien dauerhaft in Oberaula gelebt haben; diese waren im Ort und Umgebung als Viehhändler tätig und bauten im Laufe der Zeit diesen Erwerbszweig zu einem Monopol aus. Eine kleine jüdische Gemeinschaft bildete sich um 1700 heraus; später gehörten ihr auch die Juden aus dem heutigen Ortsteil Hausen und aus Frielingen und Schwarzenborn an.
[vgl. Schwarzenborn (Hessen)]
Die Synagoge in Oberaula, ein zweistöckiges Fachwerkgebäude, wurde Mitte der 1830er Jahre in der Haintorgasse (heutige Friedigeröder Straße) gebaut und 1837 eingeweiht; sie ersetzte ein älteres Gebäude.
Rekonstruktionsskizzen des Synagogengebäudes in Oberauala (aus: Thea Altaras, Synagogen in Hessen)
Am Ort existierte auch eine kleine jüdische Elementarschule; als zu Beginn der NS-Zeit nur noch zehn Schüler die Schule besuchten, wurde die Schule geschlossen.
Ein jüdischer Friedhof war um 1700 am Dorfrand Richtung Wahlshausen angelegt worden; diesen nutzten auch die Juden aus den umliegenden kleinen Dörfern, so aus Breitenbach a.Herzberg, Frielingen, Hausen, Mühlbach, Neukirchen, Ottrau, Raboldshausen u. Schwarzenborn. Fast alle Grabsteine tragen hebräische Inschriften. Diese Begräbnisstätte mit fast 6.000 m² ist die größte und älteste im ehemaligen Kreis Ziegenhain.
Die Gemeinde Oberaula gehörte zum oberhessischen Rabbinatsbezirk mit Sitz in Marburg.
Juden in Oberaula:
--- um 1730/40 ...................... 5 jüdische Familien,
--- um 1780 ......................... 7 “ “ ,
--- 1820/40 ................. bis ca. 20 “ “ ,
--- 1861 ............................ 106 Juden (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1871 ............................ 82 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1885 ............................ 91 “ ,
--- 1895 ............................ 90 “ ,
--- 1905 ............................ 70 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1933 ........................ ca. 70 “ (in ca. 20 Familien),
--- 1939 (Frühjahr) ............. ca. 40 “ ,
--- 1940 (Dez.) ..................... keine.
Angaben aus: Hartwig Bambey/u.a., “Heimatvertriebene Nachbarn” - Beiträge zur Geschichte ..., Band 2
Die Erwerbsstruktur der Oberaulaer Juden unterschied sich grundlegend von der in fast allen anderen Orten; beinahe jeder besaß eine kleine Landwirtschaft, die zumeist im Nebenerwerb betrieben wurde, und arbeitete als Kaufmann, vor allem als Viehhändler; ihre Handelsgeschäfte reichten weit über den Ort hinaus.
Geschäftsanzeigen Oberaulaer Juden um 1910/1920:
Zu Anfang der 1930er Jahre gab es in Oberaula 21 jüdische Haushalte mit ca. 70 Personen. Die jüdischen Bürger waren weitestgehend in das Dorfleben integriert; dies belegen ihr Engagement in der Kommunalpolitik und zahlreiche Mitgliedschaften in lokalen Vereinen. An ihren religiös-orthodoxen Traditionen hielten sie bis zuletzt fest.
In den ersten fünf Jahren der NS-Herrschaft verließ bereits etwa die Hälfte der jüdischen Bevölkerung das Dorf; zumeist zogen die Menschen in größere deutsche Städte, vor allem nach Frankfurt/Main. Nach dem Novemberpogrom, bei dem die Synagoge geplündert und verwüstet wurde, verließen bald alle noch hier lebenden Juden das Dorf; die letzte Abmeldung erfolgte im Sommer 1940.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem undf des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 53 gebürtige bzw. längere Zeit in Oberaula ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der NS-Verfolgung (namentliche Nennung der Opfer siehe: .alemannia-judaica.de/oberaula_synagoge.htm).
Ende der 1960er Jahre wurde das Fachwerkhaus, in dem sich die Synagoge einst befand, wegen Baufälligkeit abgebrochen. 1989 wurden in Oberaula zwei Gedenktafeln angebracht; die Inschrift der Tafel am Eingang des Friedhofs Oberaula lautet:
DER HERR macht die Gefangenen frei
macht die Blinden sehend
richtet auf, die niedergeschlagen sind
liebt die Gerechten.
Psalm 146, 7 u. 8
(Nun folgen eine hebräische Inschrift und ein Davidstern)
Auf diesem Friedhof wurde zum letzten Mal 1937 ein jüdischer Mitbürger beerdigt
Vertreibung und Deportation jüdischer Mitbürger durch die Nationalsozialisten bewirkten,
dass die lange Geschichte der jüdischen Gemeinde in dieser Region ein erschütterndes Ende fand.
Diese Gedenktafel soll erinnern und mahnen.
Die Bürger der Gemeinde Oberaula
Die zweite Tafel, die in der Mitte die Synagoge abbildet, befindet sich an der benachbarten Pfarrscheune und trägt die Inschrift:
Gedenktafel, angebracht 1989 (Aufn. J. Hahn, 2008)
2007 wurde in Oberaula mit der Verlegung von „Stolpersteinen“ begonnen; allein fünf Steine sind Angehörigen der Familie Isaak gewidmet, die 1942 deportiert und in Sobibor ermordet wurden
verlegt an der Neurheinischen Straße (Aufn. G.d.R., 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Auf dem alten jüdischen Friedhof Oberaulas - an der Hersfelder Straße wenige hundert Meter von der Ortsmitte entfernt gelegen - findet man heute noch etliche, etwa 300 Jahre alte Grabsteine. Während die ältesten Steine als Schmuck lediglich eine Gestaltung der hebräischen Inschrift aufweisen, haben sich bei den etwas jüngeren neben Symbolen mit religiöser Bedeutung (segnende Hände oder Gießgefäße der Leviten) auch einige andere Schmuckformen erhalten. Insgesamt sind mehr als 300 Grabsteine dokumentiert.(vgl. auch Aufsatz Barbara Greve)
Friedhof Oberaula (Aufn. G., 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0).
älteres und jüngeres Gräberfeld auf dem Friedhof in Oberaula (Aufn. J. Hahn, 2008)
Ein Gedenkstein mit -tafel ist vor dem Friedhofseingang von der Kommune Oberaula aufgestellt worden.
Dessen Inschrift lautet: „Der Herr macht die Gefangenen frei, macht die Blinden sehend, richtet auf, die niedergeschlagen sind, liebt die Gerechtem Psalm 146,7 u.8 (auch auf hebräisch). Auf diesem Friedhof wurde zum letzten Mal 1937 ein jüdischer Mitbürger beerdigt. Vertreibung und Deportation jüdischer Mitbürger durch die Nationalsozialisten bewirkten, dass die lange Geschichte der jüdischen Gemeinde in dieser Region ein erschütterndes Ende fand. Diese Gedenktafel soll erinnern und mahnen. Die Bürger der Gemeinde Oberaula."
vgl. dazu auch: Schwarzenborn (Hessen)
In Neukirchen/Knüll – nur wenige Kilometer westlich von Oberaula – wurde 2014 mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ begonnen.
verlegt in der Kurhessenstraße (Aufn. G., 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
vgl. dazu: Neukirchen (Hessen)
Weitere Informationen:
Johanna Harris-Brandes, Fröhliche Kindheit im Dorf. Erlebnisse aus den Jahren 1880 - 1890 (undatiertes) Manuskript,
Auszüge in: Monika Richarz, Bürger auf Widerruf - Lebenszeugnisse deutscher Juden 1780 - 1945, Verlag C.H. Beck, München 1989, S. 271 - 282
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 149/150
Thea Altaras, Synagogen in Hessen - was geschah seit 1945 ? Verlag K.R. Langewiesche Nachfolger Hans Köster Verlagsbuchhandlung, Königstein (Ts) 1988, S. 57
Hartwig Bambey/u.a., “Heimatvertriebene Nachbarn” - Beiträge zur Geschichte der Juden im Kreis Ziegenhain (2 Bände), Verlag Stadtgeschichtlicher Arbeitskreis, Schwalmstadt-Treysa 1993 (Anm.: Im Band 2 sind mehrere Aufsätze über die jüdische Gemeinde von Oberaula enthalten. u.a. H. Herget/H. Heynmöller/R. Knoth, Was uns an die letzten jüdischen Bürger Oberaulas erinnert und Barbara Greve (Red.), Bruchstücke. Versuch einer Rekonstruktion der jüdischen Gemeinde Oberaula bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts)
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen II - Reg.bez. Gießen und Kassel, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1996, S. 181
Oberaula mit Hausen, Schwarzenborn und Frielingen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Barbara Greve (Red.), Jakob Katz Katzenstein – Simon Katzenstein. Von Schwarzenborn nach Manhattan, in: "Schwälmer Jahrbuch 2008", S. 241 - 249
Barbara Greve (Red.), Die Familie Siegmund Wallach aus Oberaula, in: Bernd Lindenthal (Hrg.), Heimatvertriebene Nachbarn, Bd. 3, Schwalmstadt-Treysa 2008, S. 453 - 466
Barbara Greve (Red.), Namen auf glänzenden Steinen. Die Familie Oppenheimer aus Schwarzenborn, in: "Schwälmer Jahrbuch 2010", S. 146 - 155
Barbara Greve (Red.), Ein Guter Ort – der jüdische Friedhof Oberaula. Forschungen zu einem Landfriedhof in Nordhessen, in: "Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde", Band 117/118 (2012/13), S. 161 – 196 (auch online abrufbar)