Stolberg (Nordrhein-Westfalen)
Stolberg (Rheinland) ist eine Stadt mit derzeit ca. 56.000 Einwohnern in der nordrhein-westfälischen Städteregion Aachen westlich von Düren bzw. östlich von Aachen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 mit Stolberg am oberen Kartenrand, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Städteregion Aachen', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Stolberg um 1800 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts lebten in Stolberg nie mehr als 20 bis 25 jüdische Bewohner; der erste in Stolberg aktenkundig erfasste Jude war „Jüdt Davidt“, der hier um 1670/1680 ansässig war. Erst nach 1865 zogen weitere jüdische Familien nach Stolberg. Die Stadt erlebte zu diesem Zeitpunkt einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung.
In Stolberg gab es zu keiner Zeit eine autonome israelitische Gemeinde; die jüdischen Einwohner gehörten stets als Filialgemeinde zur Aachener Kultusgemeinde. Ein „Betlocal“ im Haus des Vorstehers Albert Falkenstein am Steinweg stand den Angehörigen der kleinen Gemeinschaft seit den 1890er Jahren zu gottesdienstlichen Treffen zur Verfügung.
Ein erster jüdischer Friedhof war bereits um 1650 angelegt worden; dieses auf einem Teil des katholischen Friedhofs durch Mauern abgegrenzte Areal wurde bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts genutzt. Als um 1850 die katholische Pfarrgemeinde St. Luzia eine Erweiterung ihres Friedhofes beabsichtigte und dafür die Fläche des jüdischen Friedhofteils ins Auge fasste, wurde der jüdischen Gemeinde im Tausch ein gleich großes Grundstück auf dem „Trockenen Weiher“ angeboten, um dort einen Friedhof anzulegen. Nach langen Verhandlungen erfolgte dann 1859 der Grundstückstausch. Ein Jahr später wurde der neue jüdische Friedhof am „Trockenen Weiher“ (Im Turmblick“) angelegt; wobei das Friedhofsgelände auf Kosten der Pfarrei St. Luzia hergerichtet und mit einer Hecke versehen wurde.
Anm.: Ob Umbettungen von Verstorbenen und Umsetzung von Grabsteinen erfolgten, ist nicht belegt, gilt aber als wahrscheinlich.
Juden in Stolberg:
--- um 1750 ......................... 5 jüdische Familien,
--- 1785 ............................ 12 (erwachsene) Juden,
--- 1808 ............................ 25 Juden,
--- 1850 ............................ 6 “ ,
--- 1872 ............................ 37 “ ,
--- 1895 ............................ 75 “ ,
--- 1900 ............................ 86 “ ,
--- 1905 ............................ 57 " ,
--- 1911 ............................ 54 “ ,
--- 1930 ............................ 41 “ ,
--- 1933 ............................ 76 “ ,
--- 1938 (Nov.) ..................... 29 “ ,
--- 1940 (Jan.) ..................... 8 “ ,
--- 1942 ............................ 2 “ .
Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Reg.bez. Köln, S. 65
und Ulrich Flecken (Privatarchiv)
* Abweichende demographische Angaben siehe: Manfred Bierganz, Die Leidensgeschichte der Juden in Stolberg während der NS-Zeit, Hrg. Stadt Stolberg, Stolberg 1989, S. 9
Um 1900 hatte die jüdische Gemeinschaft in Stolberg ihren numerischen Höchststand erreicht; zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Stolberg noch etwa 40 Personen mosaischen Glaubens.
Der reichsweit angeordnete Boykott vom 1.April 1933 wurde auch in Stolberg durchgeführt; SA-Angehörige zogen vor den sechs jüdischen Geschäften auf, um potenzielle Kunden von Einkäufen abzuschrecken. In den Folgejahren trieben Schikanen und Demütigungen die meisten jüdischen Einwohner in die Emigration; ihre Immobilien mussten sie meist weit unter Wert veräußern.
Die beiden noch bestehenden jüdischen Geschäfte (die Schuhläden von Bernhard Wächter und von Sigmund Zinader) wurden von SA- und SS-Angehörigen in der Nacht vom 9. auf den 10.November 1938 teilweise zerstört. Kurz danach hatte eine Anweisung des Landratsamts den damaligen Stadtinspektor Kleinen erreicht, in der es hieß: „Ab heute 10 Uhr … hat kein Jude den Laden zu verlassen. Wer trotzdem die Wohnung verlässt, soll in Haft genommen werden." Fünf Männer wurden „in Schutzhaft“ genommen und ins KZ Buchenwald bzw. Sachsenhausen verschleppt. Anfang 1939 war die „Arisierung“ jüdischen Besitzes abgeschlossen. Einige Stolberger Juden konnten noch vor Kriegsbeginn emigrieren. Im Sommer 1941 wurde auf Veranlassung des Landrats das letzte in Stolberg verbliebene jüdische Ehepaar in das jüdische Sammellager nach Eschweiler „umgesiedelt“; von hier aus erfolgte im März 1942 ihre Deportation nach Theresienstadt. Nur zwei „in Mischehe“ lebende Jüdinnen blieben von einer Deportation verschont. Nachweislich sind während der NS-Herrschaft mindestens 19 Stolberger Bewohner mosaischen Glaubens gewaltsam ums Leben gekommen bzw. gelten als "verschollen".
Eine in den Boden gelassene Gedenkplatte vor dem Hause Steinweg 78 erinnert seit 1988 an den Betsaal der kleinen Stolberger Judenschaft:
Bis zum 9.November 1938 beteten in diesem Haus Nr. 78 jüdische Mitbürger.
Die Nazis sorgten für ein grausames Ende. 1988
Sichtbarstes Zeugnis früheren jüdischen Lebens in Stolberg ist der kleine Friedhof am „Trockenen Weiher“ mit Grabsteinen aus dem 19.Jahrhundert.
Einige Gräber auf dem jüdischen Friedhof von Stolberg - Stilisierte Menora (Aufn. Gruppe-Z-stolberg.de)
In der Rhenaniastraße in Stolberg-Atsch existierte seit Herbst 1941 ein Lager für ca. 120 jüdische Zwangsarbeiter; diese waren in verschiedenen Betrieben eingesetzt. Im Sommer 1942 wurde das Lager aufgelöst, seine Insassen überwiegend in die „Lager des Ostens“ deportiert. Heute erinnert ein Gedenkstein mit folgender Inschrift an das Lager:
Zur Erinnerung an das ehemalige Zwangsarbeiterlager Rhenaniastraße und die darin Internierten.
Die über 100 jüdischen Häftlinge wurde Mitte 1942 in die Vernichtungslager der Nazis abtransportiert.
Eine Grünfläche an der Rhenaniastraße wurde zum Andenken an den jüdischen Textilhändler in Berthold-Wolff-Park umbenannt.
Auf dem Gelände des ehemaligen Zinkhütter Hofs steht ein Mahnmal für die NS-Opfer in Form eines Hakenkreuzes aus Stacheldraht.* * In der Zeit seiner Einweihung (1991) war die Verwendung eines Hakenkreuzes umstritten; eigens reiste der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, nach Stolberg. Der Zweck des Gedenkens wurde nun durch eine Inschriftentafel präzisiert.
2015 wurden - nach jahrelangen Diskussionen - im Steinweg die ersten zwölf sog. „Stolpersteine“ verlegt; sie erinnern an die Angehörigen zweier jüdischer Familien (Fam. Salomon und Zinader), die in der NS-Zeit verschleppt und ermordet wurden. Vier weitere Steine erinnern an das Schicksal der Familie Hartog.
"Stolpersteine" in Stolberg (Aufn. Gruppe Z - Stolberg, 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Im 1972 eingemeindeten Ortsteil Mausbach wurde im Juni 1942 in ehem. RAD-Baracken ein Internierungslager für alte Menschen jüdischen Glaubens - sie kamen zumeist aus Altersheimen des Kölner Raums - eingerichtet. Zwei Wochen nach ihrer Internierung wurden von Mausbach aus etwa 340 alte Menschen nach Theresienstadt "überstellt".
In Monschau – wenige Kilometer südlich von Stolberg – wurden 2023 die ersten fünf „Stolpersteine“ verlegt.
Bereits 2016 wurden in Simmerath - im Ortsteil Eicherscheid - drei Steine im Kirchweg verlegt, die an die jüdische Familie Leo Kaufmann erinnern.
Sechs Jahre später wurden vier weitere Gedenkquader für nicht-jüdische Personen in das Gehwegpflaster (Rathaus-Platz) eingelassen.
verlegt für Familie Kaufmann (Aufn. Caronna 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Manfred Bierganz, Jüdische Zwangsarbeiter in Stolberg und der Leidensweg der Stolberger Juden während der Naziherrschaft, in: "Menorah. Zeitschrift der jüdischen Gemeinde Aachen", No. 3/1986, S. 17 f.
Manfred Bierganz, Das Schicksal der Stolberger Juden, in: "Stolberger Nachrichten" - Artikelserie März/Mai 1986
Manfred Bierganz, Verwüstungen auf dem jüdischen Friedhof zu Stolberg, in: "Menorah. Zeitschrift der jüdischen Gemeinde Aachen", No. 1/1987, S. 18
Manfred Bierganz, Die Leidensgeschichte der Juden in Stolberg während der NS-Zeit, Hrg. Stadt Stolberg, Stolberg 1989
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 65 - 67
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 515
Ulrich Flecken, unveröffentlichte Chronik “Jüdische Historie Stolbergs vom späten Mittelalter bis zum Holocaust, o.J.
Gruppe Z (Hrg.): „Nach Auschwitz verzogen“. Stationen von Nazi-Terror, Verfolgung und Widerstand im „Dritten Reich“, 2. erw. Aufl., Stolberg 2011
Ottmar Hansen (Red.), Stolpersteine als Mahnmal auch in Stolberg, in: „Aachener Zeitung“ vom 31.8.2015
Auflistung der in Stolberg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Stolberg
Sonja Essers (Red.), Vier Stolpersteinre erinnern an das Schicksal der Hartogs, in: „Aachener Nachrichten“ vom 3.7.2018
Karl-Heinz Oedekoven (Red.), Der jüdische Friedhof in Stolberg, in: „Aachener Nachrichten“ vom 24.10.2018
Peter Stollenwerk (Red.), Vier „Stolpersteine“ in Simmerath und Steckenborn verlegt, in: „Aachener Zeitung“ vom 7.12.2022
Peter Stollenwerk (Red.), Fünf Stolpersteine in Monschau für fünf Schicksale, in: „Aachener Zeitung“ vom 24.10.2023