Roßdorf (Hessen)
Roßdorf ist eine Kommune mit derzeit ca. 12.500 Einwohnern im hessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg - etwa acht Kilometer südöstlich von Darmstadt gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Darmstadt-Dieburg', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und 'Umgebung Roßdorf', D.G. 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
In der Region waren vermutlich bereits seit dem hohen Mittelalter Juden ansässig; ob allerdings in Roßdorf zu diesem Zeitpunkt bereits jüdische Familien gelebt haben, ist urkundlich nicht nachweisbar. Erst in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges setzen erste schriftliche Hinweise auf die Anwesenheit von Juden in Roßdorf ein; doch lebten hier stets nur wenige Familien. Mitte des 18.Jahrhunderts soll in Roßdorf eine Betstube eingerichtet worden sein; in den 1870er Jahren ließ die Gemeinde eine Synagoge in der Darmstädter Straße („Jurregässche“) erbauen, der auch eine Mikwe angeschlossen war; vermutlich war ein bereits vorhandenes, älteres Gebäude zur Synagoge umgebaut worden.
Rekonstruktionsskizze der Synagoge in Roßdorf (Gemeindebrief der Evang. Kirche)
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 2.11.1885
Verstorbene Roßdorfer Juden wurden auf dem seit dem 16.Jahrhundert existierenden jüdischen Friedhof in Dieburg begraben; der Dieburger Bezirksfriedhof diente zeitweilig mehr als 25 umliegenden Gemeinden als zentraler Begräbnisplatz.
Jüdischer Friedhof Dieburg (Aufn. A., 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Die Roßdorfer jüdische Gemeinde unterstand dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt II.
Juden in Roßdorf:
--- um 1770/80 ....................... 3 jüdische Familien,
--- 1803 ............................. 33 Juden,
--- 1830 ............................. 40 “ ,
--- 1861 ............................. 49 “ ,
--- um 1875 ...................... ca. 45 “ ,
--- 1900/05 .......................... 62 “ ,
--- um 1932/33 ................... ca. 45 “ (in ca. 12 Familien),
--- 1937 (Dez.) ...................... 7 Familien,
--- 1939 (Mai) ....................... 2 Juden.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 233
Die Juden Roßdorfs waren Kleinkaufleute, Viehhändler und Metzger; sie lebten um 1900 in gesicherten ökonomischen Verhältnissen.
zwei Kleinanzeigen jüdischer Gewerbetreibender (1901/1909)
Als sich in den 1930er Jahren die Zahl der Gemeindeangehörigen immer mehr verringerte und kein Minjan mehr zustande kam, verkaufte die sich auflösende Gemeinde im Jahre 1937 das Synagogengebäude, das später zu Wohnzwecken völlig umgebaut wurde. Vor dem Verkauf waren die Kultgegenstände in Sicherheit gebracht worden; sie sollen sich heute in Israel bzw. in den USA befinden.
Obwohl zum Zeitpunkt der „Kristallnacht“ das Synagogengebäude bereits in „arischer“ Hand war, wollten ortsansässige Nationalsozialisten es im November 1938 dennoch in Brand setzen; schließlich zertrümmerten sie ‚nur’ Fensterscheiben und Dachteile; auch die am First befindlichen Gesetzestafeln wurden heruntergerissen und in Stücke zerschlagen.
Bis Kriegsausbruch hatten fast alle jüdischen Bewohner das Dorf verlassen; einige Familien waren nach Darmstadt verzogen. Wer von hier nicht mehr rechtzeitig emigrieren konnte, wurde 1942 deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich 27 aus Roßdorf stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene Juden Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/rossdorf_synagoge.htm).
Zur Erinnerung das jüdische Gotteshaus wurde am Gebäude des ehem. Synagoge in der Darmstädter Straße im Jahre 2011 eine Informationstafel angebracht.
Eine Gedenktafel für die ehemals hier lebenden jüdischen Familien suchte man in Roßdorf lange Zeit vergebens; auf einer sog. „Geschichtstafel“ wird nun im Ort an die 24 jüdischen Opfer der NS-Herrschaft erinnert.
Sog. Geschichtstafel von Roßdorf (Aufn. J. Hahn, 2009)
Seit 2010 erinnern sog. „Stolpersteine“ an ehemalige jüdische Bewohner, die Opfer der Shoa geworden sind; an neun Standorten sind insgesamt ca. 25 Steine in das Gehwegpflaster verlegt.
Stolpersteine für Angehörige der Fam. Ehrlich (Aufn. Trachtenmuseum Roßdorf)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 233/234
Horst Wilhelm, Roßdorf - Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung - Ein Gedenkbuch, hrg. vom Historischen Verein Rosdorf und Gundernhausen e.V., Roßdorf 1988
Thomas Lange, ‘L’chajim’ - Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, Hrg. Landkreis Darmstadt-Dieburg, Reinheim 1997, S. 100/101 und S. 227
Nathan M. Reiss, Some Jewish Families of Hesse and Galicia, 2005 (Anm. enthält auch die Familiengeschichte May aus Roßdorf)
Roßdorf/Hessen, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945?, Neubearb. 2007, S. 197/198
N.N. (Red.), Roßdorf rückt Synagoge in den Fokus, in: "echo-online" vom 19.5.2011
Silke Sutter (Red.), Erinnerung an Roßdorfer Synagoge nicht von allen erwünscht, in: „hessenschau.de" vom 1.2.2019
Klaus Holdefehr (Red.), Roßdorf hat ein „Jurregässje“, in: „echo-online“ vom 29.1.2019