Oberlustadt (Rheinland-Pfalz)

Jüdische Gemeinde - Germersheim (Rheinland-Pfalz)Wikizero - Landkreis Germersheim  Oberlustadt ist heute ein Teil der Ortsgemeinde Lustadt im Landkreis Germersheim, die der Verbandsgemeinde Lingenfeld angehört – ca. 15 Kilometer nordöstlich von Landau gelegen (Ausschnitt aus topografischer Karte ohne Eintrag von Lustadt, Lencer 2008, aus: wikivoyage.org/wiki, GFDL  und  Kartenskizze 'Landkreis Germersheim', aus: kreis-germersheim.de). 

 

Um die Mitte des 19.Jahrhundert erreichte die israelitische Gemeinde in Oberlustadt mit nahezu 200 Angehörigen ihren personellen Zenit.

Die Wurzeln einer jüdischen Gemeinde in Oberlustadt reichen bis gegen Ende des 17./Anfang des 18.Jahrhunderts zurück.

1851 ließ die jüdische Gemeinde einen Synagogenneubau in der Rosengasse, der heutigen Röderstraße, errichten; über dem Eingang des mit neoislamischen Elementen gestalteten Baus waren die Zehn-Gebote-Tafeln angebracht.

  Synagoge Oberlustadt - Postkartenausschnitt (vermutl. 1920er Jahre)

Neben dem Synagogengebäude befand sich die jüdische Schule, die bereits in den 1830er Jahren eingerichtet worden war; diese Schule bestand bis etwa 1905.

Nördlich der Ortschaft nutzten die Oberlustadter Juden seit den 1820er Jahren ein eigenes Beerdigungsgelände; ob dieses bereits Ende des 18.Jahrhundert als Friedhof ausgewiesen war, ist nicht eindeutig zu belegen. Alle Einrichtungen wurden auch von den im benachbarten Niederlustadt lebenden Glaubensgenossen benutzt, die gemeinsam mit Oberlustadt eine Gemeinde bildeten.

Die Kultusgemeinde zählte zum Bezirksrabbinat Landau.

Juden in Oberlustadt:

         --- 1800 ..........................  53 Juden,

    --- 1808 ..........................  49   "  ,

    --- 1825 .......................... 132   “  (ca. 13% d. Bevölk.),

    --- 1848 .......................... 188   “  (in 43 Familien),

             ..........................  49   “  ,*           * in Niederlustadt

    --- 1875 .......................... 108   “  ,

             ..........................  26   “  ,*

    --- 1900 ..........................  71   “  ,

             ..........................   7   “  ,*

    --- 1928 ..........................  46   "  ,

    --- 1933 ...................... ca.  25   “  ,

            --- 1940 (Nov.) ...................    keine.

Angaben aus: Oberlustadt, aus: alemannia-judaica.de

und                  Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff, Synagogen. Rheinland-Pfalz und Saarland, S. 241

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts ging die Zahl der Juden Oberlustadts stark zurück; zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch etwa 25 jüdische Einwohner im Ort.

Das Synagogengebäude wurde während des Novemberpogroms von 1938 von einem SA-Kommando aus Landau in Brand gesetzt und brannte bis auf die Umfassungsmauern nieder; die zuvor aus der Synagoge herausgeschleppten Kultgegenstände wurden - unter Beifall einer Menschenmenge - ebenfalls vernichtet. Die letzten Juden Oberlustadts mussten im Oktober 1940 ihre Heimat verlassen und sich den Deportationstransporten nach Gurs anschließen.

Der NS-Vernichtungspolitik sind nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." nachweislich 18 aus Oberlustadt stammende Juden zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/oberlustadt_synagoge.htm)

 http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20290/Lustadt%20Synagoge%20221.jpg Die Synagogenruine in der Röderstraße (Aufn. Gemeinde Lustadt, 1963) wurde in den 1960er Jahren - unter Verwendung der tragenden Mauern - zu einem Wohnhaus ausgebaut. Heute erinnert kaum etwas an die einstige Nutzung des Gebäudes.

Ein anderes Wohnhaus in der Oberen Hauptstraße ähnelt äußerlich - was die Giebelseite angeht - an die Frontseite des früheren Synagogengebäudes (obige Aufn. Karl Erhard Schumacher, 2011).

Der jüdische Friedhof in Oberlustadt liegt nördlich des Ortes; auf dem bewaldeten Areal von ca. 2.000 m² sind noch zahlreiche Grabsteine erhalten.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2047/Oberlustadt%20Friedhof%20105.jpg

Jüdischer Friedhof von Oberlustadt (links: Aufn. J. Hahn, 2004  -  rechts: Aufn. Gerd Eichmann, 2017, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20282/Lustadt%20Friedhof%20212.jpgGelände im Winter (Aufn. Karl E. Schumacher, 2011/2012)

 

                   2024 wurden in der Oberen Hauptstraße zwei sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an das jüdische Ehepaar Jakob und Wilhelmina Weil erinnern.

 

 Leo Waldbott wurde 1867 in Oberlustadt als Sohn des Lehrers und Autors Lazarus Waldbott geboren. Nach dem frühen Tod seiner Vaters (1869) wuchs er bei seinem Großvater, dem Lehrer und Kantor Levi Waldbott, auf. Leo Waldbott ließ sich am protestantischen Lehrerseminar in Kaiserslautern zum Lehrer ausbilden. Dann war er zunächst von 1885 bis 1890 in Hagenbach tätig, danach als Lehrer und Kantor in Speyer. Bei der Eröffnung der neuen Speyerer Synagoge (1894 ) hielt er die Festansprache. Leo Waldbott galt als eine der angesehensten Persönlichkeiten des pfälzischen Judentums vor dem Zweiten Weltkrieg. So war es jahrzehntelang Vorsitzender des Vereins der jüdischen Lehrer und Kantoren der Pfalz sowie Vorstandsmitglied im Reichsverband jüdischer Lehrervereine in Deutschland. Besonders engagiert war Leo Waldbott im sozialen Bereich. Auf seine Initiative ging die Gründung des ersten Jüdischen Altersheimes für die Pfalz (in Neustadt/Weinstraße) zurück. Zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1938 wurde ihm vom Bezirksrabbinat der altehrwürdige Ehrentitel "Chaver" (Ehrenrabbiner) verliehen. Nach dem Novemberpogrom verließ er Deutschland und emigrierte in die USA. Er starb 1940 in Cincinnatti (Ohio).

 

 

 

Weitere Informationen:

Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden. Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden, Hrg. Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Neustadt/Weinstraße 1988

Alfred Hans Kuby (Hrg.), Juden in der Provinz. Beiträge zur Geschichte der Juden in der Pfalz zwischen Emanzipation und Vernichtung, Verlag Pfälzische Post, Neustadt a.d.Weinstraße 1989, S. 214/215

Alfred Hans Kuby (Hrg.), Pfälzisches Judentum gestern und heute. Beiträge zur Regionalgeschichte des 19./20.Jahrhunderts, Verlag Pfälzische Post, Neustadt a.d.Weinstraße 1992

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 240/241

Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 113

Oberlustadt mit Niederlustadt, in: alemannia-judaica.de

Karl Erhard Schuhmacher, Angaben zur jüdischen Geschichte von Oberlustadt (siehe: Oberlustadt mit Niederlustadt, in: alemannia-judaica.de)

Hartwig Humbert (Red.), Synagoge verbrannt, Wohnung verwüstet, Mann im KZ, in: „Die Rheinpfalz“ vom 9.11.2023 (betr. jüdische Familie Frank)

Hartwig Humbert (Red.), Urteile zehn Jahre nach Synagogenbrand, in: „Die Rheinpfalz“ vom 12.11.2023

Alexander Lang (Red.), „Oma Minas Käsekuchen“ – Die US-Schriftstellerin Ruth Landy hat eine besondere Familienchronik veröffentlicht, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 15.7.2024 (betr. jüdische Familie Weil)

N.N. (Red.), Lustadt. Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus werden verlegt, in: „Die Rheinpfalz“ vom 4.8.2024

Ralf Wittenmeier (Red.), Lustadt. Mit Stolpersteinen ein Zeichen gegen das Vergessen setzen, in: Die Rheinpfalz“ vom 3.10.2024