St. Goar/Rhein (Rheinland-Pfalz)

Landkreis St. Goarshausen  Sankt Goar ist eine von derzeit ca. 3.000 Menschen bewohnte Kleinstadt am linken Ufer des Mittelrheins - ca. 15 Kilometer rheinaufwärts von Boppard; sie gehört der Verbandsgemeinde Sankt Goar-Oberwesel im Rhein-Hunsrück-Kreis an (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und topografische Karte 'St. Goar - St. Goarshausen', aus: lgb-rlp.de/).

Stich von 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Die jüdischen Familien in St. Goar standen jahrhundertelang unter der Schutzherrschaft der Grafen von Katzenelnbogen; Anfang des 14.Jahrhunderts hatte Kaiser Heinrich VII. gestattet, zwölf Juden aufzunehmen; so kann davon ausgegangen werden, dass in der Folgezeit - vermutlich nach 1400 - auch in St. Goar einzelne jüdische Familien gelebt haben.

Anm.: In Bacharach und Boppard, auf dem Territorium des ehem. Kreises St. Goar, bestanden bereits spätestens seit dem 12.Jahrhundert jüdische Gemeinden.

Als die Herrschaft an die Landgrafen von Hessen fiel, verschlechterte sich die Situation der jüdischen Familien, denen nun immer wieder Ausweisungen drohten; so erwirkte 1569 der St. Goarer Stadtrat vom Landgrafen das Privileg, keine Juden in der Stadt dulden zu müssen.

In der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts gründete sich in St. Goar erstmals eine jüdische Gemeinde, die um 1700 auf 15 Familien angewachsen war. Antijüdisch motivierte Unruhen in der Stadt führten dazu, dass ein Teil der Juden den Ort verließ; trotzdem vergrößerte sich in den folgenden Jahrzehnten die Gemeinde weiter. Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts wurden der Judenschaft der Niedergrafschaft Katzenelnbogen, der auch die Juden aus St. Goar und Werlau angehörten, erlaubt, einen Rabbiner zu bestellen. Sitz des neuen Rabbiners war fortan St. Goar; damit wurde der Ort zum Zentrum der Katzenelnbogener Judenschaft.

Als Frankreich 1794 die linksrheinischen Gebiete eroberte, endete die Blütezeit der Synagogengemeinde St. Goar. Zwar blieb St. Goar auch unter preußischer Herrschaft Sitz einer Synagogengemeinde mit relativ großem Einzugsgebiet; doch verlor es im Laufe des 19.Jahrhunderts immer mehr seine zentrale Bedeutung.

1844 wurde im Obergeschoss eines angekauften kleinen Wohnhauses eine kleine Synagoge eingerichtet, die Plätze für 24 Männer und zwölf Frauen besaß. Vier Jahrzehnte später wurde sie durch einen Betraum in der Oberstraße ersetzt, weil das bislang genutzte Gebäude der neuen Eisenbahnlinie weichen musste. Den Erwerb des Gebäudes hatten die Angehörigen der Beerdigungsbruderschaft von St. Goar und Werlau finanziert.

                                            Standort des Betraumes in der Oberstraße (hist. Aufn., um 1930 ?)

Um später wenigstens an hohen Feiertagen Gottesdienste abhalten zu können, musste die kleine Judengemeinde auswärtige Gäste eingeladen.

Der Begräbnisplatz für die Juden St. Goars und anderer mittelrheinischer Orte (Bogel, St. Goarshausen, Ruppertshofen, Welterod und Werlau) lag in der Gemarkung Bornich „Im Haushecker Wald”; er war vermutlich Ende des 17.Jahrhunderts angelegt worden.  (vgl. Werlau (Rheinland-Pfalz)

Jüdischer Friedhof Bornich (Aufn. H., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Zuletzt gehörten die Juden St. Goars der Synagogengemeinde Oberwesel an.

Juden in St.Goar:

         --- 1410 ...........................  2 jüdische Familien,

    --- 1649 ...........................  2     “       “    ,

    --- um 1675 ........................  3     “       “    ,

    --- 1706 ........................... 15     “       “    ,

    --- 1807 ........................... 86 Juden,*      *Bürgermeisterei St.Goar

             ........................... 37   “  ,

    --- 1843 ........................... 26   “  ,

             ........................... 81   “  ,**     ** Landgemeinde

    --- 1855 ........................... 16   “  ,

             ........................... 68   “  ,**

    --- um 1930 ........................  5 jüdische Familien,

    --- 1942 (Dez.) ....................  keine.

Angaben aus: Friedrich P. Kahlenberg, Jüdische Gemeinden am Mittelrhein, S. 369

und                  Doris Spormann, Zur jüdischen Geschichte der Stadt St. Goar

 

Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch fünf jüdische Familien in St. Goar.

In der „Kristallnacht“ vom November 1938 wurde der Betraum in der Oberstraße geplündert, Einrichtungsgegenstände herausgerissen, die Thorarollen auf offener Straße verbrannt und andere Kultgegenstände entweiht bzw. gestohlen. Bis 1942 hielten sich nur noch wenige ältere jüdische Bewohner in St. Goar auf; sie lebten im „Judenhaus“ in der Pumpengasse. Im Laufe des Jahres 1942 verbrachte man sie - zusammen mit den wenigen Juden aus Oberwesel, Werlau und Hirzenach - nach Bad Salzig, ins Gasthaus „Zum Schwan”. Von dort wurden sie vermutlich Ende Juli 1942 in die „Lager des Ostens umgesiedelt“.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich zwölf gebürtige bzw. längere Zeit in St. Goar lebende Personen mosaischen Glaubens Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/sankt_goar_synagoge.htm).

Aus St. Goar stammte Lion Ullmann (auch Baruch Löb Ullmann), der 1804 als Sohn eines Kaufmanns geboren wurde. Nach Besuch der Talmud-Schulen in Bingen und Darmstadt wurde er 1829 zum Rabbiner ordniert. Nach seiner Promotion an der Universität Gießen wurde Dr. Lion Ullmann 1836 zum Oberrabbiner des Konsistoriums in Krefeld gewählt (und war damit der erste akademisch ausgebildete Rabbiner Krefelds). Er verfasste die erste Synagogenordnung für seinen Amtsbezirk, die fortan in allen Synagogengemeinden der Reg.bezirke Aachen, Düsseldorf und Köln Geltung besaß. Die Gründung einer jüdischen Elementarschule ging ebenfalls auf ihn zurück. Im jungen Alter von 39 Jahren starb er in Krefeld.

 

 

Das Rheinhöhendorf Werlau, heute ein Ortsteil von St. Goar, gehörte mit seinen jüdischen Bewohnern bis 1888 zur Kultusgemeinde St. Goar, obwohl zeitweilig mehr Juden in Werlau als in St. Goar lebten. Nach 1888 gehörte die Judenschaft Werlaus zur Gemeinde Oberwesel.

[vgl. Werlau (Rheinland-Pfalz)]          

 

 

Im jenseits des Rheins liegenden St. Goarshausen bildete sich im Laufe des 19.Jahrhunderts eine kleine israelitische Gemeinde, der zu keiner Zeit mehr als 40 Personen angehörten; diese lebten in recht bescheidenen Verhältnissen.

  Lehrstellenangebot einer Metzgerei von 1903

Die wenigen Familien aus dem nahen Wellmich waren der Gemeinde angeschlossen. Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten eine Betstube, eine Religionsschule und eine Mikwe; Verstorbene wurden auf dem Friedhof in Bornich beerdigt. Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Bad Ems.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20339/St%20Goarshausen%20CV-Ztg%2007091928.jpg  Geschäftsanzeige von 1928

Anfang der 1930er Jahren lebten noch ca. 20 jüdische Bürger im Ort; 1938 hatten alle St. Goarshausen verlassen. In der Betstube in der Bahnhofstraße wurde letztmalig im November 1937 Gottesdienst abgehalten; danach wurde das Gebäude wohl zwangsweise verkauft; in diesem kam die NSDAP-Kreisleitung (!) unter.

 

 

 

In Weyer gab es auch eine kleine jüdische Gemeinde, der stets nur wenige Familien angehörten. Anfang der 1930er Jahre zählte die Gemeinde - ihr waren auch die Familien aus Nochern und Lierschied angeschlossen - etwa 25 Angehörige; sie unterstand dem Rabbinatsbezirk Bad Ems. Während der Betraum sich über Generationen hinweg in dem Privathause der Familie Ackermann in Weyer befand, lag der Friedhof in der Gemarkung Nochern; dessen Anlegung muss erst nach 1850 erfolgt sein.

Im November 1938 wurde die Betstube demoliert.

Jüdischer Friedhof in Nochern (Aufn. H., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf dem jüdischen Friedhof in Nochern – auf dem ca. 2.500 m² großen Gelände befinden sich heute ca. 25 Grabsteine - erinnert eine Gedenkplatte an die ermordeten Angehörigen aus den Familien Gerson und Oster (aus Nochern) Ackermann (aus Weyer) und Grünebaum (aus Lierscheid).

In der Ortsgemeinde Lierschied (sie gehört heute der Verbandsgemeinde Loreley an) wurde jüngst (2021) mit einer Gedenktafel, die an einem Findling angebracht ist, an die Angehörigen der Familie Grünebaum erinnert; alle acht Familienmitglieder wurden deportiert und ermordet. 

 

 

 

Erste jüdische Ansässigkeit von drei jüdischen Familien ist für Bornich in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts nachgewiesen. Anfang des 19. Jahrhunderts lebten hier fünf Familien; in den 1840er Jahren waren es nur noch drei. 1842 richtete ein Jude aus Bornich ein Gesuch an die Herzoglich Nassauische Regierung mit der Bitte um Erlaubnis, in seinem Haus einen Betsaal für die Juden von Bornich und Niederwallmenach einzurichten; darin hieß es: „Der Wolf Edinger, Eigentümer des Bethhauses ist bereit, dasselbe zehn Jahre lang zur Benutzung unentgeltlich herzugeben. Zur Erbauung einer neuen Synagoge sind sowenig wir, als unsere Glaubensbrüder in Niederwallmenach imstande, denn in Bornich wohnen nur drei und in Niederwallmenach ebenwohl nur drei jüdische Familien, sämtlich bis auf einen unbemittelt." Dem Gesuch wurde stattgegeben. Doch schon Ende der 1850er Jahre wurde der als „Spelunke und stinkender Winkel" bezeichnete Betraum geschlossen. Fortan gehörte Bornig zur Synagogengemeinde St. Goarshausen.

Im Haushecker Wald gab es einen relativ großflächigen jüdischen Friedhof, der auch Verstorbenen aus anderen mittelrheinischen Orten als letzte Ruhestätte diente (Abb. siehe oben bzw. unter: Werlau/Rheinland-Pfalz).

1900 lebte nur noch die Familie des Alexander Gutenberg (Sendersch) in Bornich.

 

 

 

Weitere Informationen:

Alexander Grebel, Geschichte der Stadt St. Goar, St. Goar 1848

Friedrich P. Kahlenberg, Jüdische Gemeinden am Mittelrhein, in: "Zwischen Rhein und Mosel. Der Kreis St. Goar", Boppard 1966, S. 359 ff.

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang – Untergang – Neubeginn, Band 1, Societätsverlag, Frankfurt/M. 1971, S. 269/270 (St. Goarshausen) und Band 2, S. 380/381 (Weyer)

Doris Spormann, “Sanders”-Mayer und das Haus Pumpengasse 114 - Ein Stück jüdischer Familiengeschichte in St. Goar, in: "Hansenblatt", No.42, St. Goar 1989

Doris Spormann, Die Synagogengemeinden in St. Goar und Oberwesel im 19. und 20.Jahrhundert - Spuren landjüdischen Gemeindelebens am Mittelrhein, in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte in Rheinland-Pfalz", Heft 3/1992, S. 22 - 30

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1300 - 1302

Gustav Schellack, Das jüdische Schulwesen in den ehemaligen Kreisen Simmern und St. Goar im 19.Jahrhundert, in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft 10, Ausgabe 2/1995, S. 23 - 27

Doris Spormann, Zur Geschichte der Juden in Werlau, in: "SACHOR - Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft 10, Ausgabe 2/1995, S. 62 - 74

Franz Gölzenleuchter, Sie verbrennen alle Gotteshäuser im Lande (Psalm 74,8) - Jüdische Spuren im Rhein-Lahn-Kreis - Jahrzehnte danach, Limburg 1998, S. 44 – 47 (betr. Bornich)   

Doris Spormann, Zur jüdischen Geschichte der Stadt St. Goar, Manuskript 2000

Christof Pies, Jüdisches Leben im Rhein-Hunsrück-Kreis, in: "Schriftenreihe des Hunsrücker Geschichtsvereins e.V.", No. 40, 2003, S. 166 ff.

Ellen Stein, Gemeinsam leben mit Milian und Sarah. Juden in Ruppertshofen, Bogel, Bornich, Miehlen, Nastätten, Niederwallmenach und Umgebung, o.O. o.J..

Sankt Goar, in: alemannia-judaica.de

Sankt Goarshausen, in: alemannia-judaica.de

Bornich mit Kaub und Niederwallmenach, in: alemannia-judaica.de

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “.Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 332/333

Christian Becker, Geschichte der Juden in Bornich und der jüdische Friedhof im Hausecker Wald, Loreleygemeinde Bornich 2015

N.N. (SWR-Redaktion), Gedenksteine sollen an jüdische Dorfbewohner erinnern, in: swr.de vom 2.11.2021 (betr. Lierschied)