Schwaan (Mecklenburg-Vorpommern)
Schwaan ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 5.000 Einwohnern im Landkreis Rostock; sie ist Sitz des Amtes Schwaan, dem weitere sechs Gemeinden angehören – ca. 20 Kilometer südlich von Rostock gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Rostock', aus: ortsdienst.de/mecklenburg-vorpommern/landkreis-rostock).
Schwaan – Gemälde von Franz Bunke (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Der erste urkundliche Nennung eines Juden in Schwaan war die von Moses Abraham, der 1749 einen Schutzbrief für den Ort erhielt, demzufolge er ein jährlich Schutzgeld von zwölf Reichstalern zu entrichten hatte. Weitere schriftliche Hinweis auf jüdische Bewohner in Schwaan stammen dann aus den 1760er Jahren. Vermutlich bestand zu dieser Zeit bereits eine kleine israelitische Gemeinschaft. Ein Angehöriger schrieb nach dem Stadtbrand von 1765 an den Bürgermeister u.a.: „... das wenige was wir noch dem Krieg noch übrig behalten haben, haben wir im Feuer verloren ...”
In der Kleinstadt Schwaan trat im Jahre 1764 der jüdische Landtag zusammen, der den jüdischen Bewohnern in Mecklenburg und Vorpommern eine festere Organisationsstruktur geben sollte; zudem wurde dort ein aus 66 Artikeln bestehendes Statut über ihre Glaubens- und Lebensverhältnisse abgesegnet. Mitte des 19.Jahrhunderts zählte die Schwaaner Judenschaft etwa 60 Personen. Diese verabschiedete - nach landesherrschaftlicher Bestätigung durch Großherzog Friedrich Franz II. - 1847 eine Gemeindeordnung. Über eine Synagoge in der Hinterstraße (heutige Warnowstraße) verfügte die kleine Gemeinde bereits seit etwa 1800; sie wurde ca. 80 Jahre genutzt. Nach der völligen Auflösung der Gemeinde 1913 wurde das Synagogengrundstück versteigert. Das ehemalige Synagogengebäude diente - nach Umbauten - als Wohnhaus und Werkstatt.
Ein jüdischer Begräbnisplatz am Mühlenbach („Jüdenfriedhoff“) ist seit den 1770er Jahren urkundlich (auf einem Plan der Stadt) belegt. Nach der Auflösung der Gemeinde ging das Friedhofsgelände 1914 in kommunale Hand über. Die letzte Beerdigung fand hier 1936* statt
* Einer anderen Angabe zufolge soll es das letzte Begräbnis hier bereits 1870 gegeben haben.
Juden in Schwaan:
--- um 1800 ...................... ?
--- um 1830 .................. ca. 75 Juden,
--- um 1840 .................. ca. 70 " ,
--- 1857 ......................... 60 “ ,
--- 1894 ......................... 39 “ ,
--- um 1900 .................. ca. 30 “ (in 9 Familien),
--- 1914 ......................... 4 " ,
--- 1933 ......................... 3 jüdische Familien,
--- 1937 ......................... 7 Juden.
Angaben aus: Archiv der Gemeinde Schwaan
Um 1830 hatte die jüdische Gemeinde Schwaan mit ca. 75 Angehörigen ihren personellen Höchststand erreicht. Nach 1850/1860 wanderten zahlreiche Familien aus Schwaan ab, und die Zahl der Gemeindeangehörigen reduzierte sich deutlich; so wurde seit den 1870er Jahren die Synagoge auch nicht mehr genutzt. In der Zeit des Ersten Weltkrieges erfolgte dann die offizielle Auflösung der Gemeinde; die sehr wenigen verbliebenen jüdischen Bewohner wurden der Rostocker Gemeinde angeschlossen; dorthin wurden auch die Kultusgegenstände gebracht.
Im Gefolge des Novemberpogroms wurden vier jüdische Männer als „Schutzhäftlinge“ im Gefängnis Alt-Strelitz festgehalten. Nach ihrer Freilassung gelang ihnen zumeist die Emigration. Die letzte jüdische Familie - es war die des Kaufmanns Willi Marcus - musste 1938 ihr Landhandelsgeschäft verkaufen; vier Jahre später wurde das Ehepaar mit ihrer Tochter nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.
Der in der NS-Zeit geschändete und danach der Verwahrlosung preisgegebene jüdische Friedhof musste in den 1960er Jahren einem Neubaugebiet weichen; einige der noch vorhandenen Grabsteine - die meisten waren zweckentfremdet genutzt worden - wurden in der Nähe (Lindenbruchstraße) wieder aufgestellt. 1988 errichtete man dort einen Gedenkstein mit der folgenden Aufschrift:
Restfriedhof der ehemaligen Jüdischen Gemeinde Schwaans
Zum ehrenden Gedenken
Jüdischer (Rest)Friedhof - einzelner Grabstein (Aufn. An-d, 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Auf Initiative des Schwaaner Kulturfördervereins wurde 2015 dort noch eine Gedenktafel angebracht, die an die Angehörigen der jüdischen Gemeinde in der Stadt erinnern soll.
Bereits ein Jahr zuvor wurde ein sog. „Stolperstein“ verlegt, der dem Gedenken an den jüdischen Arzt Dr. Paul Marcus (er beging 1936 Selbstmord) gewidmet ist; vor dem Wohnhaus seiner alteingesessenen Familie (am Pferdemarkt) wurde dieses Gedenktäfelchen ins Gehwegpflaster eingelassen. 2020 wurden an gleicher Stelle für drei seiner Angehörigen ebenfalls messingfarbene Steinquader verlegt.
Aufn. G. Koppitz, 2021, aus: Schwaaner Kulturförderverein e.V.
Weitere Informationen:
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 597 - 599
Frank Schröder, Juden in Schwaan - Vortrag vom 22.1.2005
Hans-Jürgen Kowalzik (Red.), Alle Grabsteine restauriert, in: „SVZ - Schweriner Volkszeitung“ vom 22.4.2009
Frank Schröder/Steffi Katschke, Die Familie Josephy - Lebenswege einer deutsch-jüdischen Familie aus Schwaan 1714 – 2012, in: "Schriften aus dem Max-Samuel-Haus", Rostock 2012
Schwaaner Kulturförderverein e.V. (Hrg.), Jüdische Geschichte in Schwaan, online abrufbar unter: schwaan-kultur.de
Nadine Schuldt (Red.), Stolperstein soll in Schwaan an Arzt erinnern: Nazis treiben Arzt in den Freitod, in: "SVZ - Schweriner Volkszeitung“ vom 5.4.2013
N.N. (Red.), Stolperstein mahnt und erinnert. Ehrung für den jüdischen Arzt Dr. Paul Marcus, in: „Bützower Zeitung“ vom 7.3.2014
Caroline Weißert, Gedenktafel für jüdischen Friedhof, aus: "SVZ - Schweriner Volkszeitung" vom 21.12.2014
Der jüdische Friedhof in Schwaan, in: alemannia-judaica.de
Schwaan – Gedenken an jüdische Gemeinde. Neue Tafel in Schwaan soll an das Leben der Gemeinde erinnern, in: „Bützower Zeitung“ vom 27.9.2015
Projekt des Kulturfördervereins Schwaan e.V., „Von Moses Abraham bis Willi Marcus. Zur Geschichte jüdischen Lebens in Schwaan vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“ - Ausstellung (2016/17)
Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Schwaan, online abrufbar unter: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Schwaan
Marie-Luise Hänsel (Red.), Schwaan: Geschichte erleben, in: „Bützower Zeitung“ vom 16.3.2017 (betr. obig genannte Ausstellung)
Christian Jäger (Red.), Schwaan. Über Geschichte stolpern: Weitere Gedenksteine für deportierte Juden, in: „Bützower Zeitung“ vom 11.10.2019
Sebastian Moldt (Red.), Gedenken an ermordete jüdische Bürger in Schwaan – Stolpersteinverlegung am 20.Febr. 2020, Schwaaner Kulturförderverein e.V., vom 5.2.2020
Julia Hinz (Red.), Schwaan. Schüler erleben Geschichte, in: „Bützower Zeitung“ vom 10.2.2020 (betr. Besuch der Rostocker Synagoge im Kontext der Stolperstein-Verlegung in Schwaan)
N.N. (Red.), Schwaan erhält drei neue Stolpersteine, in: „OZ - Ostsee-Zeitung“ vom 14.2.2020
N.N. (Red.), Schwaan. Enkel weiht Stolperstein seiner Großeltern ein, in: „Bützower Zeitung“ vom 21.2.2020
Auflistung der in Schwaan verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Schwaan
Hella Ehlers, Von Moses Abraham bis Willi Marcus: Zur Geschichte jüdischen Lebens in Schwaan, Hrg. Schwaaner Kukturförderverein e.V., Schwaan 2020 (2. erw. Auflage)
Sebastian Moldt (Red.), 9.November 2021, Hrg. Schwaaner Kulturförderverein e.V., Schwaan 2021