Pullitz (Mähren)

 Datschitz Die südmährische kleine Ortschaft Pullitz - einige Kilometer nordwestlich von Schaffa/Šafov gelegen - ist das heutige tschechische Police u Jemnice mit derzeit ca. 380 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Landkarte mit Pullitz am rechten unteren Kartenrand, aus: europe1900.eu  und  Kartenskizze 'Tschechien' mit Police u Jemnice rot markiert, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

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ehem. jüdische Siedlungsorte Südmährens rot markiert (aus: Gerhard Hanak, Juden in Mähren – Judengemeinden in Südmähren)

 

Es gibt zwei Varianten über die Entstehung einer jüdischen Gemeinde in Pullitz: Nach einer ersten Version sollen sich Mitte des 15.Jahrhunderts aus Znaim vertriebene Familien hier niedergelassen haben; der zweiten zufolge sollen 1670 aus Niederösterreich vertriebene Juden hier eine neue Bleibe gefunden haben, da sich die hiesige Herrschaft von ihnen eine wirtschaftliche Belebung des durch den Dreißigjährigen Krieg darniederliegenden Ortes erhoffte. Die erste durch Quellen belegte jüdische Niederlassung im Ort stammt aus dem Jahre 1671. Im frühen 18.Jahrhundert sollen mindestens 40 jüdische Familien im Dorf gelebt haben. Mit wachsender Zahl der Gemeindeangehörigen wurde in Pullitz vom Grafen Adam Berchtold um 1720/1725 ein ghettoartiger Bezirk für die Juden eingerichtet; es war eine doppelte Häuserzeile am „Gänsegraben“. Aus ihren alten Behausungen waren sie zuvor vertrieben worden.

                                          Ehem. jüdischer Wohnbezirk (hist. Aufn.)

Nach dem großen Brand von 1758, der alle Behausungen der in Pullitz lebenden Juden einschließlich ihrer Holzsynagoge zerstörte, stiftete der wohlhabende Judenrichter Isak Landesmann seinen Glaubensgenossen neue Unterkünfte und ein neues Synagogengebäude, das im ländlichen Barockstil erbaut wurde.

       Synagogengebäude in Pullitz (Aufn. Jaroslav Klenovský, aus: cestamipromen.cz)

Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten ein Friedhof, eine Schule und eine Mikwe, wobei die beiden letztgenannten Einrichtungen wiederum Isak Landesmann als wohltätigen Spender auswies. Der Begräbnisplatz stammt angeblich aus der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts; der älteste vorgefundene Grabstein datiert von 1681.   

Juden in Pullitz:

         --- um 1720 ....................... ca.  40 jüdische Familien,

    --- 1769 ..............................  17     "       "    ,

    --- 1787 ..............................  22     “       “    (ca. 160 Pers.),

    --- 1830 .............................. 161 Juden,

    --- 1848 .............................. 118   “  ,

    --- 1857 .............................. 131   “  ,

    --- 1868/69 ...........................  43   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1880 ..............................  46   “  ,

    --- 1890 ..............................  61   “  ,

    --- 1900 ..............................  12   “  ,

    --- 1914 ..............................  keine.

Angabenaus: Hugo Gold (Hrg.), Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, S. 105

 

Um 1860/1870 ging die Zahl der jüdischen Bewohner in Pullitz um mehr als die Hälfte zurück. Anfang der 1890er Jahre wurde die jüdische Gemeinde offiziell aufgelöst, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt noch ca. 60 Personen hier aufhielten; diese wurden der israelitischen Kultusgemeinde Jamnitz zugewiesen. Auch die Synagoge und der Friedhof gingen in das Eigentum der Jamnitzer Kultusgemeinde über; diese veräußerte das Synagogengebäude alsbald an eine Privatperson.

[vgl. Jamnitz (Mähren)]

Der letzte jüdische Bewohner, Leopold Landesmann, verließ kurz vor dem Ersten Weltkrieg den Ort und übersiedelte nach Jamnitz.

Als Sohn eines wohlhabenden Juden wurde Isak Landesmann wahrscheinlich 1727 geboren. Von den Juden des Znaimer Kreises wurde er Anfang der 1760er Jahre zum Landesältesten gewählt und unterhielt zahlreiche Kontakte mit den Grundherren der Region, insbesondere mit der Herrschaftsfamilie in Pullitz. Landesmann, der sich mehrfach Gerichtsprozessen ausgesetzt sah, wirkte sehr segensreich für die Pullitzer Gemeinde; so unterstützte er seine in Not geratenen Glaubensgenossen mit eigenen finanziellen Mitteln, ließ 1759 einen Synagogenneubau errichten und schenkte diesen dann der Gemeinde. Anders als allgemein üblich wurden die Plätze in der Synagoge nicht gekauft bzw. gepachtet, sondern den Nutzern unentgeltlich zugewiesen. Des weiteren finanzierte Landesmann eine Mikwe und ließ in seinem Privathause eine Schule einrichten. Im Jahre 1797 verstarb Isak Landesmann; sein Grab befindet sich auf dem Pullitzer Friedhof.

 

Auf dem (vermutlich) im 17.Jahrhundert angelegten jüdischen Friedhof sind derzeit noch etwa 300 Grabsteine erhalten; der älteste Stein stammt von 1681.

Police (okres Třebíč) - židovský hřbitov (3).JPGPolice (okres Třebíč) - židovský hřbitov (13).JPG

Jüdischer Friedhof in Police u Jemnice (Aufn. Martin Veleka, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Heute erinnern neben dem Friedhof nur noch das ehemalige Synagogengebäude (es wurde bis gegen Ende des 19.Jahrhunderts zu gottesdienstlichen Zusammenkünften genutzt) an die einstige Pullitzer Judengemeinde.

  synagoga v Polici po rekonstrukci 

ehem. Synagogengebäude vor und nach der Restaurierung (Aufn. Matyas Kirchmayer, um 2005  und  Aufn. Jiří Sedláček, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Das Synagogengebäude - es hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte viele Umbauten erfahren, nun aber seit 2013 als "Kulturdenkmal" der Tschechischen Republik eingestuft - wurde in den Jahren bis 2020 in der Form restauriert, dass es äußerlich in etwa dem Erscheinungsbild der Zeit um 1760 entspricht. Im Innern wird eine Dokumentation über die Historie der einstigen, schon mehr als ein Jahrhundert nicht mehr existierenden Gemeinde informieren.

Obnovená synagoga v Polici u Jemnice | Federace židovských obcí v ČR restaurierter Innenraum (Aufn. aus: fzo.cz/4294/obnovena-synagoga-v-polici-u-jemnice/)

 

 

 

Weitere Informationen:

Rudolf Hruschka (Bearb.), Geschichte der Juden in Pullitz, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Verlag, Brünn 1929, S. 505 - 511

Michael Holzmann (Bearb.), Die Familie Weiß (Pullitz), in: H.Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Verlag, Brünn 1929, S. 511 - 513

Hugo Gold (Hrg.), Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Tel Aviv 1974, S. 105

Jiri Fiedler, Jewish Sights in Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 137/138

P.Ehl/A.Parík/Jirí Fiedler, Alte Judenfriedhöfe Böhmens und Mährens, Paseka-Verlag, Prag 1991, S. 164

Gerhard Hanak (Bearb.), Juden in Mähren – Judengemeinden in Südmähren, online abrufbar unter europas-mitte.de

Jewish Families from Police u Jemnice (Pullitz), Moravia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Police-u-Jemnice-Pullitz-Moravia-Czech-Republic/13154 (Anm. detaillierte historische Darstellung)

Foundation of Jewish Heritage (Hrg.), Synagogue in Police u Jemnice Czec h Republic, online abrufbar unter: foundationforjewishheritage.com/projects-police.html