Sötern (Saarland)

Kreis Sankt Wendel - Kreisgebiet Sankt Wendel - Städte, Branchen -  kreisgebiet.de   Sötern ist heute ein Ortsteil der Gemeinde Nohfelden im Landkreis St. Wendel - im nördlichen Saarland gelegen (hist. Karte des Fürstentums Birkenfeld von 1881, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Landkreis St. Wendel', aus: kreisgebiet.de/kreis-sankt-wendel).

 

Sötern war einer der bevorzugten Ortschaften im ehemaligen Fürstentum Birkenfeld; hier befand sich die älteste jüdische Gemeinde im heutigen Kreis St. Wendel; diese zählte in der ersten Hälfte des 19 Jahrhunderts zeitweise mehr als 200 Angehörige und machte etwa ein Viertel der Söterner Einwohnerschaft aus.

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Bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg sollen sich in Sötern jüdische Familien niedergelassen und hier eine Kultusgemeinde gebildet haben. Erstmals werden Juden im Einwohnerverzeichnis aus dem Jahre 1756 urkundlich genannt.

01_2Liste der Juden von 1790 Verzeichnis der Söterner und Bosener Schutzjuden aus dem Jahre 1790

Begünstigt durch die Judenpolitik der hier herrschenden Grafen von Dürckheim machten sich in der Folgezeit weitere Familien ansässig, sodass der jüdische Anteil der Dorfbevölkerung stetig wuchs. Auch nach Schaffung des Fürstentums Birkenfeld (1817) - einem Landesteil des Großherzogtums Oldenburg - setzte sich diese Entwicklung fort. Um 1845/1850 erreichte die Zahl der jüdischen Einwohner ihren Höchststand. Ihren Lebensunterhalt bestritten sie damals zumeist als Vieh- und Kleinhändler oder als Krämer; Jahrzehnte später dominierten kaufmännische und Handwerkerberufe.

Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden über lange Zeit in Häusern wohlhabenderer jüdischer Familien statt; an hohen Feiertagen besuchten die Söterner Juden die Synagoge in Hoppstädten an der Nahe. Ein eigenes Synagogengebäude wurde erst 1817 errichtet; vier Gemeindemitglieder hatten den Bau vorfinanziert. Das Gebäude verfügte über etwa 65 Männerplätze.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20256/Soetern%20Synagoge%20152.jpg Skizze der Plätze in der Synagoge (1888)

Seit 1819 war eine jüdische Privatschule im Erdgeschoss der Synagoge untergebracht. Der erste Lehrer übte gleichzeitig auch die Funktionen eines Vorsängers, Schächters und Beschneiders aus. Aus der Privatschule ging Mitte des 19.Jahrhunderts die hiesige Elementarschule hervor. Fast ein halbes Jahrhundert (von 1836 bis 1882) war Michel Kohn als Lehrer an der Söterner Schule tätig.

Als im Laufe der Jahrzehnte die Zahl der Schüler immer weiter zurückging, wurde 1909 ihr Status als Elementarschule aufgehoben. Nun bezog die neu gegründete katholische Schule das ehemalige jüdische Schulhaus.

                   Stellenanzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 22.6.1911

Auf einer Anhöhe vor dem Dorfe wurde um 1650 ein jüdischer Friedhof angelegt; sein Standort ist vermutlich mit dem eines alten römischen Gräberfeldes identisch. Ursprünglich wurden auf diesem israelitischen Friedhof Verstorbene aus den jüdischen Gemeinden einer weiten Umgebung beigesetzt, zuletzt aber nur noch die von Sötern und Bosen. Der israelitische Friedhof in Sötern gilt als die älteste nachweisbare jüdische Begräbnisstätte im Saarland.

 

Jüdischer Friedhof bei Sötern (Aufn. L.Sieht, 2011 und P. Dihé, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 bzw. 4.0)

Zur Synagogengemeinde Sötern gehörten in den 1920er Jahren auch die Ortschaften Eisen und Schwarzenbach.

Juden in Sötern:

    --- 1756 ..........................   7 jüdische Familien,

    --- 1790 ..........................   9     "       "    ,

    --- 1799 ..........................  15     “       “    (ca. 17% d. Bevölk.),

    --- 1808 ..........................  95 Juden (ca. 26% d. Bevölk.),

    --- um 1820 ................... ca. 110   “  ,

    --- 1846 .......................... 233   “  ,

    --- 1858 .......................... 221   “    (ca. 21% d. Bevölk.),

    --- 1885 .......................... 153   “  ,

    --- 1890 ..........................  99   "  ,

    --- 1900 .......................... 107   “    (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1923/30 ....................... 124   “  ,

    --- 1933 ..........................  90   “  ,*   * andere Angabe: 124 Pers.

    --- 1941 ...................... ca.  35   “  ,

    --- 1942 (Mai) ....................  keine.

Angaben aus: Karl-Josef Rumpel, Juden in Bosen, Gonnesweiler und Sötern, S. 137

und                 Edgar Mais, Die Verfolgung der Juden in den Landkreisen Bad Kreuznach und Birkenfeld 1933 – 1945, S. 290

 

Im Laufe des 19.Jahrhunderts verbesserte sich das Verhältnis nicht nur zwischen den beiden christlichen Bevölkerungsgruppen im Ort, sondern auch zwischen christlicher Mehrheit und jüdischer Minderheit. Die strenge Einhaltung der Religionsgesetze durch die Juden wurde weitgehend von den Christen respektiert. Nach 1860 ging die Zahl der Söterner Juden innerhalb weniger Jahrzehnte deutlich zurück; Abwanderung in größere Städte und Auswanderung nach Übersee hatten dazu geführt, dass die jüdische Gemeinde gegen Ende der Weimarer Republik nur noch etwa 100 Mitglieder umfasste.

                   Vor der Söterner Synagoge (Aufn. Adolf-Bender-Zentrum)

Während des Novemberpogroms von 1938 wurde auf Befehl des NSDAP-Kreisleiters von Diedenhofen die Söterner Synagoge demoliert und ausgeräumt; bei der Zerstörung der Inneneinrichtung mussten jüdische Bewohner Söterns selbst mit Hand anlegen. Auf eine Brandlegung des Gebäudes wurde wegen der Gefährdung angrenzender Häuser verzichtet. Wohnungen einzelner Juden wurden gestürmt und Mobiliar zertrümmert. Auch der jüdische Friedhof war in der NS-Zeit Ziel von Gewalt: Grabtafeln wurden zerschlagen, Grabsteine entfernt und zweckentfremdet. Bis 1940 sind insgesamt fast 65 Juden aus Sötern ab- bzw. ausgewandert. Etwa 35 jüdische Bewohner Söterns wurden in die „Lager des Ostens“ deportiert, die letzten im April 1942; ihr Schicksal ist zumeist unbekannt. Nur ein einziger in „Mischehe“ verheirateter Jude blieb im Ort zurück und konnte hier überleben.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sollen insgesamt 80 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Personen Opfer des Holocaust geworden sein (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/soetern_synagoge.htm).

 

Nach Kriegsende wurde die Kommune verpflichtet, den jüdischen Friedhof wieder instand zu setzen; heute zeugen auf dem ca. 3.700 m² großen Gelände noch mehr als 200 erhaltene, aber stark verwitterte Grabsteine von der in der Vergangenheit in der Region ansässig gewesenen jüdischen Bevölkerung.. Ein Teil der Umfassungsmauer des Friedhofgeländes ist aus Grabsteinfragmenten gefügt.

Jüdischer Friedhof Sötern (file split).JPG

Jüdischer Friedhof bei Sötern (Aufn. L. Sieht, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)   -   markante Grabsteine (Aufn. J. Hahn, 2004)

Im Gebäude der ehemaligen Synagoge ist heute eine Filiale der Volksbank untergebracht, nachdem zuvor eine Tankstelle hier einen Teil der Räume genutzt hatte.

2012 wurden in Sötern auf Initiative einer Schülergruppe der Gesamtschule/Gemeinschaftsschule Nohfelden-Türkismühle gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe im Adolf-Bender-Zentrum e.V. St.Wendel sog. „Stolpersteine“ verlegt.

In einem weiteren Projekt („Wege der Erinnerung“) wurden in der Kommune Nohfelden Stelen aufgestellt, die vor den Relikten jüdischer Kultur an die einst hier lebende jüdische Minderheit aufmerksam machen sollen.

 

 

Im nahegelegenen Bosen existierte auch eine jüdische Gemeinde, die um 1850 etwa 140 Angehörige umfasste; zu Beginn der NS-Zeit war sie auf etwa 40 Mitglieder geschrumpft.

[vgl. Bosen (Saarland)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Karl-Josef Rumpel, Juden in Bosen, Gonnesweiler und Sötern, in: "Heimatkalender von 1970 des Landeskreises Birkenfeld", Birkenfeld 1970, S. 131 ff.

Edgar Mais, Die Verfolgung der Juden in den Landkreisen Bad Kreuznach und Birkenfeld 1933 - 1945. Eine Dokumentation, in: "Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuznach", Band 24, Bad Kreuznach 1988, S. S. 213 - 217 und S. 288 - 292

Hans Eckert, Bericht über die Juden in Sötern, in: Michael Landau (Hrg.), Damit es nicht vergessen wird. Beiträge zur Geschichte der Synagogengemeinden des Kreises St.Wendel, in: "Veröffentlichungen des Adolf-Bender-Zentrums e.V.", Heft 1, St. Wendel 1988, S. 168 - 175

Axel Redmer, Staatenlos und vogelfrei. Widerstand, Verweigerung und Verfolgung von Menschen aus dem Bereich der oberen Nahe 1933 bis 1945, 1. Teil: Die Ausgebürgerten, Birkenfeld 1993 

C.Kaspar-Holtkotte, “Jud, gib dein Geld her oder du bist des Todes!” - Die Banditengruppe des Schinderhannes und die Juden, in: "Aschkenas - Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden", 1993

Eva Tigmann, Jüdische Gemeinden in Sötern, Bosen, Gonnesweiler (kurze Zusammenfassung)

H.Jochum/J.P.Lüth (Hrg.), Jüdische Friedhöfe im Saarland. Informationen zu Orten jüdischer Kultur. Ausstellungsführer, Saarbrücken 1992, S. 35 f.

Eva Tigmann, Was geschah am 9.November 1938 ? - Eine Dokumentation über die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung im Saarland im November 1938, Hrg. Adolf-Bender-Zentrum, St. Wendel 1998

Hans-Georg Treib, “Jetz krien die Juden Schläh !” Die ‘Reichskristallnacht’ 1938 im Saarland, o.O. o.J.

Thomas Bier, Der Judenfriedhof zu Sötern Teil 1. Geschichte, in: "Verein für Heimatkunde im Landkreis Birkenfeld", Mitteilungen 73/1999, S. 197 ff.

Sötern, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Jüdischer Friedhof in Sötern, online abrufbar unter: erinnert-euch.de (2006)

Michael Landau/Eva Tigmann, Unsere vergessenen Nachbarn. Jüdisches Gemeindeleben auf dem Land. Familien und ihre Schicksale am Beispiel der Synagogengemeinden der Gemeinde Nohfelden, Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2010

Reiner Schmitt, Gedenkbuch - Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung aus den Orten des Birkenfelder Landes 1933-1945, 2011 (nicht im Druck erschienen; vorhanden im Hauptlandesarchiv Koblenz bzw. Stadtbibliothek Trier)

Reiner Schmitt, Die Synagoge in Sötern. 1817 - 1938, o.O. 2012 

N.N. (Red.), Steine wider das Vergessen. Schüler unterstützen das Kunstprojekt, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 16.11.2012

Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Sötern, in: "epidat - epigrafische Datenbank", Hrg. Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut

Eva Tigmann, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens im Kreis St. Wendel - Die Friedhöfe in Sötern, Gonnesweiler, Tholey und St. Wendel, in: „Heimatbuch des Landkreises St. Wendel“, No.34/2015-2018, S. 80 ff.

Jüdisches Leben in der Gemeinde Nohfelden, in: juedischeslebennohfelden.wordpress.com/austellungstafeln (einige obige Abbildungen stammen aus dieser Präsentation)

N.N. (Red.), Sötern/Türkismühle: Gegen das Vergessen - „Wege der Erinnerung“ wurden eingeweiht, in: „St. Wendeler Land Nachrichten“ vom 24.9.2018

Gemeinschaftsschule Nohfelden-Türkismühle (Hrg.), Courage-Projektbericht der Stolperstein AG: Wege der Erinnerung, online abrufbar unter: schule-ohne-rassismus.saarland/aktuelles-termine/detail/courage-projektbericht-der-stolperstein-ag-wege-der-erinnerung (2020)