Offenbach/Main (Hessen)

 Jüdische Gemeinde - Hanau/Main (Hessen) Offenbach am Main ist mit ca. 135.000 Einwohnern die derzeit fünftgrößte hessische Stadt und grenzt nahtlos an die Mainmetropole Frankfurt an (Ausschnitte aus hist. Landkarten von 1905 und 1885, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

In den Jahrzehnten um 1800 erreichte der Anteil der jüdischen Bewohner zeitweise mehr als 10% der Stadtbevölkerung.

Jüdisches Leben im mittelalterlichen Offenbach endete für Jahrhunderte mit den Verfolgungen zur Zeit der Pest (1348/1349).

Offenbach am Main – Topographia Hassiae M. Merian, um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Sichere Erkenntnisse über jüdisches Leben in Offenbach liegen erst für das 17.Jahrhundert vor. Auf Grund eines 1708 vom Isenburger Grafen Johann Philipp erlassenen Juden-Privilegs - u.a. wurde darin auch die Anlage einer eigenen Begräbnisstätte erlaubt - kamen zahlreiche auswärtige Juden nach Offenbach; auch der Brand im Frankfurter Ghetto von 1711 ließ einige jüdische Familien von dort nach Offenbach übersiedeln. In der „Judengasse“, ab 1822 Große Marktstraße, fanden sie ein neues Zuhause.

                                             Gebetbuch aus Offenbach um 1840

Vor Gründung einer selbstständigen Gemeinde suchten die wenigen Offenbacher Juden die Synagoge in Bürgel auf; später stand ein eigener Betsaal in der Judengasse/Ecke Hintergasse zur Verfügung. Als dieser 1721 bei einem Brand zerstört wurde, errichtete man wenige Jahre später an gleicher Stelle ein neues Synagogengebäude, das bis 1915 genutzt wurde; eine Schule und eine Mikwe waren darin integriert.

                 

                          Alte Synagoge in der Großen Marktstraße und deren Innenraum (hist. Aufn., Stadtarchiv)

In der Alten Synagoge wirkte der 1808 geborene Dr. Salomon Formstecher zunächst als Prediger und Religionslehrer, danach fast fünf Jahrzehnte (von 1842 bis 1889) als Rabbiner; er war einer der „Väter der Reformbewegung“ im Judentum und Offenbachs erster jüdischer Ehrenbürger der Stadt.

Nach dem Tode Dr. Salomon Formstechers wurde die verwaiste Rabbinatsstelle wieder ausgeschrieben:

                   aus: "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom  13. Juni 1889

In Nachfolge von Dr. Formstecher übte bis nach Ende des Ersten Weltkrieges der aus Ungarn stammende Rabbiner Dr. Israel Goldschmidt das Rabbinatsamt aus.

Zwei Stellenausschreibungen der Offenbacher Kultusgemeinde aus den 1870er Jahren:

 

Im 18.Jahrhundert war die Große Marktstraße bereits der Straßenzug mit der größten Zahl jüdischer Anwohner; der damals herrschende Graf Johann Philipp zu Isenburg benannte sie „Große Judengasse“; die Kleine Marktstraße war die „Kleine Judengasse“; erst 1822 folgte eine Umbenennung. Nahe der Synagoge soll im 18.Jahrhundert auch ein jüdisches Krankenhaus bestanden haben, das auch durchreisenden Juden zur Verfügung stand.

Als sich im ersten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts die Zahl der Offenbacher Juden fast verdoppelte, v.a. durch Einwanderer aus Russland und Galizien, beschloss die Gemeinde, ein neues Gotteshaus zu errichten. Im Laufe des Ersten Weltkrieges entstand in Offenbach ein repräsentativer Synagogenneubau in der Goethestraße/Ecke Kaiserstraße; der 30 Meter hohe, im Stile des Neoklassizismus errichtete Kuppelbau bot etwa 800 Personen Platz.

                 Aus dem „Offenbacher Abendblatt” vom 17.April 1916:

Ein neues Baudenkmal in Offenbach

Der gestrige Sonntag wird von der Offenbacher Ortsgeschichte verzeichnet werden müssen. An ihm übergab die israelitische Gemeinde unserer Stadt ihre neue Synagoge unter den vorgeschriebenen Festlichkeiten ihrer Bestimmung als Bet-, Gemeinde- und Gesellschaftshaus. Mit dieser Synagoge haben die Offenbacher Juden unserer Stadt einen Kunstbau geschenkt, der nächst unserem köstlichen Isenburger Schlosse getrost als das schönste Baudenkmal bezeichnet werden kann, das wir auszuweisen haben. ...

                                        Neue Synagoge in Offenbach

   Offenbacher Synagoge (hist. Aufn., um 1920, Stadtarchiv)

Zur jüdischen Gemeinde Offenbach zählten auch die Juden in Bieber und Rumpenheim.

Seit 1708/09 gab es eine jüdische Begräbnisstätte in Offenbach, die auch Gemeinden der nahen Umgebung wie Dreieichenhain, Götzenhain und Offenthal nutzten; vor diesem Zeitpunkt war Bürgel Begräbnisstätte gewesen. Ende der 1850er Jahre musste der Offenbacher Friedhof wegen der Errichtung neuer Wohnhäuser aufgegeben werden; ein Teil der Gräber wurde 1861 auf das neue Beerdigungsgelände beim allgemeinen städtischen Friedhof überführt. Etwa zwei Jahrzehnte später mussten weitere Grabstätten aufgegeben bzw. verlegt werden.

Juden in Offenbach:

    --- um 1700 ...........................   120 ‘Schutzjuden’,

    --- um 1800 ...........................   mehr als 100 jüdische Familien,

    --- 1828 ..............................   848 Juden (ca. 11% der Bevölk.),

    --- 1847 .............................. 1.089   “  ,

    --- 1861 .............................. 1.382   “  ,

    --- 1871 .............................. 1.232   “  ,

    --- 1890 ..............................   936   “   (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- um 1900 ........................... 1.200   “  ,

    --- um 1910 ........................... 2.360   “   (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1924 .............................. 1.700   “  ,

    --- 1932 .............................. 1.500   “  ,

    --- 1933 (Juni) ....................... 1.435   “  ,

    --- 1937 .......................... ca. 1.200   “  ,

    --- 1939 (Mai) ........................   554   “  ,

    --- 1941 (Aug.) .......................   330   “  ,

    --- 1942 (Febr.) ......................   344   “  ,

         (Dez.) .......................    ? in ‘Mischehe’ lebende Juden.

Angaben aus: Paul Arnberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 160/161

Blick in die Kaiserstraße und Frankfurter Straße in Offenbach (Aufn. um 1900, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

gewerbliche Annoncen jüdischer Geschäftsleute aus den Jahren 1879, 1906 u. 1907:

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20162/Offenbach%20Israelit%2002011879jh.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20298/Offenbach%20FrfIsrFambl%2014121906.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20329/Offenbach%20FrfIsrFambl%2026071907.jpg

Im gesellschaftlichen und kulturellen Leben Offenbachs spielten die Juden der Stadt eine wichtige Rolle. Auch im Wirtschaftsleben der Stadt fiel den Juden eine herausragende Rolle zu - besonders auf dem Gebiete der Lederwarenindustrie, deren Erzeugnisse europaweit vertrieben wurden. Bis zu ihrem Erlöschen im Jahr 1930 konnte die Firma Eduard Posen & Co. sich als „Älteste Offenbacher Portefeuille Fabrik“ bezeichnen.

Anm.: Der Firmengründer, der Lederwarenfabrikant Eduard Hirsch Posen, wurde 1792 in Offenbach geboren. Er gehörte zu den bedeutenden Persönlichkeiten der Offenbacher Geschichte und war nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern hat sich damals auch um das Allgemeinwohl verdient gemacht. Von 1818 bis 1850 war er Vorstandsmitglied der jüdischen Kultusgemeinde und bekleidete seit 1821 das Amt eines ersten Vorstehers. Zu seinem „sozialen Erbe“ gehörte das 1822 gegründete israelitische Hospital sowie eine Kasse zur Ausbildung von jüdischen Handwerkern. Eduard Hirsch Posen starb 1853 in seiner Heimatstadt; er wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beerdigt. In einem Nachruf wurde er als „wahrer Menschenfreund“ sowie als „Mann des Volkes im edelsten Sinne des Wortes“ gerühmt.

Gegen Ende der 1850er Jahre hatten der Gerber Josef Feistmann und der Frankfurter Kaufmann Julius Mayer in der Luisenstraße die „Lederwerke Mayer & Feistmann“ gegründet.

  Inhaber der Lederwerke Mayer & Sohn, Offenbach (1907)

Auch einige größere Kaufhäuser Offenbachs befanden sich in Händen jüdischer Besitzer. Im allgemeinen stellte sich die ökonomische Lage der alteingesessenen Offenbacher Juden als günstig dar; die zugewanderten „Ostjuden“ waren hingegen meist als Fabrikarbeiter tätig und lebten eher in recht bescheidenen Verhältnissen. Letzteres galt auch für die Juden, in den zu Offenbach gehörenden Ortsteilen Bieber und Bürgel wohnten und vielfach als Heimarbeiter tätig waren.

Schon wenige Tage vor der NS-Machtübernahme kam es zu ersten antisemitischen Aktionen gegen jüdische Geschäfte in Offenbach; so forderte die NSDAP in der Offenbacher Presse die Bürger Offenbachs auf: „Meidet jüdische Warenhäuser!” und „Kauft nicht bei Juden!”. Gleichzeitig wurden „arische“ Geschäftsinhaber angewiesen, in ihren Schaufenstern das Schild „Deutsches Geschäft” aufzustellen; wer der Aufforderung nicht nachkam, wurde öffentlich an den Pranger gestellt. Sehr wirkungsvoll wurden in der Presse auch jüdische Bürger denunziert; beispielsweise wurde ihnen z.B. ein „rassenschändliches Verhältnis“ mit deutschen Männern oder Frauen oder negative Äußerungen über die neue Regierung zur Last gelegt.

Der reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte wurde auch in Offenbach durchgeführt.

Noch 3 Tage Zeit !

Kundgebung auf dem Aliceplatz   -     Die Juden schließen ihre Läden

Gestern nachmittag fand um 4 Uhr auf dem Aliceplatz eine Kundgebung gegen die ausländische Greuelpropaganda statt. Nachdem die Stürme der SA. beim Klang der Trommeln und der Pfeifen aufmarschiert waren und eine große Menschenmenge sich angesammelt hatte, ergriff kommissarischer Kreisleiter Kurt Stein das Wort zu einem kurzen, aufrüttelnden Appell an die nationale Bevölkerung Offenbachs. Er führte aus, wie das internationale Judentum und der internationale Marxismus ihre Giftpfeile gegen das erwachte junge Deutschland in der ausländischen Presse schleudern. ... Heute führen wir diesen Kampf legal und in der anständigsten Weise. Noch haben die Juden 3 Tage Frist ! Verstreicht diese Zeit, ohne daß die Greuelpropaganda aufhört, dann werden sich auch noch andere Wege und Mittel finden lassen . Als dann nach dem Gesang des Deutschlandliedes die SA. durch verschiedene Straßenzüge marschierte, zogen es die Juden vor, von selbst ihre Läden zu schließen. ...

(aus: „Offenbacher Nachrichten” vom 1.April 1933)

Während des November-Pogroms von 1938 wurde die Neue Synagoge von Mitgliedern der SA-Standarte 168 in Brand gesetzt; die Inneneinrichtung - darunter auch ausgelagerte Kultgegenstände aus den ländlichen jüdischen Gemeinden der Umgebung - wurden dabei völlig zerstört. Die Synagoge ging in den Besitz der Stadt Offenbach über, die das Gebäude weiter veräußerte; später wurde in dem Gebäude ein Filmtheater eingerichtet. 82 jüdische Männer Offenbachs wurden verhaftet und ins KZ Buchenwald eingeliefert.

                 Aus den „Offenbacher Nachrichten” vom 10.November 1938:

Judenfeindliche Kundgebungen                                                                                                                                                                                     ... Gleichzeitig mit den ... amtlich aus Berlin gemeldeten Kundgebungen im Reich ist es auch in Offenbach zu spontanen Aeußerungen des Unwillens der Bevölkerung gegen die Juden gekommen. In mehreren Straßen der Innenstadt wurden in jüdischen Geschäften, in die die Menge eingedrungen war, Einrichtungsgegenstände zerstört, und soweit diese in höheren Etagen gelegen waren, zum Fenster hinausgeworfen. Heute vormittags 8.15 Uhr wurde die Offenbacher Feuerwehr auf Alarm hin nach der Synagoge in der Goethestraße gerufen. Als die Feuerwehr dort eintraf, waren die Innenräume durch Feuer bereits stark beschädigt. ...

 

In den Jahren 1939 bis 1941 gelang es mehr als 800 jüdischen Offenbachern zu emigrieren. Im September 1942 begannen die Deportationen der Offenbacher Juden; davon betroffen waren 279 aus der Stadt und 201 aus dem Landkreis. Die aus ihren Wohnungen vertriebenen Familien wurden zunächst auf das Gelände der Messehallen, dann per Lastwagen zu den zentralen Sammelpunkten nach Frankfurt/M. bzw. Darmstadt gebracht; von dort aus wurden sie in die Ghettos und Vernichtungslager im besetzten Polen deportiert. 1942 gab es in Offenbach keine jüdische Gemeinde mehr. Der alte jüdische Friedhof an der Großen Hasenbachstraße wurde in den Kriegsjahren eingeebnet und auf dem Gelände ein Bunker errichtet.

Ab 1943 gingen die NS-Behörden auch gegen die „in Mischehe“ lebenden Juden vor; als letzte wurden noch im Frühjahr 1945 (!) sog. „Mischlinge“ nach Theresienstadt deportiert. Nach Schätzungen sind etwa 400 Offenbacher Juden in den Ghettos/Vernichtungslagern ermordet worden.

1948 fand vor der Strafkammer des Landgerichts Darmstadt der Prozess gegen die Brandstifter der Offenbacher Synagoge statt. Das Gericht verurteilte den ehemaligen SA-Standartenführer Otto Bode sowie weitere Angeklagte zu geringen Haftstrafen.

 

Nach dem Kriege kehrten nur sehr wenige Juden nach Offenbach zurück. Unter ihnen war Chaim Tyson, der zu den Neubegründern der Jüdischen Gemeinde Offenbach gehörte; ein weiteres Gründungsmitglied war Max Willner, der sich auch Verdienste beim Neuaufbau jüdischer Gemeinden in der Bundesrepublik erwarb.

Mitglieder der jüdischen Kultusgemeinde in Offenbach:

     --- 1949 .................... ca. 175 Personen,

     --- 1958 .................... ca.  90     “   ,

     --- 1971 ........................ 690     “   ,

     --- 1980 ........................ 680     “   ,

     --- 2010 .................... ca. 800     "   .

Angaben u.a. aus: Wolf-Arno Kropat, Jüdische Gemeinden, Wiedergutmachung, Rechtsradikalismus und ..., S. 461

Seit 1956 besaß die Jüdische Gemeinde Offenbach - als erste jüdische Gemeinde Hessens - wieder ein Gemeindezentrum mit Synagoge in der Kaiserstraße; es lag direkt gegenüber dem Standort der alten Synagoge.

                 Über die Einweihung schrieb die „Offenbacher Post” am 3.Sept. 1956:

Ein Wahrzeichen der Toleranz - Jüdische Gemeinde Offenbach hat wieder eine Synagoge

Fast achtzehn Jahre nach der Schreckensnacht von 1938, als auch das jüdische Gotteshaus in der Goethestraße entweiht wurde, öffneten sich gestern, wenige Tage vor dem jüdischen Neujahrsfest 5717, wieder die Tore einer Synagoge in Offenbach zum feierlichen Gottesdienst. Es wurde zu einer ergreifenden Gedenkstunde an die ungezählten Opfer nazistischer Willkür und zum Gelöbnis, daß nie wieder Haß und Unduldsamkeit in dieser Stadt einziehen mögen. Die Spitzen der Behörden, Vertreter des Judentums aus dem In- und Auslande und aller nichtjüdischen Glaubensgemeinschaften in Offenbach hatten mit bedeckten Häuptern in dem kleinen modern und würdig gestalteten Kirchenraum in der unteren Kaiserstraße Platz genommen. Von der Empore erlebten die Damen den Gottesdienst als Zuschauerinnen. Sonnenlicht strömte durch die hohen Fenster des in hellen freundlichen Farben gehaltenen Gotteshauses. An der rot-braunen Marmorwand der Stirnseite strahlte der siebenarmige Leuchter - das Symbol des Judentums - und links vom Heiligen Schrein die beiden Kerzen für die Gedenktage der Toten. Über der Lade künden zwei steinerne Gesetzestafeln - von den goldenen Löwen Judas gehalten - die zehn Gebote Gottes.

Zehn Jahre danach zählte die Jüdische Gemeinde Offenbach etwa 280 Mitglieder; wenige Jahre später waren es bereits 500; Anfang der 1990er Jahre waren in Offenbach fast 1.000 Juden registriert. Deshalb wurde 1997 das Gemeindezentrum erweitert bzw. neu gebaut.


Jüdisches Gemeindezentrum in Offenbach (Aufn. Stadt Offenbach, 2007)

Am Theater-Gebäude (Capitol) in der Goethestraße erinnert seit 1979 eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge der Stadt Offenbach; sie trägt die folgende Inschrift:

Dieses Haus diente von 1916 bis 1938 als Synagoge dem Gebet und der Erfüllung der Gebote.

Es wurde geschändet in der Nacht vom 9. zum 10.November 1938.

Nach Wiederherstellung sittlicher Wertordnungen überließ die Jüdische Gemeinde

der Stadt Offenbach am Main dieses Haus zur kulturellen Nutzung.

 Capitol – frühere Synagoge (Aufn. diba, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Wie in zahlreichen anderen Städten wurden auch in Offenbach sog. „Stolpersteine“ verlegt; beginnend im Jahre 2006 wurden auf Initiative der "Geschichtswerkstatt" in Offenbach bislang ca. 300 messingfarbene Gedenktäfelchen in die Gehwege im Stadtgebiet eingelassen, die an Opfer des NS-Terrors erinnern (Stand 2024).

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 „Stolpersteine“ für Fam. Reichmann, Kaiserstr. und Fam. Sznizer, Taunusstr. (Aufn. G., 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Stolpersteine für Familie SchwanthalerStolperstein für Otto und Paula Luise SchönhofStolperstein für Hermann und Johanna Hirschen

verlegt in der Gerberstr., Bismarckstr. und Frankfurter Straße (Aufn. J., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Der deutsch-israelische Künstler Ruben Talberg plant das Denkmal „Himmelsleiter“ auf dem Max-Willner-Platz; ein granitener Obelisk soll ein Zeichen gegen rechtsradikale Gewalt und ein Vergessen des Holocaust setzen.

Stele der Erinnerung "Wisse, vor wem Du stehst" Seit 2012 weist in der Hintergasse eine „Stele der Erinnerung“ an der freigelegten und restaurierten Ostwand der früheren Synagoge auf die Anfänge jüdischen Lebens in Offenbach hin (Aufn. aus: offenbach.de). Ein in den Boden eingelassenes Band mit Leuchtdioden setzt nun die Überreste (eine Mauerzeile) der in den Jahren 1729/1730 errichteten Synagoge in Szene.

In den 1990er Jahren wurde an der Mühlheimer Straße eine neue jüdische Begräbnisstätte als Teil des „Neuen Friedhofs“ angelegt. Auf dem alten Friedhofsgelände erinnern heute zwei Pyramiden aus Grabsteinrelikten an dessen einstige Nutzung.

                      http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2085/Offenbach%20Friedhof%20a190.jpg Grabstein-Pyramide auf dem alten jüdischen Friedhof (Aufn. Stadt Offenbach)  

 In der Stadt Offenbach lag der Ursprung der berühmten Musikerfamilie Offenbach. Der 1779 geborene Isaak Offenbach, der später Kantor an der Kölner Synagoge war, war der Vater des 1819 geborenen Jacques, der im Alter von 14 Jahren nach Paris ging und hier eine Ausbildung am Konservatorium erhielt. Zu seinen Kompositionen zählten u.a. „Orpheus in der Unterwelt”, „Die schöne Helena”, „Pariser Leben”. Am Ende seines Lebens schrieb er mit „Hoffmanns Erzählungen” eine romantisch-phantastische Oper. Jacques Offenbach starb 1880 in Paris.

  Salomon Formstecher, der 1808 in Offenbach geboren wurde, ging in die Geschichte als Rabbiner, Dichter und Religionsphilosoph ein. Er gilt als einer der geistigen Väter der jüdischen Reformbewegung des 19.Jahrhunderts. – Nach seiner Promotion an der Universität Gießen kehrte Formstecher in seine Geburtsstadt zurück und übernahm Jahre später nach dem Tode des hiesigen Rabbiners dessen Amt; danach engagierte er sich vermehrt in der jüdischen Reformbewegung. Anlässlich seines 50-jährigen Jubiläums als Rabbiner und Religionslehrer wurde ihm von der Stadt Offenbach als erstem jüdischen Bürger 1882 die Ehrenbürgerwürde verliehen. Für seine Verdienste erhielt er im gleichen Jahr vom hessischen Großherzog eine Auszeichnung (Orden). Salomon Formstecher verstarb 1889 in seiner Heimatstadt. Seit 2002 ist im Offenbacher Büsing-Park ein Weg nach ihm benannt.

 Neben Salomon Formstecher gehörte Max Dienemann (geb. 1875 in Krotoschin) zu den herausragenden Vertretern eines modernen und liberalen Judentums. Er gestand jedem Gemeindemitglied zu, das Wort der Thora selbst zu deuten und entwickelte das Verständnis der heiligen Texte durch eine historisch-kritische Auslegung weiter. Eine „Pioniertat“ war die weltweit erste Ordination einer Frau: die Berliner Theologin Regina Jonas machte Max Dienemann - mit Zustimmung anderer liberaler Juden - zur Rabbinerin. Während der NS-Zeit wurde Rabbiner Dienemann zweimal in ein Konzentrationslager eingeliefert, 1933 ins KZ Osthofen und im Nov. 1938 nach Buchenwald. Nach seiner Entlassung ging er mit seiner Familie in die Emigration; via London erreichte er im März 1939 Palästina; kurz darauf verstarb er in Tel Aviv. Heute ist ein Weg in Offenbach nach ihm benannt. Mitte der 1990er Jahre wurde in Offenbach die „Max Dienemann/Salomon Formstecher Gesellschaft e.V.“ ins Leben gerufen – mit der Zielsetzung, ein öffentliches Forum zu schaffen, um Fragen des zeitgenössischen Judentums aus historischer und aktueller Sicht wissenschaftlich fundiert darzustellen.

Im Jahre 1948 wurde Siegfried Guggenheim zum Ehrenbürger der Stadt Offenbach ernannt. Der 1873 in Worms geborene Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie hatte sich in Offenbach als Rechtsanwalt niedergelassen; er engagierte sich stark auf sozialem und kulturellem Gebiet. In den 1930er Jahren war er Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Offenbach. Nach seiner Freilassung aus dem KZ Buchenwald (Dez. 1938) emigrierte er mit seiner Frau in die USA. 1961 verstarb Siegfried Guggenheim in Flushing/New York. Seine Urne wurde im Familiengrab seiner Frau auf dem Friedhof in Offenbach beigesetzt. Im Offenbacher Stadtteil Lauterborn ist der Siegfried-Guggenheim-Weg nach ihm benannt.

 

 

Im heute zu Offenbach gehörenden Ortsteil Bürgel gab es auch eine relativ große israelitische Gemeinde, die Mitte des 19.Jahrhunderts mehr als 300 Angehörige umfasste; dies entsprach etwa 20% der gesamten Ortsbevölkerung. Ab 1924 gehörten die Juden Bürgels der Offenbacher Kultusgemeinde an.

[vgl. Bürgel (Hessen)]

 

 

Ehemalige, zumeist sehr kleine jüdische Gemeinden im Kreis Offenbach befanden sich auch in Dietzenbach, Dreieichenhain, Egelsbach, Heusenstamm, Klein-Krotzenburg, Langen, Mühlheim, Neu-Isenburg, Seligenstadt, Sprendlingen, Urberach und Weiskirchen.

 

 

 

Weitere Informationen:

S. Guggenheim, Aus der Vergangenheit der israelitischen Gemeinde zu Offenbach am Main, Offenbach 1916

Anton Henseler, Jacob Offenbach, Berlin 1930

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 160 - 180

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 170 - 176

Karl Schild/Walter Wöll, Judenpogrom in Offenbach, Röderberg-Verlag, Frankfurt/M. 1978

Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 32

Anni Bardon, Synagogen in Hessen um 1900, in: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen, "Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen VI", Wiesbaden 1983, S. 371 - 374

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 284/285

Die Offenbacher Synagoge - Geschichte eines Gebäudes als Dokument für Leben und Schicksal der Offenbacher Jüdischen Gemeinde. Eine Ausstellung des Kulturamtes der Stadt Offenbach Nov./Dez. 1988, Hrg. Kulturamt der Stadt Offenbach, 1988

Klaus Werner, Die Geschichte der Juden in Offenbach am Main. Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus 1933 - 1945, Hrg. Magistrat der Stadt Offenbach/Main, Offenbach 1988

Hans-Peter Schwarz (Hrg.), Die Architektur der Synagoge. Ausstellungskatalog Dt. Architekturmuseum Frankfurt/M., Frankfurt/M. 1988, S. 338

Klaus Werner (Hrg.), Die Geschichte der Juden in Offenbach (3 Bände), Beltz-Verlag, Hemsbach

Hermann Zvi Guttmann, Vom Tempel zum Gemeindezentrum - Synagogen im Nachkriegsdeutschland, Athenäum-Verlag, Frankfurt/M. 1989, S. 23 - 29

Zur Geschichte der Juden in Offenbach am Main, Hrg. Magistrat der Stadt Offenbach a.M., Offenbach 1990/1994

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 263 ff.

Peter Hawig, Jacques Offenbach. Facetten zu Leben und Werk, Köln 1999

Offenbach a. Main, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie, zumeist personenbezogen)

Hans-Georg Ruppel, Offenbach in der Zeit des Dritten Reiches, in: "Offenbacher Geschichtsblätter", No. 46, Offenbach 2006

Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945?, Königstein im Taunus, 2007, S. 367

Geschichtswerkstatt Offenbach, Offenbacher Stolpersteine – Gegen das Vergessen, 2009

Jüdisches Offenbach, online abrufbar unter: offenbach.de/kultur-und-tourismus/stadtgeschichte/

Stadt Offenbach (Red.), Eine „Stele der Erinnerung“ füllt die topografische Leerstelle in der Hintergasse, in: offenbach.de (2012)

Sigrid Aldehoff (Red.), Verlegung von Stolpersteinen, in: „Frankfurter Rundschau“ vom 31.8.2016

Auflistung der in Offenbach verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Offenbach_am_Main

Stolpersteine in Offenbach, online abrufbar unter: offenbach.de/kultur-und-tourismus/stadtgeschichte (Anm. mit Kurzbiografien der NS-Opfer)

Jan Schuba (Red.), Vollendung der Thora-Rolle im Rathaus, in: op-online.de vom 3.9.2018

Stadt Offenbach (Red.), 19 neue Stolpersteine erinnern an das Schicksal jüdischer Mitbürger und Mitbürgerinnen, Romnija und Oppositionelle, in: offenbach.de vom 20.3.2019

Fabian Scheuermann (Red.), Offenbach: Ein Rabbiner von Weltrang, in: „Frankfurter Rundschau“ vom 27.12.2019

Andreas Hartmann (Red.), Neue Stolpersteine, in: „Frankfurter Rundschau“ vom 10.8.2020

Stadt Offenbach (Hrg.), Das Stolpersteinprojekt der Geschichtswerkstatt, in: familien-blickpunkt.de vom 6.12.2021