St. Ingbert (Saarland)
Die Stadt St. Ingbert (bestehend aus fünf Stadtteilen) ist mit derzeit ca. 34.000 Einwohnern die fünftgrößte Kommune im Saarland – ca. 15 Kilometer nordöstlich von der Landeshauptstadt entfernt gelegen (topografische Karte, elop 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze 'Saarpfalz-Kreis', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im Jahre 1811 ließ sich erstmals eine jüdische Familie in St. Ingbert nieder.
Aus der 1823 gegründeten ‚Privatkirchengesellschaft‘ ging dann 1852 die ‚Israelitische Kultusgemeinde St. Ingbert (Pfalz)‘ hervor. Nachdem nach der Jahrhundertmitte die Anzahl der Gemeindeglieder auf mehr als 50 Personen angestiegen war, wurde der kleine Gebetsraum im Hause des Seifenfabrikanten Wolfgang Kahn (Poststraße/Ecke Ludwigstraße) zu beengt. Kahn, der die Räumlichkeit selbst zur Vergrößerung seines Geschäftes benötigte, stellte der Gemeinde für den Neubau einer Synagoge für 1400 Gulden sein Grundstück in der Josefstaler Straße zur Verfügung. Nachdem die Finanzierung mittels eines gemeindlichen Baufonds und eines Darlehens gesichert war, begannen die Bauarbeiten im Jahre 1875. Bereits im Januar 1876 konnte der Synagogenneubau in der Josefstaler Straße eingeweiht werden.
Synagoge Josefstaler Straße (links: Gesamtansicht, rechts: Ostfassade, Aufn. um 1940, aus: Stadtarchiv St. Ingbert)
Rekonstruktuionsskizze aus: Archiv des Religionspädagogischen Zentrums St. Ingbert
Über die Einweihung der Synagoge wurde am 15.1.1875 im „St. Ingberter Anzeiger” berichtet:
... Gestern fand unter großer Betheiligung der hiesigen Einwohnerschaft, der freiwilligen Feuerwehr, sowie von Bürgermeister und Stadtrath, die Einweihung der neuerbauten Synagoge hier statt. Auch der Herr kgl. Bezirksamtmann von Zweibrücken beehrte das Fest durch seine Gegenwart. Der ansehnliche Festzug bewegte sich, programmgemäß um 2 Uhr, durch Ueberbringung der heil. Thora- Rollen, unter Böllerschießen und Musik, durch beflaggte Straßen von der alten zur neuen Synagoge, allwo der Herr kgl. Bezirksamtmann ... die Thüre zur neuen Synagoge öffnete, deren Inneres, einfach und geschmackvoll, die Theilnehmer nicht alle zu fassen vermochte, wo durch eine erhebende kirchliche Feier das schöne gestrige Fest seinen Abschluß fand.
Die Innenausstattung der St. Ingberter Synagoge war recht bescheiden; die Frauen saßen - wie es allgemein üblich war - auf der Empore.
1896 wurde das Synagogengebäude durch ein Schadensfeuer schwer in Mitleidenschaft gezogen. In der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16.Jan.1896 erschien dazu der folgende Artikel:
Das Gebäude wurde wieder hergestellt und war dann für weitere fast vier Jahrzehnte Mittelpunkt des Lebens der jüdischen Gemeinde in St. Ingbert.
Gegen Mitte des Jahrhunderts bemühte sich die Judenschaft in St. Ingbert um die Errichtung einer eigenen Elementarschule. Der Schulbetrieb wurde 1860 aufgenommen, aber bereits Anfang der 1880er Jahre wieder eingestellt; anschließend besuchten die jüdischen Schüler wieder die protestantische Volksschule.
Stellenangebote der Kultusgemeinde aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25.Aug. 1869, 26.Okt. 1899 und 7.Jan. 1909
Unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde erneut eine jüdische Schule eingerichtet, die in einem Hause neben der Synagoge untergebracht war. Doch wegen zu geringer Schülerzahl wurde diese wenige Jahre später geschlossen.
Eine eigene Begräbnisstätte wurde der jüdischen Gemeinde in den 1880er Jahren von den städtischen Behörden an der heutigen Nordendstraße zur Verfügung gestellt; so hatte 1886 der Stadtrat von St. Ingbert beschlossen: "Zur Herstellung eines Friedhofs für die Israeliten in St. Ingbert soll der Acker der Witwe von Peter Stief, rechts der Kapelle, um den Preis von 300 Mark erworben werden. Der Friedhof wird 10 Meter breit und 20 Meter tief angelegt. Mit der Herstellung soll sofort begonnen werden.“ Zuvor waren verstorbene Gemeindeangehörige auf dem jüdischen Friedhof in Blieskastel beigesetzt worden.
Von 1828 bis 1935 gehörte die Synagogengemeinde St. Ingbert zum Bezirksrabbinat Zweibrücken-Pirmasens.
Juden in St. Ingbert:
--- um 1810 .......................... eine jüdische Familie,
--- 1840 ............................. 32 Juden,
--- 1852 ............................. 23 “ ,
--- 1860 ............................. 52 “ ,
--- 1875 ............................. 74 “ ,
--- 1900 ............................. 72 “ (in 15 Haushaltungen),
--- 1927 ............................. 77 “ ,
--- 1935/36 .......................... 61 “ ,
--- 1939 ............................. 15 “ .** ** im Kreis St.Ingbert
Angaben aus: Christoph Nimsgern/Eva Zutter, Juden in St. Ingbert - eine Dokumentation, S. 16
Blick auf St. Ingbert, hist. Postkarte um 1890 (Abb. aus: wikipedia.org, PD-alt)
Die meisten St. Ingberter Juden arbeiteten als Kaufleute; ihre Geschäfte befanden sich überwiegend im Stadtkern in der Kaiserstraße. Die Seifenfabrik von Wolfgang Kahn war mit ihren zeitweise ca. 70 Beschäftigten eine wichtiger Arbeitgeber in der Stadt.
Obwohl das Saargebiet bis 1935 von einer Kommission des Völkerbundes verwaltet wurde, nahmen ab 1933 auch hier die antisemitischen Kampagnen zu - ohne aber wie im Reichsgebiet in „Aktionen“ überzugehen; getragen wurde die antijüdische Hetze in St. Ingbert von der 1930 gegründeten NSDAP-Ortsgruppe. Nachdem sich 1935 die Bevölkerung des Saargebietes eindeutig für die Rückkehr „heim ins Reich“ entschieden hatte, begann die Abwanderung der jüdischen Minderheit; die „Arisierung“ jüdischer Gewerbebetriebe/Geschäfte war in St. Ingbert bereits im Herbst 1936 abgeschlossen; nur ein einziges Geschäft, das Schuhhaus Singer, verblieb bis 1938 noch in jüdischem Besitz.
1935/1936 hatten bereits fast alle Gemeindemitglieder St. Ingbert verlassen; im September 1936 verkaufte die Kultusgemeinde das Synagogengebäude an die Kommune. (Anm.: Das Gebäude nutzte die Stadt bis 1944 als Luftschutzschule.)
Im Zuge des Novemberpogroms von 1938 kam es in St. Ingbert zu keinen gewaltsamen Ausschreitungen; allerdings wurden einzelne jüdische Bewohner verhaftet. Vermutlich 1942 wurde der jüdische Friedhof von den Nationalsozialisten eingeebnet.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." fielen 20 gebürtige bzw. längere Zeit in St. Ingbert wohnhaft gewesene Juden dem Holocaust zum Opfer (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/st_ingbert_synagoge.htm).
Auf dem nach Kriegsende wiederhergestellten jüdischen Friedhof an der Nordendstraße/Ecke Dr.Schulthess-Straße erinnert seit 1951 ein Gedenkstein mit der folgenden Inschrift:
Der Synagogengemeinde St. Ingbert, ihren einstigen Gotteshause,
ihren hier ruhenden Toten zur ehrenden Erinnerung
Stadtgemeinde St. Ingbert
Synagogengemeinde Saar 1951
Teilansichten des jüdischen Friedhofs in St. Ingbert (Aufn. J. Hahn, 2009)
Das einstige Synagogengebäude wurde nach 1945 auf Veranlassung der Besatzungsbehörden restauriert und die Sakralgegenstände wieder zurückgebracht; erste Gottesdienste wurden dann von US-Soldaten besucht. 1950 erwarb die protestantische Kirchengemeinde das Gebäude und nutzte es zunächst als Jugendheim. 2001/2003 wurde es erneut grundlegend saniert. Im Innern informiert nun eine umfangreiche Dokumentation über die jüdische Geschichte. An einer Außenwand verweist eine Tafel auf die ursprüngliche Funktion des Gebäudes.
Rekonstruktionszeichnungen von Rückfront u. Innenraum der St. Ingberter Synagoge (Abb. aus: "St. Ingberter Stadtspiegel", Nov. 2013)
Bei der Renovierung des ehem. Synagogengebäudes wurde am Eingang ein großflächiges Mosaik des St. Ingberter Künstlers Fritz Berberich angebracht. Die Gesetzestafeln, die der protestantische Pfarrer Maus vor dem Zugriff der Nationalsozialisten gerettet hatte, wurden 1983 vor dem neuen Jugendzentrum aufgestellt.
Gebotstafeln (Abb. aus: "St. Ingberter Stadtspiegel" vom Nov. 2013)
Seit 2014/2015 wurden vor den letzten Wohnsitzen verfolgter jüdischer Bewohner St. Ingberts sog. „Stolpersteine“ verlegt; inzwischen findet man im Stadtgebiet ca. 50 solcher Gedenktäfelchen (Stand 2022).
verlegt in der Wittemannstraße und in der Ensheimer Straße in der Kaiserstraße (alle Aufn. Tromia, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
in der Dammstraße für die Fam. Vicktor
Weitere Informationen:
Wolfgang Krämer, Geschichte der Stadt St. Ingbert (2 Bände), Band 2, 2. Aufl., St. Ingbert 1955
Hans-Walter Herrmann, Das Schicksal der Juden im Saarland 1920-1945, in: Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz u. im Saarland von 1800-1945, Bd. 6
Albert Marx, Die Geschichte der Juden an der Saar, Dissertation, Saarbrücken 1985 (2.Aufl. 1992)
Christoph Nimsgern/Eva Zutter/Silke Stein (Bearb.), Juden in St. Ingbert. Schülerdokumentation (Leibniz- u. Albert-Magnus-Gymnasium), 1987
Josef Buhmann, Die Geschichte der jüdischen Gemeinde St. Ingbert, in: "Saarpfalz-Blätter für Geschichte und Volkskunde", Sonderheft 1989, S. 59 - 76
Christoph Nimsgern/Eva Zutter, Juden in St. Ingbert - eine Dokumentation, Wassermann Verlag St. Ingbert, 2.Aufl., 1990
Michael Lintz, Juden in der Saarpfalz, in: Clemens Lindemann (Hrg.), Der Saarpfalz-Kreis, Stuttgart 1993, S .123/124
H.Jochum/J.P.Lüth (Hrg.), Jüdische Friedhöfe im Saarland. Informationen zu Orten jüdischer Kultur. Ausstellungsführer, Saarbrücken 1992, S. 31 - 32
E.Zutter/M.Lintz, Jüdisches St. Ingbert - ein Gang durch die Stadt, Hrg. Amt für Religionsunterricht der Evang. Kirche der Pfalz, Heft 30, Haigerloch 2004
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 457 - 459
Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 152/153
Steinheim-Institut, Jüdischer Friedhof in St. Ingbert 1888 - 1935 (Dokumentation)
St. Ingbert, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Die Geschichte der St. Ingberter Synagoge, aus: "St. Ingberter Stadtspiegel" vom 8.Nov. 2013
Myriam Weidmann, Das Ende des jüdischen Lebens im saarländischen St. Ingbert, im Dritten Reich, Examensarbeit im Fach Geschichte an der Universität Saarbrücken, 2014
Michael Beer (Red.), An dunkle Zeiten erinnern – Ein Künstler wird im August in St. Ingbert an vier Stellen Stolpersteine installieren, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 18.6.2014
Stolpersteine gegen das Vergessen, in: "St. Ingberter Stadtspiegel" vom 21.8.2014 (online abrufbar unter: stadtspiegel-igb.de)
Melanie Löw (Red.), Das Ende des jüdischen Lebens im saarländischen St. Ingert im Dritten Reich, in: "Pressestelle der Universität des Saarlandes" vom 8.12.2014
Myriam Weidmann (Red.), „Arisierung“ und Entschädigung in St. Ingbert. Die Verlustgeschichte einer jüdischen Gemeinde im Saarland und der Versuch der Wiedergutmachung, in: „Saarbrücker Hefte“ 112, S. 98 - 106
Michael Beer (Red.), Elf Tafeln erinnern an Verfolgte, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 21.4.2015
Jörg Martin (Red.), Gedenken an dunkles Kapitel deutscher Geschichte in St. Ingbert, in: „Saar-Zeitung. St. Ingbert“ vom 29.6.2016 (betr. Verlegung von Stolpersteinen)
Auflistung der in St.Ingbert verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_St._Ingbert
Dokumentation des jüdischen Friedhofs in St.Ingbert, in: epidat - epigrafische Datenbank, Hrg. Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut
Selina Carolin Summer (Red.), Sechs neue „Stolpersteine“ für St. Ingbert, in: "Saarbrücker Zeitung“ vom 30.10.2018
Stefan Bohlander (Red.), Weitere Stolpersteine in St. Ingbert. Ein emotionaler Moment der historischen Mahnung, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 2.7.2020