Rosheim (Elsass)
Das im Unterelsass liegende Rosheim ist das gleichnamige französische Rosheim mit derzeit ca. 5.000 Einwohnern; der Ort liegt ca. 20 Kilometer südwestlich von Straßburg entfernt (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
Während der Pestpogrome von 1348/1349 wurden auch die jüdischen Familien in der damaligen Reichsstadt Rosheim umgebracht. Erst etwa ein Jahrhundert später ließen sich wieder einige Familien hier nieder, die aber von der christlichen Einwohnerschaft abgelehnt wurden und stets mit ihrer Ausweisung rechnen mussten. Doch im Laufe der Zeit gelang es ihnen, sich in Rosheim eine dauerhafte Bleibe zu sichern. Die „Judenstraße“ befand sich im Ostteil der Oberstadt; hier haben im 15.Jahrhundert ca. acht Familien gelebt; nach vorübergehender Vertreibung (1476) wurden Juden erst 1514 hier wieder ansässig. Mehrfache Versuche des Stadtrates, diese wieder aus ihrer Stadt zu entfernen, scheiterten.
Einer der bekanntesten seit ca. 1515 in Rosheim lebenden Juden war Josel von Rosheim (= Josef ben Gerschon Loans). Er war vermutlich 1476 (oder 1478) in Hagenau geboren und in der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts zunächst Parnas der gesamten unterelsässischen Judenschaft, später dann „Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“. In dieser Funktion vertrat er die Interessen seiner Glaubensgenossen beim damaligen Kaiser Karl V. So soll Josel von Rosheim sich auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 dagegen verwahrt haben, dass die Juden die Reformation ausgelöst hätten. - Zeit seines Lebens war Josel von Rosheim als Geldverleiher unterwegs, um bedrängten Glaubensgenossen beizustehen, die von Verfolgung und Vertreibung bedroht wurden. Mit persönlichem Engagement verhinderte Josel vielfach religiös oder wirtschaftlich motivierte Austreibungsversuche lokaler Obrigkeiten. Die Tatsache, dass Josel von Rosheim sein eigenes Siegel führte, weist auf seine damalige soziale/politische Stellung hin. Er starb 1554 vermutlich in Rosheim.
Der im Jahre 1756 in Rosheim geborene Eliezer Seligmann erlangte durch eine von ihm im Auftrage einer wohlhabenden Witwe aus Neckarsulm geschriebene Haggadah gewisse Bedeutung. Die mit Illustrationen reich gestaltete Schrift entstand 1779; sie ist heute im Besitz der Universitätsbibliothek Straßburg.
Illustration aus der Haggadah (1779)
Später ging Eliezer Seligmann nach Mannheim, wo er Verwalter der Lemle-Moses-Klaus war. Er übte dieses Amt bis zu seinem Tode 1809 aus.
Jüdisches Hochzeitspaar in Rosheim um 1765 (Zeichnung Martine Weyl)
Im 18.Jahrhundert nahm die Zahl der jüdischen Familien stetig zu und erreichte in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts ihren zahlenmäßigen Höchststand. Eine 1835 erbaute Synagoge in der heutigen „Rue Netter“ - in den Jahrhunderten zuvor hatte es vermutlich Beträume in Privathäusern gegeben - wurde ein halbes Jahrhundert später durch einen Neubau im neoromanischen Stile in der heutigen „Rue du General de Brauer“ ersetzt; entworfen vom Architekten Brion wurde das Gebäude im Jahre 1884 eingeweiht.
Synagoge von Rosheim (hist. Aufn.) Portal (Aufn. J. Hahn, 2004)
Seit dem 18.Jahrhundert war Rosheim Sitz eines Rabbinats. Im Laufe des 19. Jahrhunderts war dann für Rosheim der Rabbiner von Mutzig zuständig (bis 1913). Religiöse Aufgaben der Gemeinde tätigte ein jüdischer Lehrer am Ort.
Verstorbene Juden aus Rosheim wurden auf dem großen isrealitischen Verbandsfriedhof in Rosenweiler (Rosenwiller) begraben.
beide Aufn. Bernard Chenal, 2010, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 4.0
älteres Begräbnisfeld (Aufn. Ralph Hammann, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Auf dem ca. 40.000 m² großen Friedhofsgelände befinden sich nahezu 6.500 Grabstätten; die meisten Grabdenkmale stammen aus dem 18. und 19.Jahrhundert.
Der jüdische Friedhof in Rosenwiller ist der größte jüdische Friedhof im Elsass und zudem einer der größten jüdischen Verbandsfriedhöfe in Mitteleuropa. Ehe die einzelnen Gemeinden des Unter-Elsass eigene Friedhöfe anlegten, wurde der Friedhof in Rosenweiler von den folgenden Gemeinden genutzt: Balbronn, Baldenheim, Barr, Bergheim, Biesheim, Bischheim, Brumath, Buswiller, Dambach, Dangolsheim, Diebolsheim, Dinsheim, Duppigheim, Duttlenheim, Epernay, Epfig, Ettingen, Fegersheim, Grusenheim, Gunstett, Kaysersberg, Kolbsheim, Krautergersheim, Kuttolsheim, Lingolsheim, Molsheim, Mutzig, Niedernai, Obernai, Oberschaeffolsheim, Osthoffen, Ottrott-le-Bas, Rosheim, Scharrachbergheim, Schirmeck, Soultz, Stotzheim, Strasbourg, Traenheim, Valff und Zellwiller.
Anm.: Rosenweiler/Rosenwiller selbst besaß keine jüdische Gemeinde; zeitweise lebten im Dorf nur vereinzelt jüdische Familien.
Juden in Rosheim:
--- um 1650 .................. ca. 8 jüdische Familien,
--- 1696 ......................... 18 “ “ ,
--- 1730 ......................... 20 “ “ ,
--- 1762 ......................... 32 “ “ ,
--- 1785 ......................... 53 “ “ (ca. 270 Pers.),
--- 1807 ......................... 205 Juden,
--- um 1850 .................. ca. 260 “ ,
--- 1870 ......................... 292 “ ,
--- 1900 ......................... 242 “ ,
--- 1910 ......................... 164 “ ,
--- 1936 ......................... 69 “ ,
--- 1953 ......................... 29 “ ,
--- um 1965 ...................... 14 “ .
Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 36
Kleinanzeige von 1904
Anfang des 20.Jahrhunderts ging die Zahl der in Rosheim lebenden jüdischen Familien deutlich zurück. Mitte der 1930er Jahre lebten hier gerade noch 70 Personen israelitischen Glaubens am Ort. Während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg wurden die noch in der Stadt verbliebenen Juden nach Südfrankreich deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 45 gebürtige bzw. längere Zeit in Rosheim ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/rosheim_synagogue.htm).
Der 1884 fertiggestellte Synagogenbau hat die deutsche Besatzungszeit äußerlich unzerstört überstanden; Ende der 1950er Jahre wurde das Gebäude renoviert und erneut eingeweiht. Eine Nutzung als gottesdienstlicher Versammlungsort unterblieb aber in der Folgezeit, da die Zahl der jüdischen Bewohner zu gering war.
Synagogengebäude und Rosette über dem Eingangsportal (Aufn. Ralph Hamann, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
mittelalterliches Spottbild eines Juden, Peter u. Pauls-Kirche (Aufn. P. Cisiaux, 2010. aus: wikipedia.org, CC BY 2.0)
In Niederottrott (frz. Ottrott-le-Bas) – südlich von Rosheim gelegen - bestand seit dem 18.Jahrhundert eine jüdische Gemeinde. Der Bau einer Synagoge soll in den 1820er Jahren erfolgt sein; sie wurde bis zur Auflösung der Gemeinde (1910/1915) genutzt. Die Gemeinde gehörte bis 1910 zum Rabbinat Niederehnheim (Niedernai), danach zu dem von Oberehnheim (Obernai).
Juden in Niederottrott:
--- um 1785 .................. ca. 10 jüdische Familien,
--- 1807 ......................... 118 Juden,
--- 1846 ......................... 126 “ ,
--- 1870 ......................... 74 “ ,
--- 1900 ......................... 28 “ ,
--- 1910 ......................... 35 “ ,
--- 1935 ......................... keine.
Angaben aus: Ottrott-le-Bas, in: alemannia-judaica.de
Die inzwischen sehr klein gewordene Gemeinde löste sich in der Zeit des Ersten Weltkrieges auf. Mitte der 1930er Jahre lebten keine Einwohner mosaischen Glaubens mehr im Ort.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden neun aus Ottrot-le-Bas stammende jüdische Bewohner Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/ottrott-le-bas_synagogue.htm).
Weitere Informationen:
J. Kracauer, Rabbi Joselmann de Rosheim, in: "Revue des Études Juives", No.16/1888, S. 84 - 105
Moses Ginsburger, Josel von Rosheim und seine Zeit (Vortrag), in: "Schriften der Gesellschaft für die Geschichte der Israeliten in Elsaß-Lothringen", No. 11, Gebweiler 1913
Barbara Löslein, Eine Haggada von 1779 - geschrieben und illustriert in Neckarsulm von Elieser Seligmann aus Rosheim im Elsaß, in: Gerhard Taddey (Hrg.), ... geschützt, geduldet, gleichberechtigt ... Die Juden im baden-württembergischen Franken vom 17.Jahrhundert bis zum Ende des Kaiserreiches (1918), S. 163 f.
Selma Stern, Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, Stuttgart 1959
W. Kozmiensky, Josel von Rosheim,in: "Annuaire de la Société d’histoire et d’archéologie de Molsheim 1970", S. 71 – 79
Robert Weyl, Les Juifs a Rosheim. Naissance, épanouissement et fin d’une communauté juive, Auszug aus: Saisons d’Alsace 66/1978
Paul Assall, Juden im Elsaß, Elster Verlag Moos GmbH, Bühl-Moos 1984, S. 93 f.
Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagoges d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992
Gerd Mentgen, Studien zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Elsaß - Forschungen zur Geschichte der Juden, in: "Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden e.V.", Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1995, S. 31 f., S. 267 f. und S. 583 f.
Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1249 – 1251
Hartmut Schmidt, Kämpfer gegen den Judenhaß der Reformatoren - Vor 450 Jahren starb Josel von Rosheim, in: "Evangelischer Pressedienst (epa)", 2004
Monique Ebstein, Joselmann de Rosheim. Commandeur des Juifs du Saint Empire romain germanique (1478 - 1554), in R.Decot/M.Arnold (Hrg.), Christen und Juden im Reformationszeitalter, Mainz 2006, S. 117 – 125
Rosheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Ottrott-le-Bas, in: alemannia-judaica.de
Selma Stern, L' avocat des Juifs, Straßbourg 2008 (betr. Josel von Rosheim)
Volker Gallé (Hrg.), Josel von Rosheim - zwischen dem Einzigartigen und Universellen: ein engagierter Jude im Europa seiner Zeit und im Europa unserer Zeit, Dokumentation der gleichnamigen Ausstellung sowie zweier Vorträge im Rahmen der jüdischen Kulturtage 2013 im Worms
Irene Aue-Ben-David (Bearb.), Objekt 12 – Das Siegel von Josel von Rosheim, in: Hrg. Shared History Project (12.3.2021)