Schlochau (Westpreußen)
Schlochau - im Schutze einer großen Burganlage entstanden - erhielt gegen Mitte des 14.Jahrhunderts Stadtrechte; infolge der 1. Teilung Polens (1772) wurde der Kreis Schlochau preußisch. Die ehemalige (zeitweilige) deutsche Kreisstadt - ca. 15 Kilometer südwestlich von Konitz/Chojnice gelegen - ist das heutige polnische Czluchów mit derzeit ca. 13.500 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Landkarte, um 1900, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Polen' mit Czluchów rot markiert, M. 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0).
In den Jahrzehnten zu Beginn des 19. Jahrhunderts war jeder 4.Bewohner Schlochaus mosaischen Glaubens.
Nach dem Zweiten Thorner Frieden 1466 - Westpreußen war nun an Polen gefallen - zogen zahlreiche jüdische Familien ins Land und ließen sich in den Dörfern nieder. Schlochau war damals die einzige Stadt im ehemaligen „Ordens-Preußen“, die Juden in ihren Mauern aufnahm. Alsbald bildete sich ein abgeschlossenes Judenviertel am Nordrand des Ortes. Zur Zeit des Ordensstaates war der Aufenthalt von Juden verboten gewesen. Vom Niederlassungsverbot für Juden, das in der Regierungszeit Friedrichs des Großen verfügt wurde, waren vermutlich auch jüdische Familien in Schlochau betroffen; ob das Ausweisungsdekret hier allerdings in vollem Umfang befolgt wurde, ist nicht nachweisbar.
Die relativ große jüdische Gemeinde mit ihren zeitweise fast 500 Angehörigen ließ in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts eine neue Synagoge am Ortsrande (Kaldauer Straße nahe des Neumarktes) errichten; ein älterer Bau stammte aus dem 16.Jahrhundert. Gottesdienste wurden bis ca. 1840/1845 in alttestamentarischer Form durchgeführt; erst danach fand die deutsche Sprache hier Eingang. - Der im Jahre 1815 begonnene Versuch, in Schlochau eine Schule zu schaffen, die von Kindern aller Bekenntnisse besucht werden sollte, scheiterte an Querelen zwischen den beiden christlichen Konfessionen. Erst um 1855 wurde die Schulfrage in Schlochau gelöst: Die Kinder der jüdischen Gemeinde suchten fortan die städtische Schule auf. In den Jahren 1840 bis 1856 hatte die jüdische Gemeinde eine eigene Schule besessen.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählte auch ein Friedhof, der bereits gegen Ende des 15.Jahrhunderts auf dem Domänengelände außerhalb der Stadt angelegt worden war.
Juden in Schlochau:
--- 1748 ......................... 17 jüdische Familien,
--- 1772 ..................... ca. 200 Juden,
--- 1777 ..................... ca. 120 “ ,
--- 1804 ......................... 292 “ (ca. 26% d. Bevölk.),
--- 1816 ......................... 404 " ,
--- 1831 ......................... 364 " (ca. 22% d. Bevölk.),
--- 1846 ......................... 354 “ ,
--- 1871 ......................... 477 “ ,
--- 1885 ......................... 491 “ (ca. 15% d. Bevölk.),
--- 1890 ......................... 436 " ,
--- 1898 ......................... 367 " ,
--- 1905 ......................... 243 " ,
--- 1910 ......................... 222 “ (ca. 6% d. Bevölk.),
--- 1925 ......................... 167 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1933 ......................... 137 " (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1937 ......................... 97 “ ,
--- 1941 ......................... keine.
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 1147/1148
und Czluchów, in: sztetl.org.pl
Schlochau - Neumarkt mit Königsstraße (hist. Postkarte)
Lokale Antisemiten riefen 1900 die Bevölkerung auf, die Geschäfte der jüdischen Familien zu boykottieren. Die antijüdische Haltung in Teilen der Ortsbevölkerung wurde auch 1925 evident, als die Synagoge geschändet wurde. Im Laufe der ersten fünf Jahre der NS-Herrschaft gaben die meisten jüdischen Kaufleute ihre Geschäfte auf und verließen teilweise die Stadt.
Während der „Kristallnacht“ vom November 1938 setzten Nationalsozialisten das Synagogengebäude in Brand; Geschäfte jüdischer Eigentümer wurden verwüstet und geplündert, jüdische Männer festgenommen und ins KZ Sachsenhausen verbracht.
Brennendes Synagogengebäude (Nov. 1938)
Die wenigen noch in Schlochau lebenden Juden wurden im Frühjahr 1940 aus der Stadt vertrieben und in ein Internierungslager nahe Schneidemühl verschleppt, von hier aus wurden sie in die Ghettos bzw. Lager im „Generalgouvernement“ deportiert; die allermeisten wurden ermordet.
Auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs von Schlochau - es ist heute eine Grünfläche mit lichtem Baumbestand - erinnert seit 2007 ein großer Felsblock mit dort angebrachter Inschriftentafel (viersprachig): „Zum Gedenken an die auf diesem Friedhof beerdigten Juden von Schlochau. Ein ehrendes Andenken sei ihnen bewahrt.“
In der Ortschaft Landeck (poln. Ledyczek) lebten Juden vermutlich seit dem letzten Viertel des 18.Jahrhunderts. Die sich um 1800 gebildete Gemeinde zählte 1831 etwa 130 Angehörige, was fast 24% der gesamten Dorfbevölkerung entsprach. In den 1880er Jahren setzte sich die jüdische Kultusgemeinde aus etwa 200 Personen zusammen. Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten ein Friedhof und eine Synagoge; der letzte Bau war erst in den 1920er Jahren errichtet worden - zu einer Zeit, als die Zahl der Gemeindeangehörigen bereits stark rückläufig war. Während des Novemberpogroms wurde das Synagogegebäude niedergebrannt; tags darauf erschienen beim Vorstand der jüdischen Gemeinde einige Nationalsozialisten, die die Benzinrechnung zwecks Erstattung vorlegten !
Bis auf den heutigen Tag sind Spuren des während der NS-Zeit verwüsteten jüdischen Friedhofs erhalten.
vgl. Landeck (Westpreußen)
In Baldenburg (poln. Bialy Bor) - etwa 30 Kilometer nordöstlich von Neustettin gelegen - gab es auch eine kleine jüdische Landgemeinde, deren Wurzeln im 18.Jahrhundert liegen. Am Mühlenfließ verfügte die Gemeinde über eine kleine Fachwerksynagoge. 1938 wurde das Gebäude zerstört. Vom jüdischen Friedhof sind kaum Relikte vorhanden.
Synagoge von Baldenburg (im Bild hinten)
vgl. Baldenburg (Westpreußen)
Im Dorfe Prechlau im Kreis Schlochau (poln. Przechlewo) lebten um 1870 etwa 55 jüdische Einwohner; sie bildeten eine Filialgemeinde der Schlochauer Synagogengemeinde. Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Schlochau begraben. Seit den 1870er Jahren war die Zahl der jüdischen Dorfbewohner rückläufig. Als ein Mordfall das Dorf erschütterte und Juden für diese Tat verantwortlich gemacht wurden, verließen alle Familien - bis auf zwei - ihr Heimatdorf.
In Preußisch-Friedland (poln. Debrzno) - wenige Kilometer südwestlich von Schlochau gelegen - lebten zu Beginn des 19.Jahrhunderts etwa 15 jüdische Familien. Bis in die 1880er Jahre wuchs die Gemeinde bis auf ungefähr 290 Personen an. Neben einem eigenen Friedhof besaß die hiesige Judenschaft ein in den 1890er Jahren errichtetes neues Synagogengebäude an der Stretziner Straße; der Standort des alten Bethauses ist unbekannt.
Synagoge in Preußisch-Friedland (hist. Aufn. um 1925/1930)
Um 1930/1933 lebten in Preußisch-Friedland noch etwa 120 Juden, die fortan unter antisemitischen „Aktionen“ litten und um ihre weitere wirtschaftliche Existenz fürchten mussten. In der „Kristallnacht“ vom November 1938 wurden die Synagoge zerstört und jüdische Geschäfte demoliert, einige Männer ins KZ Sachsenhausen eingewiesen. In den Folgemonaten suchten die noch hier ausharrenden Juden ihr Heil in der Emigration. Im März 1940 wurden alle sich noch in der Stadt aufhaltenden Juden in ein Internierungslager nach Schneidemühl verschleppt und von hier aus deportiert.
Der alte jüdische Friedhof – zwischen Preußisch-Friedland und Dobrin gelegen – macht heute einen verwahrlosten Eindruck; die noch vorhandenen wenigen Grabsteine sind von der Vegetation überwuchert. Von der Synagoge sind nur noch spärliche Fundamentreste vorhanden.
vgl. Preußisch-Friedland (Westpreußen)
Weitere Informationen:
August Blanke, Aus Schlochaus vergangenen Tagen. Geschichtliche Darstellung, Schlochau 1926
Carl Schulz, Geschichte der Stadt Schlochau unter Benutzung ungedruckter Urkunden, Bad Oldesloe 1992
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 703 (Landeck), S. 1025 (Preußisch-Friedland) und S. 1147/1448 (Schlochau)
Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, New York 2009, Teilband 3, S. 619 – 631 (Preußisch-Friedland), S. 641 – 667 (Schlochau), S. 600 – 610 (Baldenburg ), S. 632 – 642 (Landeck)
Czluchów, in: sztetl.org.pl